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Monolog von Wajdi Mouawad · Aus dem Französischen von Uli Menke · 14+
Schwäbisches Tagblatt, 22. Januar 2024
(von Dorothee Hermann)
Der Theatermonolog „Im Herzen tickt eine Bombe“ greift die Traumatisierung eines jungen Geflüchteten auf, der sich vielleicht in die Kunst rettet.
Eindringliches und auch forderndes Stück, weil sich neben dem, was auf der Bühne geschieht, vieles nur in der Vorstellung ereignet, was die Schauspielerin Tülin Pektas überzeugend und sehr bildhaft heraufbeschwört. Empfohlen ab 14 Jahren.
Ein wuchtiges Stahlgestänge, an dem dünne kupferfarbene Haken hängen, steht mitten auf der stark ausgeleuchteten, völlig weißen Bühne. Es kann an einen Käfig oder eine (Folter-) Zelle erinnern. Das Arrangement ist nicht von den Zuschauern abgesetzt, sondern diese sind Teil des Raums und können nicht sicher sein, ob das Geschehen bis zu ihnen vordringen wird. Besonders, als Schauspielerin Tülin Pektas mit den Sprühfarben loslegte.
Am Freitag brachte das Junge LTT, das Jugendensemble am Landestheater Tübingen, den Monolog „Im Herzen tickt eine Bombe“ des preisgekrönten kanadisch-libanesischen Autors Wajdi Mouawad in einer ungewöhnlichen Inszenierung heraus (Regie, Bühne, Kostüm: Monika Kosik und Cedric Pintarelli, auch als Graffitikünstler SWEETUNO bekannt).
Als eine Figur (Tülin Pektas) in graugrünem Overall beiläufig die Bühne betrat und freundlich „Guten Morgen“ sagte, brach das Assoziationen von Zellen oder Käfigen auf. Sie schuf eine entspannte, willkommen heißende Atmosphäre, in der sich die Zuschauer darauf einlassen konnten, was in dem kargen Bühnenraum geschehen würde, und auch neugierig darauf wurden, was die Darstellerin daraus machen würde.
Dann war nur das Rascheln zu hören, als sie eine Plastikfolie ausbreitete, auf der schon schwarze Farbspuren waren. Eine der weißgrundierten Pappen, die bereit für ein Bild an der Wand lehnten, hielt sie probehalber gegen das Gestänge: War sie als Protagonist Wahab einfach ein Künstler in seinem Atelier? „Wir wissen nie, wie eine Geschichte beginnt“, sagte die Schauspielerin in ihrer Funktion als Erzählerin, die zudem Zeit und Ort und Zusammenhänge lieferte und vor allem Wahabs Überlegungen hörbar machte: Erst hinterher, wenn alles vorbei sei, „fangt ihr an, die große Stille zu hören, in der ihr fast ertrunken seid“. Wie es möglich werden kann, wieder aus dem Verstummen herauszufinden, versucht das Stück vorsichtig nachzubilden. Ein einfaches Wort wie „früher“ kann reichen, um die Erinnerung und das Erzählen wieder in Gang zu setzen. Man muss nur erst das passende Wort für sich finden.
Während die Figur im Overall als Wahab sprach, mischte sie in einer Plastikflasche schwarze Farbe mit Wasser und legte los: Farbkleckse breiteten sich aus, feinste Spritzer, tendenziell nicht auf den beschränkten Raum eines Bildgrunds, eines Ateliers oder einer Bühne einzugrenzen. Dann hängte sie das Bild an das Stahlgestänge, was diesem ein wenig von dessen Bedrohlichkeit nahm.
In ihrem intensiven Solo beschwor die Schauspielerin den 19-jährigen Wahab ebenso lebendig herauf wie einen schimpfenden Busfahrer oder eine menschenleere Straße an einem Wintermorgen. Immer wieder schlüpfte sie in Wahabs Rolle und ließ aus sich herausbrechen, was in ihm vorging und welche Erinnerungen in ihm aufstiegen, was sie zudem in heftigem Action Painting umsetzte. Bis zu der Szene, in der sie sich in den Farben wälzte und mit dem schmutzigen Grauschwarz zu verschmelzen schien, als hätten die Erinnerungen sie verschlungen.
Stücktitel und Bühnenbild können anfangs etwas irreführend wirken. Denn der vielstimmige Monolog thematisiert nicht Extremismus und Folter, sondern innere Verletzungen und Traumatisierungen. Der Stahlkäfig erweist sich bald als Wahabs Atelier, in dem er seine Bilder aufhängt, und später als das Krankenhauszimmer der Mutter, zu der er an diesem Wintermorgen eilt, weil sie im Sterben liegt.
