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Weihnachtskomödie von Patrick Barlow unter Mitarbeit von Jude Kelly und Julian Hough, Deutsch von Volker Ludwig und Ulrike Hofmann
Schwäbisches Tagblatt, 1. Dezember 2014
(von Achim Stricker)
Finale mit Rauschgoldengel: Die Weihnachtskomödie "Der Messias" von Patrick Barlow hatte im LTT/oben Premiere
Tübingen. Diese Weihnachtskomödie mit Kultstatus und typisch britischem Humor schrieb Patrick Barlow 1983 für den eigenen Hausgebrauch am legendären Londoner "National Theatre of Brent". Die Spezialität der Zwei-Mann-Bühne: größte Klassiker mit kleinstem Aufwand an Kostüm und Requisiten - und eben alle Figuren von nur zwei Darstellern in halsbrecherisch rasantem Rollen-Hopping verkörpert. Das verspricht hochpotenziert akrobatischen Theatersport. Zugleich wird der Theaterbetrieb, zumal die gute alte "Schmiere", selbstironisch auf den Arm genommen.
In "Der Messias" versucht eine heruntergekommene Wandertruppe, zu zweit die figurenreiche Weihnachtsgeschichte zu stemmen. Gotthard Sinn gibt den liebenswürdig schrulligen Theaterdirektor Theodor Stolze-Stadermann, ein kleiner Bühnen-Herrgott mit Ambitionen zum Welttheater und Vorliebe für Stichwort-präzise Publikumsbeteiligung. Stolze-Stadermanns bestes und einziges Bühnen-Zugpferd ist der neurosengeplagte Schauspieler Bernhard. Und Patrick Schnicke läuft in der knapp 90-minütigen Inszenierung von Lars Helmer zur Höchstform auf: In fliegendem Wechsel turnt er mitunter parallel durch acht verschiedene Rollen, Kostüme und Dialekte - bis hin zum Ruhrpott-Herodes ("Dat winzisch klaine Kackbaby!") oder der hemdsärmeligen Hebamme in der gnadenlos trockenhumorigen Geburtsszene. Schlicht und einfach umwerfend ist Schnicke als Maria. Schon allein wie der dahergelaufene Zimmermann Josef (Sinn) um die kapriziöse Jungfrau wirbt, die eigentlich Schriftstellerin oder Independent-Filmemacherin werden wollte, ist sehenswert. Die Textvorlage hat dort ihre größten Stärken, wo sie in Kontrastkomik Bibelwort und Alltagssprache aufeinanderprallen lässt, vor allem beim Ehekrach in der Heiligen Familie. Britischer Humor, der an Monty Pythons Religionssatire "Das Leben des Brian" (1979) erinnert. Maria entsetzt zum Verkündigungsengel: "Ich bin doch erst 14!" Oder in Erklärungsnot gegenüber Josef: "Ist es jemand, den ich kenne?" "Es ist ein Wunder - nicht fragen!" "Ach ja, was hat der Engel zu dir gesagt!? Mir ist er auch erschienen!" Da ziehen Sinn und Schnicke alle Register.
Und wenn auf Stolze-Stadermanns Schmierentheater alle Stricke reißen, weil der Chef mal wieder eine Schaffens-, Identitäts- oder Glaubenskrise hat oder weil Schauspieler Bernhard aus Überidentifikation mit seinen Rollen in die nächste Neurose kippt, dann springt die Assistentin Frau Timm (Laura Sauer) ein und versucht mit Weihnachtslied-Einlagen und verzweifelt tapferem Keep Smiling weihnachtliche Stimmung zu zaubern. Und auch das Premieren-Publikum wurde am Freitag im vollbesetzten LTT-Oben kräftig einbezogen, etwa als murrender Volkszorn angesichts der augustinischen Volkszählung ("Du denkst wohl, wir sind deine Schafe!?"). So zugkräftig der Humor in der parodierten Weihnachtsgeschichte, so sperrig und mühsam wirkt mitunter die Rahmenhandlung. Die in den 1980ern angesagte modische Metatheatralität mit mehrfach verschachtelten und durcheinander geratenden "Spiel im Spiel"-Ebenen von "Realität" und "Fiktion", "echter Identität" und "Rolle" wirkt aus heutiger Sicht etwas angestaubt und zeitverhaftet. Manches davon wurde zwischenzeitlich auch schon allzu oft in zahllosen Bühnenstücken und Filmen durchgespielt, mancher Gag wird etwas überstrapaziert. Dennoch holen Darsteller und Regie auch wiederum einiges heraus. Patent und raffiniert Kay Anthonys Minimal-Kostüme und sein Bühnenbild, das sich im Nu von einem klobigen Holzkasten in ein goldgerahmtes Proszenium verwandeln lässt. Und wenn alles zusammenbricht: The Show must go on. Es winkt ein Finale mit Rauschgoldengel. Achim Stricker
Reutlinger General-Anzeiger, 1. Dezember 2014
Krippenspiel mit Unzulänglichkeiten
(von Monique Cantré)
Patrick Barlows »Messias« verfehlt auch in der Neuinszenierung im LTT seine belustigende Wirkung nicht
TÜBINGEN. Den Zustand »Bohrende Einsamkeit in einem Zimmer in Lustnau« hat Bernhard in Esperanto-Körpersprache übertragen, wobei er die Bohrwindungen erstaunlich wendig mit den Hüften demonstriert. Bei der imposanten bärigen Gestalt von Patrick Schnicke ist dies natürlich von ganz besonderem Reiz. Wie auch seine Verkörperung der 14-jährigen Maria, die munter der Jungfrauengeburt im Stall von Betlehem entgegensieht.
