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Komödie mit Live-Musik nach dem Roman von Heinz Strunk · 14+
Schwäbisches Tagblatt, 2. Dezember 2024
Und sonntags fehlt die Erinnerung
(von Peter Ertle)
Die Bühnenadaption von Heinz Strunks autobiographischem Roman "Fleisch ist mein Gemüse" bildet den Abschluss der popkulturellen Musicaltrilogie.
Gibt es einen Unterschied zwischen dem Publikum, das auf einem Fest des Dorfschützenvereins aus den 80er Jahren den Hitverschnitt zwischen Schlager, Neue Deutsche Welle, Pop aus den 70ern, Rock'n Roll-Klassikern, und Saufliedern feiert - und dem Theaterpublikum einer Unistadt, das 2024 ein Stück feiert, in dem die Geschichte dieser Band unter Abspielen solcher Lieder auf eben solchen Festen gezeigt wird?
Logisch. Der Unterschied liegt unter anderem in der ironischen Distanz, außerdem erlebt das heutige Publikum alles so bisschen angefüttert mit den sogenannten Schattenseiten, also etwas anreflektiert. Und es hat zusätzlich Spaß an der Schauspielkunst. Aber groß ist der Unterschied nicht, vor allem dort nicht, wo Theater die Funktion einer erweiterten Party hat und das Publikum beim rückwärtsgewandten Sentiment abholt.
War es in den beiden popkulturellen Vorgängerstücken dieser Trilogie Dominik Günthers noch annähernd eine Musikrichtung, die präsentiert wurde, geht es nun gemäß des Dorfband-Repertoires der „Tiffanys“ stillos kreuz und quer. Als die Bandmitglieder zum ersten Mal ihre Glitzerkostüme anlegen, die Sandra Fox ihnen auf den Leib geschneidert hat, rauscht Beifall durch den Saal.
Eigentlich ist es ja auch eine todtraurige Geschichte, der arme Heinz mit seinen Pickeln, die depressive Mutter, jeder der Bandmitglieder hat sein Päckchen zu tragen, aber show must go on. Und sind wir nicht alle verliebt in die Liebe? Ja doch, ja doch. Und wird uns im Verlauf dieses Abends wie im Verlauf des Lebens, nicht immer ein bisschen schlechter, aber toll, aber toll ist es doch, muss ja, oder so ähnlich? Dem Publikum scheint es jedenfalls mehrheitlich zu gefallen. Nur bei Heinzens Mutter (also Heinz ist der Bandleader), deren seelische Nöte Jennifer Kornprobst körperlich werden lässt, die sich windet, krampft und einmal auch aus dem Fenster fällt, ist der Selbstmord vorprogrammiert. Er wäre allerdings in diesem Stück mit seiner bühnentechnisch lustig abstrahierten Karikaturwelt nicht vorstellbar, in diesem Genre nicht verkraftbar.
Ansonsten: Schauspiel-Nummern einer Musical-Volkskomödie. Hier verdienen sich vor allem zwei in Mehrfachrollen Meriten: Robi Tissi Graf und Rolf Kindermann. Die Band (Gilbert Mieroph, Dennis Junge, Jannik Rodenwaldt) rutscht reihenweise auf einem Ei aus oder haut sich ein Brett vor den Kopf. Gags, Pointen. Und Gurki holt die ganz große Sprichworttüte raus. Vor allem in der Neubedichtung alter Songs finden sich einige Perlen. „Immer wieder sonntags fehlt die Erinnerung“ (Cinndy&Bert). Doch, da haben wir gelacht. Wenn nur nicht dieser geschmacklose Verhau von Liedern wäre.