Reutlinger Generalanzeiger, 20. Januar 2024
(von Christoph B. Ströhle)
Mit Worten und Malerei: Wajdi Mouawads Stück »Im Herzen tickt eine Bombe« am Landestheater Tübingen
Als Tülin Pektas den Raum betreten hat, ist es noch laut in den Publikumsreihen. Die Schülerinnen und Schüler, die zur Premiere von Wajdi Mouawads Theatermonolog »Im Herzen tickt eine Bombe« gekommen sind, bemerken die Schauspielerin zunächst gar nicht. Sehen nicht, dass sie sich ihnen zuwendet und sie begrüßt. Mit ihrem dunkelgrauen Overall könnte sie auch eine Bühnentechnikerin sein, die letzte Vorbereitungen für die Aufführung trifft.
Doch Tülin Pektas schlüpft in die Rolle einer erzählenden Malerin. Oder einer malenden Erzählerin, wenn man so will. Der Theatertext des preisgekrönten libanesisch-kanadischen Autors Mouawad ist in der Ich-Form gehalten. Am LTT hat man sich dazu entschieden, eine distanzierende Ebene einzubauen. Mit einer Erzählerin, die die bildstarke Geschichte eines Traumatisierten in der Er-Form vorträgt. Keine schlechte Entscheidung. Was sie schildert, bleibt drastisch genug. Zudem trägt ihr Action Painting mit schwarzer Farbe im weißen Raum dazu bei, die Dämonen anschaulich zu machen, die Wahab, von dem die Rede ist, seit seiner Kindheit heimsuchen.
Wahab nennt den Bürgerkrieg, der sein Heimatland hat ausbluten lassen, seinen Zwillingsbruder. Er ist zugleich Auslöser der größten Angst seines Lebens. Als Wahab sieben war, wurde er Zeuge eines Terroranschlags, sah er, wie Menschen durch Waffengewalt und in einem zum Brennen gebrachten Bus starben.
Jahre später, er ist inzwischen in einem sicheren Land, reißt er von zu Hause aus, weil seine Mutter sich stark verändert hat. Sie hat Krebs, er kommt damit nicht klar. Und als dann, wieder Jahre später, er durch einen Telefonanruf erfährt, dass es nun so weit ist, dass seine Mutter im Sterben liegt, dass Chemotherapie und Bestrahlung nicht geholfen haben, macht er sich widerwillig und mit zitternder Seele auf ins Krankenhaus, wo die ganze Familie versammelt ist, um Abschied von ihr zu nehmen.
Monika Kosiks und Cedric Pintarellis Inszenierung zeigt auf, dass es Eindrücke gibt, die so stark und belastend sind, dass man keine passenden Worte für sie findet. Aber möglicherweise Bilder. In Mouawads Text, in dem auch ein autobiografischer Kern steckt, heißt es an einer Stelle, dass es Rasierklingen regnet. So empfindet der 19-jährige Wahab das. Er legt sich auf dem Weg ins Krankenhaus mit einem Busfahrer an. Vor dem gewaltigen Durcheinander, das in seinem Herzen herrscht, würde er am liebsten davonrennen. Aber wohin?
Er erinnert sich an Zeiten mit seiner Mutter. Als er, wenn er weinte, den Atem anhielt, damit sie es nicht bemerkte. Wie er ihrem Wunsch entsprach und ihre Füße massierte, als sie vor lauter Schmerzen nicht schlafen konnte.
Er sitzt im Wartezimmer, dessen Existenz ihm – in der Palliativmedizin – wie »Sadismus oder schwarzer Humor« vorkommt. Als alle Abschied genommen haben, traut er sich erst nicht noch einmal zu der Toten hinein, um seine Jacke herauszuholen, die er in der winterlichen Stadt braucht. Dann erinnert er sich an den Satz eines alten Mannes, dem er begegnete, als er von zu Hause ausgerissen war: Dass nur eine Kinderangst eine andere Kinderangst besiegen kann. Das hilft ihm, als er durch einen Dämon, der Sätze wie »Hab’ ich dich endlich« und »Dein Herz gehört mir« zu sagen scheint, in Bedrängnis gerät.
Dass sich Wahab seinen Ängsten stellt und er mit der Malerei auch einen Weg gefunden hat, Erlebtes zu verarbeiten, vermittelt Tülin Pektas den Zuschauerinnen und Zuschauern teils mit, teils ohne Worte in beeindruckender Dichte. Der psychologische Tiefpunkt ist erreicht, als sie sich mit dem ganzen Körper in der schwarzen Farbe wälzt – als der Terroranschlag, bei dem auch ein Freund Wahabs starb, zur Sprache kommt.
Umso mehr freut man sich mit Wahab, den man ja nur durch Tülin Pektas Erzählung kennt und dessen Schicksal einem dennoch nahegeht, als die Schauspielerin plötzlich Farbe in die düsteren Gemälde bringt. Wie der als Sweetuno bekannte Graffiti-Künstler Cedric Pintarelli es im Vorfeld der Produktion beschrieben hat, erscheinen Tülin Pektas Bewegungen, die entstandenen Bilder in Kombination mit der Erzählung wie ein lebendig gewordenes Bilderbuch. Das bei allem Schmerz auch Hoffnung transportiert.