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Schauspiel von George Brant übersetzt von Henning Bochert
Schwäbisches Tagblatt, 5. Dezember 2015
(von Peter Ertle)
Die Drohne fliegt jetzt auch auf die LTT-Bühne - Laura Sauer als Pilotin "Am Boden"
Das ist schon raffiniert und realitätsnah: Da geht es in George Brants Stück "Am Boden" letztlich um den Zwiespalt und die Traumatisierung einer Drohnenpilotin. Doch als erster und lange andauernder Zwiespalt stellt sich die Degradierung von der Kampfjetpilotin zur Joystickbedienerin heraus. Erst Kämpfernatur in der Bläue des Himmels, unter Einsatz des eigenen Lebens, als alleinige Beherrscherin ihres Jets. Dann am Boden im Schichtdienst am Bildschirm - wo sie nur ins Grau blickt, wo sich manchmal tagelang nichts tut in diesem Wüstengraubraun - diesen Konflikt stellt uns Brant, stellt uns Laura Sauer als LTT-Solo-Pilotin als erstes dar.
Noch zum Schluss wissen wir nicht, ob bei ihr jemals eine Reflexion über die Schrecken des eigenen Tuns eingesetzt hat. Oder ob es ein einfacher emotionaler Reflex war, der sie schließlich scheitern ließ. Und die ständige Anwesenheit einer unheimlichen Nähe - das ist nämlich auch so ein schöner Aspekt dieses Stücks: Es zeigt, dass die einerseits viel größere Distanz zum Kriegsgeschehen via Kamerazoom eine viel größere Intimität entstehen lässt als es vom Kampfjet aus möglich ist. Plötzlich sieht man Gesichter, sieht Körperteile herumfliegen. Regisseur Tobias Bernhardt hat einen Pilotenstuhl besorgt - naja, einen, der dafür gelten kann - und taucht den Hintergrund in wechselndes Licht. Mehr ist nicht vonnöten, den Rest besorgt Laura Sauer. Das Hauptproblem ihrer Pilotin wird bald die Monotonie des Nichts - Nichts - Nichts - Nichts, eine Minute lang, mit endlosen Pausen dazwischen kommen nur diese Worte. Vor dem Hintergrund dieser Ödnis muss man die Euphorie der Kampfeinsätze verstehen, die Freude, mit der das einschießende Adrenalin begrüßt wird. Der Rest ist selbtsberuhigende Ideologie: "Schuldig" ist hier eines der häufigsten Worte: Wo früher Gottes Auge gemalt wurde, oben am Himmel, sitzt jetzt das Auge der Drohne - auch dieses Auge gehört einem obersten Richter.
Es gibt allerdings, das weiß die Pilotin da noch nicht, immer noch ein weiter oben oder woanders sitzendes Auge. Nicht nur im Casino, dem Arbeitsplatz ihres Mannes, nicht nur auf dem Spielplatz, wo sie als Mutter mit Tochter Sam unterwegs ist und dort natürlich für beide auf nicht schuldig plädiert. Nein, es gibt auch die Observation der Observation, als dem Team der Pilotin auffällt, dass die psychisch etwas labil wird.
Laura Sauer versteht es gerade, jene (in diesem Stück muss man es so nennen): "Grauzonen" zu bespielen, in denen die Pilotin vom Mix aus Gewalt und Ödnis angegriffen wird, nach außen hin aber um so trotziger auftritt. Wir aber sehen die Saat des Zweifels aufgehen, dieses feine Rieseln hinter ihrer Stirn, wie gesagt keine Reflexionsleistung, eher etwas unbewusstes, körperliches, ein Riß, der sich auftut. Und dessen fortschreitendes Aufreißen der Zuschauer neugierig verfolgt. Der Lehrstückschluss, in der eine vom Saulus zum Paulus gewandelte Pilotin plötzlich den Zuschauern den Spiegel vorhält - wirkt zwar sehr befreiend, aber auch wie zu einem anderen Stück gehörend, aufgepeppte Moral. Wir sagen mal: Hm.
