Märchenkrimi für die ganze Familie nach dem Roman von Karla Schneider · in einer Bühnenfassung von Monika Kosik · 6+
Uraufführung
Schwäbisches Tagblatt, 13. November 2024
(von Moritz Siebert)
„Fünfeinhalb Tage zur Erdbeerzeit“ des Jungen LTT führt mit traumhaften Bildern in eine bunte Märchenwelt. Aber märchenhaft bleibt es nicht lange.
Reutlinger General-Anzeiger, 12. November 2024
Märchenkrimi aus dem Nähkästchen
(von Thomas Morawitzky)
Das Junge LTT zeigt das Kinderstück »Fünfeinhalb Tage zur Erdbeerzeit« von Karla Schneider
Es beginnt als Pantomime mit possierlich mechanischer Musik. Das Publikum blickt hinein in ein übergroßes rosa Nähkästchen, übersät mit Herzen, Fadenrollen, Knöpfen. Auf der Bühne hat sich ein kniehohes Maßband ausgerollt, eine Schere hängt an der Wand, ein Kostüm ist fast fertig. In dieser Welt lebt Jäcki Birnbaum. Sie will Schneiderin werden wie ihr Vater, Meister Lajosch Birnbaum, der längst Schneider ist, mit Leib und Seele – man wird es sehen: Er schläft in einer Schublade.
Jäcki, eine aufgeweckte, fleißige und begabte Schneiderin im Wolljäckchen, wird gespielt von Anna Golde. Michael Mayer, der gerade so hochgewachsen und schlaksig aussieht, wie man sich einen Schneidermeister vorstellt, ist nicht nur Lajosch Birnbaum, er spielt auch den König des Landes, außerdem den Rosenwasserfabrikanten Quintus Düftel.
Toni Pitschmann ist zu sehen als Schneidergeselle, als Minister Barbarik (ein sprechender Name) und in Gestalt von zwei fiesen Schergen. Sophie Aouami ist eine Närrin und eine Passagierin, Yaroslav Somkin der ebenfalls begabte Prinz und ein Scherge, Dennis Junge das bellende Telefon – er tritt also nicht als Person auf, nur als bellende Stimme, die einem sehr altertümlichen Apparat entströmt, Seltsames kündet und fordert. Offenbar gibt es hier eine Verwechslung.
»Fünfeinhalb Tage zur Erdbeerzeit« ist ein Kinderbuch, das zuerst 1989 erschien, mit dem Astrid-Lindgren-Preis des Friedrich Oetinger Verlags Hamburg ausgezeichnet und von Karla Schneider verfasst wurde. Es erzählt von einer Familie, den Birnbaums, die eng zusammenhält, liebevoll miteinander umgeht – Vater und Tochter winken sich gerne mit den Nasen zu – und von einem Königreich, in dem alles wunderbar ist.
Bis das Unmärchenhafte einzieht: der Zwang, die Verwaltung, der Profit. Dies geschieht in Gestalt einer mysteriösen Eisenbahngesellschaft, die das Eisenbahnfahren zur Bürgerpflicht erklärt und überall ihre Schienen verlegt. Und in Gestalt einer nicht minder mysteriösen Pflanzenverwertungsgesellschaft aus gelben Männern, die umherziehen und Pflanzen ausreißen.
Zum Glück gibt es die patente Schneiderin Jäcki, die eben ihr Gesellenstück fertiggestellt hat, mit dem Vater feiern möchte, mit Torte, denn es ist Erdbeerzeit, und die dem Unheil auf den Grund geht.
Der König des kleinen Landes, das über Erdbeerfelder, eine Rosenzucht und eine Spieldosenfabrik verfügt, tritt ganz in Gelb auf: Mit gelbem Mantel, gelbem Schlafanzug, gelben Bommelschuhen. Er ist alldieweil verzückt und macht sich nur ständig Sorgen um die Auslandspresse – vor allem, wenn es um seinen Sohn geht. Denn der darf seinen Namen selbst wählen, entscheidet sich aber immer wieder nur für Mädchennamen.
Ein Krimi, in dem das Land der Märchen zwischen den Machenschaften eines monopolistischen Unternehmens des öffentlichen Personennahverkehrs und einer auf Mundraub und Pflanzenschändung spezialisierten Biokette zerrieben wird, und in dem es einen Prinzen gibt, der ganz offensichtlich lieber eine Prinzessin wäre – das passt fraglos gut nach Tübingen. Aber unbesorgt: »Fünfeinhalb Tage zur Erdbeerzeit« ist ein vergnügliches, buntes Theaterstück für Kinder, das mit fabelhaft komischen Darstellerleistungen, einem sehr lebendigen Humor, skurrilen Kostümen und skurriler Kulisse aufwartet.
Zuletzt wird natürlich alles gut. Eine Eisenbahnschiene darf bleiben, man kann sie ja gut gebrauchen. Jäcki bekommt den teuren Stoff, den sie sich wünschte, und der Prinz darf zwar noch nicht Prinzessin werden, aber in die Schneiderlehre gehen.
Unter der Regie von Monika Kosik spielt das Ensemble herzlich, quietschvergnügt und überdreht – und Hannah Petersen, die Kostüme und Bühnenbild schuf, in Zusammenarbeit mit Monika Kosik auch schon den »Zauberer von Oz« auf die Bühne brachte, taucht heiter ein in einen frechen Farbenrausch.