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Generationentheater Zeitsprung
Reutlinger Nachrichten, 13. Juli 2015
Ein sommerlich-leichter Gauklertraum
(von Jürgen Spieß)
Niemand ist so klug, um nicht von einem Tor betrogen zu werden: Der von Generationentheater-Leiterin Helga Kröplin inszenierte "Eulenspiegel" feierte Premiere am Freitag im Hof des Klosters Bebenhausen.
Wer glaubt, bei einem Gauklerstück könne man allenfalls lachen und müsse auf Hintersinn und Ironie verzichten, dem sei der Besuch der neuesten Freiluft-Produktion des Tübinger Generationentheaters Zeitsprung angeraten. Denn hier eröffnet sich ein sommerlich-leichter Gauklertraum, der vieles frech durch den Kakao zieht, aktuelle Bezüge schafft und menschliche Schwächen entlarvt.
Fast jedes Jahr bringt Zeitsprung ein neues Stück heraus, bei ihrer 13. Produktion hat sich Spielleiterin Helga Kröplin gemeinsam mit 19 Akteuren ein von Theaterpädagoge Volker Schubert verfasstes Gauklerstück herausgesucht, das auf einer mittelniederdeutschen Schwanksammlung beruht, die erstmals 1510 von dem Straßburger Verleger Johannes Grüninger publiziert wurde. Worum geht es? Um die bekannte Geschichte des umherstreifenden Schalks und Taugenichts Eulenspiegel, der sich im 14. Jahrhundert als Landfahrer und Gelegenheitsarbeiter durchs Leben schlägt und in mehreren Städten, Höfen und Klostern - Bebenhausen ersetzt hier das historisch überlieferte Zisterzienserkloster Mariental bei Helmstedt - sein närrisches Unwesen treibt.
Empfangen wird das Publikum am Klostereingang von einer Gauklergruppe, die kleine artistische Kunststückchen vorführt, Seelen und Rotwein feilbietet und in die Geschichte einführt. Gemeinsam mit dem Publikum wird der alte Eulenspiegel von einer resoluten Nonne begrüßt, die ihm eröffnet, dass hier gleich die Geschichte seines Lebens gespielt wird: "Mein Leben ist kein Spiel", ereifert sich Eulenspiegel, doch die Nonne kontert: "Wenn du so weiter machst, wird es nichts mit dem Himmelreich."
Im Klosterhof angekommen, springt die Geschichte an ihren Anfang: Der Junge mit der Eselsmütze wird von seinen Zeitgenossen, verkörpert von der Gauklergruppe, drangsaliert, ausgelacht und auf die Schippe genommen. Doch irgendwann dreht Eulenspiegel den Spieß um, macht sich nun selbst daran, seine Mitmenschen zum Narren zu halten und ihnen den Spiegel vorzuhalten, indem er ihre Worte wörtlich nimmt. Begleitet wird das Possenspiel durch viel Musik und Gesang (Bernhard Mohl), Tanz (Choreografie: Carol Woodhead) und witzigen Wortspielereien: "Hört ihr Leut' und gebet acht, sonst wird über euch gelacht", singt die Gauklertruppe im Chor und freut sich nach Eulenspiegels Ankunft: "Endlich mal wieder was los in dieser kunst- und weinsauren Gegend." Es wird munter drauf los gesungen und gespielt, gestritten, und dazwischen macht sich Eulenspiegel selbst und andere zum Narren. Kostüme werden auf offener Bühne gewechselt, Schuhe von Besuchern eingesammelt, und Gaukler verwandeln sich bei Bedarf auch mal in Brathähnchen oder Pferdekörper und erzählen sich im Wettstreit mit Eulenspiegel Gogenwitze.
