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Filmtheaterstück von Michael Miensopust
Uraufführung
10+
Reutlinger General-Anzeiger, 14. Mai 2016
Schisser aus der 3b hat das Zeug zum Helden
(von Christoph B. Ströhle)
Das Junge LTT zeigt als Uraufführung, gespickt mit Filmzitaten, »Ganz großes Kino« von Michael Miensopust
Es fängt ganz harmlos an in »Ganz großes Kino«, Michael Miensopusts neuem Stück für das Junge LTT, das am Donnerstag im Landestheater Tübingen uraufgeführt worden ist: Der neunjährige Till, der - nicht zuletzt in der Schule, wo er gehänselt wird - ständig versucht, nicht aufzufallen, wird fürs Wochenende zu seiner Tante und seinem Onkel geschickt, weil seine Eltern verreisen. Die Tante, die die meiste Zeit in Filmtiteln oder Filmzitaten spricht (und aussieht wie Mary Poppins), heißt ihn freundlich willkommen, verschwindet aber bald, weil sie shoppen will.
So kommt es, dass Till allein in einem alten, heruntergekommenen Kino zurückbleibt, das seine Verwandten betreiben. Irgendwo, so hat ihm die Tante erklärt, bastelt sein Onkel gerade an der Tonanlage herum. Zu sehen bekommt Till ihn nicht. Und weil ihm langweilig ist, spielt er mit Kinorequisiten herum. Unter anderem mit einer Filmklappe, die er beiläufig schlägt. Zu Filmmusikfetzen von »Harry Potter« wird er daraufhin hinter die Leinwand gezogen - gewissermaßen ans Gleis Neundreiviertel - und findet sich in der schräg-bunten Welt des Films wieder.
Das heißt, so bunt ist diese Welt zunächst gar nicht. In Schwarz-Weiß nimmt ihn Charlie Chaplin hinein in eine Slapstick-Verfolgungsjagd, die er sich mit einem schnauzbärtigen Polizisten liefert. Till scheint nicht ganz unschuldig an dessen Wut zu sein. Also gibt er, wie Charlie, Fersengeld. Dass etwas seltsam ist, merkt Till daran, dass er sich mit Charlie nur in Form von Texttafeln, die über die Leinwand flimmern, unterhalten kann - der Tonfilm ist noch nicht erfunden.
Kurz darauf entgeht er in »Casablanca« nur knapp dem Filmkuss. Marilyn Monroe, die sich »im falschen Film« wähnt (ist sie auch, Ingrid Bergman gehört hinein), wundert sich, dass Till plötzlich in Farbe da ist und in der Schwarz-Weiß-Filmwelt für Turbulenzen sorgt.
Als Marilyn, die gerade noch darüber nachgedacht hat, wie sie sich einen Millionär angeln kann, in die Fänge King Kongs gerät, ist Tills erster Impuls, zu helfen. Ein Held muss her. James Bond? Der winkt ab und rät Till lediglich, dem Affen ordentlich Zucker zu geben. Superman? Hat plötzlich das Fliegen verlernt. Winnetou? Ist neben der Spur und redet, bedingt durch einen Fehler in der Synchronisation, unverständliches Zeug. Auch der Terminator, Captain Jack Sparrow und Lara Croft sind indisponiert. Bleibt nur »der kleine Schisser aus der 3b«, wie Till sich respektlos selber nennt. Zunehmend weiß er die Möglichkeiten, die er als unfreiwilliger Filmheld hat, zu nutzen. Das Zeug dazu hat er, auch wenn ihn das selbst überrascht.
Andreas Laufer ist in Michael Miensopusts Inszenierung seines höchst vergnüglichen Stücks für Zuschauer ab acht Jahren dieser unbedarft liebenswerte Till, der von einem durcheinandergeratenen Film in den nächsten stolpert und dabei zu sich selbst findet. Magdalena Flade und Rupert Hausner füllen die vielen Filmfiguren mit Leben. Sie ist vor allem als Marilyn famos, er als Jack Sparrow eine Wucht. Die von Uwe Hinkel mit Liebe zum Detail eingestreuten Videos vervollständigen das Bild ebenso wie die von Ilona Lenk entworfenen Kostüme. Für Filmkenner ist erkennbar viel Ironie im Spiel. Allerdings dürften die jüngeren Zuschauer so manche Filmfigur beziehungsweise deren Darsteller kaum kennen. Humphrey Bogart etwa oder Clint Eastwood. Sehenswert ist das Stück, das rund eine Stunde dauert, auf jeden Fall. Nicht zuletzt für Erwachsene.
