Jonas Hellenkemper, Rosalba Salomon, Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Rosalba Salomon, Lucas Riedle, Foto: Martin Sigmund
Andreas Guglielmetti, Jonas Hellenkemper, Foto: Martin Sigmund
Rosalba Salomon, Gilbert Mieroph, Jonas Hellenkemper, Foto: Martin Sigmund
Lucas Riedle, Andreas Guglielmetti, Rolf Kindermann, Jonas Hellenkemper, Rosalba Salomon, Gilbert Mieroph, Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Gilbert Mieroph, Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Andreas Guglielmetti, Gilbert Mieroph, Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Rosalba Salomon, Jonas Hellenkemper, Lucas Riedle, Gilbert Mieroph, Foto: Martin Sigmund
Rosalba Salomon, Jonas Hellenkemper, Foto: Martin Sigmund
Rosalba Salomon, Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Lucas Riedle, Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Lucas Riedle, Foto: Martin Sigmund
Jonas Hellenkemper, Foto: Martin Sigmund
Lucas Riedle, Foto: Martin Sigmund
Gilbert Mieroph, Rolf Kindermann, Foto: Martin Sigmund

Caligula

Eine Tragödie der Erkenntnis von Albert Camus · 16+


Schwarzwälder bote, 19. Februar 2025

Tiefe Verachtung verpackt in Silberfolie

(von Christoph Holbein)

Was geschieht, wenn sich maßloser Machtwille paart mit Wahnsinn, wenn ein Politiker nicht mehr durch Ethik, Gesetze und Moral gezähmt ist, das zeigt Albert Camus in seinem Stück „Caligula“ auf. Regisseur Dominik Günther hat das Schauspiel in der Werkstatt des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) inszeniert – mit viel Kreativität.

[mehr lesen]


Reutlinger General-Anzeiger, 11. Februar 2025

Der Kaiser, der den Mond haben wollte

(von Thomas Morawitzky)

Albert Camus’ »Caligula« über den römischen Kaiser wird am LTT zum großen Abend für Jonas Hellenkemper

[mehr lesen]


Schwäbisches Tagblatt, 10. Februar 2025

Wer links raus geht, wird ermordet

(von Peter Ertle)

Ähnlichkeiten und Unterschiede zu heutigen Willkürherrschern: Im LTT tobt nun Albert Camus' Caligula durch sein römisches Kinderzimmer.

Freitag Lindenhof Melchingen: Ein Reicher drangsaliert kraft seines Geldes und der damit verbundenen Macht einen kleinen schwäbischen Hüttenbesitzer (folgt morgen). Samstag Landestheater: Ein Willkürherrscher verbreitet Angst und Schrecken und auch etwas Bewunderung (folgt hier).

Zufall sind solche Themen nicht. Die Welt, im Kleinen wie im Großen, wird momentan einfach von zu vielen durchgeknallten Despoten bevölkert. Camus nun schrieb seinen Caligula als 25-Jähriger, er erschien 1938, da hatte Hitler gerade mal Österreich „heimgeholt“. Dass der Schriftsteller später betonte, sein Stück sei weder ein politisches noch ein philosophisches, mag seiner Angst, verengt, vereinnahmt, in Schubladen gesteckt zu werden, geschuldet sein. „Ein Drama der Erkenntnis“ nannte er das Stück. Ja. Und als solches ist es: Ein philosophisches und politisches Stück par excellence.

Im LTT haben sie ein paar nette Schnörkel eingebaut, um die Wand der so verspielten wie verquast verkopften Kindergedanken dieses narzisstischen, kriminell geistesgestörten Kaisers etwas aufzulockern. Zum Beispiel mithilfe einer hübsch choreographierten Dance-Einlage, samt Song, in einer Dominik-Günther-Regie darf das nicht fehlen. Und gleich zu Beginn darf Caligulas Gespielin Caesonia mit einem „Hat's schon angefangen?“ als verspätete Zuschauerin in die Werkstatt platzen, die raschelnde Chipstüte herausholen und mit einem „Es geht ja immer noch nicht los“ plump, selbstbezogen und kunstverachtend das Ganze hier in Frage stellen. Ähnlich verächtlich, wenn auch etwas süß und komplimenthaft verpackt wird sich später Caligula über Scipios Gedichte äußern. Ja, die Kunst gehört immer zu den ersten Opfern, von den Menschen mal ganz zu schweigen. Bühnenbildnerin Sandra Fox setzt sie hier in eine silbern glitzernde Prunkwelt. Die Staatskasse sei das Wichtigste, überhaupt sei Geld allen Menschen das Wichtigste, deshalb solle Geld auch Vorrang vor dem Menschen haben. So lautet einer der vielen Kurzschlüsse Caligulas, die bequem sind und ihn vielleicht auch mehr amüsieren, als dass er wirklich an sie glaubt. „Die Menschen sterben und sie sind unglücklich“ lautet eine weitere Erkenntnis Caligulas. Warum also so viel Aufhebens um sie machen? Wenn das Unglück doch nur übertönen kann, wer an der eigenen Stärke und Bosheit berauscht?