Einmal zieht eine Publikumspolonaise durch den Saal, aber das spoilern wir nicht, ach Mist, jetzt ist es schon passiert, naja, keiner ist perfekt. Und keiner gefeit vor diesem in der Schaubühne als moralischer Anstalt steckenden Sendungsbewusstsein, das geht halt doch nicht ganz weg, Restbestände wollen zumindest aus Gründen schlechten Gewissens und eines vorzeigbaren Alibis noch kurz bedient werden. So wird hier am Ende doch noch ein kleiner gesungener Polit-Kommentar zur konservativen Gegenwartstendenz nachgereicht, seltsam zusammenhanglos, mündend in das einzige Volkslied des Abends, „Kein schöner Land“, wunderbar mehrstimmig, wirklich ergreifend. Da können die einen nun raushören, dass doch alles gar nicht so schlecht ist wie immer gesagt wird, die anderen hören womöglich vor allem die nationale Konnotation „unser Land“ heraus. Das nennen wir dann mal geschickt um eine Position herumgemogelt. Steht kurz im Raum wie das Etikett auf einer falsch ausgezeichneten Ware. Ein Irrläufer.
Schlussapplaus, sofort standing ovations, man will einfach unbedingt gut drauf sein und megaherzlich, feiern, feiern, ist ja sonst so schlimm in der Welt gerade. Dann ist auch dieser Abend vorbei.
Zuhause die neue Platte von Nick Cave, als Reinigungsritual.
Reutlinger General-Anzeiger, 2. Dezember 2024
(von Thomas Morawitzky)
Das LTT bringt mit »Fleisch ist mein Gemüse« eine Schlagerrevue frei nach Heinz Strunk auf die Bühne
Auf der Bühne eine Bühne. Das Podest ist bezogen mit einer Fototapete, die gegrilltes Huhn und andere fettig-knusprige Speisen abbildet. Das passt, denn der Titel des Stücks lautet ja: »Fleisch ist mein Gemüse«. Erzählt wird aus der Jugend des Autors, Satirikers und Musikers Heinz Strunk, der eigentlich Mathias Halfpape heißt. Strunk machte Comedy und Musik mit Jacques Palminger und Rocko Schamoni; er schrieb »Der goldene Handschuh«, den unappetitlichsten Bestseller des Jahres 2016, verfilmt von Fatih Akin, und er schrieb jüngst seine eigene Version des »Zauberberg«.
Heinz Strunk war aber auch einmal jung, unbekannt, depressiv, und spielte Tanzmusik. Davon erzählt er in seinem Erstlingsroman, erschienen 2004, den Regisseur Dominik Günther nun, unter der musikalischen Leitung von Jörg Wockenfuß, im Bühnenbild von Sandra Fox, für das Landestheater Tübingen (LTT) adaptiert hat.
Natürlich erweist sich Heinz Strunks Geschichte für das LTT auch als Vorwand, die deutsche populäre Musikunterhaltung untersten Niveaus mit ausgelassener Freude abzufeiern – denn Tiffanys, die Truppe mit der Andreas Guglielmetti als Heinz Strunk durch die Lande zieht, schreckt vor wirklich nichts zurück. Auch nicht vor Roberto Blanco. Strunk himself würde womöglich zu alldem sein feierliches Ja-Wort geben und sich dran freuen.
Gefeiert wird auch die Mode der vergangenen Tage, werden die Glitzerjacketts und Föhnfrisuren, die Spielhöllen, das Fast Food, der schlechte Geschmack – all das mit irrsinniger Energie und ausgelassener Freude. Das Publikum, dies muss man fast nicht sagen, ist ganz dabei.
Heinz Strunk mäht erst noch un-schlank und im Trainingsanzug den Kunstrasen vor dem gelben Kuckuckshäuschen seiner depressiven Mutter, schnappt sich dann sein Saxofon und beschließt, zu arbeiten. Jennifer Kornprobst spielt die Mutter, zu der er doch immer wieder zurückkehrt – sie war Musikpädagogin, schätzte klassische Musik, hört nun nur noch Schlager und nimmt die seltsamsten Positionen ein in ihrem kleinen Verschlag neben der Bühne, auf der das Leben ihres Sohnes sich abspielt. Ist es ein Zufall, dass ihr Zustand sich zu verschlechtern scheint, als Heinz mit seiner Band angekommen ist bei einem der unseligsten Musikstücke der frühen 1980er-Jahre, »Live Is Life«, im Original von Opus?
