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Kinderstück von Kristo Šagor · 8+
Schwäbisches Tagblatt, 30. November 2001
Bittersüß und besser als Happy End
(von Dorothee Hermann)
Es beginnt wie ein Spiel –und entwickelt sich zu einer herzzerreißenden Geschichte von Freundschaft und Verlust. Das Junge LTT zeigt das Kinder- und Jugendstück „Ich lieb dich“.
Es fängt an wie ein Spiel. Schon der Stück-Titel „Ich lieb dich“ lässt an den abgenutzten Abzählreim „Er liebt mich, er liebt mich nicht“ denken (reichlich hetero und reichlich patriarchalisch). Wie es weitergeht, muss sich erst zeigen. Man hat aber das Gefühl, dass es nicht auf ein Happy End in irgendeinem siebten Himmel voller rosa Wolken hinausläuft. Auf der Bühne geht es nicht um Gänseblümchen-Orakel und romantische Schwärmereien. Es wird ziemlich schnell ziemlich ernst, als Lia (Fenna Benetz) nicht gleich antwortet, als ihre Freundin Juli (Toni Pitschmann) „Ich lieb dich“ zu ihr sagt und wartet. Man hält den Atem an und fürchtet kurz für Juli. Nicht mehr klein, aber noch nicht Teenie, sind die beiden im idealen Alter, um beste Freundinnen zu sein, die sich sehr mögen, und die doch etwas trennt.
In Lias Zögern deutet sich die Zurückweisung bereits an, die sie gleich äußern wird: „Ich lieb dich nicht“, sagt sie mit fester Stimme. Dass das nicht als vorläufige Neckerei oder als Einstieg in das beliebte Nein-Doch-Spiels zu verstehen ist, zeigt sich, als sie die Zurückweisung wieder und wieder äußert – und zwar so lange, wie Juli versucht, sie zu einer anderen Antwort zu bewegen. Das spielerische Kräftemessen der beiden Kinder wird immer stärker zur kalten Konfrontation, die die Härte der Erwachsenenwelt vorwegnimmt.
Vergleichbare eher sperrige Verhaltensweisen ziehen sich durch das ganze Stück: Auch andere Figuren, die sich nach und nach auf der Bühne materialisieren (allesamt von Fenna Benetz und Toni Pitschmann dargestellt), sind nicht automatisch auf der Wellenlänge der Mädchen. Lia und Juli müssen selbst beurteilen, was sie vom Verhalten und den Sprüchen der Großeltern halten sollen und davon, dass Julis Eltern sich trennen wollen. Beide Mädchen merken genau, dass Lias Eltern ganz anders miteinander umgehen als die von Juli. Beide ahnen, dass Liebe, Erwartung und Zurückweisung Gefühle sind, die selbst für Erwachsene zu heftig werden können. Weil sie über die einzelnen Szenen hinaus in spielerischer Freundschaft verbunden sind, geben die Mädchen allem einen schwingenden Rahmen, der sie (und die Zuschauer) davor bewahrt, zwischendurch ins Bodenlose zu stürzen. Etwa wenn Juli zweifelt: Würden die Eltern sie nur genug lieben, würden sie sich nicht trennen.
Autor Kristo Šagor und ebenso die Inszenierung trauen Kindern einiges zu (Regie: Gil Hoz-Klemme). Sie müssen selber durchschauen, was Erwachsene sagen und tun, sich im Zweifelsfall davon nicht klein machen lassen und für sich selbst einstehen. Auch wenn die Erwachsenen so bestimmend auftreten wie Lias Großmutter, die Kindern aus dem Abstand ihres Alters als erstes stets mit einem kommandomäßigen „Ich sag dir mal was!“ kommt – ganz egal, welches Kind gerade vor ihr steht.
Dass die Freundinnen trotz aller Ambivalenzen zusammengehören, deuten die regenbogenbunten Jeansklamotten an, die beide tragen. Dieselben kräftigen, leicht verfließenden Farben hat auch das einzige Requisit, eine überdimensionierte Jeansjacke, die als Brüstung oder Versteck eingesetzt werden kann (Bühne und Kostüme: Yvonne Schäfer).
Was wie ein Spiel begonnen hat, wandelt sich fast unmerklich zu einer herzzerreißenden Geschichte von Freundschaft und Verlust. Mit eher kargen Mitteln in Szene gesetzt, lebt das Stück von der Intensität der beiden zentralen Figuren und der Furchtlosigkeit, mit der die beiden Mädchen ihre Erkundungen über die Liebe auch dann vorantreiben, wenn es wehtut.
