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Science-Fiction-Komödie von Yael Ronen und Dimitrij Schaad · Inspiriert von Yuval Noah Harari · 12+
Schwarzwälder Bote, 7. Oktober 2021
Fremdbestimmt in der schönen neuen Welt
(von Christoph Holbein)
Das Stück „(R)Evolution“ ist in seiner hochbrisanten Aussage pointiert und tiefgehend inszeniert
Tübingen. Wir schreiben das Jahr 2041. Die Menschen werden in ihrem Alltag dauerhaft von künstlicher Intelligenz begleitet. Der persönliche Sprachassistent „Alecto“ bestellt Essen, leitet das morgendliche Meeting der intelligenten Küchengeräte und simuliert menschliche Nähe, dringt damit in sämtliche Lebensbereiche der Protagonisten vor und kontrolliert diese. Das ist das Szenarium des Stückes „(R)Evolution“ von Yael Ronen und Dimitrij Schaad, welches – inspiriert von Yuval Noah Harari – am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen bei der Premiere im LTT-Saal „eine Anleitung zum Überleben im 21. Jahrhundert“ gibt. Es ist eine „schöne neue Welt“, eine Zukunft voller Verheißungen mit gentechnisch optimierten Menschen, die Regisseur Thorsten Weckherlin nicht ohne Witz in Szene setzt – mit einem Schuss Selbstironie, wenn beim Spiel vor dem Theater eine LTT-App angepriesen und auf Glasfasersensoren in den Theaterstühlen hingewiesen wird, um entlang der Algorithmen exakte Informationen über die Zuschauer zu erhalten und ihnen zu empfehlen, was sie denn jetzt auf der Bühne sehen wollen. Die Technologie übernimmt also die Kontrolle.
Unter Sphärenklängen und Techno-Rhythmen – die Musik steuert Jörg Wockenfuß bei – lässt die Inszenierung Raum für die kleinen, persönlichen Geschichten, mit denen Theatermacherin Yael Ronen den großen gesellschaftlichen Umbruch erzählt, bei dem die technologischen Innovationen immer mehr das Leben der Menschen fremdbestimmen. In dieser Welt sind die Protagonisten uniformiert im einheitlichen Grau der Hosenträgerrock-Jacket-Kombination und mit Wanderstiefeln beschuht: Für Bühnenbild, Kostüme und Videosequenzen sorgen Vinzenz Hegemann und Babett Klimmeck. In den Szenen, die Regisseur Weckherlin pointiert auf die Bühne bringt, geht es um Erbgutoptimierung, bei der die Kunden ihre eigenen Gene nicht so persönlich nehmen sollen und die Natur nicht mehr beteiligt ist. Und trotz allem komödiantischen Duktus sträubt es einem die Nackenhaare, die Figuren sich in diesem grausigen, irrwitzigen Zukunftsszenario verlieren zu sehen. Die Dialoge sind grotesk, die Szenen skurril. Der Mensch wird von seinen Küchen- und Haushaltsgeräten drangsaliert und gegängelt: Die Inszenierung entbehrt in diesen Momenten nicht eines gewissen Slapsticks und Humors, etwa wenn sich Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer in einer kleinen Video-Performance als Cyber-Aktivist der Naturalisten outet.
Die Menschen in dieser Zukunft, in der Holland vom Meer verschlungen ist, identifizieren sich an den Apparaten per herausgestreckter Zunge und begeben sich komplett in die Abhängigkeit der Künstlichen Intelligenz. Menschliche Nähe und Sexualität findet nur noch über Computerspiele statt oder mit dem Roboter. Weckherlin lässt seine Schauspieler in temporeichen und straffen Dialogen agieren, sich immer wieder roboterhaft bewegen. Die Inszenierung ist lebendig und bietet so das Fundament für die aberwitzige, ja manchmal clowneske Atmosphäre, gepaart mit sprachakrobatischen Farbtönen und überraschenden Effekten. Weckherlin gelingt es, einen interessanten und spannenden Bogen zu dramatisieren, der dieser politischen Inhaltsschwere gerecht wird, und lässt alles münden in ein flottes, gesangliches Finale: „Fragt nicht, was wird aus uns, fragt lieber, was wollt ihr werden.“
Schwäbisches Tagblatt, 6. Oktober 2021
(von Peter Ertle)
Die perfekte Mischung aus Spaß und Nachdenken: Am Tübinger Landestheater wurde das so scharfsinnige wie höchst vergnügliche Stück „(R)Evolution“ fabelhaft in Szene gesetzt.
