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FundStücke · Stückentwicklung des Generationentheater Zeitsprung
Schwäbisches Tagblatt, 16. Januar 2023
(von Sophie Holzäpfel)
Premiere: Das aktuelle Stück „Halt“ des Generationentheaters handelt von Figuren, die aus ihren Geschichten fallen und sich auf die Suche nach sich selbst begeben.
Sie sind aus ihren Erzählungen gefallen, sie kommen aus unterschiedlichen Jahrhunderten und begegnen einander in einer neuen Welt, in der die Geschichte noch nicht geschrieben wurde. Sie verlieren den Halt und sind zugleich mit der Freiheit konfrontiert, alles sein zu können. „Ich kann doch mehr!“, ruft Aschenputtel (Annika Oesterhelt), während sich Julia fragt: „Ist es überhaupt richtig, dass ich jetzt hier bin?“ Auf der Bühne nimmt ein intertextuelles Spiel seinen Lauf, immer wieder brechen die Schauspieler mit ihren Rollen, treten an das Mikrofon und reflektieren über ihre Figuren. Armando etwa habe sich nie zu Wehr gesetzt, sagt Schatz. „Ich will ihn anders spielen, dafür habe ich ihn aus dem Buch geholt“, wendet er sich an das Publikum.
Claudia Bitzer, die als emanzipierte und zugleich gebrochene Protagonistin auftritt, reflektiert über ihre Figur: „Klar ist es eine Stärke, Halt in sich selbst zu finden. Aber das kann doch nicht alles sein.“ Diese offenen Brüche mit der eigentlichen Erzählung werden zur Metakommunikation, in denen die Schauspieler und ihre Figuren in einen offenen Dialog treten. Im Mittelpunkt des Stücks steht dabei die Frage nach dem, was uns Halt gibt, nach dem Aushalten von Schmerz, nach dem Innehalten und der Notwendigkeit, etwas Einhalt zu gebieten.
Mit diesen Impulsen kommen sich die Charaktere näher und wenden sich wieder voneinander ab. In einem Prozess aus Nähe und Distanz erzählen sie einander ihre Geschichte und blicken zurück. Ist ihr Schicksal determiniert? Oder ist das ihre Chance, aus ihrem vorbestimmten Leben auszubrechen? Robinson Crusoe (Achim Walzer) träumt von wilden Seefahrten und neuen Abenteuern und stellt fest: „Wir sind ein Haufen Kreaturen, entsprungen aus unterschiedlichen Welten.“ Schauspieler Achim Walzer hält inne und beschreibt das ambivalente Verhältnis zu der literarischen Figur, die er verkörpert: Einerseits könne er der Attitüde dieses selbstgerechten Kolonialisten nur wenig abgewinnen, andererseits bewundere er ihn auch für seine Entschlossenheit. Manu (Barbara Schmidt), ein kleines Mädchen im Körper einer erwachsenen Frau, sinniert über Sehnsucht und Einsamkeit: „Ich weiß nicht, wie es ist, eine Familie zu haben“, sagt sie mit belegter Stimme. Julia führt ein Zwiegespräch mit sich selbst: „Nie ist es genug, immer muss ich noch besser sein.“ Mary Poppins (Susanne Feifel) stellt schlicht fest: „Ich begehre nichts, denn ich besaß alles, was ich genießen konnte.“ Christine Wedel, die eine erfolgreiche und doch unglückliche Businessfrau verkörpert, visualisiert ihre Emotionen indes bei einer Tanzperformance zu Billie Eilish. Am Ende bleibt die Frage, die Armando in den Raum wirft: „Diese Freiheit – ich weiß gar nicht, wie ich das aushalten soll.“ Plötzlich ertönt ein ohrenbetäubender Knall, Rauch breitet sich aus. Ein durchdringendes Alarmsignal leitet die Katastrophe ein.
Die Schauspieler, die zwischen 14 und 79 Jahre alt sind, erzählen in ihren selbstgeschriebenen Texten eine Geschichte über das Fremde und Vertraute, über das Wagnis, neu anzufangen, und über alte Muster, die nicht nur mit Monotonie, sondern auch mit Stabilität verknüpft sind. Während sie im Dialog über die Fragilität des Glücks nachdenken, verneigen sie sich zugleich vor den literarischen Schöpfern der Bücherwelten.
Zu dem Stück inspiriert wurde Regisseurin Helga Kröplin während der Lockdowns: „Was ist, wenn man das, was man liebt, nicht mehr machen kann?“, habe sie sich gefragt. Das offene Ende des Stücks habe sich auch durch die aktuelle Situation ergeben, denn „es gibt momentan keine Antworten, es gibt nur lauter offene Fragen“. Im ausverkauften Saal der LTT-Werkstattbühne hallte der Applaus an diesem Abend noch lange nach.