Reutlinger General-Anzeiger, 30. November 2001
(von Thomas Morawitzky)
In der Inszenierung von Gil Hoz-Klemme feiert am Jungen LTT das Stück »Ich lieb dich« Premiere.
»Ich lieb dich« ist das erste Stück, das Gil Hoz-Klemme am LTT inszeniert; Yvonne Schäfer schuf Kostüme und die Bühne. Die knallbunte Jeansjacke dort steht für Jugend und Gefühlsstürme, sie bietet den Darstellerinnen aber auch zahlreiche Spielmöglichkeiten, wird mit ihren langen Ärmeln zu einem Sprechapparat, öffnet sich und wird zum Versteck, dreht sich, wird zu einer kleineren Bühne. Juli und Lia bewegen sich dort im kindlich-emotionalen Spiel immer mehr auf einen großen Ernst zu. Ihr junges Publikum gewinnen sie bei der Premiere, sorgen erst für Gelächter, dann für Nachdenklichkeit.
»Ich liebe dich«, sagt die eine Person. »Ich dich nicht«, sagt die andere. Da ist sie, die Tragödie, das Missverstehen, das Misslingen einer ganzen Welt. Aber weshalb? Juli und Lia, die erste und die zweite Person, wissen es nicht. Die beiden, das zeigt sich schnell, kommen eigentlich ganz gut miteinander zurecht, sie sind Freunde – aber doch gibt es da die Distanz, die nicht zu überbrücken ist, die Gefühle, die unterschiedliche Intensität besitzen, etwas, das fehlt. Was aber ist das überhaupt? Mehr als nur ein Wort?
Im LTT sind es Juli und Lia, gespielt bei der Premiere des Stückes von Fenna Benetz und Toni Pitschmann, die sich diese Fragen stellen; in Kristo Šagors Originaltext heißen die Figuren Julian und Lia. »Ich lieb dich« heißt das Stück, zuerst aufgeführt 2018 in München, 2019 mit dem Mülheimer Preis für deutschsprachige Kinderstücke ausgezeichnet. Im oberen Saal des LTT tritt es sehr kindlich und sehr bunt auf: Die Mitte der Bühne beherrscht eine enorm große Jeansjacke, die da steht, als stecke jemand in ihr. Die Jacke ist mit roter, grellgelber Farbe bemalt, schreit Emotion geradezu hinaus in den Theatersaal. Juli und Lia umkreisen sie, auf ihrer Suche nach der Bedeutung der Liebe, sprechen miteinander, gegeneinander, befragen sich.
Bei diesem Spiel, das sich zuerst nur mit der Frage der Liebe beschäftigt, tritt nach und nach eine Geschichte hervor, oder: mehrere Geschichten. Sie handeln vom Heranwachsen, von den Veränderungen, die es mit sich bringt, von den Familien, zu denen Lia und Juli gehören, von Eltern, die streiten und sich scheiden lassen oder nicht. Immer wieder fragen die Kinder ganz naiv, blicken auf die Erwachsenen, versuchen auch, zu erraten, was ihnen die Liebe bedeutet. Und worin unterscheidet sich die Liebe zu einem Meerschweinchen oder zu einer Sorte Eis von der Liebe zu einem Menschen?
Denn Juli liebte, ehe sie das Colaeis liebte, das Zitroneneis. Lia spielt nun das höchst beleidigte Zitroneneis, weinend, klagend, jammernd, wütend. »Erkennst du mich nicht mehr? Ich bin’s! Das Zitroneneis!« Das Zitroneneis wird richtig böse, es droht mit Unvorstellbarem: »Ab 27 wird dein Lieblingseis Joghurteis sein! Dein Leben lang!«, schimpft es. Juli ist entsetzt. »Für immer?«
Toni Pitschmann, Mitglied des LTT-Ensembles, spielt Juli zurückhaltend, verletzlich, fragend. Sie ist das Scheidungskind. Fenna Benetz, derzeit auch am Zimmertheater in »Muttertier« zu sehen, ist Lia, ihr wilder, Possen reißender, ausgelassener Gegenpart, immer zu Späßen und kleinen Provokationen aufgelegt – eine Projektion zudem, denn, dies zeigt sich ganz zuletzt, beide trennt viel mehr als nur ein Missverständnis.