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Feel-Bad-Komödie von Bard Breien, Deutsch von Ingeborg Helleberg
Schwäbisches Tagblatt, 8. Juni 2015
Gegen die biopositive Zwangsbeglückung
(von Peter Ertle)
Indem er den ihm nicht zugestandenen Jammer als Rebellion zelebriert, bringt ein auf den Rollstuhl angewiesener Mensch seinen Kollegen neues Selbstverständnis, Wir-Gefühl, Würde und Spaß. Kann man was von lernen. Fazit: Menschen mit Behinderung ist mit zwangspositivem Denken nichts geholfen. Menschen ohne Behinderung übrigens genauso wenig.
(...)
Durch die Art des Vorspiels wird etwas explizit, was selbstverständlich sein sollte, aber leicht aus dem Blick gerät: Menschen, die an den Rollstuhl gebunden sind, sind so unterschiedlich wie alle Menschen. Auch in der Art ihrer Behinderung und in ihrem Umgang damit. Zum Beispiel gibt es solche, die sich einen eher positiven Blick angeeignet haben, um überhaupt über die Runden zu kommen.
Und es gibt Leute wie Geirr. In Bård Breiens gleichnamigem Stück übt Geirr "Die Kunst des negativen Denkens", er jammert, schimpft, hat schlechte Laune, hört schöne Deprimusik. Und würde sie am liebsten alle abknallen, wie sie da in seinem Garten stehen: Die positive Zwangsgesellschaft aus Rollstuhlfahrern und ihren Betreuern/Partnern samt der stramm auf fröhlich getrimmten Psychotante Tori, die ihn nun in ihr therapeutisches Beglückungsprogramm integrieren will.
Sabine Weithöner hat die Toris dieser Welt von der kontrollierten Gesichtsmaske bis in den biopositiv-gesamtenergetischen Bewegungsablauf hinein wirklich gut studiert.
Schon da, also sehr früh zeigt sich, dass Breiens Stück weitaus mehr ist als ein "Behindertenstück", anders gesagt: Es befasst sich mit dem eigenartigen Befund, dass wir uns heute in westlichen lebensstandardguten Gesellschaften alle tendenziell behindert fühlen (was ja ein guter Anfang sein könnte) und (beziehungsweise weil wir) gleichzeitig alle tendenziell perfekt sein wollen. Behindert weil: Nicht genug Erfolg, Schönheit, Geld, Kreativität, Sex, Freunde, gesellschaftliche Anerkennung, was auch immer, die Gesetze der Selbstoptimierung finden immer etwas, das fehlt.
Bloß darf man es nie zugeben, der Schein muss gewahrt bleiben, sogar für sich selbst, die Unzufriedenheit ist durch positive thinking zu ersetzen. Solche Selbstmanipulation ist ein gefundenes Fressen für das Genre der Satire und genau das wird bei Toris bescheuerten Versuchen, jedes Fitzelchen Leid ihrer Truppe zu ersticken - oder rituell-theatralisch in einen Ausgrenzungsmüllsack hineinzuschimpfen und so zu entsorgen - auch bespielt. Nur Geirr, Toris negativer Antipode, schießt und scheißt mit seiner polemischen Art dagegen, Lukas Umlauft darf da schön aus sich rausgehen und die voranschreitende Sympathisierung eines Ekels bespielen. Asbjørn wiederum, ein Unglückshaufen, der nach einem Schlaganfall etwas ballaballa ist, bringt viel Komik rein. Komik ist ein weiterer, natürlicher Feind des zwangspositiven Denkens.
Ballaballa nach Schlaganfall, darf man das eigentlich sagen? Doch, darf man, auch darum geht es in diesem Stück, Asbjørn ist wirklich ballaballa, eine Paraderolle für Andreas Guglielmetti. Ja, Menschen mit Behinderung dürfen auch komisch sein, sie werden in diesem Stück auch gleich mit den derbsten, behindertenfeindlichsten Sprüchen übereinander herfallen, nachdem Geirr den Rest auf seine Seite gezogen und Tori den Garaus gemacht hat, ein Triumph des Humors und der Emanzipation aus der Vormundschaft einer völlig irren Nicht-Behinderten.
