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Schauspiel nach dem Roman von Friedrich Dürrenmatt
Reutlinger Nachrichten, 10. Dezember 2014
Kommissar Zufall spielt auch noch mit
(von Kathrin Kipp)
„Der Wirklichkeit ist nicht mit Logik beizukommen.“ Und Dürrenmatts tragischem Krimi-Ende kommt das LTT mit starken Bildern bei, in einer ansonsten recht kargen Inszenierung in Schwarz-Weiß.
(...)
Regisseur Christoph Roos und Dramaturgin Kerstin Grübmeyer haben eine Theaterfassung geschrieben, in dem der Lockvogel Annemarie (Carolin Schupa) als Erzählerin fungiert. In der Nähe von Zürich wird ein verstümmeltes Mädchen gefunden, der vermeintliche Mörder (Daniel Tille als nervöser Hausierer) legt nach 20 Stunden Verhör ein "Geständnis" ab und begeht Selbstmord. Kommissar Matthäi (Rolf Kindermann) glaubt aber nicht an dessen Schuld und hat der Mutter des Opfers "bei seiner Seligkeit" versprochen, den wahren Mörder zu finden.
Deshalb krempelt er sein ganzes Leben um, mietet mit Frau Heller und deren Tochter Annemarie eine Tankstelle an - in der Hoffnung, dass ihm der Mörder in die Falle geht. Annemarie wiederum erzählt ihre traurige Geschichte vom Ende her: Kommissar Matthäi ist mittlerweile ein Schnapspflegefall und wartet immer noch auf den Mörder.
Bühnenbildnerin Anja Ackermann gibt dem düsteren Psychodrama einen entsprechend schwarzen Hintergrund, der nach und nach mit Fall-Motiven und Ermittlungsskizzen in weißer Farbe bemalt wird: eine karge Szenerie, die mit stählernem Elektrosound (Markus Maria Jansen) auf eiskalte Welt und zeitgenössische Ratlosigkeit getrimmt wird, auch wenn Dürrenmatts Krimidrama eindeutig aus den 50er Jahren stammt, als man noch ohne DNA-Abgleiche auskommen musste und der böse Mann noch schwarz daherkam.
Auch die andern Figuren kommen ein wenig skizzenhaft daher. Aber es geht ja auch weniger um ausgefeilte Charaktere. Sondern darum, wie man sich mit einer einzigen Lebenslüge und neurotischer Rechthaberei komplett zugrunde richten kann. Auch wenn man tatsächlich recht hat. Und so existiert in dieser schwarz-weißen Umgebung nichts außer den Figuren mit ihren verzweifelten Versuchen, irgendwelche Lösungen herbeizuzwingen, die in ihr starres Lebensschema passen.
Rolf Kindermann spielt den leicht ausgebrannten und zwanghaft emotionslosen Kommissar Gnadenlos. Sein Kollege Henzi (Raphael Westermeier) eifert ihm in Sachen Unerbittlichkeit nach, schlägt dabei aber selbstherrlich über die Stränge. Hildegard Maier behält als Polizeichefin den Überblick und ist später als bizarr verstrahlte Ehefrau des Mörders wieder mal eine schauspielerische Wonne.
Mit Frau Heller (Sabine Weithöner) und deren vertrauensseliger Tochter könnte der sozial verkümmerte Matthäi fast noch glücklich werden, hätte er dieses Arrangement nicht seiner fixen Idee geopfert. Als die beiden durchschauen, dass sie von Matthäi übelst benutzt wurden, sind sie entsprechend verletzt, bleiben aber seltsamerweise bei ihm. (...)
Interessant aber ist der dramaturgische Kniff, dass hier ausgerechnet der Mörder (Martin Bringmann als böser schwarzgekleideter Mann mit Handpuppe) den Krimikritiker geben und die Moral von der Geschichte verkünden darf: Dass der Wirklichkeit mit Logik oft nicht beizukommen ist, dass in der Realität der Zufall eine zentrale Rolle spielt und längst nicht so viele Fälle gelöst werden, wie der Krimi das gerne hätte. Und dass das Genre mit seinem Happy-End-Schema dem Publikum vorgaukelt, dass die Polizei die Welt in Ordnung halten könne: "Schriftsteller stellen eine Welt auf, die zu bewältigen ist, aber das ist eine Lüge."