Man verlässt das Theater in besserer Laune und geschärfteren Sinns. Gibt es ein besseres Kompliment? Der Abend hält sogar eine im Prinzip viel zu lange Vorrede vor dem Vorhang aus. Im Theater hingen Kameras, die es ermöglichten, auch die Augenbewegungen und Emotionen der Zuschauer zu erfassen, unter den Theatersitzen, verrät Justin Hibbeler, seien Chips eingebaut, die unseren Herzschlag, den Blutdruck, die Körperspannung messen würden. Aus den Werten würden die Erfolgsstücke der Zukunft gebaut.
Im Theater der Zukunft, einem Cybertheater, könne dank der Daten sogar jeder das auf ihn persönlich und sein aktuelles Lebensproblem zugeschnittene Stück sehen. Und Zeit für Theater, Filme und Auseinandersetzungen mit sich selbst werde es viel geben, wenn Digitalisierung und Roboter 40 Prozent der Bevölkerung arbeitslos gemacht hätten.
Ein Science Fiction? Wir sind mitten drin. Längst werden uns Bücher, DVDs oder Sofas angezeigt, die uns auch gefallen könnten, längst leben Menschen in Blasen der Selbstbestätigung. Die beiden Autoren, die österreichisch-israelische Theatermacherin Yael Ronen, Hausregisseurin am Berliner Gorkitheater, und Schauspieler Dimitrij Schad, drehen in „(R)Evolution“ einfach nur konsequent weiter, was längst Gegenwart ist.
Ihre Komödie, die im Frühjahr letzten Jahres zeitgleich mit der ausbrechenden Pandemie am Hamburger Thalia Uraufführung hatte, sei von Yuval Noah Hararis Thesen zum 21. Jahrhundert inspiriert, erklären sie in einer Verbeugung. Das ist vielleicht der einzige kleine Fehler, den sie machen. Für das Meiste im Stück hätten sie Harari gar nicht nötig, auch seine Popularität nicht: Ronen ist in der Theaterwelt inzwischen ein so klingender Name wie der Hararis in der Philosophie. So aber handeln sie sich höchstens ein paar weniger theateraffine, auf ernste philosophische Warnrufe gestimmte Menschen als Zuschauer ein, die das Stück vor diesem Hintergrund für verfehlt. Weil es leicht und vergnüglich ist.
Zum Glück ist es das! Zum Glück haben wir Spaß. Und wir erschauern manchmal auch ein bisschen und kommen auf jeden Fall nochmal ins Nachdenken, eine perfekte Mischung. Und eine, um es vorweg zu nehmen, tolle Inszenierung am LTT, wo (Bühne und Kostüm: Babette Klimmeck und Vinzenz Hegemann) eine transparente Folie mit dem lichten Druck eines Gemäldes von Norbert Bisky (ein Mensch starrt auf einen Bildschirm, aus dem ein Stinkefinger ragt) rechts einen Streifen für Filmprojektionen freilässt. Dahinter eine Band wie Kraftwerk mit ähnlich futuristischen Klängen (Musikalischer Leiter: Jörg Wockenfuß). Davor ein Theremin, das den Abend mit geisterhaften Signalen versorgt.
Natürlich sehen die Menschen sehr unnatürlich aus in ihren Unisex-Ritter & Raumschiffanzügen, kurz: Ein bisschen SF-Hokuspokus. Darf sein. Was besonders schön ist: Dass die Schauspieler den jeweils anderen gerne mit der vom Handy gewohnten Wegwischbewegung aus der Szene räumen oder auf diese beordern wollen.
Wir befinden uns im Jahr 2041, die Niederlande sind überschwemmt, die Holländer die neuen Flüchtlinge. Aus Fridays for future sind längst die Naturalisten geworden, spätestens nach einem Anschlag im Status einer terroristischen Vereinigung.
Auf der Bühne sehen wir zunächst Lana und René, die zusammen mit dem Arzt ihr nächstes Kind planen. Das könnte zwar nach wie vor auch auf natürlichem Weg gezeugt werden. Aber wenn all die anderen, für viel Geld optimierten Retortenkinder im Ballett das Bein hinters Ohr kriegen und ihr Kind nicht – will man das der Kleinen zumuten?
