Susanne Weckerle, Solveig Eger, Franziska Beyer · Foto: Martin Sigmund
Solveig Eger · Foto: Martin Sigmund
Solveig Eger, Franziska Beyer, Susanne Weckerle · Foto: Martin Sigmund
Solveig Eger, Susanne Weckerle, Franziska Beyer · Foto: Martin Sigmund
Solveig Eger · Foto: Martin Sigmund
Susanne Weckerle, Franziska Beyer, Solveig Eger · Foto: Martin Sigmund
Solveig Eger, Franziska Beyer, Susanne Weckerle · Foto: Martin Sigmund
Solveig Eger · Foto: Martin Sigmund

Kill Baby

Von Ivana Sokola · 15+


Schwäbisches Tagblatt, 10. Februar 2024

Frauendreifaltigkeit im sprechenden Hochhaus

(von Peter Ertle)

Annika Schäfer lässt Ivana Sokolas „Kill Baby“ im LTT/Oben das tun, was dieses Stück auch will: Abheben – und gleichzeitig die Bleigewichte des Lebens nachzeichnen.

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Reutlinger General-Anzeiger, 10. Februar 2024

Abtreibung im Puppenhaus

(von Thomas Morawitzky)

Das LTT zeigt Ivana Sokolas preisgekröntes Stück »Kill Baby«: Klassisch streng, verbittert und in Pink

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cul-tu-re.de, 9. Februar 2024

„Kill Baby“ im LTT – eine Frauensache

(von Martin Bernklau)

Das Tübinger Landestheater beginnt sein großes Premieren-Wochenende mit „Kill Baby“, einem sprachstarken Stück um Abtreibung.

Es ist ein Drei-Frauen-Stück, mit dem das LTT am Donnerstagabend in seinem kleinen Oberstübchen die zweite Hälfte der Saison begann. Und ein Drei-Generationen-Stück. Männer sind abwesend. Nur das Hochhaus, aus hartem Stahl und Beton, es spricht, als Stimme aus dem Off. Für „Kill Baby“ bekam die Dramatikerin Ivana Sokola 2021 den Kleist-Förderpreis. Das hat schon allein der Sprache wegen seine Richtigkeit.

Zwei blaue Striche und ein paar Tropfen Urin verändern alles. Kitti ist 17 und schwanger. Wohl von einem Nachbarn, nichts von Belang. Mit Mutter Viki und Großmutter Sugar lebt sie im zehnten Stockwerk, dem Himmel so nah – und der Erde auch: 23 Meter für einen entschlossenen Sprung. Ihr eigener Vater ist nach ihrer Geburt schnell verschwunden, der Opa gestorben, und dieser Mike mag für ein bisschen Liebe und ein bisschen Fürsorge auch kaum taugen. Kitti (Solveig Eger) will auf jeden Fall „alles in Ordnung bringen“. Zwölf Wochen Frist, „dann ist was einfach weggesegelt“.

Klar, sie wissen alles besser: Mama Viki – „Den Ficker habe ich doch gesehen!“ ruft Franziska Beyer – und die von Susanne Weckerle gespielte Oma Sugar, die verkündet, dass beim Großvater, vielleicht im Krieg geblieben, noch Beten helfen sollte. Beide früh Mütter geworden, jung Töchter bekommen, bald verlassen, mutterseelenallein mit dem Balg, ziemlich gelinkt vom Leben: „Kein Platz für keine von uns.“

Sie sagen das illusionslos nüchtern in dieser dichten Inszenierung von Annika Schäfer übrigens hin und wieder in jenem chorisch kategorischen Sprechen, das gerade voll im Tübinger Theatertrend liegt. Genau wie – speziell beim LTT – die Songs, die es hier auch wieder gibt: Von der „Liebe ohne Leiden“ singen sie später im Terzett, träumen mit Udo Jürgens oder mit Hildegard Knef vom besseren, vom glücklichen Leben. Es regnet rote Rosen, Mutter Viki wirft ihre Blätter wie Konfetti. Sie schießt aber auch mit Rosensträußen, in Cellophan eingepackt und zu Pfeilen umgebaut, auf eine Dart-Scheibe, die sich Susanne Weckerle schützend vors Gesicht hält.

Die drei Frauen hat Ausstatterin Katharina Grof in weiße Kittelschürzen gekleidet. Es könnten auch Arztkittel sein. Klinisch rein der Raum, drei weiße Klappstühle und die kalten Kacheln eines Badezimmers hinter dem Durchlass, der mit rosa Gardinen verhängt ist. Die können aber auch zum Einwickeln dienen, wenn frau sich einfach nur noch wegwünscht, sich verstecken oder einfach nur auflösen will. Das weiße Licht ist oft scharf und grell, gelegentlich grau gedeckt und immer wieder zwischen Kitsch und Klassen-oder Frauenkampf rosa bis pink gefärbt.

Der Text von Ivana Sokola ist in einem hohen Ton gehalten, nicht gerade Hexameter oder hymnischer Hölderlin, aber edel, elegisch – und doch offen für prolligen Slang. Solveig Eger, Franziska Beyer und Susanne Weckerle färben ihn dezent entlang ihrer Generationenrollen ein: Sugar mit einem Schuss an nostalgischem Pathos, Viki bisweilen abgebrüht vulgär und Kitti hin und wieder mit dem rohen Ton der Straße.

Sie schwankt: „Kind, wärst du mehr gewesen?“ fragt Kitti. „Wenn ich nur wollte…“, sinniert sie. Die Älteste faselt was von „unser Blut weitergeben“. Mutter Viki ist sich sicher: „Man hätte sich gefreut.“ Und die Stimme des (vielleicht symbolisch phallischen) Hochhauses raunt wie Heidegger oder der antikische Chor; „Da ist Gewächs.“ Im Hintergrund, im klinischen Kachelraum, in der Badewanne, da sind Sugar und Viki aber schon bei einer Abtreibung nach Engelmacherinnen-Art zugange. Kitti selbst scheut wohl auch die Kosten, weiß keine Adresse, will das Kind womöglich doch. Aber „ob sich das lohnt“, fragt sie sich.

„Nein, nein, nein! Nichts, nichts, nichts! Nie, nie, nie!“ entscheidet sie dann aber. Der Chor fällt ein. „Macht Platz für meine Zukunft! Kill Baby!“ beschließt sie. „Keine Chance, es kommt weg! Kill Baby!“ Einen ganz kleinen Spalt weit offen aber bleibt der Schluss dann doch noch: „Morgen Termin. Das Risiko muss man nicht eingehen. Null Meter“, macht sich Kitti Mut.

Eine Frauensache, ein reines Frauenstück. Ganz ohne zwanghaftes Transgender-Getue. Auch schon mal wohltuend, wo sich die streng wissenschaftliche Sicht, dass es wohl doch nur zwei Geschlechter gebe, inzwischen offenbar sogar bis in die Fußballstadien rumgesprochen hat.

Ganz großer, ganz langer Beifall.


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