Versetzt in die Besenkammer, das Telefon nach zehn Tagen immer noch nicht freigeschaltet: Bea Mtinnen (Susanne Weckerle) wurde abgesägt (oben). Die Kollegen an Drucker (Stephan Weber) und Aktenordner (Hannah Jaitner) plagen andere Probleme. Bild: LTT
Und plötzlich ist es ganz still. Das Gequassel an Telefon und auf dem Flur verstummt, die Hektik weicht, die Blicke treffen sich. „Wir würden demnächst gerne mal Ihre Steuerunterlagen.“ Der Satz bleibt hängen: Wenn es um die Steuerunterlagen geht, fühlt sich jeder angesprochen. Und so gesehen ist der Schauplatz, das Finanzamt, prädestiniert fürs Theater. Was passiert hinter den Bürotüren, in den Pausenräumen und auf den Fluren? Was denken die Mitarbeiter über die eingereichten Erklärungen? Wie fallen die Entscheidungen? Prüfen die das jetzt wirklich alles, oder winkt da auch mal jemand was durch?
In „Der Fiskus“ beleuchtet Felicia Zeller viele Facetten der Finanzwelt, die sonst hinter Bürotüren verborgen liegt. Marlene Anna Schäfer inszeniert das Stück am LTT mit viel Tempo und Tiefe, humorvoll und ein bisschen hyperaktiv. Ohne so manches Finanzamt-Klischee, graue Gänge und Räume, Kopierer und Kaffeemaschine, Tacker und Bürogymnastik, geht das wohl nicht. Boden, Wände, Türen, Tische, Stühle, Kostüme: alles grau, in den unterschiedlichsten Tönen, der Graubereich ist hier groß. Und Farbtupfer gibt es nur wenige (Bühne und Kostüme: Jan Hendrik Neidert und Lorena Díaz Stephens).
Grau und uniform bleiben die Figuren aber nicht, auch wenn sie nur zögerlich aus ihrer begrenzten Welt treten, sie bekommen Farbe, sie haben Träume, erleben Schicksale – und ja, auch sie müssen ihre Steuererklärungen machen. Die Konstellation: Die Dienstälteste in der Abteilung Bea Mtinnen (Susanne Weckerle) ist zuverlässig („Das kann ich eigentlich gar nicht fassen, wie zuverlässig ich bin“) und deckt einen Steuerskandal auf. Die Beförderung bekommt aber die jüngere Kollegin Nele Neuer (Jennifer Kornprobst), die gute Rationalisierungsideen mitbringt, von einem Insta-Amt und einer Partnervermittlung nach dem Prinzip „Matching anhand der Kapitalertragssteueranträge“ träumt und eher zum Team „Qualifiziertes Durchwinken“ gehört. Fatma Tacker (Julia Staufer) ist eine engagierte Betriebsprüferin, die das Betriebsprüfen auch beim Zahnarzt nicht lassen kann. Schließlich das Paar Elfi Nanzen und Reiner Lös (Hannah Jaitner und Stephan Weber): Er ist nebenberuflich Singer/Songwriter, sie nebenberuflich Assistentin eines nebenberuflichen Singer/Songwriters. Sie freuen sich auf den ersten Kinderfreibetrag, dann kommt die Ehekrise.
Ziemlich zäsurlos knüpft Schäfer die Szenen mit Einblicken in Berufswelt und Privatwelt der Finanzbeamten aneinander, die immer sicher über das Steuerrecht miteinander verbunden sind. Da geht es um Lehrer („Beamten sind die schlimmsten“), die versuchen, alles von der Steuer abzusetzen. Um handschriftliche oder getackert eingereichte Dokumente und um die Grenzen zwischen „kann genehmigt werden“ und „müsste aber abgelehnt werden“. Das ist lustig, solange es um die kleinen Betrügereien der Kategorie „man kanns ja mal versuchen“ geht. Ernst wird es, wenn das Stück den Blick auf den Cum-Ex-Skandal lenkt. „Nein, die Kapitalertragssteuer darf grundsätzlich nur zurückerstattet werden, wenn sie bezahlt wurde.“ Die Hilflosigkeit, wie das Team mit seinem Skandal umgeht, ist bezeichnend. Diejenige, die ihn entdeckt, landet in der Besenkammer. Die Chefin möchte den Erfolg für sich verbuchen und träumt von der großen Karriere.
Der Stoff ist dankbar: Schließlich lässt sich jede Lebenssituation in irgendeiner Form im Steuerrecht abbilden. Und die Amtssprache, ob es sich nur um einzelne Vokabeln oder um präzise Beschreibungen, wann welche Steuerbegünstigung möglich ist, handelt, das ist ja schon Komik. Stück und Inszenierung nehmen das gerne auf. Aber es ist nicht der Kern. Die Sprache ist sehr kunstvoll und hat starke Wirkung. Kommunikationsformen wechseln, Textpassagen wiederholen sich, Sätze enden im Nichts oder lassen Lücken: Das zieht sich durchs Stück und sorgt für Atemlosigkeit und Unruhe, für ein Gefühl von Unvollständigkeit.
Und was wird aus dem Steuerexperten-Pärchen? Nun, die Trennung bedeutet für beide eine schlechtere Steuerklasse. Ein gewichtiges Argument dagegen.
Unterm Strich
Jede Lebenssituation lässt sich irgendwie im Steuerrecht abbilden, und was hinter den grauen Bürotüren im Finanzamt passiert, hat sich doch auch schon jeder mal gefragt. Der Stoff ist prädestiniert fürs Theater. Marlene Anna Schäfers Inszenierung des Stücks „Der Fiskus“ am LTT ist auf jeden Fall sehenswert.
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