Schwäbisches Tagblatt, 14. Mai 2016
(von Dorothee Hermann)
Furiose Uraufführung: "Ganz großes Kino" am Jungen LTT
Das Staunen fängt schon an, bevor es losgeht: In Michael Miensopusts Filmtheaterstück "Ganz großes Kino" gleicht die LTT-Werkstatt einem herrlich altmodischen Filmpalast, mit einem merkwürdigen Popcorn-Automaten, der sich selbst anwerfen kann, ein paar echten Kino-Klappsitzen und Nostalgie-Plakaten von "High Noon" bis "Casablanca".
Der kleine Till (sehr überzeugend: Andreas Laufer, dem die Maske ein niedlich-rundes Kindergesicht verpasst hat) kann diese Attraktionen nicht richtig genießen. Seine Mary-Poppins-ähnliche Tante (bodenlanges schwarzes Kleid, runder schwarzer Hut, Handschuhe) hat ihn in einem alten Kino zurückgelassen, und es ist dort gar nicht geheuer. Nur gut, dass der Junge wenigstens die schrillen Streicherfetzen aus dem Hitchcock-Schocker "Psycho" nicht erkennt, die mit weiteren wohlbekannten Filmscores durch das Dunkel dringen (Bühne und Regie: Michael Miensopust).
Kaum hat sich Till bei einer Tüte Popcorn ein bisschen entspannt, ertönt ein megafieses Schmatzen aus dem Off. Die große Leinwand, die als Vorhang dient, fällt unvermittelt in sich zusammen, und der Junge ist ungeschützt der Tiefe des dunklen Bühnenraums ausgesetzt.
Denn der Kinobetreiber, sein Onkel Albus (Rupert Hausner, auch als Humphrey, Clint oder Stummfilm-Polizist), lässt sich nicht blicken. Dafür fahren Filmszenen auf, die schon zu lange her sind, als dass der Junge sie wiedererkennen könnte, und dann purzeln auch noch Figuren heraus: Für Till hat eine Begegnung mit dem leibhaftigen Charlie Chaplin keinerlei Star-Appeal, sondern eher den Effekt einer Geistererscheinung. Umgekehrt wird es für ihn auch nicht gemütlicher: Wenn sich der Kleine seinerseits plötzlich im Film wiederfindet, synchron mit den abgehackten Bewegungen Chaplins.
Aber der berühmte Leinwandclown ist ja noch gar nichts gegen die notorischen Monster und Bösewichte der Filmgeschichte, und so ist der Junge einerseits fasziniert, wünscht sich aber andererseits nichts sehnlicher, als wieder in seine gewohnte, wenig glanzvolle Realität zurückzukehren: als kleiner Angsthase aus der 3. Klasse.
Schwarz-Weiß oder Farbe, Stummfilm oder Ton sind weitere Schwellen an denen die Figuren in die Irre gehen können. Die Konfusion steigert sich noch, als Till glaubt, er solle in die Handlung eingreifen oder bestimmte (männliche) Rollenerwartungen erfüllen. Dann bleibt ihm nur eins: "Ich bin doch erst neun!" beharrt er erstaunlich vernünftig - und beweist ein erstaunliches Stehvermögen gegenüber den weltbekannten Kino-Idolen.
Ein zusätzliches Sehvergnügen ist es, die Junges- LTT-Mimen Magdalena Flade (Chaplin, Marilyn und Tante) und Rupert Hausner in den großen Leinwandrollen zu beobachten. Dem frenetischen Beifall nach waren die Premierenbesucher am Donnerstagabend hin und weg - wie die allerersten Kinobesucher, die völlig überwältigt Augen und Ohren aufsperrten. Das Theater hatte sie wieder zum Staunen (und zum Lachen) über die Filmgeschichte gebracht - und über die menschliche Bereitschaft, sich in Fiktion und Illusion zu spiegeln.
Unterm Strich
Wunderbar schräges Medley aus Theater und Kino. Nimmt sich mit großer Spielfreude Genres wie Stummfilm, Melodram, Horror oder Western vor und schickt die Figuren gnadenlos zwischen den jeweiligen Scheinwelten hin und her. Grandioses Theatervergnügen mit dem Flair von Manege und Magie.
Schwäbisches Tagblatt, 10. Mai 2016
Was passiert hinter der Leinwand?
