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Komödie von Yasmina Reza · 14+
Schwäbisches Tagblatt, 26. Juni 2023
(von Peter Ertle)
In Yasmina Rezas von der Zeit überholtem Stück „Kunst“ steckt rückblickend der noch in der Freundes-Privatflasche gedeckelte Geist heutiger Fundamentaldebatten – als nettes Anfangsfanal. Was zeitlos bleibt: ein krachender Boulevardklassiker.
Das LTT-Hoftheater hat als Außenspielstätte etwas von Sommertheater. Da sucht man gern ein populäres und spaßiges Stück. Yasmina Rezas „Kunst“, 1994 in Paris uraufgeführt, war jahrelang das meistgespielte Stück auf deutschen Bühnen, in ganz Europa ein zeitgenössischer Klassiker. Und, ja, es ist lustig. Was man an diesem Abend spätestens merkt, als Yvan von seinen Hochzeitsvorbereitungen, vor allem vom Telefonat mit seiner Mutter erzählt und ganz zu Recht Szenenapplaus bekommt. Aber auch davor wars schon komisch genug, als Serge und Marc sich wegen des von Serge für 200 000 Francs gekauften, monochrom weißen Gemäldes in die Haare kriegen. Oder als Marc sich in das Sitzkissen in Serges Wohnung setzt und natürlich erst mal nach hinten umfällt. Oder als Yvan die Szene nach Art eines mit der Tücke des Objekts kämpfenden Clowns durch eine Bodenluke betritt, Klappaufklappzu papperlapapp – oh, jetzt ist mir der Filzstift runtergefallen, ich muss nochmal nach unten.
Man könnte Yasmina Rezas Stück auch anders, als feine Konversationskomödie im Kammerton inszenieren, ein bisschen unterkühlt, mit trockenen Pointen, also wesentlich realistischer. Auf diesem Realismus würden dann die eskalierenden, boulevardesken Turbulenzen kontrastierend aufplatzen. Für Regisseur Thorsten Weckherlin und für diesen sommerlichen Draußenspielort kommt das nicht in Frage. Hier wird dem Affen von Beginn an Zucker gegeben, alles groß ausgespielt. Kann man machen.
Dabei ist Rezas Komödie bei allem kalkuliert überdrehenden Blödsinn nicht flach, sondern ziemlich intelligent und analysierend. Obwohl sich da schon die Geister scheiden. Die ehemalige LTT-Intendantin Simone Sterr sagte zum Beispiel mal in einem privaten Gespräch, Yasmina Reza sei für sie ein Grenzfall, das würde sie nie inszenieren, sei ihr zu gefällig. Und es stimmt: Rezas Komödien haben eine supergefällige Oberfläche.
Dabei geht es im Stück um einen handfesten Konflikt, an dem sich die Geister scheiden. Gut, der Konflikt klang in den 90ern schon ein bisschen nach 50er Jahre, nach dem Für und Wider Moderne Kunst – Gähn. Doch da es zunächst als Statement gegen diese verstanden wurde, hatte es als Aufreger-Startkapital denn doch einen kontroversen Charakter. Ein Stück Kunst, das sich über Kunst lustig macht, fanden Teile einer Kunstszene, die sich ja eher links und avantgardistisch fühlt, doch als konservatives No-go. Bis sich die zunehmende Rezeption dieses Theaterrenners mehr und mehr darauf einigte, es gehe doch vielmehr um Mechanismen einer Männerfreundschaft, und das mit der weißen Leinwand stehe symbolisch vor allem für eine Projektionsfläche, in der jeder etwas anderes sehen könne und auf der dies alles abgehandelt werde.
Schon recht. Vor allem geht man fehl, wenn man denkt, das Stück schlage sich auf eine Seite. Dafür ist’s ja ein Stück, mit drei Figuren, Perspektiven. Es legt uns beispielsweise für die Fragwürdigkeit, ein weißes Bild für 200 000 Piepen zu kaufen, eine Spur, die dies als Versuch ranschmeißerischen Distinktionsgewinns zeigt, aber auch eine andere Spur, die solches als feinfühliges Liebhabertum verstehen lässt, nicht erklärungsbedürftiger etwa als Marcs Liebe zu seiner Frau. Ja, die Szene, in der Serge in diesem Sinne zurückschlägt, ist groß. Und dass er keinen Humor hat, stimmt auch nicht, also mit Yvan kann der schon lachen. Oder die Chuzpe, Marc den Filzer zu reichen, damit der sein Bild bemalt: Nein, wer hier weniger Spaß versteht, der höhnische Normalo Marc oder der möglicherweise vom Kunstmarkt manipulierte Serge, der vielleicht nur aufbrechen will, einen neuen Thrill, eine neue Verliebtheit sucht – das ist nicht ausgemacht. Außerdem bemessen sich für Marc, wie sich am Ende herausstellt, Freunde nur nach dem, was sie ihm geben, wie sie ihn erweitern, wozu er selbst in ihren Augen wird– so wie der weiße Antrios letztlich aus Serge einen anderen machen soll.
