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Kriminalkomödie von John Buchan / Alfred Hitchcock in einer Bühnenbearbeitung von Patrick Barlow nach dem Originalkonzept von Simon Corble und Nobby Dimon
Aargauerzeitung, 17. November 2014
Ein genialer Thriller für die Lachmuskulatur
(von Rosmarie Mehlin)
Das Kurtheater-Publikum weinte Tränen bei «Die 39 Stufen». Das Landestheater Tübingen hat den Hitchcock-Thriller auf die Bühne gebracht.
Der Name Alfred Hitchcock ist gleichsam ein Synonym für Spannung und Thrill. Zig Mal erlebt: Mit schweissnassen Händen tief in den Kinosessel gedrückt, kaum noch in der Lage das Ragusa oder Popcorn zu kauen, atemlos und gebannt auf James Stewart, Grace Kelly, Antony Perkins, Doris Day starrend ... Und nun Hitchcock auf der Bühne. Als Film habe ich «Die 39 Stufen», 1935 von Sir Alfred nach dem Roman seines Landsmanns John Buchan gedreht, nie gesehen. Also habe ich mich vor dem Theaterbesuch, Wikipedia sei Dank, mit dem Inhalt vertraut gemacht.
Vertraut ist masslos übertrieben, dazu ist die Geschichte viel zu vertrackt: Spionage, Geheimagenten, politische Verstrickungen, ein schrecklicher Mord, Verfolgungsjagden, eine gemeine Verräterin – uff – wer blickt da noch durch? Vermutlich hat dies am Freitagabend kaum ein Zuschauer im Kurtheater. Andererseits hat sich bestimmt niemand gelangweilt, obwohl weder Gruseln noch schweissnasse Hände angesagt waren. Dafür umso mehr tränende Augen – vor lauter Lachen!
Hitchcock hatte die Geschichte mit zehn Schauspielern verfilmt. Das Landestheater Tübingen bringt sie mit vier auf die Bühne. Davon spielt nur einer den ganzen Abend dieselbe Rolle: Martin Bringmann gibt den gelangweilten Lebemann Richard Hannay, der in einen mörderischen Strudel von Verwechslungen und Intrigen gerät, mit britischen Understatement. Vor allem aber tut er dies komisch überhöht, schräg und verquer wie die ganze geniale Inszenierung von Kai Festersen ist und wie auch die drei weiteren Schauspieler agieren.
Sie schlüpfen teilweise schneller von einer Rolle in eine andere, als eine Windbö einem den Hut vom Kopf reisst. Laura Sauer begeistert als mysteriöse «femme fatale» ebenso, wie als schottische Bauersfrau und als Verräterin. Heiner Kock brilliert in 15 Rollen – darunter auch zweimal als eine Misses – Andreas Gugliemetti verwandelt sich gar 19 Mal. Die beiden Schauspieler reissen aber nicht «nur» als Conférencier, Genie, Spion, Vertreter für Dessous und weitere Figuren mit, sondern auch als Dornbusch, Kuh, Fledermaus, Felsspalte, Fluss.
Der Fantasie und dem Einfallsreichtum des Regisseurs sind ebenso keine Grenzen gesetzt, wie dem komödiantischen Temperament und der unbändigen Spiellust der vier Schauspieler. Gekonnt tänzelnd auf dem schmalen Grad von Komik, Satire und Parodie, stürzen weder Regie, noch Darsteller je ab in den Sumpf von billigem Klamauk. Ergänzt von bestechenden Einfällen der Bühnen- und Kostümbildnerin Beate Zoff, hat das LTT dem Badener Publikum einen, von der ersten bis zur letzten Minute atemberaubend mitreissenden und urkomischen Abend beschert, der mit langem und begeisterten Applaus verdankt wurde.
Schwarzwälder Bote, 27. Oktober 2014
Auf 39 Stufen zur boulevardesken Unterhaltung
(von Christoph Holbein)
Wer sich einfach mal nur amüsant unterhalten lassen möchte, der ist beim Stück „Die 39 Stufen“ am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) bestens aufgehoben.
Von Christoph Holbein
(...) In seiner Interpretation nach den Vorlagen von John Buchan und Alfred Hitchcock eröffnet Regisseur Kai Festersen seinen Schauspielern eine große Spielwiese, auf der sich das vierköpfige Ensemble denn auch ausgiebig tummelt. Komödiantisch hüpfen, verrenken und stolpern Martin Bringmann, Laura Sauer, Andreas Guglielmetti und Heiner Kock von einer Albernheit in den nächsten Slapstick, untermalen die verschiedenen Figuren, in die sie schlüpfen, mit überzogener Körperlichkeit und schaffen mit minimalistischen Mitteln aberwitzige Szenen: Da gibt es auch eine Parodie auf Hitler. Dazu bietet Beate Zoff mit dem mobilen Bühnenbild – das Ensemble baut auf offener Bühne vor dem Publikum um - den passenden Rahmen: ein paar Kisten, Leitern, ein Kuhgatter und – genial – eine beidseitig nutzbare Tür.
