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Schauspiel von Friedrich Schiller
Schwarzwälder Bote, 6. Juni 2016
Mit dem Pathos der starken Worte
(von Christoph Holbein)
Inszenierung von Schillers „Die Räuber“ am LTT konzentriert sich auf das Wesentliche
Regisseur Christoph Roos braucht nicht viel, und Peter Scior liefert ihm das mit seinem spartanischen Bühnenbild: eine Holzwand, auf der sich mit Kreide die Spielorte schreiben lassen, die sich später in eine drehbare Schräge verwandelt, zwei herunter gekommene Sessel, moderne Kostüme, die klischeehaft die Figuren charakterisieren. Und dennoch gelingt es Roos mit seiner Inszenierung des Schauspiels „Die Räuber“ von Friedrich Schiller am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT), die Geschichte der beiden Brüder Karl und Franz Moor, die am Ende beide scheitern und zerbrechen, trotz einiger vermeidbarer Längen spannend zu erzählen.
Das liegt vor allem auch daran, dass das Schauspieler-Ensemble bis auf ein paar unbedeutende sprachliche Schwächen ausnahmslos äußerst präsent und spielerisch intensiv agiert. Auf offener Bühne schlüpfen die Akteure in ihre Rollen, die sie schön erarbeitet ausfüllen und bestens körperlich interpretieren. Das ist köstlich anzusehen, untermalt mit kleinen Gesten, beredter Mimik und eingesprengelten witzigen Details. Dieses intensive Spiel - das vielleicht mitunter etwas unter dem dann doch zu dick aufgetragenen Pathos leidet – trägt die Inszenierung, die sich entlang der Schillerschen Sprache letztlich doch klassisch konservativ gibt.
Es geht um sinnlose Gewalt, um Schuld und Mord – auch an Kindern -, um Macht und damit um aktuelle Themen, die uns tagtäglich aus den Nachrichten entgegenschallen: Terror, Attentate, Krieg und Tod. Roos setzt dabei komplett auf die Stärke der Vorlage von Friedrich Schiller, lässt seine Schauspieler die Charaktere fundiert erarbeiten und sie zwischen und auf den Sesseln, die sie immer wieder als dramaturgisches Mittel auf ihren Rollen hin und her schieben, gegeneinander anspielen. Dabei scheut er sich nicht, den Figuren auch einen gewissen Witz einzuhauchen. Das nimmt dem Schauspiel immer wieder zwischendurch den tragischen Ernst, lässt das Publikum auch mal aufschmunzeln.
Auf der jetzt zur Schräge gewandelten Wand, die zur Drehbühne wird, steigert sich das Tempo, gewinnt das Spiel an Fahrt, Drive, Aktion und Bewegung. Im Mittelpunkt bleibt trotzdem die Sprache, die Aussage. Der Regisseur konzentriert sich auf das Wesentliche und kreiert im starken Spiel der Akteure auch drastische Szenen. Damit schafft er eine konsequente Inszenierung.
Studentenmagazin Kupferblau, 30. Mai 2016
(von Benedikt Bussemer)
Am Freitagabend feierte Schillers berühmtes Erstlingswerk „Die Räuber“ unter der Regie von Christoph Roos in einem fast ausverkauften Landestheater Tübingen seine Premiere.
(...)
Das Stück zeigt zwei separate Handlungsstränge, sodass sich Karl und Franz auf der Bühne begegnen, dabei allerdings kaum in Kontakt treten und in ihren jeweils eigenen Umgebungen Rachsucht und Herrschaftstrieb ausleben. Karl, indem er zum Anführer einer Räuberbande wird, Angst und Schrecken verbreitet und sich zum väterlichen Schloss durchkämpft. Franz hingegen lässt den eigenen Vater sterben, belästigt Amalia und sagt offen, dass er im Gegensatz zum Vater ein grausamer Herrscher werden will. Themen wie die Faszination junger Männer für Gewalt zur Durchsetzung welcher Interessen auch immer werden auch im Programmheft aufgegriffen und mit der Gewaltbereitschaft junger IS-Kämpfer in Verbindung gebracht. So wird wieder eine Brücke zu unserer heutigen Zeit geschlagen und die Aktualität des Stücks unterstrichen.