Was bleibt: Eine Pilotin, auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Komisch, ganz nebenbei: Drohnen wurden vor allem nach 9/11 zum Kriegseinsatz herangezogen. Die Twin Towers sanken zum ground, wo heute ein Denkmal namens Ground Zero steht. Unter dem Originaltitel "Grounded" hatte dieses Drohnen-Stück großen Erfolg. Wenn da mal nicht ein unterbewusster Konnex im Spiel ist.
Unterm Strich
Sehr realistisches Psychodrama einer an die effektivste Waffe der Gegenwart - eine Drohne - versetzte ehemalige Kampfjetpilotin. Das aktuelle Stück zum Thema Drohne schlechthin.
Reutlinger General-Anzeiger, 5. Dezember 2015
(von Heiko Rehmann)
Theater – Einpersonenstück »Am Boden« im LTT
»Ich hatte ihn nie ausziehen wollen. Den hatte ich mir verdient.« Laura Sauer steht am Donnerstag auf der oberen Bühne des LTT. Tough. Zackig. Wie man es von einer Soldatin erwarten kann. Von einer Frau, die tötet und liebt. Ihren Kampfanzug. Ihr Flugzeug. Das Blau des Himmels. Der US-Autor George Brant beschreibt in seinem Einakter »Am Boden«, den modernen Krieg und was er mit den Beteiligten macht. Der rund einstündige Monolog ist im Telegrammstil geschrieben. In einer Sprache, die so gnadenlos ist wie die Kriege, die Amerika in aller Welt führt. »Den meisten Typen passt nicht, was ich mache. Sie fühlen sich weniger als Mann in meiner Nähe.«
Doch dann kommt Erik. So plötzlich ohne Vorwarnung wie die Geschosse, die die Pilotin auf ihre Gegner feuert. »Er küsst mich. Wir ficken. Ist ganz ok.« Und damit ändert sich alles. »Ich nehme zu.« Für einen Augenblick erlebt diese realitätserfahrene Frau einen Anfall von Naivität: »Ich versuche weniger zu essen.« Als sie schließlich bereit ist, die neue Situation zu akzeptieren, passiert, womit sie am wenigsten rechnet: Erik kommt zu ihr, statt davonzulaufen. »Wir ficken. Erik zieht ein. Wir sind zu dritt.«
Inszenierung und Bühnenbild von Tobias Bernhardt beschränken sich aufs Essenzielle: ein Pilotensessel, eine Leinwand, die in unterschiedlichen Farben die Gefühle der Protagonistin spiegelt. Laura Sauer steht auf der Bühne, breitbeinig, ein echter Kerl. Ihre Sätze schleudert sie ins Publikum. In Mimik, Gestik und Sprachduktus verkörpert sie eindrücklich die Schroffheit der Rolle. Diese Frau wird so schnell nichts umwerfen. Umso eindrucksvoller sind die kurzen Momente, in denen sie lächelt, in denen sie einen Anflug von Gefühl zeigt. Wenn sie mit ihrer Tochter Sam spielt. Wenn sie davon träumt, wieder zu fliegen.
Doch daraus wird nichts. In ihrer Babypause hat sich die Kriegsführung geändert. Jetzt sitzt sie in einem Militärstützpunkt, den Stick in der Hand, den Bildschirm vor Augen und steuert eine Drohne. Krieg als Computerspiel. Ab und zu zerstört sie per Knopfdruck ein feindliches Objekt, ein Leben, das sie nicht kennt. Sie wundert sich, dass ihre Knie zittern, obwohl sie keiner Gefahr mehr ausgesetzt ist. Am Anfang quält sie der Verlust der Freiheit über den Wolken. Dann verändert sich ihr Leben, langsam, unaufhaltsam. Tags starrt sie in das Grau des Monitors, nachts huscht sie zu ihrer schlafenden Tochter ins Zimmer.
Über Wochen verfolgt sie den »Propheten«, die Nummer zwei des Terrornetzwerkes. Die Realität am Bildschirm und ihre eigene überlagern sich. Das Auto des »Propheten« sieht aus wie ihres. Als ein Mädchen an sein Auto tritt, erkennt sie darin ihre Tochter, verweigert den Befehl zu feuern. Je weiter der Krieg entfernt ist, desto näher rückt er ihr, weil die Trennung vom realen Geschehen, die Teilnahmslosigkeit dieser Kriegsführung, paradoxerweise die innere Trennung aufhebt.