Das Freiluftspektakel ist nicht nur witzig aufbereitet, sondern weist über pures Lachtheater weit hinaus. Es breitet eine groteske Handlung aus, überzeugt durch charmant-direkte Anspielungen und hält über die Spieldauer von 90 Minuten die Spannung. Seine besondere Faszination bezieht das Stück aus dem geschichtsträchtigen Ambiente des Spielorts zwischen Schreibturm und Kutscherhalle sowie dem aberwitzigen Umgang mit den Figuren. Jeder der 19 Darsteller zwischen elf und 91 (!) Jahren spielt mehrere Rollen, ist mal Teil der Gauklertruppe, mal Pfarrer, Mönch Bebo, Herzog Ulrich, Pfarr-Haushälterin, Brathähnchen, Reitpferd oder Wildschwein. Auch die Hauptfigur wird von vier verschiedenen Darstellern verkörpert: beginnend mit dem aufmüpfigen Kind, "das drei Mal getauft wurde" und trotzdem "ein Unglück für die Mutter ist", über den 16-jährigen Jungen, der seinen Schabernack mit den Dorfbewohnern treibt und ihnen Eidechsenäuglein, Flugsalbe und Tollkirschen verkauft, bis zum alten Tor, der Karriere als Herzog Ulrichs Hofnarr macht und am Ende durch einen weiteren Überredungs-Trick knapp dem Tod am Galgen entgeht. Jederzeit ist spürbar, wie viel Mühe sich alle Beteiligten geben, um der anarchischen Figur näher zu kommen. Das Narrenstück setzt gezielt auf Humor, ist reich an ironischen Wendungen, aber noch reicher an ungebremster Spielfreude. Und das Amateurensemble? Es imponiert mit Lockerheit in allen Lagen - was nicht nur stimmlich gemeint ist.
Schwäbisches Tagblatt, 13. Juli 2015
Possenreißer vor Klosterkulisse
(von Dorothea Hermann)
Das Generationentheater Zeitsprung bringt den sagenhaften "Eulenspiegel" auf die Bebenhäuser Freilichtbühne
Im Reich der Narren ist der Possenreißer Eulenspiegel bekannter als sein derber Verwandter aus dem Schönbuch, der Ranzenpuffer. Das Generationentheater Zeitsprung am LTT widmet dem Schalk mit dem Spiegel ein federleichtes Gauklermärchen. Zur ausverkauften Premiere am Freitagabend kamen 120 Zuschauer.
Bebenhausen. Ein so berühmter Narr wie Till Eulenspiegel tritt nicht einfach so auf. Er braucht ein Gefolge, ein ganzes Gauklervölkchen, und er bringt die profane Ordnung der Dinge durcheinander. Gut zehn Minuten vor dem Vorstellungsbeginn werden die Zuschauer darauf aufmerksam, dass ganz andere Zeitgenossen den Klosterbezirk für sich beanspruchen: Gaukler, Musikanten, Artisten und eigentümliche Marktfrauen.
In schlichten Leinengewändern, wie sie einfache Leute vor ein paar hundert Jahren trugen, heben sie sich deutlich von der geltungssüchtigen Gegenwart ab - schon bevor man realisiert, dass sie ziemlich merkwürdige Dinge feilbieten: Da gibt es die Marktschreierin mit dem selbst erfundenen Wunderöl, eine Wahrsagerin samt Rosenquarzkugel für den Hellseherinnenblick in die Zukunft und eine alte Frau, die ausgerechnet Springkraut-Sträußchen verkauft.
Wie es gelingt, große Sprünge zu machen
"Für was ist das gut, Springkraut?" fragt eine Besucherin. Wie ein Orakel entgegnet die Alte (die 91-jährige Anneliese Goth vom Frauentheater Purpur): "Für große Sprünge, für kleine Sprünge, für alle Sprünge." Ob sie das auch gesagt hätte, wenn keiner sie darauf angesprochen hätte?
"Wir zieh'n von Ort zu Ort, von Kirchweih zu Kirchweih!", rufen die Marktleute und Gaukler, durchaus selbstbewusst in ihrer unsteten Profession. Denn sie wollen endlich wieder Abwechslung "in diese kunst- und weinsaure Gegend" bringen. Die wunderbar detailreich ausgestatteten und fast filmisch beweglichen Szenerien, so sorgfältig gestaltet wie ein großes Gemälde, rahmen die gesamte Inszenierung (Konzept und Regie: Helga Kröplin). Die Ausstattung hat sich Ingrid Fetka ausgedacht. Vom Einlass am Schreibturm des Klosters folgt das Publikum dem Gauklervölkchen, als wären die Zuschauer nun Teil des Geschehens, eines närrischen Umzugs oder einer derb-fröhlichen Kirchweih früherer Jahrhunderte, zur Hauptbühne vor dem Jagdschloss Bebenhausen, an der linken Seite begrenzt vom ansehnlichen Giebel des Sommerrefektoriums.