Das muss natürlich gefeiert werden! Ein rauschendes Fest, das sogar Asbjørn die Zunge löst, so befreiend, dass Regisseur Nick Hartnagel - diesen Einfall darf man dann mal mit dem seltenen Prädikat genial versehen - tatsächlich die Wände verschwinden, live und unter Beifall von den Bühnenarbeitern wegtragen lässt. Schließlich gipfelt alles in einer "GNT"- Parodie. Germany's Next Toprolli. Ein Spaß!
Alles schön, schon Schluss? Nein, das wär ja auch wieder billig. In Breiens Schauspiel wird die problematische Realität keineswegs wegidyllisiert. Die Zuschauer sehen auch die Nöte der Partner/Betreuer (sehr nahegehend: Carolin Schupa als Ingvild) und dass Menschen mit Behinderung die gleichen Stärken, Schwächen und Vorurteile haben wie Menschen ohne Behinderung (besonders deutlich bei Hildegard Maiers Lillemor). Einmal wird das Publikum von Gard (furios: Heiner Kock), dem Ehemann der behinderten und allmählich aus ihrem Dauerlächeln auftauenden Marte (Laura Sauer), frontal angesprochen, so à la "Stellen Sie sich vor, Sie gehen jetzt nachhause, Ihre Frau/ihr Mann sitzt im Rollstuhl..." So rückt das Spiel den Zuschauern auf die Pelle.
(...)
Noch die letzte Szene des Schauspiels ist in ihrer Ambivalenz aus Spiel und Ernst offen, doppeldeutig, heißt: Das negative Denken ist nicht nur reine Methode, es hat schon auch eine existentielle Seite, ist ein Bekenntnis zum Leid, zur Trauer, das aber - und das zeigt das Stück - befreiende, und auch für das Glück öffnende Wirkung hat, ja dafür letztlich unabdingbar ist. No pain, no fun.
Reutlinger Generalanzeiger, 8. Juni 2015
(von Christoph B. Ströhle)
Mit positivem Denken lassen sich alle Sorgen weglächeln. Pustekuchen! Bård Breiens Feel-Bad-Komödie »Die Kunst des negativen Denkens« zeigt, dass es auch anders geht. Dass Probleme nicht dadurch verschwinden, dass man sie geflissentlich übersieht.
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»Lachen«, schreibt Stefan Schnabel treffend im Programmheft, »setzt unsere Selbstkontrolle, moralischen Urteile und Sicherheiten außer Kraft. Lachen ist ein Mittel gegen falsche Betroffenheit und Mitleid, die keinem behinderten Menschen helfen. Lachen befreit. Und davon kann man nie genug kriegen.«
Was nicht heißt, dass sich im Stück alles in Wohlgefallen auflöst. Im Gegenteil. Unter dem Deckel Gehaltenes bricht hervor: Schuldgefühle, die Angst, dauerhaft auf die Pflege eines anderen angewiesen zu sein oder einen anderen pflegen zu müssen, das Gefühl, unzulänglich in einer auf Perfektion getrimmten Welt zu sein.
Regisseur Nick Hartnagel geht in seiner Inszenierung mit einem fantastisch spielenden Ensemble hart an die Schmerzgrenze. Die Figuren im Stück schenken sich nichts, gehen streckenweise brutal miteinander um, sodass das Geschehen ins Tragische kippt. Etwa, wenn Geirr seine Freundin mit den Worten wegstößt: »Ich mag keine Frauen, die auf Krüppel stehen.«
Für entspannte Belustigung sorgen dagegen Szenen wie die, in der die Selbsthelfer »Germany’s Next Topmodel« auf die Schippe nehmen (»Ich hab’ heute kein Foto für dich!«). Die Bretterwand, aus der Merle Viercks Bühnenbild zunächst besteht, erlaubt den Abend über immer mehr Durchblicke. Tobias Bernhardts Live-Kamera fängt das Geschehen im hinteren Teil der Bühne virtuos ein. Neben Lukas Umlauft als Geirr überzeugen Hildegard Maier, Laura Sauer, Carolin Schupa, Sabine Weithöner, Andreas Guglielmetti und Heiner Kock.
Bewegend sind nicht zuletzt die authentischen Video-Einspieler von Menschen mit Handicap. Der Rollstuhl, meint eine Frau etwa, komme in ihren Träumen nicht vor.