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Märchenparodie nach der gleichnamigen Graphic Novel von Øyvind Torseter · Aus dem Norwegischen von Maike Dörries · Deutschsprachige Erstaufführung · 10+
Schwäbisches Tagblatt, 19. September 2023
Vom Wohnzimmer zur Horrorhöhle und der Weg dazwischen
(von Dorothee Hermann)
Die skurrile Märchenparodie „Der siebente Bruder oder Das Herz im Marmeladenglas“ des Jungen LTT feiert nebenbei das Theater und die verblüffende Wandlungsfähigkeit von Dingen und Menschen.
In einem stinknormalen Wohnzimmer geht es los. Es ist fast ein bisschen eng für die drei Figuren, bei denen man sich gleich fragt, wer ist wer? Vater, Sohn, zweiter Vater? Immerhin liegt ein Zauberwürfel auf dem Nierentischchen, und gewissermaßen Klick für Klick wandelt sich die Szenerie vom Alltäglich-Engen bis zur gewaltigen Höhle des finsteren Trolls mit den magischen Kräften.
Am Samstag brachte das Junge LTT, das Kinder- und Jugend-Ensemble am Landestheater Tübingen, das Märchenstück „Der siebente Bruder oder Das Herz im Marmeladenglas“ in deutschsprachiger Erstaufführung auf die Bühne: spannend, lustig und bisweilen gruselig. Regisseur Lukas Goldbach hat die Graphic Novel des Norwegers Øyvind Torseter umgesetzt.
Die drei auf der Bühne tippen mal kurz allerlei bekannte Märchen an, als würden sie Ansätze von Geschichten und von Möglichkeiten durchspielen, bevor sie beim für sie vorgesehenen Stoff haltmachen.
Leicht verfremdet erkennt man „Rotkäppchen“, „Hänsel und Gretel“, „Der Wolf und die sieben Geißlein“. Vor allem spürt man, welcher Zauber von der mächtigen Beschwörungsformel „Es war einmal“ ausgeht; erst recht, wenn sie mehrstimmig von einer Theaterbühne aus vorgetragen wird (ein bisschen leiernd ironisiert, weil schon so häufig eingesetzt).
Wieder kann man sich fragen, wer ist wer? Der traurige König (Michael Mayer), der um seine scheinbar verlorenen sechs älteren Söhne weint, war kurz zuvor noch der Erzähler. Die knallroten Borsten eines Handfegers werden zur Mähne des Pferdes (Toni Pitschmann). Das unwillige Reittier soll den siebten Bruder Hans (Sophie Aouami) zu dem gefährlichen Troll befördern, der Hansens sechs Brüder samt ebenso vielen Prinzessinnen versteinert hat. Unterwegs vervielfachen die Verwandlungen sich noch. Unter anderem mutieren die vier biederen Zimmerpflanzen aus dem königlichen Wohnzimmer zum üppigen Wald (Bühne und Kostüme: Nanako Oizumi), den der Erzähler durch mehr oder wenige unheimliche Geräusche bedrohlich lebendig macht, während er sich parallel in ein Raubtier verwandelt.
Anders als sein Vater verliert Hans sich nicht in seinem Kummer. Er bricht auf zu seiner gefährlichen Mission, bei der er erst noch das Pferd motivieren muss, das sich zudem sein Schnauben und Hufeklappern selbst erzeugen muss, was Kinder im Publikum zum Lachen bringt. Den erstaunlichsten Rollenwechsel hat das Tier da noch vor sich.
Auf seinem Weg zur Höhle des Ungeheuers kommt Hans immer wieder in Situationen, in denen er sich selbst gut zusprechen muss. Sein Ermutigungsspruch „Let’s go“ trifft nicht ganz die korrekte englische Aussprache, wirkt aber so mitreißend, dass Kinder ihn schon während der Aufführung nachsprechen.
