Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Franziska Beyer · Foto: Martin Sigmund
Justin Hibbeler, Andreas Guglielmetti, Solveig Eger, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Justin Hibbeler, Dennis Junge · Foto: Martin Sigmund
Andreas Guglielmetti, Jennifer Kornprobst, Solveig Eger · Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Solveig Eger, Franziska Beyer · Foto: Martin Sigmund
Dennis Junge, Solveig Eger · Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Dennis Junge · Foto: Martin Sigmund
Solveig Eger, Franziska Beyer · Foto: Martin Sigmund
Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Dennis Junge, Solveig Eger · Foto: Martin Sigmund
Jennifer Kornprobst, Jonas Hellenkemper, Franziska Beyer, Justin Hibbeler · Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Andreas Guglielmetti, Solveig Eger, Jennifer Kornprobst · Foto: Martin Sigmund
Franziska Beyer · Foto: Martin Sigmund

Garland

Märchen-Dramedy zum Klimawandel von Svenja Viola Bungarten · 14+


Schwäbisches Tagblatt, 15. April 2024

„Garland“: Hoffnung? Hier? Vergiss es!

(von Moritz Siebert)

Somewhere over the Rainbow – da geht die Welt zu Grunde. Das LTT zeigt „Garland“, ein Stück zum Klimawandel, das an die Geschichte „Der Zauberer von Oz“ angelehnt ist. Echt sehenswert.

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Reutlinger General-Anzeiger, 15. April 2024

Eiscreme-Apokalypse am LTT

(von Thomas Morawitzky)

Ein US-Musicalfilm als Steilvorlage für schrille Klimakritik: Premiere von »Garland« in Tübingen

Tante Emily und Onkel Henry sind Heimat für Dorothy, die durchs Wunderland wandert, in das sie von einem Wirbelsturm getragen wurde. »Der Zauberer von Oz« ist der amerikanischste aller Märchenfilme, entstanden 1939, Judy Garland spielt darin die Hauptrolle. Nun stehen Emily und Henry auf der Bühne des Landestheaters, von Dorothy keine Spur, sie sehen aus wie schlecht gealterte Touristen: Tante Em und Onkel Henri heißen sie hier, hocken in der Wüste und versuchen, sich das Leben zu nehmen.

Er (Andreas Guglielmetti) spaziert in kurzen Hosen, mit langen Haaren und Sandalen umher; sie (Jennifer Kornprobst) tobt mit aufgedonnerter Frisur und Zigarette. Der Versuch, sich gegenseitig zu erschießen, scheitert an beiderseitiger Feigheit; stattdessen trifft die Kugel eine der Wolken, die am glasklaren Himmel hängen, und das federleichte Gasgebilde donnert schwer wie ein Sack auf den Bühnenboden.

»Garland« heißt das Stück, so wie die Hauptdarstellerin des Märchenfilms. Svenja Viola Bungarten hat es geschrieben; die Uraufführung fand 2021 am Schauspielhaus Graz statt. In Tübingen führte Maike Bouschen Regie und Valentina Pino Reyes gestaltete das Bühnenbild. Das ist, wieder einmal, Pink in geradezu surrealem Ausmaß. Es wirkt, als habe Salvador Dalí in Eiscreme gemalt, wartet tatsächlich auf mit einer Tankstelle, die einem Becher voller Softeis gleicht. Ansonsten: weite Ebene, endloser Himmel und eine Kugel aus Stroh als Originalzitat, die vom Wind vorübergeweht wird.

Außerdem: Justin Hibbeler als Dragqueen Lorna Luft, die diese schrille Show moderiert. Sie sitzt zur Linken, greift in die Tasten, fegt mit Cocktailglas und Abendkleid über die Bühne. Dort öffnet sich ein türkisglitzernder Vorhang im schnellen Takt zwischen den Bildern. Hinterm Vorhang jauchzt der Ensemblechor wie in den guten alten Fernsehzeiten den Titel: »Garland!«

Svenja Viola Bungarten hat in ihrem Stück sehr dicht mehrere Ebenen übereinandergelegt: die hochironisch-postmoderne Beschäftigung mit dem »Zauberer von Oz«; die ebenso ironische Auseinandersetzung mit dem Mythos Amerika; das Ende aller Märchen; Kindergeschichten; ein seltsam kaputtes Road-Movie; und die meist implizite Kritik an einer Zivilisation, die der Klimakatastrophe entgegensteuert. Denn eines ist klar: Der Schauplatz des Stückes ist nicht wirklich die amerikanische Wüste, sondern das Hier und Jetzt.

Justin Hibbeler spricht es aus, hämmert mit Pathos aufs Klavier ein und singt zur Melodie von »Over the Rainbow«: »Die Wiesen, auf denen wir spielten, sind nicht mehr. Schau dich um, hier im Ländlein alles Sand, mit Glück siehst du noch verdorrte Maultaschen am Straßenrand. Geier kreisen verloren über Städten, Spätzle wirbeln im Wind. Selbst das Remstal liegt nun still. Wo einst Hölderlins Türmchen stand, ist heute alles abgebrannt.«

Dorothy heißt nun Dorothee Sturm und wird gesucht als Brandstifterin – Solveig Eger spielt sie. Sie schleicht sich mit Häschenmaske in Pink an die Tankstelle an und befüllt ihren Kanister. Franziska Beyer betreibt die Tankstelle und heißt Judy Garland. Jonas Hellenkemper spielt einen Trucker auf der Suche nach Benzin, der eigentlich lieber ein Polizist wäre.

Außerdem dabei: Dennis Junge als Salvatore Brandt, genannt Toto, der Bruder des Truckfahrers. Er tritt schon früh auf, als versehentlicher Gast in Lorna Lufts Revue, und entpuppt sich als gescheiterter Filmemacher, der in seinen Werken alle Figuren sterben lässt, auch die Kinder, was ihm keiner verzeiht. Mit schwarzem Vollbart und Lederjacke schlendert er zu Beginn der Vorstellung durchs Publikum auf die Bühne.

In einer Wüste also, die einst Deutschland war, steht eine Tankstelle, die aussieht wie eine Portion Speiseeis. Es ist heiß, Dorothee irrt umher, sucht den Sinn des Lebens und zündelt. Sie ist 13 alt, trägt Schuhgröße 42, hat keine Zöpfe, zieht das Unglück an und fordert mit bissiger Stimme die Absetzung von Präsidenten, die Abschaffung der Massentierhaltung, die Veränderung aller Infrastrukturen. Judy Garland haust sarkastisch im Innern der Eiswaffel, singt »Life is just a bowl of cherries«, einen Schlager der 1930er-Jahre, und steckt sich eine Zigarette an, gleich neben der rosa Tanksäule. Schleichwerbung für Kfz-Versicherungsanstalten wird angelegentlich verboten. Eine Bodenklappe springt auf, die Brüder Brandt und die flüchtige Dorothee schauen heraus, silbernes Konfetti wirbelt durch die Luft.

»Garland« ist ein Stück, das wenig Handlung aufweist, vielmehr eine Gesellschaft schriller und bedeutsamer Charaktere in einer bunten Unwirklichkeit nebeneinanderstellt. Ein Stück, in das sich das Tübinger Ensemble mit größter Freude hineinwirft. Die Musik von Caio de Azevedo verstärkt dessen Stimmung auf eigentümliche Weise, verwendet kuriose Klangeffekte, sorgt für gewitzte Momente in der amerikanischen Eiscreme-Apokalypse am Rande der schwäbischen Alb.


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