Lucas Riedle, Insa Jebens · Foto: Tobias Metz
Robi Tissi Graf, Jürgen Herold · Foto: Tobias Metz
Gilbert Mieroph, Jürgen Herold, Insa Jebens · Foto: Tobias Metz
Jürgen Herold, Rolf Kindermann · Foto: Tobias Metz
Robi Tissi Graf, Insa Jebens, Solveig Eger, Rolf Kindermann, Gilbert Mieroph · Foto: Tobias Metz
Solveig Eger, Lucas Riedle, Robi Tissi Graf, Rolf Kindermann · Foto: Tobias Metz
Rolf Kindermann, Gilbert Mieroph · Foto: Tobias Metz
Gilbert Mieroph, Robi Tissi Graf, Solveig Eger · Foto: Tobias Metz
Robi Tissi Graf · Foto: Tobias Metz
Solveig Eger, Lucas Riedle · Foto: Tobias Metz
Lucas Riedle, Rolf Kindermann, Solveig Eger · Foto: Tobias Metz
Lucas Riedle, Insa Jebens · Foto: Tobias Metz
Lucas Riedle, Insa Jebens, Jürgen Herold · Foto: Tobias Metz
Lucas Riedle, Robi Tissi Graf, Insa Jebens, Rolf Kindermann, Gilbert Mieroph · Foto: Tobias Metz

Don Karlos

Ein Familiengemälde in einem fürstlichen Hause von Friedrich Schiller · 14+


Schwäbisches Tagblatt, 30. September 2024

Der kluge Philanthrop im Wahn der Zeit

(von Peter Ertle)

Wenn Regisseurin Sophia Aurich und Bühnenbildnerin Martina Pinsker zusammenarbeiten, kann man sich auf ein spannendes, vielgestaltig verschachteltes und verschiebbares Bühnenbildhaus einstellen, dessen Innenleben teils in verwirrenden Brechungen per Kamera nach außen projiziert wird. So war es bei „Das große Heft“. So ist es nun wieder bei Schillers Don Karlos.

Im „Don Karlos“ läge wohl auch eine aktuelle Botschaft, die ist vor lauter privaten Liebes- und Machtspielchen aber recht verstellt. Doch vielleicht liegt ja gerade darin eine gewisse Aktualität.

 

Wenn Regisseurin Sophia Aurich und Bühnenbildnerin Martina Pinsker zusammenarbeiten, kann man sich auf ein spannendes, vielgestaltig verschachteltes und verschiebbares Bühnenbildhaus einstellen, dessen Innenleben teils in verwirrenden Brechungen per Kamera nach außen projiziert wird. So war es bei „Das große Heft“. So ist es nun wieder bei Schillers Don Karlos. Die Live-Kamera und ihr Film sind hier allgegenwärtig, Zeichen von Misstrauen und gegenseitiger Überwachung.

Die Komplexität der Intrigen, Rivalitäten, Freundschaften, offenen und heimlichen Liebesbeziehungen oder auch mal nur Liebeserwartungen – ist hoch in diesem Stück. Wenn zur Pause ein paar Zuschauer rausgehen und sich fragen, warum das im Theater immer so gemacht werden muss, dass man es nicht versteht (sorry, ja, wir haben gelauscht), dann müsste man ihnen in diesem Fall entgegnen, dass es ausnahmsweise mal nicht an der Regie, sondern in erster Linie an Friedrich Schiller liegt.

Wobei es so losgeht, wie es der Bühnenauftrag an Schiller erst mal vorsah, bevor der über viele Jahre immer wieder daran bastelnde Autor mehr draus machte als das bestellte Liebesdrama. Lucas Riedles blöderweise in seine Ex-Verlobte und heutige Mutter (ja, das Leben!) verliebter Infant will endlich ganz Mann und am liebsten Heeresführer sein, ein zappelig verträumter Möchtegern mit leuchtenden Augen.

Auch Marquis von Posa, sein Jugendfreund, will ihn als Helden, wenn auch aus anderen, reiferen, aufklärerisch-idealistischen und politisch gegensätzlichen Motiven heraus. Er will Karlos zum Anführer des flandrischen Aufstands gegen Philipps Krone machen.

Dass Posa und Karlos Freunde sind, passt von ihren ganzen Wesenszügen her so gar nicht. Als einzige Erklärung bliebe, was in dieser Inszenierung nie explizit, aber unterschwellig angedeutet wird: die Möglichkeit einer gewissen homoerotischen Anziehung. Dass Königin Elisabeth (Insa Jebens) in früheren Zeiten die Dritte in diesem idealistisch beseelten Sturm- und Drang- Bunde war, wird nicht so recht klar. So bleibt das Drama lange eines von verschiedenen heimlichen Lieben. Wer immer diese Heimlichkeiten entdeckt, benutzt sie sogleich als Machtinstrument für die eigenen Zwecke.