Beseelt nehmen sich die Musiker viele andere Phänomene vor, von der Neuen Deutschen Welle bis zu den Cranberries, von Jethro Tull bis zum Medley der Schlager-Sauflieder, von Roland Kaiser bis zu den Bots. Gilbert Mieroph als Bandleader Gurki, Dennis Junge als Schlagzeuger und Jannik Rodenwaldt, pfeifender Keyboarder mit Haarspraydose, sind Andreas Guglielmettis musikalische Mittäter, bringen den Theatersaal zum Kochen – und Robi Tissi Graf spielt all die Frauen, die Heinz auf seinem Weg begegnen, tritt auf als wilde Sängerin. Schließlich springt sie in weißen Wollsocken auf die Bierbank und singt: »These Boots Are Made For Walking«, und das ist unvergesslich.
Der Spielfreude der Band ist es wohl geschuldet, dass sich eine klare Chronologie der Songs nicht ergibt. Heinz Strunk zeichnet in seinem Buch auch ein Porträt Deutschlands in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren aus versumpfter Perspektive – diesem Anspruch wird das Stück wieder gerecht, wenn das Ensemble zuletzt am Bühnenrand steht und leise, schwermütig singt: »Kein schöner Land in dieser Zeit«. Bis dahin erlebt das Publikum nur komische Szenen, und die schönsten von ihnen mit Rolf Kindermann: Er geht umher als Schützenkönig mit einem Hirsch auf dem Hut, er beginnt als Brautvater den Bräutigam zu beschimpfen, er?ist der deutsche Grieche, der den Musikern einen vergammelten Tintenfischtentakel serviert, und all dies mit bitterernster Miene.
Als Zugabe spielt das gesamte Ensemble ein Medley, ausgerechnet mit Liedern von Marius Müller-Westernhagen. Und so geht dieser Abend zu Ende mit einem leicht zittrigen Schrei nach Freiheit.
CUL-TU-RE.DE (online), 30. November 2024
(von Martin Bernklau)
Mit „Fleisch ist mein Gemüse“ bringt Dominik Günther eine musikalische Revue auf die Bühne – Heinz Strunks Bio und ein Geschwister der „Dorfpunks“
Eigentlich ist es ein fetzig verulktes Cover-Konzert – und rief bei der Premiere am Freitagabend im fast vollbesetzten Großen Saal des Tübinger LTT auch frenetischen Jubel beim Publikum aus. Aber mit „Fleisch ist mein Gemüse“ hatte Heinz Strunk (Jahrgang 1962) einen autobiografischen Roman über seine frühen Zeiten als absturzgefährdeter Mietmusiker geschrieben. Christine Richter-Nilsson hat ihn zu einem Stück verdichtet, das Dominik Günther mit wenig Aufwand – außer der beachtlichen Live-Musik seiner Truppe – auf die LTT-Bühne gebracht hat. Motto: Ein bisschen Spaß muss sein.
Das Multitalent Heinz Strunk ist inzwischen etabliert und erfolgreich. In seinem Roman berichtet er aber über seine Kindheit in Hamburg-Harburg als alleinerzogener Sohn einer psychisch kranken Mutter und über seine mühsamen Jahre als Saxophonist einer Cover-Band, die über Schützenfeste und Bierzelte tingelt. Da spielt dann der Suff bei den Zuhörern und den Musikern („nie besoffener, aber auch nie nüchterner als dein Publikum!“) eine tragende Rolle und wird verherrlicht und verkalauert. Das Umjubeln von Fleisch und Wurst – wie es im Buche steht – dürfte für Vegetarier oder gar Veganer nur als grober Sarkasmus erträglich sein. Später kommt das Daddeln an Automaten hinzu – und immer wieder Depressionen. Schwerer Stoff eigentlich, nur episodenhaft angerissen, aber: Ein bisschen Spaß muss sein.