Anderthalb Stunden ließen sich mithilfe von fast durchgehend gutem Schauspiel mehr als angenehm ertragen. Besonders sehenswert war die Leistung von Michael Ruchter, der die narzisstischen, wahnsinnigen Züge der Figur Franz Moor ganz hervorragend zur Geltung brachte und im Zusammenspiel mit Laura Sauer als Amalia ein sehr starkes Duo abgab.
Siehe auch hier: http://www.kupferblau.de/2016/04/30/jugend-und-gewalt/
Reutlinger Nachrichten, 2. Mai 2016
Schillers Drama als Machtkampfstadl
(von Kathrin Kipp)
Wenn alles in Schieflage gerät: Regisseur Christoph Roos hat sich am LTT für eine schlichte "Räuber"-Version auf drehbarer Schrägbühne entschieden.
Die sehr gut gespielten LTT-"Räuber" lassen kurzzeitig die Wände wackeln, Mauern fallen, Bretter fliegen. Trotzdem bleiben sie eher gediegen. Nur ein paar Textänderungen und ein offenes Ende. Sonst kein Schnickschnack. Eine gefällig schlichte psychosoziologische Jung-Männer-Identitätsfindungs-Studie. Ein Machtkampfstadl, ganz auf Bruderzwist und Vater-Sohn-Konflikt konzentriert. Aufs Schauspiel. Auf die Emotionen.
Denn auch den beiden Moor-Söhnen geht's weniger um Inhalte, sondern eher darum, ihr generelles Beleidigtsein irgendwie gewaltsam zu verarbeiten. Statt wie normale Leute zum Therapeuten zu gehen, liefern sie sich lieber ein Fernduell: Karl (Thomas Zerck) mit seiner Robin-Hood-Truppe, Franz (Michael Ruchter) im Alleingang mit gottlosen, neoliberalkapitalistischen Selbstbefriedigungsaktionen.
Beide wurden sie von ihrem Über-Vater und vom Schicksal zutiefst gekränkt, benachteiligt, enterbt, in ihrer Männlichkeit verletzt. Jetzt so vom Gefühl her. Stürzen sich deshalb auf Nebenschauplätzen in den Kampf. Karl mit seinen großmäuligen Räubern (Heiner Kock, Daniel Tille, Gotthard Sinn, Rolf Kindermann), während Franz versucht, alle Konkurrenten und Überväter zu vernichten. LTT-Hausregisseur Christoph Roos legt vor allem anfangs und am Ende Hand an den Sturm-und-Drang-Klassiker.
Karl und Spiegelberg stehen vor einer großen Holzmauer, der überhitzte Spiegelberg (Lukas Umlauft) hetzt "im schlappen Kastratenjahrhundert", in dem es keine echten Männer mehr gibt, zum Kampf. Dem wird mit viel Pathos stattgegeben, während Karl mal wieder in hamletsche Selbstzweifel versinkt, wie immer, wenn er nicht irgendwelche Ehre-, Schwur- und andere Männergeschichten am Hals hat.
Tragisch: Der verlorene Sohn wird gerade dann vom Vater verstoßen, als er nach studentischem Lotterleben eigentlich heimkehren und spießig werden wollte. Um zusammen mit der superheiligen und todestreuen Amalia (Laura Sauer) ein glückliches Leben zu führen. Wäre da nicht sein machtgeiler Bruder Franz, der gegen ihn und seinen Vater intrigiert. Und wenn sowieso die ganze Welt gegen ihn ist, kann Karl genauso gut die ganze Kuschelrepublik aufmöbeln.
Und so lässt sich der dauergrübelnde Karl zum Räuberhauptmann küren. Warum eigentlich gerade er? Weil er Verantwortung übernimmt? Weil er so beliebt ist? Weil er im Grunde reinen Herzens ist? Die Raubzüge stellt man unter irgendeine wohlklingende Ideologie, rechtfertigt sie mit dem Kampf um Gerechtigkeit. Die Sache läuft aus dem Ruder, die Kumpane laufen Amok, und der offensichtlich recht kurzsichtige Karl muss sich wieder mit einem schlechten Gewissen herumschlagen. So etwas kennt der Franz gar nicht.
Das wirklich Schlimme aber an Franz ist: Er ist zwar der bösere Böse, dabei aber nicht einmal besonders unterhaltsam. Sondern neigt auch noch zu langen Monologen. Kein Wunder, dass er keine Frau abbekommt. Der Vater (Gotthard Sinn) wiederum bleibt am geheimnisvollsten: Was hat er nur angestellt, dass zwei solche Hooligans bei rauskommen? Eine alte Menschheitsfrage stellt sich: Gibt es gute Gewalt? Den beiden Brüdern jedenfalls fallen keine gewaltfreien Lösungsstrategien ein, um die gottgewollte Ordnung ein wenig zu lockern. Prompt werden sie vom Autor übelst vorgeführt und bestraft.
