Chor, Susanne Weckerle / Foto: Tobias Metz
Susanne Weckerle, Insa Jebens / Foto: Tobias Metz
Chor, Susanne Weckerle, Insa Jebens / Foto: Tobias Metz

Annette, ein Heldinnenepos

Nach dem Versepos von Anne Weber · Bühnenfassung von Franziska Angerer und Christine Richter-Nilsson · 15+


https://cul-tu-re.de, 26. April 2024

Risse im Leben In der LTT-Werkstatt inszeniert Franziska Angerer als starkes Frauenstück „Annette – ein Heldinnenepos“ von Anne Weber

(von Martin Bernklau)

Das Antike hat Kraft: diese Bilder, diese Sprache, dieser Klang, dieses Maß. Dass das auch in die Irre gehen kann, vergessen diese Frauen dabei nicht. Denn auch ihre Heldin verlief sich tief auf Irrwegen mit ihrem Idealismus. Der Text von Anne Weber ist ein leuchtendes Unikat und macht seit ein paar Jahren zurecht literarisch Furore. Franziska Angerer hat „Annette, ein Heldinnenepos“ zu Musik von Antonia Dering mit Susanne Weckerle, Insa Jebens und einem Chor in der LTT-Werkstatt kongenial inszeniert.

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Schwäbisches Tagblatt, 18. April 2024

Warum machst du da mit, Annette? - Was treibt sie bloß an?

(von Moritz Siebert)

„Annette, ein Heldinnenepos“ erzählt das LTT als antikes Theater mit ambivalenter Heldin – soghaft und düster.

Sie glaubt nicht an Gott, aber er an sie; falls es ihn gibt, so hat er sie gemacht.“ Anne Beaumanoir (1923–2022) beschreibt die Autorin Anne Weber als „eine Pazifistin, die mit 15 lieber Terroristin werden will“. Im Zweiten Weltkrieg kämpft sie im Untergrund in der Résistance, rettet Juden das Leben, später schließt sie sich der algerischen Befreiungsfront an. Das Leben der Widerstandskämpferin Beaumanoir erzählt Weber in ihrem 2020 erschienen Buch „Annette, ein Heldinnenepos“ 2020 nach – als Versepos. Am LTT inszeniert Franziska Angerer den Stoff. Die Bühnenfassung stammt von Angerer selbst und von Christine Richter-Nilsson, die in Tübingen als Dramaturgin beteiligt ist.

Das Team zeigt das Stück als antikes Theater: In der LTT-Werkstatt sitzen die Zuschauer an drei Seiten, ein gemischter Chor aus Tübinger Sängerinnen und Sänger agiert, verteilt sich im Raum, sammelt sich häufig an der freien vierten Seite. Die beiden handelnden und erzählenden Figuren (Insa Jebens und Susanne Weckerle), eine Mischung aus antiken Kämpferinnen und Soldatinnen (Bühne und Kostüme: Olivia Rosendorfer), werden von allen Seiten beobachtet. Allein das schafft eine beklemmende Situation. Dazu kommt eine düstere Stimmung: Alle Beteiligten tragen janusköpfige Masken, der Chor singt mehrstimmig, sorgt für sakrale Atmosphäre, auch wenn folkloristische und jazzige Elemente in die Musik einfließen (Musik: Antonia Dering). Dieser Chor begleitet, schaut genau hin und kommentiert – meist ziemlich direkt: „Es gibt Träume und es gibt das Erwachen.“

Die anachronistisch wirkende Form des Versepos ist standesgemäß für eine Heldin und ihre Geschichte, Text und Inszenierung hieven Annette aber keinesfalls unumstößlich auf ein Podest. Im Gegenteil: Das Stück legt Widersprüche offen, zeigt biografische Brüche und Ambivalenzen auf, lässt die Figur sich selbst reflektieren.

Das funktioniert so gut, weil es die ästhetische Höhe eines Epos hat. Der Vers gibt jedem Wort Bedeutung, er sorgt für einen permanenten Rhythmus, einem Flow, dem man sich kaum entziehen kann. Annette sitzt anfangs im Sand und sucht Muscheln, schreibt das Wort „Résisté“ in den Sand. Das Widerstehen, heißt es, sei kein einmaliger Beschluss, eher ein Hineingeraten. Früh wird deutlich, dass in dieser Figur von Beginn an etwas angelegt ist, das zum Widerstand drängt.

