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Schauspiel nach dem Roman von Carlos Eugenio López, aus dem Spanischen von Susanna Mende
Esslinger Zeitung, 16. Oktober 2015
Die Augen der ertrunkenen Flüchtlinge
(von Elisabeth Maier)
Zwei Männer ertränken Asylbewerber in der Badewanne und werfen sie dann ins Meer. Der Spanier Carlos Eugenio López lässt in seinem Roman „Abgesoffen“ die beiden Mörder sprechen. Ihr Motiv: andere Fluchtwillige abschrecken.
Der Regisseur und Dramaturg Lars Helmer hat den Text am Landestheater Tübingen (LTT) dramatisiert und inszeniert.
In den Flüchtlingsdiskurs klinkte sich der spanische Autor bereits im Jahr 2000 mit Sarkasmus und schwarzem Humor ein: angesichts der politischen Situation aktueller denn je. Die beiden Killer geben jene Klischees wieder, die über Asylsuchende kursieren. Und das innovative Team des Tübinger Theaters stellt diese unmenschlichen Thesen knallhart zur Diskussion.
López‘ extrem knappe, frostige Sprache befremdet zunächst. Auf einer staubigen Landstraße denken die Killer zwischen Leitplanken und einem Mülleimer aus Metall über ihre Existenz nach: „Alle Jobs haben etwas gemeinsam. Du tust etwas, das Dir nicht gefällt, weil man Dich dafür bezahlt.“ Besser als Klobürsten verkaufen sei das allemal. 29 Nordafrikaner aus Marokko, die sie abfällig „Moros“ nennen, haben die Underdogs schon getötet.
In einer Zeit, da hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken und da die Krise in Europa immer drängender wird, hat die Wirklichkeit López‘ lebensbeichte zweier Mörder allerdings längst überholt. Außerdem wirkt die Handlung sehr konstruiert. Trotzdem leistet Lopez‘ Text einen Beitrag zum Diskurs über die Flüchtlingskrise, die an deutschen Bühnen in vollem Gange ist: Der Roman, dessen eiskalter Tonfall in Susanna Mendes Übersetzung erschütternd klingt, dreht die Betroffenheitsperspektive um.
Darin liegt sein provokativer Reiz. Er zeigt die menschliche Seite der Mörder. Die kehren die Schauspieler Heiner Kock und Thomas Zerck stark nach außen. In Kay Anthonys Bühne irren sie zwischen Leitplanken, Warnbaken und einer riesigen Spiegelwand umher, die ihnen die eigene Widerwärtigkeit vor Augen führt. In blinder Wut schlagen sie mit ausgerissenen Leitpfosten um sich. Kock in der Rolle des Killers, der die ehrlosen Flüchtlinge so lange unter das Wasser drückt, bis ihnen die Lunge platzt, erschrickt für einen Augenblick, wenn er sich selbst betrachtet. Die Augen seiner Opfer lassen ihn nicht mehr los. Sein liebeskranker Partner, der seiner kaputten Beziehung zu Traumfrau Elena nachtrauert, plappert nationalsozialistischen Unrat nach und äußert sich zum Rassismus.
Solche Exkurse, mit denen López nicht geizt, wirken freilich aufgesetzt und gehen nicht tief genug. (...)
Dennoch ist die Regiearbeit insgesamt sehr gelungen. und das nicht zuletzt deshalb, weil die Schauspieler extremste Gefühle ausleben dürfen – selbst auf das Risiko hin, Momente von Empathie für die Mörder zu wecken. Wenn etwa Thomas Zerck in seiner Rolle von einem verlorenen Lächeln spricht, offenbart das entsetzliche Hilflosigkeit. Selbst die zum Brüllen komische Onanie-Show, mit der Heiner Kock das Publikum zum Lachen bringt, ist kein Tabu. Letztlich also ein Abend, der im besten Sinn aufwühlt und verstört.
Reutlinger Nachrichten, 12. Oktober 2015
(von Kathrin Kipp)
Auf dem Highway in die Hölle: Im Flüchtlingsdiskursstück "Abgesoffen", das am Freitag Premiere am LTT feierte, unterhalten sich zwei Auftragskiller über das Leben, die Liebe und Menschen zweiter Klasse.
"Wir können nicht alle retten", dieser, unter anderem von Markus Söder getätigte Spruch prangt in Leuchtschrift als kleine Provokation über der Bühne von "Abgesoffen", einem spanischen Dialogstück aus dem Jahr 2000 von Carlos Eugenio López, in dem zwei Auftragskiller durch die Gegend fahren und sich über Privates, Politisches und Philosophisches unterhalten. Im Kofferraum: eine Leiche.
