Komödie mit Live-Musik nach dem Roman von Heinz Strunk · 14+
Schwäbisches Tagblatt, 2. Dezember 2024
Und sonntags fehlt die Erinnerung
(von Peter Ertle)
Die Bühnenadaption von Heinz Strunks autobiographischem Roman "Fleisch ist mein Gemüse" bildet den Abschluss der popkulturellen Musicaltrilogie.
Reutlinger General-Anzeiger, 2. Dezember 2024
(von Thomas Morawitzky)
Das LTT bringt mit »Fleisch ist mein Gemüse« eine Schlagerrevue frei nach Heinz Strunk auf die Bühne
Auf der Bühne eine Bühne. Das Podest ist bezogen mit einer Fototapete, die gegrilltes Huhn und andere fettig-knusprige Speisen abbildet. Das passt, denn der Titel des Stücks lautet ja: »Fleisch ist mein Gemüse«. Erzählt wird aus der Jugend des Autors, Satirikers und Musikers Heinz Strunk, der eigentlich Mathias Halfpape heißt. Strunk machte Comedy und Musik mit Jacques Palminger und Rocko Schamoni; er schrieb »Der goldene Handschuh«, den unappetitlichsten Bestseller des Jahres 2016, verfilmt von Fatih Akin, und er schrieb jüngst seine eigene Version des »Zauberberg«.
Heinz Strunk war aber auch einmal jung, unbekannt, depressiv, und spielte Tanzmusik. Davon erzählt er in seinem Erstlingsroman, erschienen 2004, den Regisseur Dominik Günther nun, unter der musikalischen Leitung von Jörg Wockenfuß, im Bühnenbild von Sandra Fox, für das Landestheater Tübingen (LTT) adaptiert hat.
Natürlich erweist sich Heinz Strunks Geschichte für das LTT auch als Vorwand, die deutsche populäre Musikunterhaltung untersten Niveaus mit ausgelassener Freude abzufeiern – denn Tiffanys, die Truppe mit der Andreas Guglielmetti als Heinz Strunk durch die Lande zieht, schreckt vor wirklich nichts zurück. Auch nicht vor Roberto Blanco. Strunk himself würde womöglich zu alldem sein feierliches Ja-Wort geben und sich dran freuen.
Gefeiert wird auch die Mode der vergangenen Tage, werden die Glitzerjacketts und Föhnfrisuren, die Spielhöllen, das Fast Food, der schlechte Geschmack – all das mit irrsinniger Energie und ausgelassener Freude. Das Publikum, dies muss man fast nicht sagen, ist ganz dabei.
Heinz Strunk mäht erst noch un-schlank und im Trainingsanzug den Kunstrasen vor dem gelben Kuckuckshäuschen seiner depressiven Mutter, schnappt sich dann sein Saxofon und beschließt, zu arbeiten. Jennifer Kornprobst spielt die Mutter, zu der er doch immer wieder zurückkehrt – sie war Musikpädagogin, schätzte klassische Musik, hört nun nur noch Schlager und nimmt die seltsamsten Positionen ein in ihrem kleinen Verschlag neben der Bühne, auf der das Leben ihres Sohnes sich abspielt. Ist es ein Zufall, dass ihr Zustand sich zu verschlechtern scheint, als Heinz mit seiner Band angekommen ist bei einem der unseligsten Musikstücke der frühen 1980er-Jahre, »Live Is Life«, im Original von Opus?
Beseelt nehmen sich die Musiker viele andere Phänomene vor, von der Neuen Deutschen Welle bis zu den Cranberries, von Jethro Tull bis zum Medley der Schlager-Sauflieder, von Roland Kaiser bis zu den Bots. Gilbert Mieroph als Bandleader Gurki, Dennis Junge als Schlagzeuger und Jannik Rodenwaldt, pfeifender Keyboarder mit Haarspraydose, sind Andreas Guglielmettis musikalische Mittäter, bringen den Theatersaal zum Kochen – und Robi Tissi Graf spielt all die Frauen, die Heinz auf seinem Weg begegnen, tritt auf als wilde Sängerin. Schließlich springt sie in weißen Wollsocken auf die Bierbank und singt: »These Boots Are Made For Walking«, und das ist unvergesslich.
Der Spielfreude der Band ist es wohl geschuldet, dass sich eine klare Chronologie der Songs nicht ergibt. Heinz Strunk zeichnet in seinem Buch auch ein Porträt Deutschlands in den 1980er- und frühen 1990er-Jahren aus versumpfter Perspektive – diesem Anspruch wird das Stück wieder gerecht, wenn das Ensemble zuletzt am Bühnenrand steht und leise, schwermütig singt: »Kein schöner Land in dieser Zeit«. Bis dahin erlebt das Publikum nur komische Szenen, und die schönsten von ihnen mit Rolf Kindermann: Er geht umher als Schützenkönig mit einem Hirsch auf dem Hut, er beginnt als Brautvater den Bräutigam zu beschimpfen, er?ist der deutsche Grieche, der den Musikern einen vergammelten Tintenfischtentakel serviert, und all dies mit bitterernster Miene.
Als Zugabe spielt das gesamte Ensemble ein Medley, ausgerechnet mit Liedern von Marius Müller-Westernhagen. Und so geht dieser Abend zu Ende mit einem leicht zittrigen Schrei nach Freiheit.
CUL-TU-RE.DE (online), 30. November 2024
(von Martin Bernklau)
Mit „Fleisch ist mein Gemüse“ bringt Dominik Günther eine musikalische Revue auf die Bühne – Heinz Strunks Bio und ein Geschwister der „Dorfpunks“