Aber mit Hitchcock, der mit seinen Filmen Generationen von Zuschauern das Blut in den Adern gefrieren ließ, hat das wenig zu tun, vielmehr mit Stan Laurel und Oliver Hardy, mit Klamauk und Klamotte, mit einer Persiflage in bester Kintopp-Manier. Das fängt bei den Kostümen im Stil der 1930er/1940er-Jahre an, geht über die grelle Maske mit ihren überbetont geschminkten Gesichtern und endet in der schrillen, schrägen, skurrilen, überzogenen Mimik, die an Stummfilmzeiten erinnert.
Das ist überaus plakativ pointiert, im Spiel sicherlich punktgenau und durchaus witzig, aber dabei auch immer wieder überzeichnet und überdreht. Gespielt ist es entlang der inszenatorischen Vorgaben treffend und originell, auf den Punkt. Aber mehr als Unterhaltung ist es nicht, auch wenn die Hauptfigur Richard Hannay in seiner Rede für eine Welt ohne Grausamkeit und Furcht plädiert. Es bleibt unverbindlich, nett, mit ein paar humorigen Einfällen. Insoweit muss sich der eingefleischte LTT-Zuschauer, der sich bislang immer mit etwas zum Nachdenken auf den Nachhauseweg gemacht hat, erst an diese eher oberflächliche Theater-Comedy gewöhnen.
Reutlinger Generalanzeiger, 27. Oktober 2014
(von Martin Bernklau)
Entlang der Handlung (..) des frühen Filmklassiker von Alfred Hitchcock dürfen sich da vier Schauspieler geradezu austoben in Comedy, Slapstick und so einer Art perfekt getimtem Impro-Theater – very, very british, dem Monty-Python-Humor verpflichtet und voll von allen nur denkbaren Anspielungen.
Hitchcock-Adaption »Die 39 Stufen« von Patrick Barlow feiert Premiere am LTT. Zwei Schauspieler jagen durch 34 Rollen und sind dabei richtig gut
Von Martin Bernklau
TÜBINGEN. Das LTT ist gerade noch beim Schaulaufen unter seinem neuen Intendanten Thorsten Weckherlin. Man setzt da Marken, haut die Inszenierungen nur so raus. Eine übermütig durchgeschüttelte Hitchcock-Adaption kann da die letzte Lücke füllen, und vier neuen Ensemble-Mitgliedern ihren Auftritt geben. Am Freitagabend hatten »Die 39 Stufen« ihre ausverkaufte Premiere.
Der Autor Patrick Barlow hat das 2005 schon entsprechend eingerichtet, als Farce: So gerade so eben noch entlang der Handlung dieses etwas angejahrten John-Buchan-Krimis von 1915 und des frühen Filmklassiker (1935) von Alfred Hitchcock dürfen sich da vier Schauspieler geradezu austoben in Comedy, Slapstick und so einer Art perfekt getimtem Impro-Theater – very, very british, dem Monty-Python-Humor verpflichtet und voll von allen nur denkbaren Anspielungen.
Kai Festersens Inszenierung bemüht sich um Vieles, aber gar nicht mehr besonders um die Geschichte, um die Handlung dieses Spionage-Thrillers, mit der schon Hitchcock sehr freihändig umging. Irgendwie wird sie immer weniger wichtig und gerät dann ganz aus dem Blick zugunsten eines Feuerwerks von Szenen mit Sketch-Charakter.
Atemloses Panoptikum
Martin Bringmanns Hauptfigur des Richard Hanay hält das alles irgendwie zusammen, very british. Die ganzen Frauengeschichten von Annabella, Pamela und Margaret kann Laura Sauer noch ein bisschen mit Charakteren oder wenigstens Typen gestalten. Aber Andreas Guglielmetti und Heiner Kock dürfen nur noch ein atemloses Panoptikum von – laut Programmheft – nicht weniger als 34 Gestalten abliefern. Und das tun auch sie richtig gut, sehr gut.