(...)
Im Landestheater bieten unter der Regie von Lars Helmer die beiden Schauspieler Thomas Zerck und Heiner Kock - ihre Figuren bleiben selbstverständlich anonym - erst einmal eine leicht künstlich wirkende Performance, als eine Art Erkan und Stefan in Semiintellektuell. Sie reden trotz betont rustikaler Fick- und Wichssprache ganz normales Theater-Hochdeutsch, ohne jede "Street Credibility", auch wenn sie mit Basecap (Thomas Zerck), Gel und Schnauzer (Heiner Kock) eher weiter hinten im Ghetto sozialisiert scheinen.
Das wirkt leicht unnatürlich, alles andere wäre aber eventuell auch ins Billig-Comedyhafte gedriftet. Vielleicht stellt die Inszenierung so aber auch die Frage, wer mit diesen beiden Killern denn eigentlich gemeint ist, wie sie sich da so elaboriert dem allgemeinen Flüchtlings- und Weltdiskurs widmen, während sie weiter fröhlich vor sich hin morden und die Leichen weiterhin durchs Mittelmeer treiben lassen. Am Ende gar wir selbst, das Publikum? Sind wir die Killer? Kapitalismus tötet und so?
Thomas Zerck macht mit seinem Killer jedenfalls auf bedeutend cooler als sein Kollege und spielt den gewissenlosen Schmarotzer-aus-demWeg-Räumer, zeigt aber durchaus auch Gefühle und Selbstzweifel, wenn's ums Zwischenmenschliche geht, vor allem um Frauen: Alles Schlampen außer Mutti. Oder doch nicht? So wird er immer wieder sentimental, auch, was die Frage anbelangt, ob man als Flüchtlingsmörder überhaupt noch mal ein normales Leben führen kann, mit richtigen Freunden und so, die einem zur Not auch mal eine Kugel in den Kopf jagen würden, falls man aus Versehen querschnittsgelähmt wird oder so.
(...)
Heiner Kocks Type wiederum repräsentiert eher den gutbürgerlichen, nachdenklichen und scheinheiligen Gesellschaftspart: Er hat beim Töten wenigstens ein schlechtes Gewissen. Als Killer scheint er gerade in einen klassischen Burnout zu rutschen, er leidet unter der Sinnlosigkeit des Jobs. Und überhaupt: Vielleicht sind das ja ganz normale Menschen? Kocks Killer zeigt vor lauter Skrupel sogar körperliche Reaktionen und übergibt sich hinter die Leitplanke, die Kay Anthony auf die Bühne gestellt hat: Der Bühnenbildner hat für den theatralischen Roadmovie eine fast echte Straße kreiert, mit Leitplanken, Kurve, nächtlichem Autolichterspiel und nicht nur zwei Vollpfosten.
Das Ganze ist mit Zwischenwand und Riesenspiegel versehen und so tricky aufgebaut, dass die beiden "wie Balletttänzer vor dem Spiegel" in immer neuen Blickwinkeln stehen, verspiegelt und bis in alle Unendlichkeit vervielfältigt werden, was einen sehr hübschen optischen und auch vielsagenden Reiz setzt im ansonsten eher wortlastigen Dialogstück (...).
Reutlinger General-Anzeiger, 12. Oktober 2015
(von Thomas Morawitzky)
Ein bitterböser Kommentar zur Flüchtlingskrise: »Abgesoffen« nach einem Roman von Carlos Eugenio López am Tübinger Landestheater
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»Abgesoffen«, das Stück, das am Freitag am LTT Tübingen Premiere hatte, ist eine krude Parabel um Not und Gleichgültigkeit, ein Stück, das der Wohlstandsgesellschaft einen hässlichen und auch komischen Spiegel vorhält.
Es basiert auf dem gleichnamigen Roman des spanischen Schriftstellers Carlos Eugenio López, der die Geschichte der beiden namenlosen Mörder nur in Dialogen erzählt – Dialoge, die sich um alles und nichts drehen, die mit ihrer Gefühllosigkeit, ihrer abgefeimten Gelehrsamkeit und Vulgarität erschrecken. Den einen der Killer scheinen Gewissensbisse heimzusuchen, er sinniert über das Schicksal und die Augen seiner Opfer, der andere palavert von Alexander dem Großen, gibt sich als Philosoph und schreibt heimlich schlechte Gedichte.
