Märchenkrimi für die ganze Familie nach dem Roman von Karla Schneider · in einer Bühnenfassung von Monika Kosik · 6+
Uraufführung
Schwäbisches Tagblatt, 13. November 2024
(von Moritz Siebert)
„Fünfeinhalb Tage zur Erdbeerzeit“ des Jungen LTT führt mit traumhaften Bildern in eine bunte Märchenwelt. Aber märchenhaft bleibt es nicht lange.
Es stimmt etwas nicht, das ist offensichtlich. Gruselige Figuren in Uniform zwingen Leute per Griff ans Ohr, mit der Bahn zu fahren. Der Wald ist abgeholzt, und ständig diese merkwürdigen Anrufe, die versehentlich im Schneideratelier Birnbaum ankommen. Es geht um Großeinsätze und Zwangsmaßnahmen. Die heile Erdbeerwelt gerät aus den Fugen.
Hier lebt und arbeitet der liebenswert schrullige Schneidermeister Birnbaum (Michael Mayer), Hoflieferant des Königs, mit Tochter Jakobine (Anna Golde), genannt Jäcki, die eben die Gesellenprüfung abgelegt hat. „Was kann jetzt noch schiefgehen im Leben“, ruft sie. Und schon wird es düster. Bei den gnomenhaften Figuren handelt es sich um Schergen zweier Gesellschaften, die sich im Märchenidyll angesiedelt haben: "Transit Union", Betreiberin der Eisenbahn, und "Flora AG", die alles verwertet, was wächst.
Das Junge LTT zeigt das Stück „Fünfeinhalb Tage zur Erdbeerzeit“, ein Märchenkrimi nach dem Roman von Karla Schneider. Die Bühnenfassung stammt von Monika Kosik, Leiterin des Jungen LTT. Sie führt auch Regie. Hannah Petersen (Bühne und Kostüme) hat eine bunte Traumwelt erschaffen, in der es viel zu entdecken gibt: Das Schneideratelier ist als riesiges Nähkästchen gestaltet, alles ist kunst- und liebevoll an das Handwerk angelehnt, überdimensionierte Utensilien wie Maßband, Knöpfe und Spulen dienen als Requisiten. Der Bahnhof ist ein Fingerhut, das Schloss ein Nadelkissen, die Eisenbahn ein riesiger Reißverschluss. Die stimmungsvolle Musik stammt von Malik Diao.
Jäcki, die lieber mit Rollschuhen unterwegs ist als mit der Bahn, möchte herausfinden, was los ist. Im Königshaus lernt sie den Königssohn (Yaroslav Somkin) kennen, der ebenfalls talentierter Schneider ist und keinen Namen hat. Er soll ihn sich selbst aussuchen, so der Wunsch des Vaters, der mit den Vorschlägen des Sohns aber nicht einverstanden ist. Der Prinz schwankt zwischen Fleur und Isadora. Der König (Michael Mayer), der außer der Auslandspresse nichts fürchtet, lässt sich von Hofnärrin Fária (Sophie Aouami) und Jäcki schließlich überzeugen, dass in seinem Land etwas mächtig schiefläuft. Helden werden gesucht. Die Belohnung? Eine Prinzessin, die es gar nicht gibt, und ein Gegenstand aus dem Besitz des Königs.
Das Ensemble meistert eindrucksvoll Mehrfachrollen. Toni Pitschmann etwa ist Scherge, Schneidergeselle und Barbarik, Minister des Königs, der im Hintergrund die Strippen zieht und an die Macht will. Vor allem Michael Mayer sorgt für viele lustige Momente im Stück, ob als König, Rosenwasserfabrikant oder Schneidermeister. Allein schon wie er sich mit seiner schlaksigen Figur in eine Schublade zwängt, ist herrlich.
Wo es Schurken gibt, gibt es auch Helden. Jäcki und der Königssohn spielen die Gesellschaften trickreich gegeneinander aus. Und nein, am Ende gibt es keine Hochzeit und was sonst so zu einem Märchen gehört. Das Happy End im Erdbeerland ist viel besser. Sogar einen Namen hat der Prinz am Ende. So viel sei verraten: Wilhelm ist es nicht.
Reutlinger General-Anzeiger, 12. November 2024
Märchenkrimi aus dem Nähkästchen
(von Thomas Morawitzky)
Das Junge LTT zeigt das Kinderstück »Fünfeinhalb Tage zur Erdbeerzeit« von Karla Schneider