Ja, über dieses Stück kann man viel philosophieren und psychologisieren, und vieles davon ist so weise, wie es sich ebenso gut ins Komische, Lächerliche ziehen lässt. Etwa wenn Yvan den anderen die ZEN-reifen Sätze seines Psychotherapeuten mitteilt: „Wenn du du bist, weil du du bist und ich ich bin, weil ich ich bin, dann bist du du und ich bin ich. Wenn du aber du bist, weil ich ich bin und ich ich bin, weil du du bist, dann bist du nicht du und ich bin nicht ich.“
Da ist echt was dran. Vielleicht sollten wir den Schluss daraus ziehen, dass im glücklichen Fall einer gelungenen also austauschfreudigen Freundschaft keiner ganz er selbst ist. Wenn die drei Freunde das nur akzeptieren könnten! Können sie aber nicht. Und zwar mit großem Komikgewinn.
Serge helle Jacke, Marc dunkel, Serge Anzug, Marc Gutsherrenreiterhose mit Stiefel (Bühne, Kostüme: Vinzenz Hegemann), das passt schon. Wir wollen mal lieber nicht wissen, wo er politisch so stünde, heute, dieser Kunstbanause Marc. Einen wie ihn (Miguel Abrantes Ostrowski) glaubt man schon oft gesehen und gehört zu haben, was ein großes Kompliment für diese Rollenaneignung ist.
Rolf Kindermann wiederum gibt Serge mit einem Gemisch aus Unsicherheit, Gereiztheit und gleichzeitiger Übersteigerung, auch spitzbübische Freude an der eigenen Gewagtheit ist dabei. Andreas Guglielmettis Yvan ist wieder einmal Publikumsliebling, erdet und konfrontiert den hochfliegenden Streit mit zeitlos irdischen Problemen, demaskiert ihn als: Oberschichtenproblem. Und die Frauen? Fehlanzeige. Aber omnipräsent – wenn man genau hinhört.
Die allgemeine gesellschaftliche Befehdungstendenz hat sich seit der Pariser Premiere des Stücks von ihren Themen wie von ihrem Erregungsgrad her erheblich beschleunigt und moralisiert, ob es ums Fleischessen, Heizung, Gendersternchen, Ukrainekrieg, Einwanderung, Kindererziehung oder was auch immer geht, schon eines von Rezas Nachfolgestücken legt davon Zeugnis ab, „Der Gott des Gemetzels“, das als Kammerkino in internationaler Starbesetzung reüssierte.
Heute wird sich nicht mehr über monochrom weiße Kunstwerke entrüstet, sondern links höchstens über politisch fragwürdige und rechts über Bezuschussung „elitärer“ Kultur allgemein. Auf dem Kunstmarkt gezahlte Unsummen werden so kopfschüttelnd akzeptiert wie die Gehälter von Fußballstars oder die undurchschaubaren Kreisläufe des Kapitals schlechthin. 200 000 für einen Antrios? Wirken da im Vergleich erheiternd harmlos wie heute das ganze Stück.
Kann man von „Kunst“ etwas für heutige Konflikte lernen? Dass einem nie der Humor abhanden kommen sollte? Zu billig. Die Zuschauer am Premierenabend hatten jedenfalls ihren Spaß. Sicher kamen manche von ihnen, weil es zu ihrer Vorstellung von sich selbst gehört, kulturinteressiert zu sein und ins Theater zu gehen. Dann wären sie Serge nicht unähnlich. Und dann lachen sie dort darüber, wie man so viel Geld für ein weißes Gemälde ausgeben kann. Und sind: Marc. Am liebsten aber haben sie das Bärle Yvan: Alle drei auf einmal sein. Das kann nur: Kunst.
Unterm Strich
Thorsten Weckherlin und die drei famosen Schauspieler geben dem geistreich-witzigen Boulevardaffen über die Themen Freundschaft und moderne Kunst nochmal kräftig Zucker. Als Paradestück speziell für eine streitfreudige Zeit wie die heutige – ist es zu harmlos. Aber als Klassiker und charmantes Fanal hat es denn doch eine allgemeine, zeitlose Treffsicherheit.
Kritik Reutlinger General-Anzeiger, 26. Juni 2023
(von Heiko Rehmann)
Das LTT zeigt Yasmina Rezas Komödienklassiker »Kunst« im Freien auf der Hofbühne vor dem Theater.