Das Böse ist, man weiß es längst, nicht selten sehr banal – »Abgesoffen« aber rückt diese Einsicht in unangenehme Nähe. Und wenn die beiden Jedermänner daher reden, wie Figuren aus einem Film von Quentin Tarantino, dann umso schlimmer: Das Flüchtlingselend ist kein Groschenheft, die Toten, die gemeint sind, gibt es wirklich.
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In Tübingen gestaltete Kay Anthony die Bühne als nächtliche Straße, deren Spiegelbild sich endlos in der Ferne verliert. Wie das Buch lebt das Stück von den Dialogen, die dem Zuschauer mit abgründiger Beiläufigkeit immer mehr enthüllen.
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Heiner Kock und Thomas Zerck spielen die Killer – und geben ihnen überzeugend ein allzu alltägliches Gesicht. Man glaubt sie zu kennen, den einen, der von Prostituierten schwätzt und die Trennung von seiner Freundin nicht verschmerzt, den anderen, der nachdenkt, fragt, und doch dabei bleibt. (...)
Schwäbisches Tagblatt, 12. Oktober 2015
(von Wilhelm Triebold)
"Abgesoffen" am LTT: Eine beeindruckende Bühnenversion von Carlos Eugenio López' bitterböser Romanvorlage
Die Ausgangslage ist besonders perfide. Da haben es afrikanische Flüchtlinge ins gelobte Land, in diesem Fall Spanien, geschafft. Und schon lauert ihnen dort ein Killerduo auf, um die sie in einer mit Salzwasser gefüllten Badewanne zu ertränken und die Leichen zur Abschreckung von weiteren Asylsuchenden an der Meerenge von Gibraltar abzuladen.
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Die Wirklichkeit übertrifft sowieso die Phantasie. Gerade erst musste man lesen, dass kriminelle Händler des Todes offenbar manchen Boatpeople für die Fahrt übers Mittelmeer untaugliche Rettungswesten mit Schaumstofffüllungen andrehten. Zahlreiche Menschen gingen damit unter, sind regelrecht "abgesoffen". Die reale Welt ist noch viel grausamer, grauenvoller, als mancher es sich vorstellen mag.
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Lars Helmers Inszenierung steigt keineswegs dampfend vor Abscheu und Empörung ins heikle Thema ein, eher dönermampfend, mit zwei stinknormalen Jungs. Die sind zwar keineswegs des Teufels, aber doch des Menschen Wolf. Und somit noch Mensch genug, um über die Dauer der 80-minütigen Aufführung einen Restbestand an Zweifeln, Skrupeln und Gewissensbissen aufzuspüren. Sogar fast so etwas wie Mitleid.
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Auf der Bühne in der LTT-Werkstatt vermitteln (...) umsichtig platzierte Spiegelflächen eine bemerkenswerte Raumtiefe und Weite (Bühne: Kay Anthony), gut geeignet für Spiegelfechtereien und für Selbstbespiegelungen: Erkenne dich selbst.
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Es ist ein nachtrabenschwarzes Stück und einer der "schwärzesten, sarkastischsten und scharfsinnigsten Texte", wie die FAZ meinte. Dabei wird eher Belangloses und Nebensächliches verhandelt, es geht um Fußball und Sex, um Probleme mit Frauen oder die die letzten Dinge, wenn Selbstmord, Onanie oder die Augenfarbe der Opfer dazu zählen. So vermischen sich Geplapper, Trash Talk, tiefere Einsichten und die Banalität des Bösen.
"Wir sind schon komische Vögel, was?", dämmert es da dem einen. "Jeder in seiner eigenen Welt." Das lässt sich am besten an der Körpersprache ablesen. Mit dem beweglichen Schauspieler Thomas Zerck sondiert der eine gleich mal agil und (gerade auch mit den Extremitäten) redselig das Terrain. Thomas Kock, der andere, bleibt dagegen zunächst abwartend, mürrisch und wortkarg, die Hände in den Westentaschen vergraben, blüht später aber auf.
(...)
Helmers wohltuend unspektakuläre Regiearbeit sucht weniger den Höllentrip, eher den therapeutischen, (er)läuternden Seelenstrip: Die Täter geben etwas von sich preis, wenn auch nicht das allerletzte dunkle Geheimnis. Und doch gibt es am Ende so etwas wie Trost oder wenigstens Mitgefühl. "Wenn wir sie ins Wasser werfen", sagt der eine "habe ich manchmal Lust, mit ihnen unterzugehen." Er hat dazugelernt.