In einem der hohen Bogenfenster lehnt stumm eine mysteriöse Figur mit Schnauzbart, Maske und Kappe. Der alte Ranzenpuffer aus dem Schönbuch? Schreckensgestalt, Narr oder ewiger Schutzpatron des komischen Theaters? Ihr härenes Gewand hebt sich kaum ab von der Farbe der Wand, scheint beinahe mit dem Mauerwerk zu verschmelzen. Wie die Gestalt sich stumm abseits hält, gibt sie dem Geschehen mitten auf der Bühne etwas Rätselhaftes und zugleich eine überzeitliche Note. Zugleich ist die Figur ein grandioses Beispiel dafür, welche darstellerische Kraft von einer stummen Pose, richtig platziert, ausgehen kann. Dazu passt, dass das Markttreiben nun auch hexenhaft unheimliche Artikel wie Eidechsenäuglein oder Flugsalbe im Angebot hat.
Doch sogleich vertreiben ein paar Musiker mit närrischen Rätschen jeden Anflug des Ungeheuerlichen: "Hört, ihr Leute, gebet acht, sonst wird heut' über euch gelacht!" Die Gaukler intonieren das wie den Prolog zu einer Moritat von einst - und tun gleichzeitig das ewige Eulenspiegel-Motto kund. Der begegnet den Zuschauern zunächst als begabter Junge, der aber eine Eselskappe auf dem Kopf trägt. Seine scheinbar überspannten Ideen lösen in seiner einfach gestrickten Umgebung nur Hohn und Spott aus. So dürfte es in dem Stück nicht zuletzt auch darum gehen, wie ein Mensch seinen Träumen auch unter widrigen Umständen treu bleiben kann.
Eulenspiegel wird im Laufe der Aufführung noch mehrfach seine Gestalt wandeln. Er wird erwachsen, trägt seine typische Narrenkappe mit zwei oder mehr bunten Zipfeln und kommt in der Pubertät kurzzeitig sogar in weiblicher Form vor. Seinen Kindheitstraum vom Fliegen hat er nun in einen vergleichsweise realistischen Berufswunsch übersetzt: Er will Seiltänzer werden.
Gesellige Unterhaltung auf dem Lande
Damit ist die weitere Lebensrichtung klar: Für einen solchen Leichtfuß kommt nur die Gauklerbranche infrage - ganz so, wie es einem Possenreißer und Luftikus entspricht, der es durch die Jahrhunderte mit allerlei Volk und Obrigkeit aufgenommen hat und sich sogar von Gevatter Tod nicht einschüchtern lässt.
Bereits ein Bühnenauftritt des Schalks im frühen 19. Jahrhundert fand Eingang in den "Almanach dramatischer Spiele zur geselligen Unterhaltung auf dem Lande". Den Text für das Generationentheater Zeitsprung hat sich der LTT-Dramaturg und Theaterpädagoge Volker Schubert einfallen lassen.
Info Die nächsten Freilicht-Vorstellungen sind am Donnerstag, 16. Juli; Freitag, 17. Juli; sowie Sonntag, 19. Juli, jeweils um 19Uhr im Kloster Bebenhausen. Einlass am Schreibturm. Bei Regen in der Kutscherhalle. Weitere Termine unter www. generationentheater-zeitsprung.de.
Unterm Strich
Federleichtes Schalksmärchen im Geiste altertümlicher Kirchweihvergnügungen. Die detailreichen Bühnenbilder, hingebreitet wie ländliche Genreszenen aus einer anderen Zeit, sind so wunderbar gestaltet, dass sogar am Rand des Geschehens immer etwas zu entdecken bleibt.
Der sprichwörtlich gewordene Till Eulenspiegel ist der närrische Held einer mittelniederdeutschen Schwanksammlung, die vor gut 500 Jahren erstmals in gedruckter Form verbreitet wurde. Angeblich streifte er im 14. Jahrhundert als Schalk umher - um seinen Zeitgenossen den Spiegel vorzuhalten. Anders als in Lübeck, Braunschweig oder Erfurt gibt es um Tübingen herum keine Eulenspiegeldenkmäler, -Brunnen oder -Straßen. Dafür hat sich der Schalk laut einem Gedicht von Eduard Mörike im Kloster Bebenhausen ins steinerne Maßwerk im Kreuzgang eingeschmuggelt - samt Eule und Spiegel, um einem entrüsteten Mönch Paroli zu bieten.