Bernhard ist der Juniorpartner von Theodor Stolze-Stadermann, den Gotthard Sinn als relativ abgebrühten Schmierenschauspieldirektor der Abendländischen Bühne Tübingen zeichnet. Er spielt Josef und genehmigt sich bei der Herbergssuche eine kleine Chaplin-Einlage. Gemeinsam bringen die beiden die Weihnachtsgeschichte auf die Bühne – präsent in allen Rollen und verfolgt von Pannen und Patzern.
Seit den 80er-Jahren ist die Weihnachtskomödie »Der Messias« von Patrick Barlow auf vielen Bühnen ein adventlicher Spaß. Auch am Landestheater (LTT) war sie in der Intendanz Knut Weber vor knapp zwanzig Jahren ein Bühnenhit mit Wiederaufnahme. Damals gab es evangelikale Proteste in Form von frommen Liedern vor dem Theater.
Wenn man sich heute durch die Aufführung lacht, erscheint ein Blasphemie-Vorwurf gar nicht mehr denkbar, denn das Genre Comedy hat mittlerweile so gut wie alle Tabus geknackt. Und Barlows »Messias« hat trotz allem theatralen Jux nie am Wunder von Christi Geburt gekratzt. Im Gegenteil: Theo und Bernhard gehen mit heiligem Ernst an die Sache. Dass ihre darstellerischen Mittel hinterherhinken, steht auf einem anderen Blatt.
Klappbühne mit Goldrand
Die Inszenierung von Lars Helmer auf der kleinen Bühne im LTT-oben hat von Kay Anthony eine wandertaugliche Kulisse in Form von zwei großen Schrankkisten verpasst bekommen. Aus der größeren Holzkiste entfaltet sich eine Klappbühne mit rotem Vorhang und Goldrahmen samt Lametta-Fransen – um am Ende fulminant auseinanderzubrechen. Die kleinere Kiste dient als Einstieg in die Katakomben des Herodes, was bei Bernhard einen klaustrophobischen Schock auslöst, und – o Gott – als Muttermund.
Den beiden Rollen-Allroundern Bernhard und Theo steht mit Frau Timm, gespielt von Laura Sauer, eine affektiert bemühte Souffleuse zur Seite, die auch Weihnachtslieder zum Besten gibt und zum Jubel über das kleine Jesulein das Halleluja aus Händels »Messias« schmettert, über und über mit Lämpchen geschmückt wie ein Christbaum.
Viel Spaß bereitet die Aktivierung des Publikums, das akustische Handreichungen und Volks-Murren abliefern darf. Und witzig ist natürlich, was aus dem 21. Jahrhundert ins »Jahr Null vor Christus« rutscht, wie Bionade, Wellness oder der Kühlschrank in Marias Wohnung. Dort sitzt sie Tag für Tag am Fenster und stickt einen 30 Meter langen Tempelvorhang. Eine besondere Komik besitzt natürlich der eklatante Größenunterschied der voluminösen Maria und ihres schmächtigen Josefs. Die beiden können sich auch mal einen Ehestreit liefern, dass die (imaginären) Fetzen fliegen, genauso – aus den Rollen fallend – über die Darstellungsformen. Das Premierenpublikum am Freitagabend war begeistert. Weitere Vorstellungen sind am 4., 5., 7., 10. und 13. Dezember.
Reutlinger Nachrichten, 1. Dezember 2014
(von Kathrin Kipp)
Drei Mimen am Rande des Nervenzusammenbruchs vor einstürzenden Bühnenbauten: Regisseur Lars Helmer zeigt am LTT mit trashigem Krippenspiel, wie grandios man an göttlichen Projekten scheitern kann.
Die "Abendländische Bühne Tübingens" ist eine Zwei-Mann-Wandertruppe mit Hilfskraft. Sie ist spezialisiert auf "experimentell pubertäres, äh, populäres, zeitgenössisches Theater". Mit ihrer Kunst dringen sie gerne mal in himmlische Sphären, "wo gewaltige Kräfte mit dem irdischen Rheuma, äh, Trauma ringen".
