Surrealer Alptraum-Krimi von Jean Genet · 16+
Schwarzwälder Bote, 2. April 2025
Grelles in morbider Atmosphäre
(von Christoph Holbein)
Es ist laut, fiebrig und rauschhaft: „Die Zofen“ von Jean Genet entwickeln sich in der Inszenierung am LTT Tübingen zu einem Alptraum-Krimi, der die abgrundtiefe Hassliebe auf eine kumulierte Spitze treibt.
Es ist die große Lust der Protagonisten an Theatralik und Übertreibung, an Gewalt und Unterwerfung, an Hass und Mordgier, die Regisseur Thorsten Weckherlin im opulenten Bühnen- und Kostümbild von Vinzenz Hegemann markant in Szene setzt. Für das abgründige Stück greift Weckherlin tief in die Instrumentarien-Kiste des Theaters und reizt die Bandbreite der Palette der Emotionen komplett aus. Seine Inszenierung offeriert dabei eine grell-bunte Farbpalette zwischen subversiv und verstörend, zwischen komisch und clownesk.
Über den überdimensionalen Bildschirm, der gleichzeitig Spiegel ist, flimmert kurz Eduard Zimmermann mit seiner Fernsehsendung Aktenzeichen XY … ungelöst, Musik ertönt, das Licht wechselt, pantomimisch bewegen sich die Figuren, tanzen und hüpfen vor dem riesigen begehbaren Kleiderschrank, in dem sich Einkaufstüten eines Tübinger Modehauses auf mehreren Regaletagen tummeln, und echauffieren sich in ihrem skurrilen Spiel. Weckherlin zelebriert das in ausgedehnten Szenen mit viel Dialog. Das ist grotesk bis in die Kostümierung, wenn die Zofen im Kleid aus Einkaufstüten über die Bühne wandeln.
Es ist eine bedrohliche Kulisse, die sich da auftut, wenn die beiden Bediensteten ihre Rollen wechseln und spielen, wie die eine Zofe die andere mit der Krawatte erwürgt. Auch wenn manches etwas zäh im Dialog bleibt und zwischendurch etwas der Drive fehlt, gestaltet sich die Tübinger Inszenierung durchaus witzig, denn, wie sagt es Autor Jean Genet: „Ein Mord ist eine urkomische Angelegenheit.“ Und dann tritt phänomenal im Theater-Nebel „Die Gnädige Frau“ auf, von Martin Bringmann pointiert und detailliert als Persiflage auf den Modedesigner Harald Glööckler gezeichnet – mit Musik untermalt wirkt das fast wie ein Musical, wenn dann bei Gesang auch noch die Autogrammkarten ins Publikum fliegen, Bringmann sich auf den Schoß eines Zuschauers setzt und mit einer Zuschauerin ein kurzes Tänzchen wagt. Das ist absolut affektiert gespielt mit allen Marotten und in vollkommener Sprachvielfalt.
In Spielfreude stehen da die beiden Zofen – Franziska Beyer als Claire und Susanne Weckerle, die an diesem Abend krankheitsbedingt einspringt und das bravourös löst, als Solange in Nichts nach. Ein bisschen Slapstick, ein wenig Klamauk, etwas Lokalkolorit dürfen auch nicht fehlen.
Am Ende wird aus dem Rollenspiel tödlicher Ernst, bis in den Exzess und die Vernichtung getrieben – untermalt mit surrealen Bildern, aberwitzig und brachial. Und aus den Regalen fallen alle Einkaufstüten und sogar Eduard Zimmermann wird erschossen.
Schwäbisches Tagblatt, 13. Februar 2025
(von Moritz Siebert)
Das Landestheater Tübingen zeigt Jean Genets „Die Zofen": ein überdreht-schriller Alptraum, bei dem die Zuschauer einiges aushalten müssen. Sehenswert ist die Inszenierung aber, allein schon wegen des herausragenden Darsteller-Trios.
Dass die Gnädige Frau eine Kopie des schillernden Modemachers Harald Glööckler ist, überrascht nicht, damit hat das LTT schon im Vorfeld geworben. Der Auftritt in Szene 2 wird trotzdem zum Ereignis: Zu Queens „Bohemian Rhapsody" stolziert die Gnädige Frau, gesäumt von Blumen, wie auf dem Laufsteg durch Nebel. Sie verteilt Autogrammkarten im Publikum, und kurzzeitig werden die beiden Zofen zu Groupies, die ihre Gnädige Frau anbeten. Die Überdrehtheit nochmal eine Nuance zu übertreiben hat hier maximal verstörende Wirkung, schließlich befinden wir uns schon in einer ziemlich verstörenden Welt.
Reutlinger General-Anzeiger, 9. Februar 2025
Aufstand der Unanständigen »Die Zofen« am Tübinger LTT
(von Heiko Rehmann)
In Jean Genets Tragödie »Die Zofen« geht es um mehr als nur um den Aufstand unterprivilegierter Dienstmädchen gegen ihre privilegierte Herrin, wie in der Premiere am LTT zu sehen war. Für Unterhaltung sorgt eine Promi-Parodie.
Die deutsche Bühne, 8. Februar 2025
(von Manfred Jahnke)
Regisseur Thorsten Weckherlin steckt Jean Genets „Die Zofen“ in seiner Inszenierung am Landestheater Tübingen in ein Fernsehkrimi-Gewand. Eine Bereicherung, die ihre eigenen Schwächen mitbringt.
Einmal Provokation – immer Provokation? 1947 stehen in den „Zofen“ von Jean Genet die rituellen Rollenspiele, die die Verkehrung von Knecht und Herr in einer erotisch aufgeladenen Atmosphäre einüben, im Zentrum der Handlung. 2025 sind diese weiterhin von Bedeutung, finden sich aber in einem gänzlich veränderten dramaturgischen Kontext wieder. Deutlich wird dies in der Inszenierung am Landestheater Tübingen (LTT), die das Stück in einen „Surrealen Alptraum-Krimi“ – so der Ankündigungstext im Programmflyer – transformiert.
Cul-Tu-Re.de – online, 8. Februar 2025
(von Martin Bernklau)
Ein Rückschritt? Der schwule französische Verbrecher-Dichter Jean Genet hat sich für seine „Zofen“ lauter Männer in den drei Frauenrollen vorgestellt. Intendant Thorsten Weckherlin besetzt in seiner Inszenierung nur die Madame, die „gnädige Frau“ mit einem Mann. Aber wie! Als knalliger Harald Glööckler tritt Martin Bringmann aus dem Bühnennebel zwischen die Zofen Insa Jebens und Franziska Beyer. Am Freitagabend war die fast ausverkaufte Premiere im Großen Saal des Tübinger LTT.