(...)
Reutlinger Generalanzeiger, 9. Dezember 2014
(von Nadine Nowara)
Das LTT zeigt eine Adaption von Dürrenmatts Roman „Das Versprechen“, der Weiterführung des Drehbuchs zu „Es geschah am hellichten Tag“
(...)
Christoph Roos’ Inszenierung von Friedrich Dürrenmatts Roman »Das Versprechen« beschäftigt sich mit menschlichen Abgründen. Anja Ackermanns minimalistisches Bühnenbild ist passend zunächst komplett in Schwarz gehalten. Eine unheimliche Stimmung wird teilweise durch reduzierte Gitarrenklänge, aber auch schrille elektronische Musik erzeugt. Das Setting dient hervorragend dazu, die vielen Szenenwechsel fließend zu gestalten. Die Gewalt wird auf der Bühne nur angedeutet. So wird auf Kunstblut und Schockeffekte verzichtet. Im Hintergrund ist eine schwarze Wand angebracht, die eine Tür beinhaltet. Die Wand fungiert als Tafel, auf der Matthäi seine Gedanken mit weißer Kreide notiert. Der Zuschauer schaut quasi in seinen mehr und mehr von bizarren Gedankengängen bestimmten Kopf hinein. Roos hat Annemarie zur Erzählerin gemacht. Das (potenzielle) Opfer ist so ins Zentrum gerückt. Schupa wechselt gekonnt zwischen der jungen Frau und der Kinderrolle hin und her. Das Mädchen spielt sie unschuldig, süß und frech, aber nie übertrieben kindisch. Das Publikum freut sich hörbar mit ihr und leidet auch mit ihr. Ihr roter Rock ruft Assoziationen an Rotkäppchen hervor. Die bösen Wölfe lauern überall. Lange Zeit kann man sich als Zuschauer nicht entscheiden, ob Matthäi nur ein besonders engagierter Ermittler ist oder seine Kollegen im Recht sind, die sein Verhalten bereits zu einem frühen Zeitpunkt als verrückt abtun. Auf die Seite der anderen Polizeibeamten mag man sich nicht schlagen. Der in seiner Unbarmherzigkeit fast pervers wirkende Kollege Henzi (Raphael Westermeier), wendet unlautere Methoden an, etwa zwanzig Stunden lange »Verhöre«. Seine Chefin (Hildegard Maier) pocht auf Rationalität und wirkt sehr bürokratisch, was anhand eines so hochemotionalen Themas wie Kindsmord nicht unbedingt angebracht ist. Matthäi wirkt dagegen zunächst recht souverän. Sein langsames Abgleiten in den Wahn verkörpert Kindermann glaubwürdig. Matthäi versucht, dem Grauen der Welt durch Rationalität beizukommen. Wie in einem Beckett-Stück wartet und wartet er auf Erlösung, welche der Fanges Mörders mit sich bringen soll. Der Zufall entscheidet letztendlich darüber, ob Matthäi zum leidenschaftlichen Helden erkoren oder als gestörter Verlierer zugrunde gehen wird.
Schwäbisches Tagblatt, 8. Dezember 2014
Kommissar Zufalls Strich durch die Rechnung
(von Wilhelm Triebold)
Dürrenmatts krimi-kritische Nachbereitung „Das Versprechen“, auf der Bühne eingelöst
(...) Ursprünglich als Drehbuch entstanden und mit Heinz Rühmann und Gerd Fröbe erfolgreich verfilmt, wurde "Das Versprechen" von Dürrenmatt selbst in ein "Requiem auf einen Kriminalroman" verwandelt" - (...) ist also eher ein Requiem auf eine Kriminalroman-Verfilmung.
Spannend bleibt's weiterhin, es geschieht auch wieder am helllichten Tag. Doch hier wie dort greift Dürrenmatts Dramentheorie, wie er sie für die "Physiker" formuliert hat: Erst mit der schlimmstmöglichen Wendung ist die Geschichte zu Ende gedacht. Die Wendung ist nicht vorherzusehen, sie entsteht zufällig. Je planmäßiger ein Mensch vorgeht, desto wirkungsvoller trifft ihn der Zufall, Jeder Versuch des Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern. Und: „Im Paradoxen erscheint die Wirklichkeit.“
Damit ist alles wie im Brennglas zusammengeführt. Kommissar Matthäi ist anfangs ein hellwacher, taffer Kriminaler, dem keiner etwas vormacht. Leider auch nicht der Verdächtige, gegen den so viele Indizien sprechen, dass er beinahe selber glauben muss, drei kleine Mädchen gemeuchelt zu haben.