Unterm Strich
Hier werden keine Totschlagargumente ausgetauscht. Aber den beiden Protagonisten schwant, welches ungeheuerliche Geschäft sie da betreiben. Ein starkes Stück in einer nicht minder starken Version mit zwei sehr präsenten Schauspielern.
nachtkritik.de, 9. Oktober 2015
Das verlorene Lächeln der Killer
(von Elisabeth Maier)
Abgesoffen – Lars Helmer inszeniert am Landestheater Tübingen den Roman des Spaniers Carlos Eugenio López
Sie ertränken Asylbewerber in der Badewanne und reden ständig übers Ficken. Der Spanier Carlos Eugenio López lässt in seinem Roman "Abgesoffen" zwei Berufskiller sprechen. Ihr Auftrag ist es, jede Woche einen Flüchtling umzubringen. Das soll andere Fluchtwillige abschrecken. Die Toten karren sie im Kofferraum nach Gibraltar, um sie ins Meer zu werfen.
Lars Helmer hat den Text, der die kranken Fantasien seiner Protagonisten nach außen kehrt, in der Werkstatt des Landestheaters Tübingen in Szene gesetzt. Auf einer staubigen Landstraße denken sie zwischen Leitplanken und einem Mülleimer aus Metall über ihre Existenz nach: "Alle Jobs haben etwas gemeinsam. Du tust etwas, das Dir nicht gefällt, weil man Dich dafür bezahlt." Besser als Klobürsten verkaufen sei das Morden allemal. 29 Nordafrikaner aus Marokko, die sie abfällig "Moros" nennen, haben die abgebrühten Verlierer schon getötet.
In einer Zeit, da an manchen Tagen hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, hat die Wirklichkeit die konstruierte Lebensbeichte der Schlächter aus dem Jahr 2000 längst überholt. Der Diskurs über die Flüchtlingskrise ist an deutschen Bühnen in vollem Gange. Lopez' Text (...) spitzt die allgegenwärtigen Abwehrreaktionen auf das Eintreffen der "Fremden" zu. Zugleich behandelte er seine Protagonisten nicht als Thesenkonstrukte, sondern will ihnen eine abgründig menschliche Seite abgewinnen. Darin liegt sein Reiz.
Die menschliche Dimension kehren die Schauspieler Heiner Kock und Thomas Zerck, im Personenverzeichnis namenlos nach dem Schriftbild als "kursiv" und "gerade" geführt, stark nach außen. In Kay Anthonys Bühne irren sie zwischen Leitplanken, Warnbaken und einer riesigen Spiegelwand umher, die ihnen die eigene Widerwärtigkeit vor Augen führt. In blinder Wut schlagen sie mit ausgerissenen Leitpfosten um sich.
Kock in der Rolle des Killers, der die wehrlosen Flüchtlinge so lange unters Wasser drückt, bis ihnen die Lunge platzt, erschrickt für einen Augenblick, wenn er sich selbst betrachtet. Die Augen seiner Opfer lassen ihn nicht mehr los. Sein liebeskranker Partner, der seiner kaputten Beziehung zu Traumfrau Elena nachtrauert, plappert nationalsozialistische Gedanken nach und äußert sich zum Rassismus. (...)
Regisseur Helmer schafft das Kunststück, dem Text, der immer wieder in pathologischen Sackgassen versandet, Leichtigkeit einzuhauchen. Der Abend überzeugt mit starken Körperbildern und Zornausbrüchen. Weniger kreativ zeigt er sich im lieblos zusammengeflickten Musikszenario. Da reiht die Technik Saitenklänge und Autobahnlärm aneinander. Ein Sound, der die Hölle in den Köpfen der Männer reflektieren soll, aber bloß zerhackt wirkt.
Eindringlicher gerät der Spagat zwischen tragischen und komischen Momenten. Wenn sich Heiner Kock verzweifelt an die Leitplanke klammert und über sein verpfuschtes Leben weint, weckt das Sympathien. Und Thomas Zerck offenbart entsetzliche Hilflosigkeit, wenn er von seinem verlorenen Lächeln spricht. Tabufrei bringt Heiner Koch mit einer zum Brüllen komischen Onanie-Show das Publikum zum Lachen bringt. Ein Abend, im besten Sinn aufwühlt.