Rolf Kindermann · Foto: Ken Werner
Stephan Weber · Foto: Ken Werner
Lucas Riedle · Foto: Ken Werner
Stephan Weber, Rolf Kindermann, Lucas Riedle · Foto: Ken Werner
Lucas Riedle, Stephan Weber, Rolf Kindermann · Foto: Ken Werner
Stephan Weber, Immanuel Krehl · Foto: Ken Werner
Lucas Riedle, Stephan Weber, Rolf Kindermann · Foto: Ken Werner
Lucas Riedle · Foto: Ken Werner
Stephan Weber, Lucas Riedle, Rolf Kindermann · Foto: Ken Werner

Der Totmacher

Ein Psychogramm. Nach den Protokollen des Serienmörders Fritz Haarmanns (1924) · 16+


Reutlinger General-Anzeiger, 13. April 2024

Vom Sezieren der bürgerlichen Hülle

(von Armin Knauer)

Das LTT zeigt in der Alten Anatomie »Der Totmacher« über die Befragung des Serienmörders Fritz Haarmann...

Die Situation hat eine makabre Pointe. Man sitzt im Rund des Vorlesungssaals der Alten Anatomie und blickt steil hinunter wie ins Zentrum eines Trichters. Dorthin, wo früher Leichen geöffnet wurden, um Medizinstudenten das Innere des menschlichen Körpers offenzulegen. Genau dort entrollt nun das LTT in der Regie seines Intendanten Thorsten Weckherlin die Befragung des Serienmörders Fritz Haarmann durch den Psychiater Prof. Dr. Ernst Schultze. Und genau dort schildert nun Haarmann detailfreudig und mit unverhohlenem Stolz auf die eigenen Sektionskünste, wie er die Körper seiner Opfer zerteilte.

Schultze soll im Jahr 1924 herausfinden, ob Haarmann, der mindestens 24?junge Männer im Liebesakt totgebissen und anschließend zerstückelt hat, zurechnungsfähig ist. Aus den Protokollen von damals hat Romuald Karmakar bereits 1995 einen viel beachteten Kinofilm gemacht. Nun greift Weckherlin auf dieselbe Quelle zurück und versichert: »Kein Wort des Abends steht nicht in diesen Protokollen.«

Weckherlin und Ausstatterin Lara Schiek haben die Vernehmung nicht aktualisiert, sondern zeigen sie in ihrer Zeit. Ein Tisch, drei Stühle, ein alter Fotoapparat mit Ziehharmonika-Objektiv – der Delinquent muss schließlich auch abgelichtet werden. Eine Gefängniskluft und ein Fäkalieneimer sind noch wichtig. In erstere schlüpft im Laufe des Stücks Haarmann, wandelt sich vom geschniegelten Gesellschaftsmitglied zum Hinrichtungsanwärter. Der Fäkalieneimer verweist auf seine Entsorgung von Leichenteilen; er birgt ihn am Ende in den Armen, als wolle er den finsteren Teil seiner Seele darin beschirmen.

Alles hängt an den Schauspielern – und die machen ihre Sache glänzend. Stephan Weber lässt schaudern als Mörder Haarmann, der sich in all seiner kindlichen Naivität auch nicht so recht erklären kann, wie die Strichjungen, die er mit in sein Bett nahm, zu Tode gekommen sind. Nicht weniger fesselt Rolf Kindermann als Psychiater Schultze, der daran verzweifelt, dass sein joviales Gegenüber so gar kein Bewusstsein vom Entsetzlichen seiner Taten entwickeln will.

Dazu Lucas Riedle als Stenograf, der kein einziges Wort spricht, aber immer wieder zur Zielscheibe von Haarmanns erotischen Gelüsten wird. Und Immanuel Krehl als Strichjunge Kress, der von den sexuellen Praktiken Haarmanns berichtet. Vieles in der Vernehmung entwickelt eine absurde Komik, die daraus entspringt, dass Gutachter wie Mörder sich auf bürgerlichen Anstand berufen und dabei grundverschiedene Welten meinen. Um der Komik nicht die Dominanz zu überlassen, schiebt die Inszenierung in den Szenenwechseln düster-tragische Klavierklänge von René Lozinsky ein; in den Szenen selbst bleibt die Musik still.

So entfaltet sich eine Konstellation, in der absurde Komik und menschliche Tragik zusammenfallen. Haarmann, der von der Gesellschaft von klein auf stigmatisiert wurde, fühlt sich in der Vernehmung endlich als Mensch wahrgenommen – ausgerechnet in einer Situation, die ihn in der psychiatrischen Durchleuchtung zum Objekt macht. Schultze wiederum, der so sehr auf menschliche Werte pocht, kann in gleichgeschlechtlicher Sexualität nichts als eine naturwidrige Abscheulichkeit erkennen. Auf beklemmende Weise macht die Inszenierung klar, dass die Bürgerlichkeit Monströses züchtet, wenn sie ihr Inneres nicht mit Mitgefühl für den anderen Menschen füllt.

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cul-tu-re.de, 12. April 2024

„Der Totmacher“ – Warte, warte nur ein Weilchen…

(von Martin Bernklau)

In der Alten Anatomie seziert das LTT den Fall des Massenmörders Fritz Haarmann

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Schwäbisches Tagblatt, 12. April 2024

Die Krone der Schöpfung, das Kind, die Bestie

(von Peter Ertle)

Thorsten Weckherlin beschäftigt sich mit einem 100 Jahre alten Faszinosum des Schreckens und seziert den „Totmacher“ Fritz Haarmann in der Alten Anatomie..

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