Das geht natürlich nur, wenn solch rasante theatralische Leistungsschau auf eine Regie und Dramaturgie (Lars Helmer), vor allem aber auf eine Ausstattung verlassen kann, die da dem komödiantischen Chaos Kontur gibt. Beate Zoff hat mit ihren grandiosen Kostümen und mit dem präzisen knappen Bühnenbild mit den paar markanten Requisiten ihre eigene Karte abgegeben. Vielleicht sollte gerade bei dieser Inszenierung auch mal eine Lichtregie von Milan Basaric gewürdigt werden, die sehr klar unterstützt, was die turbulenten Szenen und Bilder in diesem unglaublichen Tempo dem Zuschauer an Halt zu bieten vermögen.
Großer Applaus. Die Comedy- und Impro-Flanke des neuen LTT scheint ganz gut abgedeckt.
Schwäbisches Tagblatt, 27. Oktober 2014
(von Wilhelm Triebold)
Springlebendiges, gewitztes, vor Einfällen strotzendes Unterhaltungstheater der intelligenteren Art: vier imponierende Schauspielerleistungen.
"39 Stufen", 39 Rollen, lustige Handwerker. Das Landestheater macht einem Hitchcock-Klassiker auf der Bühne gehörig Beine
TÜBINGEN. Nanu, sind wir in angelsächsische Humorwochen geraten? Letzten Donnerstag in Melchingen Michael Frayns eingeschwäbelt gesprungener Doppelrollensalto "D'r nackte Wahnsinn", tags darauf in Tübingen, fast noch wahnwitziger, "Die 39 Stufen": Das britannische Lachtheater ist schwer im Kommen auf den Bühnen der Republik. (...)
Alfred Hitchcocks früher Agententhriller hetzt einen unbescholtenen Bürger durch eine haarsträubende Story, (...) die Komdien-Version steigert sich in einen höllenmäßigen Rollentauschrausch, am LTT vor allem dank der einen Hälfte des Schauspiel-Quartetts, das geradezu atemlos Rollen-Hopping betreibt. Das macht unendlichen Spaß, manchmal auch nur als überbordender Jux.
Um es gleich vorweg zu nehmen: Was der Regisseur Kais Festersen (...) auf die große LTT-Bühne stemmt, das ist nicht nur aller Ehren wert, sondern mehr noch springlebendiges, gewitztes, vor Einfällen strotzendes Unterhaltungstheater der intelligenteren Art. Sowas muss man erstmal hinkriegen!
(...) Die Mimen tragen ihr Handwerk zu Markte. (...) hier sind's diese Vier: Martin Bringmann spielt nur eine Rolle, dafür die tragende, nämlich jenen dunklen Mächten und zwielichtigen Zwängen ausgelieferten Wahrheitssucher Richard Hannay. Bringmann lässt den Verdruss spüren, wenn jemand aus dem langweilig biedersinnigen Alltag gerissen wird - aber auch den Nervenkitzel, der dadurch entsteht. Dann Laura Sauer als schöne Agentin, die nicht lange überlebt, als unter Sehnsüchten leidende Landpomeranze und hauptsächlich als jene geheimnisvolle Lady im Zug, die dem Helden erst mal die Schwierigkeiten bereitet, aus denen sie ihm wieder heraus helfen muss, kurz vorm unvermeidlichen Happy End.
Und schließlich das flinke Duo Heiner Kock und Andreas Guglielmetti mit gefühlten 150 Rollenwechseln, wobei vor allem Kock recht wandlungsfähig ist, als automatenhaft ratternder, absolut jauch-tauglicher Mr. Memory ebenso wie als fürsorgliche Hotel-Matrone im Hape-Kerkeling-Format. Vier imponierende Schauspieler-Leistungen, selbst wenn - ganz in der Natur der Sache - reichlich outriert und posiert wird.
(...) Die Aufführung arbeitet mit Filmmusik und Filmzitaten: Ein Hitchcock-Potpurri mit "Psycho"-Anspielungen, Fenster zum Hof und Doppeldecker-Drohne als "undichtbarem Dritten". Es wabert Trockeneisnebel durchs schottische Hochmoor, dampft zügig eine niedliche Modelleisenbahn vorbei.
Wie ideenreich die Inszenierung sein kann, dafür ein Beispiel: Die Gattin des Bösewicht-Professors (der unnötigerweise zum Hitler-Abziehbild mutiert) zeigt dem Gast stolz ihr Reich im Heim. Dazu swingen beide so virtuos über eine Hausschwelle mit Pendeltür-Mechanik, dass - wie beim Filmschnitt - immer die Gegenperspektive entsteht. Eine frappierende, wunderbare Regie-Erfindung.