Abonnieren Sie unseren WhatsApp Newsletter!
Um zu starten, müssen Sie nur die Nummer +49 1579 2381622 in Ihrem Handy abspeichern und diesem neuen Kontakt eine WhatsApp-Nachricht mit dem Text "Start" schicken.
Triviale Komödie für ernsthafte Leute von Oscar Wilde · Deutsch von Rainer Kohlmayer · 14+
Schwäbisches Tagblatt, 1. Dezember 2021
Lügentänze mit Farbanschlag fürs Auge
(von Peter Ertle)
Formvollendet aus der Fassung: Oscar Wildes „Bunbury oder Ernst sein ist wichtig“ wird am LTT genau zu dem turbulenten Spaß, den man sich von diesem Stück auch erwartet.
Es gibt sie, diese Inszenierungen, über die so viel gar nicht zu sagen ist (und hier trotzdem einiges geschrieben wird), weil sie einfach gut sind und Spaß machen. „Bunbury oder Ernst sein ist wichtig“ am LTT ist so eine. Oscar Wildes Stück hat den Vorzug, dass es zwar reinste Komödie ist, oberflächlich bis zum Anschlag – diese Oberflächlichkeit aber permanent selbst als solche bloßstellt, oft in überraschenden Wendungen. Alles gerät aus der Fassung, nur eben so, dass die Etikette immer gewahrt bleiben.
Jack und Algernon, die beiden Silber&Goldjungen in Personen Nicolai Gonthers und Justin Hibbelers, hat Regisseur Malte C. Lachmann mit schrägen, großspurigen Gesten angelegt, ansatzweise sieht das bisweilen aus, als wären sie die Comic-Avatare ihrer Figuren. Abziehbilder sind sie alle: Hannah Jaitners Gwendolen in ihrer plumpen Eleganz, ihrem Trotz und Ehrgeiz, Sabine Weithöner als Lady Bracknell in ihrer formvollendet klassenbewussten Strenge, die ihre eigene Komik erzeugt. Alles very british, von den Anzügen über die Gurkensandwiches und das 5-o’clock-Gebäck.
Dann gibt es noch den Diener, der das Geschehen auch mal mit einem „Haha!“ brechen darf, wenn jemand zufällig das Wort „ernst“ sagt. Oder als living picture im Bilderrahmen dem tête a tête zwischen Jack und Gwendolen zuschaut. Seine große Szene hat er, hat der ihn verkörpernde Dennis Junge, als er in einem minutenlangen, zur eigenen Nummer ausgebauten Akt das Stadthaus zum Landhaus wandelt. Denn alles, vom Sofa über das Jackett bis zu den Wänden, ist hier umkehrbar, hat eine (urbane) Vorder- und eine (rurale) Rückseite – was allegorischen Charakter hat. Bühnenbild: Luisa Wandschneider. (By the way: Gibt es einen denkwürdigeren Namen für eine Bühnen- und Kostümbildnerin als ein Kompositum aus Wand und Schneider? Ist das ein Künstlername oder Pseudonym? Oder war der Name Berufstreiber?).
Wie auch immer: Gerade in den Landhausszenen kommt es zu Farbmischungen, die an eine elegante Camp-Spielart früher Flowerpowerzeit gemahnen. Da schreit die Holzhütte vor schriller Farbenpracht. Nicht nur im umkehrbaren Bühnenbild, im gesamten Stück spielen Gegen-, Spiegel- und Dopplungsstrukturen eine große Rolle und werden lustvoll bespielt. Aber zurück zum Diener: Dennis Junge bekommt für seinen Umbau johlenden Szenenapplaus. Und dann geht die Verwicklungs- und Verwechslungsgeschichte und ihr Auffliegen erst richtig los.
Die genaue Story muss hier nicht nacherzählt werden, „Bunbury“ ist bekannt genug. Und wird nun durch den Pastor Chasuble (Andreas Guglielmetti) und Susanne Weckerles Miss Prism komplettiert, die ein paar Mal in Ohnmacht fallen darf, aber erst nachdem sich zwischen Cecily (Julia Staufer reiht sich nahtlos in die tolle Ensembleleistung) und Gwendolen ein Zickenkriegshowdown ankündigt, der falsche Ernst mittels einer Taufe zum richtigen zu werden hofft – und zwar doppelt – und ein Findling in einer Reisetasche entdeckt wird, der schließlich das strenge Bräutigamscasting von Lady Bracknell zunichtemacht. Man muss das alles nicht verstehen, man versteht es, sobald man dieses Stück anschaut. Es bedeutet vor allem: Falls an Silvester Theater gespielt werden darf – diese Inszenierung wird gleich zweimal, um 17 Uhr und um 21 Uhr zu sehen sein.
