Justin Hibberler, Solveig Eger, Sabine Weithöner, Foto: Martin Sigmund
Justin Hibbeler, Foto: Martin Sigmund
Justin Hibberler, Sabine Weithöner, Solveig Eger, Foto: Martin Sigmund
Justin Hibbeler, Sabine Weithöner, Foto: Martin Sigmund
Foto: Martin Sigmund

Die Präsidentinnen

Fäkaliendrama von Werner Schwab · 16+


Schwäbisches Tagblatt, 12. Oktober 2023

Knietief in der Scheiße

(von Justine Konradt)

Die neue Inszenierung von „Die Präsidentinnen“ am LTT bringt Heiterkeit, Entsetzen und Tiefgang gleichermaßen. Ein Stück, das sich lohnt.

Am Samstagabend hatte im LTT Werner Schwabs legendäres, 1990 in Wien uraufgeführtes, 2002 von Vera Sturm zum Auftakt ihrer Intendanz am Zimmertheater dauerausverkauftes Stück „Die Präsidentinnen“ Premiere.

Eine Menschentraube hatte sich um die Treppe des Tübinger Landestheaters gebildet, die zum „LTT oben“ und zum Balkon des großen Saals führt. Nur die Besucher von „Stolz und Vorurteil“ durften schon hinauf, um ihre Balkonplätze einzunehmen. Das „LTT oben“ blieb vorerst noch zu. „Das nennt man Understatement, meine Damen und Herren“, rief Thorsten Weckherlin durch die Menge: „‚Die Präsidentinnen‘ müssen warten!“ Understatement? Da wusste man noch nicht, welch vulgäre Wesen hinter dem hoheitsvollen Titel „Präsidentinnen“ stecken würden.

Sie führen ein tristes Leben allesamt. Erna, Grete und Mariedl. Erna hat sich der Sparsamkeit verschrieben, nimmt als Filterersatz für den Kaffee Klopapier und trägt eine Pelzmütze von der Mülldeponie. Grete, von ihrem Mann für eine Jüngere verlassen, lebt nun in trauter Zweisamkeit mit ihrem Dackel Lydia. Und Mariedl, die dritte im Bunde, ist Klofrau aus Leib und Seele. Für eine Papstmesse im Fernseher haben sich die drei Frauen um den Holztisch in Ernas ärmlich-proletarischer Wohnküche versammelt. Die Wände zieren unzählige Kreuze, eine kleine Kollektion aus Marien-Statuen dekoriert den Raum. Die bräunliche Tapete blättert ab und legt den Blick auf modrigen, grauen Beton frei. Und so sitzen sie und bewundern den Papst. Verstecken ihr Elend hinter gespielter Frömmigkeit und tarnen sich mit christlicher Güte, während sie in Gedanken ihren individuellen Begierden und Gelüsten nachjagen. Was sie eint: der Wunsch nach Anerkennung, Zuneigung und Aufstieg. Im Laufe des Abends werden ihre Träumereien rauschartige Dimensionen annehmen, umso härter und brutaler verläuft der Realitätscheck.

Nicht zum ersten Mal sind Werner Schwabs „Die Präsidentinnen“ auf einer Tübinger Bühne zu sehen. Bereits 2002 lief das Stück als Auftakt zur Intendanz von Vera Sturm am Zimmertheater. Von den Kritikern wurde die damalige Inszenierung hoch gelobt und gefeiert.

Die Messlatte lag für Thorsten Weckherlin, der bei dem Stück am LTT Regie führte, bereits weit oben. Dabei braucht sich Weckherlins Inszenierung keineswegs zu verstecken, ganz im Gegenteil. Für zwei Stunden wurden Erna, Grete und Mariedl lebendig und bannten das Publikum. Während das Spiel der drei Schauspieler Justin Hibbeler, Sabine Weithöner und Solveig Eger zu Beginn des Stücks noch etwas holprig und ungeschmeidig wirkte, brillierten sie besonders im zweiten Akt. Das Publikum wurde zunehmend in den Sog ihres wahnartigen Fantasiestrudels hineingezogen. Die fluiden Emotions- und Stimmungswechsel der Protagonistinnen sorgten für lautes Gelächter, man war sich aber auch einer latenten Gefährlichkeit bewusst. Während die großen Gesten und Wortgefechte das Stück dominierten, waren es die kleinen, subtilen Eigenarten der Frauen, die ihre Porträts schauspielerisch abrundeten und sie humanisierten. So konnte der Zuschauer eine Beziehung zu den Charakteren aufbauen, mitfühlen. Schön, wie die prüde Erna (gespielt von Justin Hibbeler) x-beinig und verklemmt auf ihrem Stuhl sitzt und sich von der lebensbejahenden Grete (gespielt von Sabine Weithöner) abhebt, die mit gespreizten Beinen dasitzt, ihrem Busen gedankenverlorene Streicheleinheiten zukommen lässt und ihre eigene Präsenz sichtlich genießt. Auf böse Seitenhiebe ihrer Freundin Erna reagiert sie entrüstet und beginnt, die Falten der geblümten Kunststoff-Tischdecke energisch zu glätten.

Scheiße, scheiße, scheiße: Bei Werner Schwabs Stück handelt es sich um ein sogenanntes Fäkaliendrama. Das klingt beim ersten Hören recht primitiv, sollte aber nicht mit Eindimensionalität gleichgesetzt werden. Die geistreichen und vielschichtigen Dialoge der skurrilen Protagonistinnen zu den Themen Abort, Verstopfung und Stuhl sind von Witz und Raffinesse geprägt. Das alles vor dem sakralen Hintergrund ist absurd bis grotesk. Thorsten Weckherlins Inszenierung vereint all das: Komik und bitterböser Sarkasmus gehen Hand in Hand.

Zentral ist hier die Rolle der Mariedl (gespielt von Solveig Eger), die von einem Dasein als Messias der (verstopften) Aborte träumt. Lange kann Mariedl die Balance zwischen Naivität und Gestörtheit halten. Dann kippt sie. Und eine Abwärtsspirale beginnt die Protagonistinnen, die schon so weit unten sind, noch tiefer mitzureißen. Es wird blutrünstig, brutal und bitter.


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Schwarzwälder Bote, 7. Oktober 2023

Makabere Flucht vor der eigenen Sinnlosigkeit

(von Christoph Holbein)

Das Fäkaliendrama „Die Präsidentinnen“ von Werner Schwab entpuppt sich in der Inszenierung von Thorsten Weckherlin am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen als lustige Gesellschaftsparodie mit bitterbösem Nachgeschmack. Die Schauspieler brillieren in ihren Rollen.

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cul-tu-re.de, 2. Oktober 2023

Der Griff ins Klo

(von Martin Bernklau)

Das Landestheater Tübingen gräbt Werner Schwabs Fäkaliendrama „Die Präsidentinnen“ wieder aus.

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