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Schauspiel nach der Erzählung von Franz Kafka
Schwarzwälder Bote, 15. März 2018
Schwere Kost, die bestens mundet
(von Christoph Holbein)
LTT inszeniert Franz Kafkas "Die Verwandlung" und trifft den Ton des Autors
Literatur, gar so weltbekannte und dazu noch so schwere erzählerische Kost wie „Die Verwandlung“ von Franz Kafka, dramaturgisch zu verarbeiten, in ein Schauspiel zu transformieren und als Theaterstück auf die Bühne zu bringen, ist immer ein Wagnis und eine Gratwanderung. Regisseurin Carina Riedl gelingt dieses Projekt mit ihrer Inszenierung in der Werkstatt des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) absolut. Sie trifft mit ihrer authentischen Übersetzung ins Theatralische und den daraus entstehenden starken metaphorischen Bildern die Tonalität von Franz Kafka und die Stimmung seines Werkes, jener Erzählung, in der Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwacht, verwandelt zu einem „ungeheueren“ Ungeziefer. Plötzlich über Nacht hört dieser Mensch auf zu funktionieren und büßt seinen Wert für die Gesellschaft und schließlich auch für seine Familie ein, die ob seiner Verwandlung geschockt und am Ende seiner überdrüssig ist.
Diese Vertreibung aus dem Paradies, diesen gnadenlosen Umgang der Gesellschaft mit Außenseitern, mit vermeintlichen Fremdkörpern und Dingen, die stören, übersetzt die Regisseurin in aufwühlende Szenen auf der in Blau gehaltenen Bühne, der Christoph Rufer durch seine Kreation einer Guckkasten-Perspektive eine Mehrdimensionalität einhaucht. Die vier Schauspieler – Robin Walter Dörnemann, Jennifer Kornprobst, Laura Sauer und Daniel Tille - sind bis auf ein paar Nuancen gleich gekleidet: Ihre blauen Anzüge verschmelzen mit dem Blau der Wand und damit mit der Umgebung. Sie sprechen meist im Chor, was in seiner Darstellung fein ziseliert und gut aufeinander eingespielt ist. Das lebt aus der vitalen Mimik der Akteure, der Synchronität in den Bewegungen und der Variabilität der Stimmen zwischen laut und leise, zwischen herausgeschrien und geflüstert. Carina Riedl hat das schön choreografiert und durchgestylt, lässt ihre Protagonisten sich immer wieder im Tableau wirkungsvoll gruppieren, barfuß, die Frisuren charakteristisch kreiert, mit aussagekräftiger Maske, alles passend komponiert und sprachlich bestens erarbeitet.
Es ist eine intensive Aufführung, die Kafkas Text auf Augenhöhe interpretiert - und sie fordert: die Schauspieler und die Zuschauer. Riedl erschafft starke Szenen, übersetzt Kafkas Erzählung wortgetreu in plastisch eindrückliche Bilder: erschreckend, aufwühlend, die Gefühle treffend sensibilisierend und die Stimmung im genauen Tempo gesteigert. Die Inszenierung strengt an, aber sie ist gut, auch körperlich punktgenau gestaltet. Das Ensemble unterstützt das mit einem beeindruckenden Spiel – auch in den wortlosen, stillen Szenen: eine eindringliche Komposition. Da ist kein Entkommen, kein Entrinnen – und das ist gut so: „Die Verwandlung“ am LTT ist bestens umgesetzt mit innerer Spannung und enormer Intensität.
Reutlinger Nachrichten, 20. Februar 2018
(von Anja Weiß)
„Die Verwandlung“: Kafkas Klassiker hat am Samstag im LTT Premiere gefeiert.
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Gregor, der Andersartige. Das fremde Wesen wird zum Sündenbock abgestempelt, zunächst wird er nur geschnitten, allein in seinem Zimmer gelassen, höchstens ein Blick durch die Tür wird ihm gewährt, wenn der Rest der Familie gemeinsam am Tisch sitzt. Irgendwann werden die Angriffe körperlicher Natur, Gregors Vater schlägt nach ihm, die Mutter erleidet eine Ohnmacht auf die nächste und selbst die geliebte Schwester distanziert sich. Aus dem Entsetzen und der Wut über das Schicksal des Käfers wird Zorn und Ablehnung ihm gegenüber.