Nach der Premiere spendierte Intendant Thorsten Weckherlin im Foyer Getränke, als gäbe es keine Pandemie. Während es hinter der Bühne, zur Premierenfeier, jene Gurkensandwiches gab (Maulwurf), die Lady Bracknell unter dem Vorwand, es hätte keine mehr gegeben, vorenthalten worden waren. Frech. Gut, Algernon hatte vor der Ankunft der Lady auch schon verdeckt zugeschlagen.
Hier schlägt sich eben jeder durch, passt sich an. Oscar Wilde war ein wahrer Meister darin, die Lüge sichtbar als Lüge zum Tanzen zu bringen. Die society verzieh es und ergötzte sich daran. Nur die aus der Lügenreihe tanzende, die Konvention sprengende Wahrheit verzieh sie nicht. Zum Beispiel Oscar Wildes Homosexualität. Da, unter anderem, sind wir heute einen Schritt weiter.
Unterm Strich
Ein Spaß, eine große Verwechslungskomödie mit einer so einfachen wie grandiosen Bühnenbildidee, durchgedrehten Kostümen, sprühenden Dialogen und prima Schauspielern. Falls an Silvester noch Theater gespielt werden darf: Vor allem für diesen Abend wäre es eine Empfehlung.
Schwarzwälder Bote, 30. November 2021
Amüsant und ein wenig aus der Zeit gefallen
(von Christoph Holbein)
Verwechslungen und Verwicklungen schwungvoll und mit Tempo in Szene gesetzt
Wer einen amüsanten, kurzweiligen und nicht sonderlich anstrengenden Theaterabend genießen möchte, der ist genau richtig bei „Bunbury oder: Ernst sein ist wichtig!“. Die Inszenierung der „trivialen Komödie für ernsthafte Leute“ von Oscar Wilde feierte am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) eine ansprechende, aber keine anspruchsvolle Premiere. Regisseur Malte C. Lachmann, der erstmals am LTT eine Regiearbeit abgeliefert hat, erzählt die Geschichte der zwei Dandys, die, um sich vor ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen zu drücken, ein doppeltes Spiel spielen, mit konservativen Mitteln. Seine Inszenierung reizt den Wortwitz, die Albernheiten und Slapstick-Einlagen in Kintopp-Manier bis in die affektiert-klischeehafte Übertreibung aus. Dadurch schlittert das Komödiantische immer wieder ins klamaukige Spiel mit plakativ-plastischen Bildern und exaltierter Mimik der Protagonisten. Das ist grotesk, clownesk und – ganz nett.
Die Verwechslungen und Verwicklungen sind schwungvoll und mit Tempo in Szene gesetzt und schön ausgespielt, mitunter aber von der Regie etwas stereotyp auf die Bühne gebracht. An Spielfreude mangelt es dem Ensemble nicht. Witzig sind die kleinen Duelle und die Wortspielereien. Die Schauspieler loten ihre Freiheiten, auch zu übertreiben, aus. Vor allem Sabine Weithöner als Lady Bracknell artikuliert punktgenau, zelebriert ihren Part und zeichnet ihren Auftritt stark.
Für eine authentische und passende Atmosphäre sorgt Luisa Wandschneider mit ihrem Bühnenbild in Guckkasten-Manier: erst alles in städtisch-hellem Grau, dann rustikal-ländlich in brauner Holzanmutung. Originell gelöst ist der Umbau auf offener Bühne, wenn Dennis Junge als tänzerisch-pantomimischer Diener mit Zauberer-Gestik Teppiche einrollt und abtransportiert, Wände dreht und schließlich auch seinen Anzug von grau in braun wendet. Und beim Wechsel des Spiels von der Stadt aufs Land greift Wandschneider in die Vollen, wenn sie jetzt die Protagonisten in überborden-kitschigen Kostümen mit großen Blumenmotiven agieren lässt, das Landvolk dazu noch die Bäckchen naiv rot geschminkt.
Nicht abzustreiten ist, dass Lachmanns Inszenierung die kleinen Gags und Lacheffekte herausarbeitet und mit Drive auf die Bühne bringt. Das ist äußerst unterhaltsam und leicht verdaulich, wirkt aber am Ende doch ein wenig aus der Zeit gefallen.
Reutlinger General-Anzeiger, 29. November 2021
(von Kathrin Kipp)
Spritzige Identitäts-Jonglage: Das LTT zeigt Oscar Wildes »Bunbury« in der Regie von Malte C. Lachmann
Die beiden Dandys John und Algernon führen ein nicht unbedingt perfekt durchdachtes Doppelleben. Sie haben sich jeweils ein Fantasiegeschöpf zugelegt, um ihre kleinen Ausflüchte aus dem streng reglementierten, spießigen Gesellschaftsleben zu kaschieren: John gibt sich als sein eigener Bruder Ernst aus, wenn er sich ins wilde Londoner Stadtleben stürzt; und Algernon besucht des Öfteren seinen »kranken Bruder« Bunbury auf dem Lande, um der Enge der Stadt zu entkommen.