Und all die Krankheiten, die man mit dem Premiumpaket ausschließen könnte? Darf man sie dem Gesundheitssystem sprich der Allgemeinheit in Form von Kosten zumuten? Julia Staufer und Sebastian Baumgart als Eltern, Stephan Weber als Dr. Stephan Frank (heißt wirklich nach dem Serienarzt!) setzen den ersten Höhepunkt des Abends.
Nicht alle Szenen dieses Stücks sind gleich stark und es ist nur symptomatisch, dass Regisseur Thorsten Weckherlin einen etwas schwächeren Part, in dem Haushaltsgeräte den Menschen in der Küche quasi versklaven, auch genauso drollig mit Pappkartonträger und aufgemaltem Herd, Kühlschrank und Toaster inszeniert. Da wird’s ein bisschen zu heimelig-ulkig, hätte man auch streichen können. Geschenkt.
Alles andere ist vortrefflich. Vor allem zwei Szenen sind das Herzstück und es ist sicher kein Zufall, dass dies auch in der Inszenierung so ist. Das Drama der einsamen Tatjana, der ihre Bezugsperson Alecto (die Weiterentwicklung Alexas, alle Akteure dürfen mal Alecto sein) erst eine fragwürdige weil virtuelle Kommunikation mit ihrem früheren Freund besorgt, dann vorschlägt, als Chip in ihr Gehirn eingepflanzt zu werden (quasi ein Heiratsantrag) – und sie schließlich als treuer Staatsdiener wegen Nähe zu den Naturalisten an die Polizei verrät: Was hier Stephan Weber und Franziska Beyer auf die Bretter bringen ist genau - und genau deshalb berührend.
Wie erst recht die große Beziehungskrise zwischen Stephan (Stephan Weber) und Ricky (Justin Hibbeler), die seit Jahren nur noch mithilfe von Verkleidungen und Techniktamtam Cybersex haben – nun aber mithilfe des allwissenden Alecto schonungslos die Wahrheit übereinander erfahren. Schockierend und komisch. Soll deshalb genausowenig gespoilert werden wie der filmisch eingeblendete Promi des Abends.
Was man übrigens bei beiden Szenen besonders gut sehen kann: Dass es bei allem technischen Fortschritt die gleichen, alten, nur eben hochgerüsteten Probleme sind, die der Mensch in diesem imaginären 2041 haben wird. „(R)Evolution“ ist – unter dem Deckmantel des Science Fiction – ein sehr klassisches Stück.
Es hat, von der gesellschaftlichen Substanz wie der Stückqualität her, sogar das Zeug zum Instant-Klassiker, Abteilung: jung, hell, schnell, tragikomisch, klug, auf den Punkt kommend, brillanter Dialogwitz. Zwischendurch kratertiefe Löcher reißend. Es fragt uns, ob wir haben wollen, was wir da sehen. Was das Gute daran ist, was das Schlechte. Was daraus folgt, welche Konflikte sich auftun. Es will nicht klüger sein als wir. Es diskutiert uns. Es ist informiert, neugierig, gerissen, voller Empathie, und gleichzeitig so kühl wie ein Chirurg sein muss, der an Herz und Hirn operiert. So kühl wie ein gutes Stück. So wurde es am LTT auch umgesetzt.
Unterm Strich
Was kommt da auf uns zu, in der durchdigitalisierten Roboterwelt von Gesichtserkennung und implantierten Chips über Cybersex bis zur Wunschkindbastelei – während die Polkappen weiterhin sehr analog schmelzen? Das Stück gibt einen Vorgeschmack darauf – als überaus gelungenes, trefflich in Szene gesetztes Theaterstück.
Reutlinger General-Anzeiger, 4. Oktober 2021
(von Michael Sturm)
In der Was-wäre-wenn-Komödie »(R)Evolution« huldigt das LTT-Ensemble den Techno-Pop-Pionieren Kraftwerk
Zur Wiederaufnahme des Theaterbetriebs wählte das Team des LTT um Intendant Thorsten Weckherlin, der hier auch Regie führte, ein zeitaktuelles Stück: »(R)Evolution« von Yael Ronen und Dimitrij Schaad hebt auf die Technisierung unserer Gesellschaft ab. Zur Premiere am Freitagabend durften 180 Plätze belegt werden – und die waren ausgebucht.
Der Hund hat als bester Freund des Menschen ausgedient. Diese Funktion hat im Jahr 2041 längst Alecto übernommen, eine weiterentwickelte Form der uns gut bekannten Alexa. Die von Alecto dirigierten Hausgeräte, die sich gerne ins Leben der menschlichen Protagonisten einmischen, dienen als engster sozialer Kontakt. Denn allein sie sind immer in der Wohnung – und um diese zu verlassen, gibt es wenige Gründe.