Kafkas Klassiker „Die Verwandlung“ hat in der Inszenierung des LTT eine klare politische Aussage: Das, was anders ist, muss bekämpft, isoliert und ausgegrenzt werden, denn es gefährdet die Welt, wie der Großteil der Menschen sie kennt. Anpassung ist gefragt, das zeigt auch das Bühnenbild und die Kostüme: Alles ist blau in blau gehalten, die Wände und die Anzüge der Darsteller. Die verschwinden fast in ihrer Umgebung, sprechen oft als Chor, mit einer Stimme erzählen sie Kafka nach. Dann wieder spielen sie, erhöhen dadurch die Spannung. Gregors Verwandlung wird auch äußerlich sichtbar: Er entledigt sich Gregor seines Anzugs, trägt rotes Hemd statt Einheitsblau und ganz am Schluss sitzt er nackt vor seiner Familie.
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Verstörend und berührend zugleich ist Kafkas Geschichte und auch das, was Regisseurin Carina Riedl am LTT daraus macht. Sie setzt sie spannend und kurzweilig um, der Außenseiter muss in einen anderen Raum, ist nur durch eine Scheibe zu sehen, Stroboskoplichter blinken, die vier Mimen, mit denen das Stück auskommt, spielen beeindruckend.
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Ein Mensch wie Gregor, der seine Wandlung zunächst als Befreiung erfährt, durch die sich ihm auch neue Schönheiten erschließen. Doch dieses einsame Glück lässt ihm die Mehrheit nicht, sie wollen das zerstören, was nicht in ihre Lebenswelt passt.
Reutlinger General-Anzeiger, 19. Februar 2018
(von Christopher B. Ströhle)
Carina Riedl inszeniert Kafkas »Die Verwandlung« am LTT als Utopie einer überwundenen Entfremdung
Von Franz Kafkas Erzählung »Die Verwandlung« (1912) hat es schon die unterschiedlichsten Deutungen gegeben. Gregor Samsas plötzliche Verwandlung in einen Käfer, die die Kommunikation seines sozialen Umfelds mit ihm immer mehr hemmt, wurde als Bild sozialer Ausgrenzung oder als Folge eines Burnouts gesehen. Regisseurin Carina Riedl hat den Stoff auf seinen utopischen Gehalt abgeklopft und fördert Erstaunliches zutage.
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Mit aus dem Off geflüsterten Worten aus der Schöpfungsgeschichte beginnt der Theaterabend. Urzeitlich wirkende Geräusche untermalen das Ganze. Der Sündenfall wird angesprochen, dann sieht man die Darsteller Robin Walter Dörnemann, Jennifer Kornprobst, Laura Sauer und Daniel Tille auf der Bühne. Barfuß sind sie allesamt, in Anzügen steckend (Bühne und Kostüme: Christoph Rufer), die die Textur ihrer Umgebung, von Wänden und Boden imitieren. Wie Chamäleons kommen sie einem vor, doch scheinen sie vergessen zu haben, wie die Haut, in der sie stecken, ursprünglich und eigentlich ist. Uniformiert wirken sie, wie in einem Zustand zurückentwickelter oder noch nicht erreichter Individualität. Im Stückverlauf wird sich das ändern. Chorisch sprechen sie weite Teile der Kafkaschen Prosa, die Rollen – Dörnemann als Gregor, Laura Sauer als Schwester, Kornprobst und Tille als Mutter und Vater – schälen sich erst mit der Zeit heraus und behalten durch das Sprechen in der Er-Form auch dann eine dem epischen Theater eigene Distanz. Was nicht ausschließt, dass auch mal die Emotionen hochkochen. Der Verfremdungseffekt gibt diesen Momenten dann eine seltsam erhellende Komik. (...)
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Was die Inszenierung so spannend macht, ist, wie gut Carina Riedls Konzept und die von Ausstatter Christoph Rufer und Sounddesigner Arthur Fussy suggerierte Mimikry und Mimese ineinandergreifen. Singend bringen die durchweg glänzend unterkühlt gespielten Figuren ihre Entfremdung zum Ausdruck.
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Wie bringt man eine Utopie auf die Bühne? Carina Riedl tut dies, indem sie die Schöpfungsgeschichte in einem neuerlich aus dem Off geflüsterten Epilog fortschreibt und die Frage stellt, ob der Sündenfall nicht auch dahingehend einer für uns heutige Menschen ist, dass wir – den Baum der Erkenntnis mal außer Acht gelassen – vom Baum des Lebens noch nicht gegessen haben. Ein für die Deutung des Kafka-Texts in der Tat reizvoller Gedanke. (...)