Muss uns das interessieren? Nein. Können wir der zunehmenden Verwirrung in diesem Ränkespiel folgen? Gerade noch so. Oder auch nicht. Rechts schläft jemand ein. Der Platz links bleibt nach der Pause leer. Sehr spät erst werden in diesem Stück die privaten Beziehungen mit einem gesellschaftspolitischen Hintergrund aufgeladen. In ein paar Dialogen zwischen Karlos und Posa, im Pingpong (ja, sie spielen Federball!) zwischen Posa und Elisabeth. Und dann, ja, dort wirklich und großartig gespielt von beiden Schauspielern, im zentralen Dialog um die berühmte Textstelle herum: „Sir, geben Sie Gedankenfreiheit!“

Jürgen Herolds Marquis von Posa gelassen, souverän, mit Verständnis für den Regenten, aber doch klar in seiner Haltung. Rolf Kindermann lässt seinen Philipp staunen, Sympathie für den Posa empfinden, der Sache aber irgendwie auch nicht ganz trauen, hin- und hergerissen. „Ich glaub, so einen Menschen hab ich überhaupt noch nie gesehen“, murmelt er. Solch kleine Einschübe im heutigen Sprech sind schön und wiederholt. „Ich hab grad eine schwierige Phase“, vertraut Don Karlos seinem Freund Posa an. Herzog von Alba, den Solveig Eger als kantig-lässigen Manspreadingtypen gibt, ruft beim Lesen eines dieser heimlichen brieflichen Liebesergüsse aus: „Was für ne gequirlte Sturm- und Drangscheiße“.

Schön choreographiert ist das Necken zwischen Philipp und der Prinzessin von Eboli (Robi Tissi Graf), das Bühnenrund mit verschiedenen Türen eröffnet da einige Möglichkeiten. Und Elisabeth, die stärkste Figur in dieser Inszenierung, lässt Beichtvater Domingo und Alba wunderbar auflaufen.

Nach der Pause werden alle Personen des Stücks im offenen Tableau eines großen Festgelages präsentiert, das sich erst allmählich aus dem Nebel schält. Das ist schon einiges fürs Auge, inzwischen sind auch die Konfliktlinien zwischen den Figuren in ihrer Dramatik schärfer.

Trotzdem fehlt irgendetwas, ein Bogen zu heute. Was ist das mit diesem flandrischen Freiheitskampf? Wo ist dieser Kampf um Freiheit heute? Was wäre das überhaupt, Freiheit? Welche Freiheit? Und wo führt sie hin? Die Inszenierung muss das gespürt haben. Und antwortet mit neuen Textteilen, deren Herkunft im Programmheft zu vermerken redlich gewesen wäre. Einmal geht’s um die freiheitsverhindernde Idee der Frau als Liebesobjekt. Schön zwar, aber ins falsche Stück verirrt beziehungsweise bei unübersehbar vielen als feministischer Kommentar denkbar.

Dann, am Ende, als die Stunde der Inquisition schlägt (ganz stark Gilbert Mieroph), gibt es einen Beitrag zum Umschlagen des Freiheitsdrangs in die Sehnsucht nach Ruhe, Ordnung, Sicherheit und einigermaßen Wohlstand, jenen Zustand, für den so viele die freiwillige Versklavung vorziehen. Da sind wir im Hier und Heute beziehungsweise erst gestern gelandet, in einem eingespielten Film marschieren Soldaten. Wirkt wie ein Nachklapp-Kommentar.

Jedenfalls: Posa lässt sich am Ende für die gute Sache erschießen. Schiller kommentiert das mit einem „Aufopferungsfähigkeit ist der Inbegriff aller republikanischen Tugend“. Ersetzt man das martialische Wort von der Selbstaufopferung mal mit „Absehen von sich selbst, Engagement für andere“, wird ein Schuh draus. In einer Welt, in der von Philipp, Eboli, Carlos, Alba bis Domingo alle nur ihre Macht-, Liebes-, Ehrgeiz- und Karrieredinge verfolgen, ruht nur Elisabeth in sich, wenn auch noch unbefreit von der Rollenerwartung ihres Jahrhunderts. Auch Philipp kann und will nicht aus seiner Haut, obwohl ihm bereits unwohl ist. Wahrhaft frei, arbeitend an einer neuen Zeit, ist allein Posa. Die Posas sind heute wieder die meistgehassten Menschen. So ist das.

Unterm Strich

Wieder ein tolles, vielgestaltiges Bühnenbild. Dass die Handlung unübersichtlich ist, geht aufs Konto von Friedrich Schiller. Der aktuelle Bezug zum heute überall bemühten Wort „Freiheit“ wird nicht recht akzentuiert, weshalb hier auf zwei Texteinschübe jenseits des Don Karlos zurückgegriffen wird.


[schliessen]


Reutlinger General-Anzeiger, 30. September 2024

Wie war das noch mit Sturm und Drang? Schillers »Don Karlos« am LTT

(von Thomas Morawitzky)

»Don Karlos« ist, im großen Saal des LTT und mit einer Spielzeit von gut drei Stunden, ein fordernder Einstieg in die neue Spielzeit, [...] dank der konzentrierten Regie und der wunderbaren Schauspieler aber sehenswert und spannend bis zuletzt.

[mehr lesen]






© 2016     Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen Impressum