Die Menschheit huldigt dem technischen Fortschritt. Das wirkt sich auf die Fortpflanzung aus: Lana (Julia Staufer) und René (Sebastian Baumgart) erwarten ein Kind. Sie suchen den Mediziner Stephan Frank (Stephan Weber) auf, der zuerst das Geschlecht auswählen lässt und dann zur Optimierung des Fötus rät. Schließlich seien in den Genpools sowohl des werdenden Vaters als auch der werdenden Mutter ein paar Defekte vorhanden. Die technikaffine Lana ist dafür, Traditionalist René dagegen. Lana setzt sich zur Freude des Arztes durch: »Sie werden einen sehr energieeffizienten Sohn haben.«
So sehr Dr. Frank in Erregung gerät, wenn es um die Manipulation von Genomen geht – in seiner Beziehung zu Richard »Ricky« Martin ist der Lack ab. Beide stehen auf harten Sex, den haben sie jedoch nur noch virtuell. Allein Alecto weiß, was Stephan tun und denken soll – und hat manches bereits geregelt. Da bleibt nur noch eine Frage offen: »Alecto, bin ich glücklich?«
Und dann ist da noch Tatjana (Franziska Beyer), die wohl früher mit René zusammen war. Sie hört von Alecto die Prognose, innerhalb der nächsten zwei Monate einen psychischen Zusammenbruch zu erleiden. Spätestens nach dem vom Algorithmus berechneten Tod ihrer Mutter innerhalb der genannten Zeit.
Diese Was-wäre-wenn-Komödie mit starkem Science-Fiction-Einschlag funktionierte durch das starke Ensemblespiel der fünf Darsteller, die einerseits leidenschaftliche Figuren darstellten, um daraus unmittelbar in die Alecto eigene geschlechtslose Emotionslosigkeit zu gleiten. Etwa als Franziska Beyer – nach einer irren Good-Cop-Bad-Cop-Nummer von Stephan Weber als Verhörer – aus ihrer Rolle als verstörte Tatjana unmittelbar in die von Alecto übergeht.
Das Stück besticht weiterhin durch seine Ausstattung. Ein durchsichtiger Vorhang, der auch als Projektionsfläche für Einspielfilme dient, trennt die vordere Seite der Bühne, die der Emotionalität, vom hinteren Teil: Das Bühnenbild hinten ist dem der deutschen Elektropop-Pioniere Kraftwerk nachempfunden. Dort stehen die Schauspieler tatsächlich an Synthesizern und spielen live Musik ein – darunter den Kraftwerk-Hit »Wir sind die Roboter«, thematisch auf den Punkt gebracht.
Futuristisch wirkt die Kleidung der Darsteller, die in ihrer silbernen Farbe die Uniformität der Menschheit im Jahr 2041 signalisiert. An den Füßen bollige Stiefel. Darüber scheinbar eine Mischung aus Manteljacke und Faltenrock, die sich als Zweiteiler herausstellt. Ein großartiges Element lieferte die LTT-Schlosserei – zu bestaunen, als Franziska Beyer sich elegant auf einen unsichtbaren Stuhl setzt, der in ihrem Kostüm verbaut ist.
Es wird sich trefflich darüber streiten lassen, ob es zwingend nötig war, Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer als »Erster-Mai-Attentäter« in das Stück einzubauen. In einem Einspielfilm hält er –?mit einem Bankräuberstrumpf über dem Kopf – einen erregten Monolog in einer Version von Schwäbisch, die eher an das Idiom von Ministerpräsident Winfried Kretschmann erinnert, als an jenes, das im Remstal gesprochen wird, wo Palmer aufwuchs.
Da hätte man durchaus noch das Rad für abstrusen Humor zwei Rasten weiterdrehen und beispielsweise Flash Gordon einbauen können, dem Dale Arden zurief: »Flash, I love you! But we only have fourteen hours to save the Earth!« Das LTT-Ensemble hat hoffentlich einige Stunden mehr, um mit diesem Stück einen kleinen, wenn auch wichtigen Beitrag zur Rettung der Welt zu leisten. Das theaterdürstige Publikum reagierte mit langanhaltendem, begeistertem Beifall – worin die Darsteller nur zu allzu gerne badeten.