Den Text teilen sich als sprechende und handelnde Figuren Jebens und Weckerle – mit einer konzentrierten Ruhe, in der eine permanente Spannung liegt. Allein dieses Splitten deutet schon auf Ambivalenz. Und immer schwingt die Frage mit, was es ist, was Annette antreibt: die reine Abenteuerlust, der Idealismus, Besessenheit? Wir kommen der Heldin ganz nah, und doch bleibt sie uns merkwürdig fremd.

Jebens und Weckerle erschaffen Bilder, die häufig auf einer abstrakten und symbolhaften Ebene angelegt sind, sie wirken wie Erinnerungen, manchmal wie Traumbilder. Durch das Setting als antikes Theater und dem Erzählstil wirkt die Geschichte universell und der Zeit entbunden. Man kann als Zuschauer kaum anders, als Parallelen zu suchen zu den Heldinnen unserer Zeit.

Aber die Zeit, sie rieselt unaufhaltsam, die Vergänglichkeit ist in Form einer überdimensionierten Sanduhr auf der Bühne immer präsent. Und was im Sand auf dem Boden geschrieben steht, verwischt zunehmend. Annette heiratet, bekommt Kinder, arbeitet als Ärztin. Im geregelten Leben und im Wohlstand (sie kann sogar Urlaub), findet sie aber weder Halt noch Ruhe.

Es zieht sie wieder in den Widerstand, als sogenannte „Kofferträgerin“ transportiert sie Geld für die Nationale Befreiungsfront in Algerien. „Warum machst du da mit, Annette?“, fragt der Chor. Die Heldin kommt in Haft, merkt schließlich im Gefängnis, dass sie für ein Land kämpft, das ihr fremd ist, und dass auch bei der Befreiungsfront gefoltert wird.

Annette schleppt die Sanduhr auf dem Rücken über die Bühne, ist gleichermaßen Heilsbringer und Sisyphos. Der Stein wird immer größer, kommentiert der Chor, der Gipfel immer höher. Mit dem Gefühl von Unnahbarkeit und Bedrücktheit lässt sie ihre Beobachter zurück. Man möge sich doch, heißt es am Ende, Annette, ebenso Sisyphos, glücklich vorstellen. Nur fällt das so schwer.

Unterm Strich

Bilder, entlehnt aus Erinnerungen und Traumwelten, ein Chor, der unablässig kommentiert und beobachtet: In einer düsteren und spannungsreichen Atmosphäre zeichnet das Stück „Annette, ein Heldinnenepos“ am LTT das Leben einer ambivalenten Heldin nach. In diesem Setting kann man sich der Geschichte nur schwer entziehen.


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Reutlinger General-Anzeiger, 16. April 2024

Weiblicher Sisyphos – Franziska Angerer inszeniert Anne Webers »Annette, ein Heldinnenepos« am LTT als antikes Theater

(von Christoph B. Ströhle)

Was macht Helden zu Helden? Nicht zuletzt, dass ihre Taten besungen werden. Wobei als die älteste Heldendichtung Europas die homerische Epik (»Ilias« und »Odyssee«) gilt. Vielfach sind heute Biopics – Filmbiografien – an die Stelle von Heldensagen getreten, das Heldentum selbst wird eher kritisch gesehen, oder es wird von »Vorbildern« gesprochen, was das zur Rede Stehende eher in die Sphäre des Menschlichen denn ins schier Übermenschliche rückt.

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Schwarzwälder Bote, 29. Februar 2000

Präzise Erzählung auf rötlichem Sand

(von Christoph Holbein)

„Annette, ein Heldinnenepos“ nach dem Versepos von Anne Weber überzeugt in der Bühnenfassung von Franziska Angerer und Christine Richter-Nilsson im Landestheater Württemberg-Hohenzollern vor allem durch die genaue Artikulation des Textes.

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