»Bunburysierung« nennen sie das Spiel mit verschiedenen Identitäten, das natürlich jede Menge Fallstricke aufweist. Und als sie sich »ernsthaft« in zwei junge Damen verlieben, weiß keiner mehr so richtig, mit wem er es eigentlich zu tun hat und wer man eigentlich sein will. Bis sich nach einer ausgiebigen Wortspielorgie ums Ernst-Sein, um Schein und Sein, Wahrheit und Täuschung schlussendlich vier Pärchen in den vermutlich richtigen Armen liegen.
Weil es in der Komödie wie im richtigen Leben nicht nur um Glück, Freiheit und Liebe geht, sondern auch um anregende Konversation, bei der man außerdem verdammt gut aussehen sollte, hat auch Oscar Wilde seine Verwechslungs- und Verwicklungssause in eine formal perfekte, fast schon mathematisch verspielte Spiegelstruktur gesteckt, in der sich der Figurentanz wahlweise parallel, überkreuz oder bipolar abspielt.
Das LTT übersetzt das Doppelleben der Figuren und die Doppelstruktur der Komödie in ein ebenso doppeldeutiges Bühnenbild (Ausstattung: Luisa Wandschneider), das als Anspielung auf sämtliche klapprige Tourneetheaterbühnen dieser Welt aus einem fragilen Kasten mit vielen Türen besteht. Türen, zwischen denen die vielen selbst inszenierten Verwechslungen stattfinden.
Und wo noch mehr Bedeutungsebenen aufeinanderprallen: Das Gesagte trifft auf das Gemeinte trifft auf das Gewusste trifft auf das Ungewusste. 3GplusU sozusagen. Nur das Publikum weiß, was die Leute auf der Bühne erst mal noch kompliziert auseinanderklamüsern müssen.
Mit all diesen Doppeldeutigkeiten und Scheinbarkeiten spielt auch die Ausstattung von Luisa Wandschneider. Im ersten Akt erscheint noch alles grau in grau: Wände, Möbel, Butler. Die beiden Lebemänner präsentieren sich in dekadentem Silber- und Goldglanz: Algernon (Justin Hibbeler) und John-Ernst (Nicolai Gonther) spielen mit viel Energie und Leichtigkeit und nur dezent affektiertem Gehabe ihren doppelbödigen Lifestyle möglichst elegant und unernst durch.
Die von John angebetete, zunächst etwas verklemmte, später umso taffere Gwendolen (Hannah Jaitner) darf in Zartrosa glänzen. Sie weiß genau, was sie will: einen Ernst! Mit dem blumigen Landkind Cecily (Julia Staufer) liefert sie sich deshalb ein saftiges Eifersuchtsduell.
Gwens verkünstelt strenge Mutter (Sabine Weithöner) ist natürlich sehr auf Äußerlichkeiten bedacht und auf eine gute Partie für ihre Tochter. Das vermeintliche Findelkind John passt da nicht ins Schema. Und so strampeln sich alle damit ab, jemand anderes sein zu müssen.
Aber unsere wahre Identität wird ja kaum von uns selbst bestimmt, sondern vom Schicksal – oder in diesem Fall von der Gouvernante Miss Prism (Susanne Weckerle). (Stichwort: Bei der Geburt vertauscht mit einem miserablen Roman!) Außerdem von der lieben Gesellschaft, weshalb am Ende auch alles wieder seine Ordnung haben muss.
Da können wir uns noch so verstellen und Theater spielen und im zweiten Akt alles auf links drehen: Butler Lane (Dennis Junge) verdreht als Pausenclown mit Hexenschuss sämtliche Bühnenelemente, und schon kommt Johns Landsitz als rustikaler Laminatverschnitt in Echtholz-Optik zum Vorschein. Das Personal verfällt ins Florale, selbst der leicht entrückte Pastor (Andreas Guglielmetti) trägt Blumentalar. Die Verwicklungen und Doppeldeutigkeiten eskalieren, die Lügen bekommen immer kürzere Beine.
Aber Regisseur Malte C. Lachmann hat alles im Griff und lässt seine Darsteller nicht allzu volkstheatralisch herumalbern. So behält man meistens die Contenance und lässt auch den vertrackten Text gut mitspielen. Und nachdem sich die komplizierten Verhältnisse auch in den Köpfen der Zuschauer wieder entwirrt haben, gibt es im Großen Saal jede Menge Premierenapplaus.