Der Kritiker als Computerfreak
So könnte man die Geschichte erzählen. Aber das wäre aufgrund des moralischen Dauertons ermüdend. Mike Daisey macht es anders. Erstens vermischt er den Strang über die Herstellungsbedingungen in Shenzhen mit einem Apple-Firmenporträt. Zweitens finden auch Computerfaszination und wertneutrale bis würdigende Blicke auf Apple und Steve Jobs Eingang, man merkt: In Daisey steckt auch ein Freak, ein Nerd, der kennt sich aus. Drittens filmte er keine Doku, schrieb keine Hintergrundsreportage, sondern: einen Theatermonolog. Der kommt, viertens, mitunter sehr Comedy-affin, leicht und schnoddrig daher. Ein Text für einen Schauspieler mit viel Show-und Moderatoren-Talent. Wer fiele einem da im LTT auf Anhieb ein? Eben, genau der, nämlich Patrick Schnicke, hat ihn als Kleinpremiere vorgeschlagen.
Dass Schauspieler zwischen ihren länger anberaumten Verpflichtungen dieses Engagement haben und das LTT für solche aktuell in den Spielplan aufgenommenen Stücke offen ist, kann man gar nicht hoch genug einschätzen. Und dass der hauseigene Dramaturgieassistent (Christian Bock) eine so blitzsaubere wie spieltaugliche Übersetzung vorlegt ist auch nicht selbstverständlich. Unter der Regie Simone Sterrs wären sie nun mit „Die Agonie und Ekstase des Steve Jobs“ fast schneller gewesen als die deutsche Uraufführung in Dortmund.
Patrick Schnicke bewegt sich auf diesem Text als wäre er Turner und dies sein angestammtes Turngerät. Selbst wenn er aus der Wasserflasche trinkt, hat er das Publikum im Blick, er verliert es auch nicht bei seinen kurzen Gängen hinter die Stellwand, die auch ein riesiger Apple-Bildschirm sein könnte und hier als großes Flipchart und Pinwand für Fotos dient. Lässig, aber bestimmt blättert er die Apple-Firmengeschichte auf, umkreist die Person Steve Jobs.
Der Ankäger in der Kritik
Genauso plastisch und wortwitzig entsteht danach das Bild Shenzhens. Seit das Stück, kurz nach Steve Jobs’ Tod, in den Staaten Premiere hatte, gibt es neben viel Anerkennung und Lob auch Kritik, zum Beispiel derart: Daisey war ja gar nicht selbst vor Ort in Shenzhen. Gut, das behauptet streng genommen auch nur seine Theaterfigur. Aber bei Anklägern schaut man immer genau hin, siehe Dokufilmer Michael Moore. Daisey muss sich das auch gefallen lassen, der dokumentarische Gehalt und der kritische Anspruch des Stücks bringen es mit sich.
Was folgt jetzt daraus?
Dass „der Preis, den wir im Laden zahlen, direkt mit dem Preis zusammenhängt, den diese Menschen dafür bezahlen“ ist freilich eine Quintessenz die weit über Apple hinausgeht und bekannt sein dürfte. Aber sie so vorgeführt zu bekommen, ist nochmal was anderes. „Und was folgt jetzt daraus? Nix!“, sagen jetzt Skeptiker. Daisey dagegen glaubt, einen theatralischen Computervirus geschrieben zu haben. Wer wird recht behalten?
Info: Nächste Aufführungen am 21. 11. und 6.12., 20 Uhr im LTT/oben.
Unterm Strich
Mit Patrick Schnicke ideal besetzter, packender und gut unterhaltender Theatermonolog, der die Geschichte der Firma Apple den Produktionsbedingungen im chinesischen Shenzhen gegenüberstellt.