Jedenfalls versammeln sich die Räuber am LTT in der Schenke, saufen Bier, halten feurige Reden, schwören sich Treue, und schreiben den jeweiligen Ort des Geschehens an die Wand, damit sie wissen, wo sie sich gerade befinden. Offenbar sind sie wie jede Jugend ein wenig orientierungslos. Suchen vielleicht deshalb nach strammen Strukturen: "auch die Freiheit muss ihren Herrn haben". Raus aus dem Gefängnis, rein in das Gefängnis.
Roos verweist zum Glück nicht auf IS, RAF, Ghettogangster oder sonst was. Die patriarchalen Strukturen und Gruppendynamiken sind vermutlich überall dieselben, egal, von welcher verschrobenen Ideologie sie getrieben werden. Wie aber politisch handeln und sich organisieren, wenn jeder am Ende doch wieder seinen Psycho-Kram mitbringt, keiner sachlich bleibt, alles im Blutrausch endet?
Irgendwann im Stück fällt die Mauer, ein Knalleffekt. Sie fällt aber nicht einfach um, sondern wird zur drehbaren Schrägbühne (Ausstattung: Peter Scior), die von den Schauspielern wild gedreht wird, wenn sie gerade besonders angespannt sind. Dann das Finale furioso: Die Räuber sind im Anmarsch, die Geister steigen aus der Hölle, Franz gerät in Alptraum-Panik, aus dem Bühnenboden fliegen die Bretter. Franz erlegt sich selbst, bevor's der Bruder tut. Der scheintote Vater, Karl, Amalia: Alle stehen stumm drumherum. Licht aus. Alle Fragen offen.
Reutlinger Generalanzeiger, 2. Mai 2016
(von Miriam Steinrücken)
Am Freitag feierte das Sturm- und Drang-Drama des Dichters in Tübingen Premiere.
Umringt von Kumpanen schwadroniert Moor in einer Kneipe über Tatkraft und Freiheit. In Achselshirts und schlottrigen Hosen stehen alle um eine Bierkiste herum, ein paar verlotterte Kerle nach einer durchzechten Nacht, die mehr wie eine Straßengang aussehen als wie eine Räuberbande aus dem 18. Jahrhundert.
(...)
Wie übersetzt man das rund 200 Jahre alte Stück in die Gegenwart? Parallelen zum islamistischen und rechtsradikalen Terror greifen zu kurz. Deshalb lässt Regisseur Christoph Roos seine Schauspieler live auf der Bühne in ihre Rollen schlüpfen. Die Schauplätze hat Bühnenbildner Peter Scior nicht nachgebaut; stattdessen werden ihre Namen einfach mit Kreide an eine Wand gekritzelt. Den Rest müssen sich die Zuschauer dann halt denken. Das ist kein Illusionstheater, hier wird der Akt des Spielens ausgestellt. »Gleichzeitig konkurrieren die Darsteller miteinander«, erklärt Roos. »Wer erzählt die Geschichte weiter, wer setzt seine Deutung der Wirklichkeit durch?« Michael Ruchter etwa spielt seinen Franz als feige Memme, die in langatmigen Monologen sophistisch ihren Betrug rechtfertigt. Ihr tritt Thomas Zerck mit Karl entgegen, einem coolen Macker, der seine Wut nur mühsam kontrolliert.
Herausgefordert wird er vom Räuber Spiegelberg. So nuanciert spielt Lukas Umlauft den gewitzten Schalk, den geächteten Outlaw, den diabolischen Verführer, dass er die Neben- zur heimlichen Hauptrolle aufbaut.
Die starre Frontstellung zwischen Gesetzlosen und Herrschern wird brüchig, wenn Gotthard Sinn einen Räuber spielt und zugleich den alten Moor. Schließlich kippt die Wand um und wird zur schiefen Bahn, auf der sich die Figuren mühsam gegen den Fall stemmen. Die Ebene dreht sich in rasendem Tempo zum sphärischen Sirenengesang von Markus Maria Jansen. Chaos, Wahnsinn und Untergang entspringen der Ungewissheit, was Wahrheit ist und was Lüge. »Da sehe ich den Bezug zu unserer Gegenwart«, sagt Roos. »Wir ringen beständig um Glaubwürdigkeit und wissen nicht, welchen Informationen wir trauen können.«
Schillers »Räuber« haben den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft. Sie sind kein bisschen angestaubt und lohnen auch nach rund 200 Jahren noch den Besuch.
