Tülin Pektas - Foto: Tobias Metz
Tülin Pektas - Foto: Tobias Metz
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Tülin Pektas - Foto: Tobias Metz
Tülin Pektas - Foto: Tobias Metz
Tülin Pektas - Foto: Tobias Metz
Tülin Pektas - Foto: Tobias Metz
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Tülin Pektas - Foto: Tobias Metz
Tülin Pektas - Foto: Tobias Metz
Tülin Pektas - Foto: Tobias Metz
Tülin Pektas - Foto: Tobias Metz
Grafik: Peter Engel

Im Herzen tickt eine Bombe

Monolog von Wajdi Mouawad · Aus dem Französischen von Uli Menke

14+


Schwäbisches Tagblatt, 22. Januar 2024

Die Farben der Erinnerung

(von Dorothee Hermann)

Der Theatermonolog „Im Herzen tickt eine Bombe“ greift die Traumatisierung eines jungen Geflüchteten auf, der sich vielleicht in die Kunst rettet.

Eindringliches und auch forderndes Stück, weil sich neben dem, was auf der Bühne geschieht, vieles nur in der Vorstellung ereignet, was die Schauspielerin Tülin Pektas überzeugend und sehr bildhaft heraufbeschwört. Empfohlen ab 14 Jahren.

Ein wuchtiges Stahlgestänge, an dem dünne kupferfarbene Haken hängen, steht mitten auf der stark ausgeleuchteten, völlig weißen Bühne. Es kann an einen Käfig oder eine (Folter-) Zelle erinnern. Das Arrangement ist nicht von den Zuschauern abgesetzt, sondern diese sind Teil des Raums und können nicht sicher sein, ob das Geschehen bis zu ihnen vordringen wird. Besonders, als Schauspielerin Tülin Pektas mit den Sprühfarben loslegte.

Am Freitag brachte das Junge LTT, das Jugendensemble am Landestheater Tübingen, den Monolog „Im Herzen tickt eine Bombe“ des preisgekrönten kanadisch-libanesischen Autors Wajdi Mouawad in einer ungewöhnlichen Inszenierung heraus (Regie, Bühne, Kostüm: Monika Kosik und Cedric Pintarelli, auch als Graffitikünstler SWEETUNO bekannt).

Als eine Figur (Tülin Pektas) in graugrünem Overall beiläufig die Bühne betrat und freundlich „Guten Morgen“ sagte, brach das Assoziationen von Zellen oder Käfigen auf. Sie schuf eine entspannte, willkommen heißende Atmosphäre, in der sich die Zuschauer darauf einlassen konnten, was in dem kargen Bühnenraum geschehen würde, und auch neugierig darauf wurden, was die Darstellerin daraus machen würde.

Dann war nur das Rascheln zu hören, als sie eine Plastikfolie ausbreitete, auf der schon schwarze Farbspuren waren. Eine der weißgrundierten Pappen, die bereit für ein Bild an der Wand lehnten, hielt sie probehalber gegen das Gestänge: War sie als Protagonist Wahab einfach ein Künstler in seinem Atelier? „Wir wissen nie, wie eine Geschichte beginnt“, sagte die Schauspielerin in ihrer Funktion als Erzählerin, die zudem Zeit und Ort und Zusammenhänge lieferte und vor allem Wahabs Überlegungen hörbar machte: Erst hinterher, wenn alles vorbei sei, „fangt ihr an, die große Stille zu hören, in der ihr fast ertrunken seid“. Wie es möglich werden kann, wieder aus dem Verstummen herauszufinden, versucht das Stück vorsichtig nachzubilden. Ein einfaches Wort wie „früher“ kann reichen, um die Erinnerung und das Erzählen wieder in Gang zu setzen. Man muss nur erst das passende Wort für sich finden.

Während die Figur im Overall als Wahab sprach, mischte sie in einer Plastikflasche schwarze Farbe mit Wasser und legte los: Farbkleckse breiteten sich aus, feinste Spritzer, tendenziell nicht auf den beschränkten Raum eines Bildgrunds, eines Ateliers oder einer Bühne einzugrenzen. Dann hängte sie das Bild an das Stahlgestänge, was diesem ein wenig von dessen Bedrohlichkeit nahm.

In ihrem intensiven Solo beschwor die Schauspielerin den 19-jährigen Wahab ebenso lebendig herauf wie einen schimpfenden Busfahrer oder eine menschenleere Straße an einem Wintermorgen. Immer wieder schlüpfte sie in Wahabs Rolle und ließ aus sich herausbrechen, was in ihm vorging und welche Erinnerungen in ihm aufstiegen, was sie zudem in heftigem Action Painting umsetzte. Bis zu der Szene, in der sie sich in den Farben wälzte und mit dem schmutzigen Grauschwarz zu verschmelzen schien, als hätten die Erinnerungen sie verschlungen.

Stücktitel und Bühnenbild können anfangs etwas irreführend wirken. Denn der vielstimmige Monolog thematisiert nicht Extremismus und Folter, sondern innere Verletzungen und Traumatisierungen. Der Stahlkäfig erweist sich bald als Wahabs Atelier, in dem er seine Bilder aufhängt, und später als das Krankenhauszimmer der Mutter, zu der er an diesem Wintermorgen eilt, weil sie im Sterben liegt.


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Reutlinger Generalanzeiger, 20. Januar 2024

Leben mit einem Trauma

(von Christoph B. Ströhle)

Mit Worten und Malerei: Wajdi Mouawads Stück »Im Herzen tickt eine Bombe« am Landestheater Tübingen

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