Als Marcel Duchamp 1917 ein Urinal ins Museum stellte und zum Kunstwerk erklärte, reagierten die Mitglieder der »Society of Independent Artists« so verständnislos wie jener Hausmeister, der 1986 die berühmte Fettecke in Joseph Beuys’ Atelier entfernte. Seitdem die Kunst in die Moderne aufgebrochen ist, will die Diskussion über die Frage, was ein Kunstwerk sein kann, nicht aufhören. Darum geht es vordergründig auch in Yasmina Rezas 1994 in Paris uraufgeführtem Welterfolg »Kunst«, der am Samstagabend im Hof des LTT Premiere hatte.
Marc, Serge und Yvan sind beste Freunde, die seit 15 Jahren durch dick und dünn gehen. Bis sich Serge ein Bild kauft: Weiß mit weißen Streifen. Der erfolgreiche Dermatologe, beiger Leinenanzug, top gebügeltes Hemd, Dreitagebart, Habitus ein Mann von Welt, will seinen Kunstsinn demonstrieren, zur Society gehören.
»Wie teuer?«, fragt Marc, dunkelblaue Hose und Sakko, bodenständiger Ingenieur und erklärter Feind der Moderne. »200?000 Franc.« Ein verständnisloser Blick irrt über die Leinwand. »Serge – hast du für diese Scheiße wirklich 200?000 bezahlt?«, bricht es aus Marc heraus mit einer Wucht, die einen unterdrückten Vulkan spüren lässt. Miguel Abrantes Ostrowski verkörpert den von seinen Gefühlswallungen getriebenen Mann mit beeindruckender Authentizität. Jede Regung spiegelt sich in seiner Mimik, jede emotionale Veränderung in seiner Stimme.
»Du hast dich nie damit beschäftigt. Wie kannst du behaupten, dass ein Gegenstand, der Gesetzen gehorcht, die du nicht kennst, Scheiße sei?«, antwortet Serge mit unterdrückter Wut. Rolf Kindermann bringt die Attitüde des Weltmannes, der seine Gefühle kontrollieren will und doch nicht im Griff hat, in ihrer vielschichtigen Subtilität gekonnt auf die Bühne. Jede innere Regung spiegelt sich in seiner Haltung, jeder Überraschungsangriff des Freundes in einem verwunderten Stocken. Zurück in seiner Wohnung monologisiert Marc: »Dass Serge dieses Bild gekauft hat, löst Ängste in mir aus.« Und wir ahnen, dass es in dem Stück der französischen Erfolgsautorin um mehr geht als um moderne Kunst.
Eine Luke im Bühnenboden öffnet sich, und Yvan kommt herausgekrochen. Andreas Guglielmetti verkörpert den hilflosen Stadtneurotiker mit seiner unbeholfenen und liebenswerten Art so überzeugend, als wäre er selbst der arglose Tollpatsch, der nicht weiß, wie er im Leben zurechtkommen soll. »Mein ganzes Berufsleben ist ein einziger Fehlschlag«, jammert er mit weinerlicher Stimme und Marc kippt mit seinem Sitzsack nach hinten über. Auf das Bild angesprochen lacht sich Yvan erst halb tot, um dann zu sinnieren: »Na ja, wenn es ihm gefällt.« Und wir ahnen, dass jemand, der es allen recht machen will, am Ende zwischen allen Stühlen sitzen wird.
»Wenn ich ich bin, weil ich ich bin und wenn du du bist, weil du du bist, dann bin ich ich und du bist du. Wenn du nicht du bist, weil ich nicht ich bin, dann bin ich nicht ich und du nicht du«, zitiert Yvan seinen Therapeuten mit dessen herrlich tautologischer Gedankenfolge. »Was zahlst du?« – »200 Franc die Stunde.«
Über diese Parallele der Sinnlosigkeit zu dem Bilderkauf lachen Marc und Serge herzlich, ohne zu merken, dass es das Lachen wäre, mit dem sie sich aus ihrer destruktiven Verstrickung befreien könnten. Stattdessen dreht sich die Eskalationsspirale weiter und wir erfahren, dass es in Wirklichkeit nicht um das Bild, sondern um Machtverhältnisse innerhalb der Männerfreundschaft geht: »Als ich noch das Maß aller Dinge für dich war, hättest du das Bild nicht gekauft«, schleudert Marc Serge ins Gesicht. »Du hast dir eine andere Familie gewählt: die Dekonstruktion.« »Was ist das?«, fragt Yvan hilflos.
Thorsten Weckherlin lässt in seiner stringenten Inszenierung seinen drei Schauspielern viel Freiheit, ihre Rollen zu entwickeln. Mit wunderbar klarer Artikulation, einer starken Bühnenpräsenz und einer überzeugenden Verkörperung ihrer Charaktere machen sie an diesem Abend das Gefühlsleben der Figuren erlebbar und bieten Schauspielkunst auf höchstem Niveau.