Matthäi, der knallharte Spürhund, hat ein Gespür für Schuld, aber eben auch für Unschuld. Und nimmt deshalb Witterung in eine andere Richtung auf als sämtliche Kriminaler-Kollegen. LTT-Regisseur Christoph Roos drapiert (wie übrigens damals auch Petras) den Kommissar erstmal ausgestreckt auf den Bühnenboden der LTT-Werkstatt, nackt, bedürftig und schutzlos, beinahe ein Pflegefall. So ähnlich werden wir ihm ganz am Ende wieder begegnen, auf verwüsteter Bühne, als Unterlegener auf einem Schlachtfeld, das der Gegner nie betrat.
Bei Beckett heißt es: "Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Es geht ums Scheitern eines Einzelnen, der Gutes will und Schlimmes tut (nämlich Vertrauen missbraucht und ein anderes kleines Mädchen als Köder für die Bestie einsetzt).
Christoph Roos' Inszenierung entwickelt den Fall - der auch den tiefen Fall des ermittelnden Kommissars darstellt - behutsam und folgerichtig, lässt ihn hartnäckig nachhaken, sich hoffnungslos verrennen und ihn schließlich auf der düsteren Bühne von Anja Ackermann sich selbst besudeln auf der Jagd nach dem Unbekannten.
Ist es erst noch Kreide, mir der menetekelhaft die - kindlicher Phantasie entsprungene - Phantomgestalt des Täters in Umrissen festgehalten wird, soll ihn später ein fester Farbanstrich endgültig bannen: starke Bilder und Mittel, die hier die Regie findet und anwendet.
Ohne die entscheidende Dürrenmattsche Pointe preiszugeben - denn nicht alle dürften den Roman gelesen haben-, nur soviel: Kollege Zufall macht dem tapferen Kommissar einen dicken Strich durch die offene Rechnung, die er seit dem Versprechen an die Mutter eines Opfers, nämlich den Täter zu fassen, zu begleichen versucht. Es geht am Ende weniger um die Lösung des Falls als um versagte Erlösung.
Es ist wiederum eine starke Aufführung mit einem starken Ensemble: Rolf Kindermann zeigt sehr schön, wie sich der selbstsichere Kommissar, der sich ja auf der Seite der Guten wähnt, immer mehr verstrickt, bis wirklich "Matthäi am letzten" ist. Geschildert wird der Fortgang der Handlung von dem erwachsen gewordenen Lockvogel-Mädchen Annemarie, und Carolin Schupa springt eindrücklich, mit viel Einfühlungsvermögen, in die arglose Kleinmädchenrolle zurück.
Die restlichen zehn Rollen verteilen sich auf fünf weitere Ensemblemitglieder, die in büchnerhaften Kurzszenen die Geschichte vorantreiben. Daniel Tille gibt einen abweisenden Dorfschulmeister und einen armen Hausierer-Tropf, der in Verdacht gerät und sich in Widersprüchen verheddert. Raphael Westermeier stellt den aufstrebenden Kriminal-Ermittler Henzi als einen karrierebewussten Prinzipienreiter auf dem Holzweg dar. Hildegard Maier spielt eine gestrenge Polizeichefin und die noch strengere Übermutter, die nachher als Ursache allen Psychopathen-Übels gelten darf.
Sabine Weithöner ist Annemaries patente Mutter, die dem jagdfiebernden Kommissar sogar noch mehr Sympathie und Vertrauen entgegen bringen muss als die Mutter des zuletzt ermordeten Kindes (dies ist Weithöners zweite Rolle). Und schließlich Martin Bringmann: Er vereint gleich drei Rollen auf sich, vom jungen Vater über den Psychologen bis hin zum posthum hinzugezogenen Lustmörder. Sie alle machen ihre Sache gut bis ausgezeichnet.