Schwäbisches Tagblatt, 18. Februar 2018
Käferbefall am Baum des Lebens
(von Wilhelm Triebold)
Vom Versagen der Humanität gegenüber der Gesellschaft: Kafkas "Verwandlung" als Erlösungsdrama in der Werkstatt.
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Carina Riedls LTT-Inszenierung gibt diesem Kafka-Angestellten, der sich eines Morgens nach unruhigen Träumen als ungeheures Ungeziefer im eigenen Bett wiederfindet, gleich mehrere Stimmen und die sehr menschlich bleibende Gestalt von Robin Walter Dörnemann. Denn Kafkas größte (oder zumindest längste) Erzählung handelt nicht von einer Metamorphose zum Tier, sondern vom Verlust des Menschlichen.
Keiner hat das schöner formuliert als der Tübinger Germanist Herbert Kraft: "Der idyllisch erscheinende Zustand am Ende der Erzählung wird erst möglich, nachdem ein Mensch zugrunde gegangen ist. Die Vernichtung eines Menschen ist die Voraussetzung für das Funktionieren der Normalität; deren Negativität erweist sich im Versagen der Humanität gegenüber der Gesellschaft, in der Unfähigkeit, das Andere aufzunehmen."
Das scheint auch der Ansatz in der LTT-Werkstatt zu sein. Anfangs wird aus dem Off flüsternd die biblische Schöpfungsgeschichte herbeizitiert, deren erster Satz ("Im Anfang schuf Gott der Herr Himmel und Erde") gerade noch ein bisschen bekannter ist als die Sentenz zum Einstieg in Kafkas "Verwandlung".
Es sind dann gleich vier LTT-ler, die sich in der LTT-Werkstatt die Nacherzählung auf der Christoph Rufers Guckkastenbühne brüderlich und schwesterlich aufgeteilt haben. Den inneren Halt und Rhythmus geben dabei die Chor-Passagen vor - bei der Premiere am Samstag nicht immer sauber und ganz präzise im mikroport-gestützten Sprech(t)akt, aber das wird sich mit der Zeit wohl einrenken lassen. Es ist jedenfalls ein gangbarer Weg, um Kafkas gedankenspielerisch kompakte und doch klare Prosa auf die Theaterbretter zu bringen.
Weil Gregor Samsas Mutation zur Käferkreatur ja bereits vorher abgeschlossen ist, verweist der Titel der Erzählung von Anbeginn auf etwas anderes. Die Personen in seiner Umgebung büßen mit der Zeit ihre menschliche Grundeigenschaften ein, die zuerst noch wenigstens ansatzweise vorhanden zu sein scheinen: Mitgefühl, Einfühlungsvermögen, Verantwortungsbewusstsein, Bindungsbereitschaft. Die ganze Familie, Vater, Mutter und Schwester, entfremdet und distanziert sich, und stumpft ab in dem Maße, in dem der verlorene Sohn in solch einer Umgebung abstirbt.
Das schildert diese Inszenierung durchaus packend und plausibel. Gelegentlich weht, gleichsam ein musikalisches Echo, Schuberts Einsamkeits-Adagio aus dem Streichquintett C-Dur herein, und sehr schön stimmen die Vier auch David Bowie Song "Life on Mars" an, wie er gleichfalls von einer Lebens(ent)täuschung handelt.
(...) Das Zusammenspiel von Robin Walter Dörnemann, Jennifer Kornprobst, Laura Sauer und Daniel Tille klappt weitgehend als Teamwork. Überhaupt wird eher zurückhaltend-zielgerichtet agiert; für Rampensäue ist hier kein Platz (obwohl fast immer in Richtung Publikum gesprochen wird).
Ganz am Ende findet sich Gregor Samsa nackt und bloß und geläutert in einem bukolisch anmutenden Schlusstableau wieder. Ist dies doch noch das versprochene Paradies, der idyllisch erscheinende Zustand, die Erlösung? Carina Riedls Inszenierung schiebt da noch einen passenden Kafka-Merkspruch hinterher. Er lautet: "Wir sind nicht nur deshalb sündig, weil wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, sondern auch deshalb, weil wir vom Baum des Lebens noch nicht gegessen haben." Das gibt dann noch schwer zu denken.
Unterm Strich
(...) Ein interessanter Ansatz, überzeugend umgesetzt am Tübinger Landestheater. Mit einem Schauspielquartett, das sich sehen und hören lassen kann.