(von Susanne Schmitt (LTT-Vorbericht))
Am Donnerstag im Landestheater: "Ganz großes Kino" mit dem Jungen LTT
Am kommenden Donnerstag gibt's am Landestheater "Ganz großes Kino": Geschrieben und inszeniert hat das Filmtheaterstück Michael Miensopust, Leiter des Jungen LTT. Dramaturgin Susanne Schmitt sprach mit ihm vorab über die Verbindung von Kino und Theater und darüber, was Filmhelden machen, wenn sie nicht im Film sind.
Susanne Schmitt: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, Theater und Film miteinander zu verknüpfen?
Michael Miensopust: Ich mache zwar als Regisseur und als Schauspieler seit Langem in erster Linie Theater, aber ich habe auch immer wieder in Filmen mitgespielt und habe früher auch einige gedreht.
Ich mag beide Medien sehr, denn beide wollen Geschichten erzählen. "Ganz großes Kino" ist daher eine schöne Gelegenheit, beides miteinander zu verweben. Und es ist spannend, bei den Proben und bei der Entwicklung dieses Stücks herauszubekommen, was Film und Theater miteinander verbindet, und was sie trennt. Es wird eine Mischung aus live gespielten Szenen und gedrehten Filmen geben - und im besten Fall weiß man gar nicht, was jetzt live ist und was nicht.
Das Stück spielt in einem alten Kino. Was macht den besonderen Charme eines solchen Ortes aus?
So alte Kinosäle, das waren und sind schon magische Orte, sie haben eine Geschichte, wie Theaterräume auch. Und ich habe mich tatsächlich als Kind gefragt, wo denn die Filme alle abbleiben, wenn sie gelaufen sind. Verschwinden sie hinter der Leinwand? Was machen die Filmhelden, wenn sie nicht im Film sind?
Till, die Hauptfigur in "Ganz großes Kino", wird mit den unterschiedlichen Filmgenres konfrontiert und trifft verschiedene Filmhelden. Wie haben Sie die Etappen und ihre Figuren ausgewählt?
Till gerät aus Versehen hinter bzw. in die Leinwand eines alten Kinos und landet in einer Filmwelt, die bevölkert ist von den großen Ikonen des Kinos. Ich habe nach Figuren gesucht, die Kino bedeuten. Dazu habe ich kräftig in der Filmgeschichte gekramt und geschaut, mit welchen Mitteln typischerweise gearbeitet wurde und wie sich der Film entwickelt hat. Mit der Formsprache des Films vom Stummfilm über den frühen Tonfilm, die ersten großen Klassiker bis hin zu aktuellen Superhelden spielen wir mit den Klischees von Kino herum.
Das Stück ist für Kinder ab acht Jahren. Glauben Sie, dass das Publikum Filmhelden wie zum Beispiel Marilyn Monroe oder Charlie Chaplin kennt?
Wir haben vor Probenbeginn Kindern Bilder von Marilyn Monroe und Charlie Chaplin gezeigt: Sie wussten nicht, wie sie heißen, aber sie wussten, dass sie etwas mit Film zu tun haben. Ich finde es auch nicht interessant, Kindern immer nur das zu zeigen, was sie schon kennen. Sie sollen im Theater auch etwas Neues erfahren. Außerdem sind Chaplin und Monroe einfach Ikonen des Kinos, die kann man gar nicht früh genug kennenlernen! Und überhaupt: Die Figuren in diesem Stück müssen ja nicht unbedingt das machen, was man - als Filmkenner - von ihnen erwartet.
Hatten Sie als Kind einen Lieblingsfilm?
Ich hatte großes Glück, in einer Zeit jung gewesen zu sein, als das Kino noch dabei war, sich immer wieder neu zu erfinden. Spielbergs "Weißer Hai" kam damals heraus oder die alten Teile von "Star Wars". So etwas hatte man vorher so nie gesehen.
Lieblingsfilm als Kind - weiß ich gar nicht mehr. Ich mochte das Kino an sich. Ich weiß noch, wenn ich das Geld nicht hatte, habe ich Pfandflaschen gesammelt, um ins Kino zu kommen. Ich glaube, "Spiel mir das Lied vom Tod" habe ich bestimmt über zehn Mal angesehen.
Und wir hatten auch früher noch die Möglichkeit, sozusagen die Kausalität der Filmgeschichte wahrzunehmen: Im Fernsehen gab es, auf unseren drei Programmen, ständig die alten Filme zu sehen: vom Stummfilm über die schwarze Serie bis zu "Raumschiff Enterprise" konnte ich quasi die Entwicklung nachvollziehen.