Strunk ist der Best Buddy und Kumpel von Rocko Schamoni aus dem Trio „Tonstudio Braun“, später Fraktus, dessen „Dorfpunks“ von ebenjenen wilden Jahren der Baby-Boomer mit etwas anderen Schwerpunkten erzählen. Nach dem großen Erfolg der „Dorfpunks“ in der LTT-Werkstatt spitzt Dominik Günther die genre-überschreitenden Mittel noch einmal zu oder treibt sie auf die Spitze – allerdings ziemlich weit weg vom klassischen Theater. Ist die trendige Bühnenfassung literarischer Prosa mit erzählenden und (natürlich gut) rezitierenden Akteuren sowieso schon ein szenischer Seitenweg, so wird das Stück und das ganze Genre hier zum Konzert mit schauspielerischen Einlagen: eine Dekonstruktion. Aber das macht Spaß.
Der Regisseur verfügt über ein tolles Team, das hauptsächlich Comedia bis zu Ulk und Slapstick abliefern soll, und über eine erstaunliche Band, die einen Medley-Querschnitt gibt über Schlager, Neue Deutsche Welle, Pop und klassischen Rock – zwischen Cover, Parodie und Veräppelung. Andreas Guglielmetti spielt diesen Heinz Strunk (dazu Querflöte und Saxofon) vielleicht etwas zu durchgängig jugendlich, aber variantenreich und quicklebendig. Wortwitzelnd und kalauernd wie weiland Triebold, immer einen gereimten Proll-Spruch auf den Lippen, gibt Gilbert Mieroph den etwas schmierigen Manager und Bandleader umwerfend stark.
Mit ihren Nebenrollen als Thorben und Norbert bleiben Dennis Junge und Jannick Rodenwaldt etwas in Hintergrund, während der schlaksige Rolf Kindermann seinen Schützenkönig, den Brautvater und seinen Griechenwirt Schorsch hemmungslos überzeichnen darf. Robi Tissi Graf kann das als Groupie Anja oder Susanne, als Wirtin, Frau Sommer und Dr. Vogel auch, wählt aber meist etwas dezentere Spielarten.
Die Rolle der seelenkranken Mutter in ihrem kleinen gelben Giebelhäuschen – das praktische, symbolklare und unveränderte Bühnenbild hat wieder Sandra Fox zu verantworten – versieht Jennifer Kornprobst als einzige mit einem Anflug von tragischer Tiefe, fällt aber aus dem Tableau von Comedy-Halligalli nicht völlig heraus.
Aus seinen Laien hat Jörg Wockenfuß als musikalischer Leiter eine wirklich staunenswerte Combo geformt, die sich immer sicherer und spielfreudiger diesen Medleys und Potpourris hingibt, vom soliden Cover (etwa Jethro Tull) über die Parodie bis hin zur gnadenlosen Verarsche. Quer durch den titelgebenden Gemüsegarten geht es da, sozusagen als Mixed Pickels musikalischer Häppchen. Der Spaß war spürbar und hörbar dabei.
Vielleicht muss man in ausgelassener Stimmung sein oder sich auf das Angebot einlassen, um „Fleisch ist mein Gemüse“ mit seinem ganzen hemmungslosen Klamauk so richtig genießen zu können. Das Premierenpublikum war es – viele fanden es kurz vor der Pause sogar klasse, sich einer Polonaise anzuschließen – und sparte nicht mit Johlen und Szenenapplaus nach jeder Nummer. Der frenetische und lange Schlussbeifall nötigte der fulminanten Combo sogar eine musikalische Zugabe ab – sehr gern gegeben.