Schwäbisches Tagblatt, 2. Mai 2016
(von Peter Ertle)
Gekränkte Jungmännerherzen, geballte Fäuste, kippende Bühnenwände, aber alles sehr gepflegt: Schillers Räuber am LTT
Als die Jungsbande zum ersten Mal gesammelt auf die Bühne kommt, hat man kurz ein Déjà-vu, glaubt einen Moment, junge Männer aus dem Hause Montague und Capulet zu sehen. Schiller goes Shakespeare? Mit zur Geschichte der Räuber gehört ja, dass der Autor sich den Spaß leistete, eine anonyme, ziemlich vernichtende Selbstrezension zu schreiben. Darin heißt es: "Wenn man es dem Verfasser nicht an den Schönheiten anmerkt, dass er sich in seinen Shakespeare vergafft hat, so merkt man es desto gewisser an den Ausschweifungen."
Natürlich sind es nicht Tybalt, Romeo, Mercutio und Konsorten, sondern die Herren Schweizer, Roller, Grimm, Schwarz, Spiegelberg und Moor. Moor Karl, versteht sich.
Denn mit dem beginnt diese Inszenierung, nicht wie bei Schiller mit Franz und dem alten Moor. Es ist nur eine von vielen Umstellungen und sie macht dramaturgisch Sinn wie die Raffungen, Verschränkungen, Verschiebespiele insgesamt Schwung hereinbringen, ein Szenenschlagabtausch. Obwohl man andererseits selten das Gefühl hat, dass die Schauspieler richtig losgelassen sind. Sehr gepflegt das Ganze, elegant ineinander passend. Manchmal steht die Figur der nächsten Szene schon bereit. Das ist nun allerdings ein Merkmal, das schon andere Inszenierungen Christoph Roos' ausgezeichnet hat, das kann er - und er spult es nicht als Masche ab, sondern stellt es in den Dienst der Aufführung. Es macht eben Sinn, dass der wohlerzogene Franz im adretten Anzügle als Fremdkörper schon mal eine unheimliche Begegnung mit den Räubern hat. Kein wirklicher Eingriff in Schillers Dramatext - nur ein neues Arrangement. Mehr so etwas wie ein bühnentraumwandlerischer Regisseurshinweis, die Sichtbarmachung einer Verknüpfung, die eh schon da ist.
(...)
Michael Ruchter spielt Franz Moor mit großen naiven Augen, dann wieder schneidendem Zynismus, schließlich Jammer. Ein großes Kind mit psychopathischer Neigung, das sich seine Untaten mit allerlei zurechtgelegtem Verstandeszeug rationalisiert, ein durchsichtiges Alibi.
(...)
Plötzlich fällt das Bühnenbild, die erwähnte Bretterwand, nach hinten um, schlägt hart auf. In der Horizontalen wird sie fürderhin zur leicht angeschrägten Spielfläche, setzt sich von Zeit zu Zeit sogar als Karussell in Bewegung, gut geeignet für alle Stürme des Herzens.
Peter Scior hat diese Bühne gebaut und ihr Einsatz ist mit das Beste dieser Inszenierung, die mit Lukas Umlaufts Spiegelberg einen perlenden Aggressivling und in Rolf Kindermann einen vor Zorn bebenden, vor Angst zitternden, aber aufrecht hinstehenden Pfarrer hat - beeindruckend. Und einen schon an der Sauerstoffflasche hängenden Daniel, der genauso anrührt wie Daniel Tilles Herrmann. Während Grimm eben so mitläuft, Gotthard Sinn hat seine große Rolle natürlich im alten Moor.
(...)
Unterm Strich
Schillers Räuber - nicht uminterpretiert und aktualisiert, aber durch Szenenumstellungen und Überlappungen kommt es zu sinnigen und geisterhaften Begegnungen, zu neuem Schwung. Nur die Schauspieler wirken selten so richtig losgelassen. Gepflegte Inszenierung mit tollem Bühnenbild.