 

Camus war Mitte 20, als er das Stück schrieb, Caligula war Mitte 20, als er an die Macht kam, Caligula-Darsteller Jonas Hellenkemper ist Mitte 20. Und wenn man sich dazu das eigentümliche Jungengesicht von Elon Musk vorstellt, den unser Caligula mit ein paar Gesten auch mal zitiert, wird daraus schon ein Schuh. Ein bisschen unheimlich wird es, wenn bei Camus Caligulas größte Sehnsucht dem Mond gilt. Und man sich Musks Space X und seine Jugendliebe für Superman und Batman hinzudenkt.

 

Aber weiter, konkreter wird es da nicht in Richtung eines Musk, Putin, Trump, Milei oder – man kann sie nicht mehr alle aufzählen. Was wiederum das Allgemeine angeht, gibt es in der Charakterisierung und psychologischen Motivierung Caligulas mindestens einen großen Unterschied zu den Heutigen, allerdings auch eine große Gemeinsamkeit. Die Gemeinsamkeit zeigt sich vor allem, als Helicon, früher Sklave, nun in Diensten (oder soll man sagen unterm Joch?) Caligulas, sich an den Schriftsteller und Caligula-Mordplaner Charea wendet und ihm sein früheres Sklavenschicksal, sprich die Klassenunterschiede, Lügen und Privilegien in der damaligen Demokratie vorhält, um sich dann als stolzen Caligulianer zu zeigen: Da haben wir genau die Gründe heutiger Demokratieverachtung und Autoritätsverehrung gerade deklassierter Menschen auf dem Tablett. Der große Unterschied aber: Während Caligulas Absage an die Humanität gerade durch das als sinnlos und absurd erkannte Dasein begründet wird, beglaubigen sich die heutigen reaktionären Kräfte und Herrscher nach außen hin gerade dadurch, dass sie bei aller disruptiven Muskelspielerei eine gestrige, scheinbar heile Werte-Welt einer angeblich orientierungslosen, aus den Fugen geratenen Jetztwelt entgegenhalten.

Solange wir es zulassen

Caligula ist insofern dann doch nur: Caligula. Und das Drama über weite Strecken die etwas komplizierte Philosophiestunde eines Irren, der sich irgendwann gottgleich zur Venus kürt. Um ihn herum ängstliche Patrizier (Gilbert Mieroph), Gefolgsleute (Andreas Guglielmetti als Helicon), Gespielinnen (Rosalba Salomon als Caesonia) oder ihm in Grenzen die Stirn bietende Intellektuelle und Schriftsteller (Lucas Riedle als Scipio, Rolf Kindermann als Charea). Vor ihnen hat Caligula Respekt, kann aber halt sein, dass er sie trotzdem über die Klinge springen lässt. Wer rechts rausgeht, wird ermordet, wer links rausgeht, überlebt. Oder genau andersrum. Weil russisch Roulette Spaß macht und in absoluter Willkür die Freiheit am schönsten zur Geltung kommt. Ach, dass Caligulas Leiden an der Welt, sein persönlicher Schmerz (seine geliebte Schwester starb) und eine unbedingte Freiheits- und Lebensliebe ihn zu seiner menschenverachtenden Verirrung gebracht haben, es sollte uns eigentlich egal sein. Die soweit noch verständnisvolle, positive Grundierung des Herrschers hat eh nur damit zu tun, dass der junge Camus leidenschaftliche Selbstverwirklichungs- und Entgrenzungsfantasien hatte, gepaart mit der Sehnsucht nach dem einfachen, sonnenbestrahlten Leben der Kindheit. Das logische Feindbild dazu war die falsche, spießbürgerlich-selbstzufriedene Welt der Lebensflüchter und Allesregulierer. Aber Camus sah bereits, wo das, als Egotrip weitergedacht, endet. Schon damals galten seine Sympathien vielmehr Charea als einem Stellvertreter des erniedrigten und revoltierenden Menschen. 1957 hat der Autor das in seiner Rede anlässlich des Literaturnobelpreises nochmal auf den Punkt gebracht, als er sagte, „dass ein Schriftsteller sich seiner Bestimmung gemäß heute nicht in den Dienst derer stellen kann, die Geschichte machen: er steht im Dienst derer, die sie erleiden.“

Dass Caligua auch seine Caesonia ermordet, am Ende seinen Irrweg erkennt und sich seinen Mördern willig anbietet: haben wir jetzt alles nicht gesehen im LTT. Nur eine gewisse Furchtlosigkeit, eine konsequente Schicksalsbejahung war zu registrieren. Und dass er, obschon mehrfach erstochen, letztlich nicht sterben kann. Beides ist bezeichnend: Die Caligulas werden nie reumütig. Ersticht man einen, wächst irgendwo ein neuer nach. Solange wir es zulassen.


[schliessen]






© 2016     Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen Barrierefreiheit | Impressum