Wer früher stirbt, ist womöglich nicht nur länger tot, sondern auch länger berühmt. So gibt es diese leicht makabre Hall of Fame der frühvollendeten, unsterblichen Rockstars, die alle im gleichen Lebensjahr, mit 27 Jahren, abgetreten sind. Natürlich sind es die Besten. Sie lebten und starben es ihrer Generation (und allen folgenden) sinnbildlich vor: live fast, love hard, die young - lebe schnell, liebe heftig, gib zeitig den Löffel ab. Sex&drugs& alcohol, und vor allem: viel rock'n'roll...
Willkommen im Club: In Ilona Lenks psychedelisch tapeziertem Bühnenbild tritt eine merkwürdige untote Zweck-WG zusammen. Allen voran Doors-Frontmann Jim Morrison (den Heiner Kock dauer-high durch den Probenraum tänzeln lässt), der maulfaule Gitarrenfex Jimi Hendrix (mit Michael Ruchter optisch eher ein Eric-Clapton-Verschnitt, am E-Gerät aber voll auf der Höhe des Altmeisters) und die trinkfeste Rock-Röhre und Hippie-Göre Janis Joplin (der Jennifer Kornprobst auch äußerlich sehr nahe zu kommen versucht). Dazu Stones-Urgestein Brian Jones, mit Thomas Zerck ans Schlagzeug verbannt. Hinten bei den Toiletten drückt sich verschämt die deutsche Schlagertante Alexandra alias Franziska Beyer herum und muss die Klos saubermachen, wenn sich der Nirvana-Nachkömmling im Club, Kurt Conain, mal wieder vergeblich mit seiner Schrotflinte das Kopfweh aus dem Schädel gepustet hat. Lukas Umlauft spielt den depressiven Grunge-Grizzly und Problembär mit hängenden Schultern.
Eine illustre, todesverachtende und todessehnsüchtige Truppe, die Heiner Kondschaks neueste musikalische Zeitreise hier versammelt hat. Kondschak hat per Biopic auf der Bühne schon viele Musik-Heroen belebt und beerdigt. Doch diese Nummern-Revue ist wohl sein Meisterstück. Das liegt nicht zuletzt daran, dass der am LTT in Ehren ergraute Rock-Zausel diesmal mit dem scheckig-dreckigen halben Darsteller-Dutzend musikalisch verdammt gut aufgestellt ist. Die Neuen spielen und singen sich die wunden Seelen der angebeteten Götter des Rock-Olymps aus dem Leib, und außerdem beherrschen sie manches Instrument mehr als nur laienhaft. Kondschak und seinem Team ging es dabei offensichtlich weniger um Karaoke, Ähnlichkeitswettbewerbe oder einen Cover-Contest. Sondern darum: Wie schlägt das Herz des Rock'n'Roll, und hat der ein großes Herz - und schließlich, was hat all dies für die Menschheit bewirkt?
(…) Der ganze Abend handelt sympathisch, grundehrlich und unverfälscht von der einigenden, unverbrauchten Kraft der Musik. Und man beginnt zu verstehen, warum Kondschak seine Jim-Morrison-Kunstfigur irgendwann einmal sagen lässt: "Wir haben die Konventionen auf den Kopf gestellt und uns nicht darum gekümmert. Und wir haben den Soundtrack dazu geschrieben."
Zum Lebensgefühl der damaligen Twentysomethings, die jetzt allerdings in die Jahre gekommen sind und am Ende der LTT-Premiere am Freitag besonders enthusiasmiert Beifall klatschten. Stehende Ovationen, mehrere Zugaben ertrotzt: Spätestens jetzt ist die neue LTT-Truppe endgültig in Tübingen angekommen. Aber dass wir das noch erleben mussten: Purple Haze zum Mitklatschen ...