Unterm Strich
Bietet eine spannende Geschichte mit einigen ziemlich gruseligen Stellen, und schafft das Kunststück, an einem begrenzten Ort eine Art Roadmovie in Gang zu setzen. Verblüfft durch vielfache Wandlungsfähigkeit – auf der Bühne sowieso, aber auch auf das richtige Leben zu beziehen: wenn sich jemand etwas traut wie der siebente Bruder oder wie die Prinzessin, die keine mehr sein will.
Reutlinger General-Anzeiger, 8. September 2023
Parodie mit Action und Köpfchen
(von Christoph B. Ströhle)
Das Junge LTT zeigt das Stück »Der siebente Bruder oder Das Herz im Marmeladenglas«. Grundlage ist eine Graphic Novel von Øyvind Torseter.
Kinder lieben es, wenn man ein Märchen immer wieder im selben Wortlaut erzählt. Dabei gäbe es so viele Herangehensweisen und Arten, eine halbwegs bekannte Geschichte auch anders zu erzählen. Wer ist Heldin oder Held, wer Bösewicht? Und braucht es unbedingt eine Prinzessin, die gerettet werden muss?
Das Junge LTT nimmt diese berechtigten Fragen ernst, lässt sie im Stück »Der siebente Bruder oder Das Herz im Marmeladenglas« mit anklingen, das am Samstag auf der Werkstatt-Bühne des Landestheaters Tübingen Premiere feierte. Viel bejubelt nicht zuletzt vom jungen Publikum (das Stück ist empfohlen für Zuschauerinnen und Zuschauer ab zehn), das nach der Aufführung den ständig wiederholten und von einer zackigen Handbewegung begleiteten Motivationsspruch eines der Protagonisten – »Let’s go!« – als geflügeltes Wort auf den Lippen hatte.
Hans zieht mit einem klapprigen, wenig auf Abenteuer erpichten Pferd los, um seine von einem Troll zu Stein verwandelten Brüder zu retten. Und ihre Bräute gleich mit. Ausgehend von der mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2018 ausgezeichneten Graphic Novel »Der siebente Bruder« des Norwegers Øyvind Torseter schickt Regisseur Lukas T. Goldbach in der deutschsprachigen Erstaufführung Hans in Situationen, in denen er gut, und andere, in denen er weniger gut aussieht. Wie er beispielsweise den Wolf austrickst und dabei voraussetzt, dass das völlig okay ist, weil dieser per se böse ist, ist wenig rühmlich. Andererseits beweist er Mut beim Einsatz gegen den Troll und hilft einem Elefanten, der ihm später ebenfalls aus der Patsche hilft.
Sophie Aouami, Michael Mayer und Toni Pitschmann spielen alle Rollen. Sophie Aouami ist als Hans gefordert, Michael Mayer als König, Troll und in weiteren Rollen, Toni Pitschmann etwa als Pferd und als vom Troll gefangen gehaltene Prinzessin. Wenn man davon ausgeht, dass es nun mal eine Prinzessin geben muss. Allen gemeinsam ist die Lust, Rollenklischees auf den Kopf zu stellen. Und während Hans versucht, das Herz des Trolls, das dieser an einem unbekannten Ort eingelagert hat, aufzuspüren und zu zerstören, sagt die namenlose Prinzessin dem Troll mal gehörig die Meinung. Was nicht ohne Wirkung bleibt, von Hans aber, der ganz im Action-Modus ist, gar nicht bemerkt wird.
Erstaunlich ist, dass dem Jungen LTT der Spagat gelingt, die Märchenwelt zu parodieren und gleichzeitig mit einem spannend erzählten Märchen zu fesseln. Immer mit einem Augenzwinkern, mit Action und Köpfchen beziehungsweise dem Anspruch, Althergebrachtes zu hinterfragen.
Das launige Spiel des Darsteller-Trios, anfangs ein bisschen überzogen, trägt viel zum Reiz der Inszenierung bei. Ebenso die von Nanako Oizumi (auch verantwortlich für die Kostüme) entworfene Bühne, die aus Alltagsgegenständen im heimischen Wohnzimmer eine quietschbunte, in Teilen gruselige Fantasie-Welt erstehen lässt.