Theodor Stolze-Stadermann (Gotthard Sinn) und Bernhard (Patrick Schnicke) betrachten sich im Stück-im-Stück-Stück von Patrick Barlow als Experten für große Themen und noch größere Gesten. Sie wollen nichts weniger als das Göttliche in die Welt bringen und versuchen sich deshalb an der großen Erzählung des Christentums, der Weihnachtsgeschichte.
An der haben sich ja nicht nur zahlreiche Philosophen und Theologen bereits wund hermeneutisiert, sondern arbeiten sich alljährlich auch ganze Heerscharen von Kindern per Krippenspiel ab. Eine große künstlerische Herausforderung also, an der die beiden Chaoten natürlich grandios scheitern, nicht zuletzt, weil sie so eitle und sensible Seelen sind.
Ein typisches Aufstehen-Krone-richten-Weitermachen-Duo, in gepflegter Hassliebe einander verbunden, genauso wie Maria und Joseph, deren Beziehungskiste viele Parallelen zum mindestens ebenso auserwählten Paar Theo und Bernhard aufweist.
Trotz der transzendentalen Tragweite der Weihnachtsgeschichte sind Theo und Bernhard unter der Regie von Lars Helmer um ein naives, streng authentisches Spiel bemüht, das abwechselnd knackig lustig, aber natürlich auch hemmungslos albern daherkommt, mit viel Klamauk, Slapstick und schrottigen Requisiten. Auch wenn das Duo infernale der Theaterkunst hin und wieder mit der Kraft der Imagination arbeitet (beispielsweise existiert der Esel nur pantomimisch), schaffen sie recht viel Naturalismus herbei, mit echten Engelsflügeln, fast echtem Schnee, liebevoll gemalten Schafe, leuchtenden Sternen, kunstvollen Kostümen und echtem Weihrauch, der bei einem der drei Morgenland-Weisen aus der Handtasche qualmt.
Aber wie jeder weiß, je authentischer, desto Panne und desto Trash. Damit das künstlerische, persönliche und metaphysische Scheitern möglichst wirkungsvoll vonstatten geht, hat Bühnenbildner Kay Anthony eine goldig vertrackte Wanderbühne mit rotem Vorhang konstruiert, die sich aus einer schlichten Holzkiste entfalten kann und am Ende effektvoll in sich zusammenkracht.
Auf einer anderen Kiste bringen die beiden Kaputtniks das heilige Baby zur Welt: Patrick Schnicke als coole Hebamme, Gotthard Sinn als leicht überforderter Joseph, ein Moseskörbchen als Maria. Und so wird's natürlich immer in den heiligsten Momenten am trivialsten, sprich: Fallhöhe.
Was nicht materiell dargestellt werden kann, wird pantomimisch zum Ausdruck gebracht. Patrick Schnickes crazy Bernhard verfügt über einen Riesenwortschatz in "körpersprachlichem Esperanto", leistet aber auch Übersetzungshilfe, wenn er beispielsweise seine "bohrende Einsamkeit in einem Zimmer in Lustnau" als lebendige Skulptur performt. Seiner Madonna gibt Patrick Schnicke ein sehr menschliches Gepräge, als riesengroße, dafür umso empfindlichere, leicht zickige und tuntige Maria in blauem Umhang, die ihre Einsamkeit mit "Sudoku-Rätselspaß" vertreibt.
Bis mit Joseph die große Liebe, aber auch viel Trouble in ihr Leben tritt. Immer wieder steigen Bernhard und Theo aus ihren Rollen heraus, um sich ihren Befindlichkeiten und Sinnkrisen zu widmen: "Ich versuch' mich an einem Stück übers Göttliche und krieg selbst nichts gebacken", heult Theo, während Bernhard vor seinen Klaustrophobie-Attacken wegläuft.
Gerne würden sie mithelfen, die Welt zu heilen, wenn sie nicht ständig wie Maria und Joseph ihre Alltags- und Daseinskrisen zu bearbeiten hätten. Publikumsbeteiligung ist in so einer Parodie aufs Leben und die hehre (Theater-)Kunst natürlich Pflicht, und so stiftet ein als Arafat verkleideter "Bürgermeister" das Volk zum Widerstand gegen die römische Obrigkeit an.
Für heilige Stimmung wiederum sorgt Laura Sauer als verklemmte und falsch zugeknöpfte Frau Timm, ein wahres Engelchen, das die Weihnachts-Hits aus dem Kirchengesangbuch singt: Herzallerliebst.
Von den beiden Egozentrikern wird sie künstlerisch leider sträflich missachtet. Man vergisst sogar beinahe ihren großen Auftritt als Superleucht-Cherub mit Wahnsinns-Engelshaar, Händels "Halleluja" und Batteriewägelchen im Schlepptau. Alles in allem also eine ganz unterhaltsame, aber vor allem sehr liebevoll gespielte Komödie über das kunstvolle Scheitern an großen Projekten.