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Ein Open-Air-Dorfkrimi zum Mitwandern von Arnd Heuwinkel
Reutlinger General-Anzeiger, 30. September 2024
(von Maria Bloching)
Gelungene Premiere des kapitalismuskritischen LTT-Dorfkrimis »Jeder hat eine Schanze verdient!« in Upflamör
Ein eisiger Wind weht am Samstagnachmittag durch den kleinen Ort oberhalb von Zwiefalten, in dem weniger als 100 Einwohner in idyllischer Natur zusammenleben. Das Wetter passt gut zur Premiere des Dorfkrimis »Jeder hat eine Schanze verdient!« in Upflamör, zu der rund 240 Zuschauer aus nah und fern warm eingepackt gekommen sind. Kleine Dekorationen zeigen schon: Hier will man der Natur und der Jahreszeit ein Schnippchen schlagen. Schlitten, Skier und Schneemänner heißen die Besucher entlang der Straße willkommen; was einzig fehlt, ist der Schnee.
Doch der soll bald Einzug halten, will man dem Investor Max Untersteller alias »Schampus-Maxi« glauben. Denn Upflamör braucht laut Bürgermeister eine Perspektive. Weil »Wälder, Felder, Dorfplatz und Idylle reichet et«. Maxi bietet die Lösung, denn wie schon Goethe sagte: »Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.« Die Theaterbesucher, die es sich auf ihren Klappstühlen gemütlich machen und während der vierstündigen Vorstellung immer wieder den Standort wechseln, haben ihn schnell durchschaut.
Damit sind sie den Dorfbewohnern um einiges voraus. Die glauben den irrsinnigen Versprechungen, wollen »der Welt zoiga, mo der Bardel da Moschd holt«. Denn »jeder von uns hat eine Schanze verdient«, singen sie. Immerhin gab es früher hier einen Skilift. Damals, vor der Klimakrise, als es noch massig Schnee auf der Alb gab. Übrig geblieben ist ein einsamer Masten, der an diese Zeiten erinnert. Auch er wird in die Kulisse eingebaut, mitsamt einem Sessel, neben dem eine Pistenraupe auf der grünen Wiese vor den Augen der Zuschauer zum Halten kommt. Alle im Dorf bereiten sich auf das große Winterparadies mit Schneegarantie vor.
Die Bauarbeiter der Lugner Hoch-Tief AG können es kaum erwarten, dass sie »älles omgraba, planiera ond verdichta« können, effizient und nachhaltig wie am Berliner Flughafen. Dorfbewohner ordern Darlehen und erwerben Aktien bei Max Untersteller, sie investieren in ein Hotel und einen Zoo mit Wintertieren.
Noch sind keine Chalets zu sehen, kein Spa Wellness Luxus Skiressort, »nur hässliche Einfamilienhäuser« und ein Bulldog, der als Shuttle dient. Eine Yeti-Familie aus dem Himalaya hat die lange Fluchtroute nach Upflamör auf sich genommen, weil es in ihrer Heimat zu warm geworden ist und sie sich in diesem »ewigen Eis am Friedinger Gletscher« eine Zukunft erhofft. Vergeblich. Da hilft nur die Gefriertruhe des Bürgermeisters. Der jedoch will keine Migranten bei sich dulden.
Seine Tochter Franzi gibt den Klimaflüchtlingen Asyl, kämpft gegen Bürger, Vater und deren irrsinnige Vorstellung von 350 Pistenkilometern, olympischen Spielen, Eiskanal, Après-Ski, Eiskunstlauf und Skisprungschanze. »Wir haben eine Erwärmung der Erdatmosphäre, Hochwasser, Erdrutsche. Stoppt den Wahnsinn«, mahnt sie, zunächst ungehört.
Der erwartete Gewinn vernebelt allen Beteiligten die Sinne. Bis Mädchen von »Fridays for Future« auflaufen und der Bürgermeister in die Rolle von Reinhold Messner tritt, um ein Veto einzulegen. Letztendlich wird Max Untersteller als Ganove entlarvt – und die Moral von der Geschichte: »Wenn man Kraft in etwas Sinnvolles steckt, kann man Berge versetzen.« Das motiviert die Upflamörer, sich neue Ideen für ihren Ort auszudenken.
Was hier dargeboten wird, ist spannend, witzig und überaus unterhaltsam. Mehr als 30 Dorfbewohner überzeugen unter der Regie von Arnd Heuwinkel und an der Seite der drei professionellen Darsteller Jonas Hellenkemper (Max Untersteller), Rosalba Salomon (Franzi) und Florian Brandhorst (Bürgermeister) durch musikalische, tänzerische und schauspielerische Talente. Ob kleine oder große Rollen: Die Akteure sind authentisch und tauchen mühelos in die Welt des Theaters ein. Sie machen mit, um »Spaß zu haben«, »was Neues zu erleben«, »den Leuten zu zeigen, dass Upflamör größer als jede Stadt sein kann«.
Für die Mitspieler ist dieses Dorftheater Heimat, es macht ihnen Freude, Leute zum Nachdenken und zum Lachen zu animieren. Viele Upflamörer haben noch Kindheitserinnerungen an Schneestürme, alle lieben die Natur ringsum, den Ausblick und den Zusammenhalt. Das spüren die Theaterbesucher: wenn sie zur Kapelle laufen oder dabei zuschauen, wie der Hof direkt neben dem Misthaufen zum Schauplatz wird, wenn sie jedem einzelnen Darsteller ins Gesicht schauen und seine Begeisterung miterleben.
Cul-Tu-Re.de, 29. September 2024
(von Martin Bernklau)
„Jeder hat eine Schanze verdient!“: Die Menschen von Upflamör machen mit dem LTT ihr Dorf zur Bühne
Schon dieser Name sollte als Welterbe gesichert werden: Upflamör ist ein abgelegener kleiner Teilort auf den rauhen schwäbischen Albhöhen über Zwiefalten. Mit Hilfe von ein paar Profis des Tübinger LTT lud das dortige „Theater in den Bergen“ am Samstag zur Premiere seines zweiten Stücks „Jeder hat eine Schanze verdient!“ und nahm dafür das ganze Dorf in Beschlag.
Es gibt in Upflamör noch die mittlerweile – weil seit Jahr und Tag sport-tauglicher Schnee ausblieb – völlig verrottete Bergstation eines Skilifts. Die gab vielleicht die Idee ab. Vor sechs Jahren hatte die Dorfgemeinschaft schon einmal eine theatralische Ortsbegehung veranstaltet, bei der es um eine Schatzsuche nach Öl ging. Jetzt stand in Arnd Heuwinkels krass zugespitztem Stück ein schmieriger Investor namens Maxi Untersteller (Jonas Hellenkämper) im Mittelpunkt, der dem Bürgermeister Bächler (Florian Brandhorst) das Projekt aufschwatzt, Upflamör zu einem XXL-Wintersportort mit Wellnesshotels, Schanze, Bobbahn und kilometerlangen Skipisten aufzumotzen.
Einer solchen theatralischen Satire ist fast alles erlaubt. Und sie kann mit eigenen Ideen und einer pointenreichen Sprache überzeugen. Da gibt es Gruppen wie die Bau-Brigade mit Helmen und „Lugner“-Label, als deren jüngstes Mitglied die dreijährige Ida Schwendele mitmachen darf. Schwäbische Schaffer, zum Nichtstun verdammt. Ganz toll ist die Yeti-Gruppe, in wunderbar reinweißen Eisbären-Kostümen, die am Ende als Klimaflüchtlinge aus dem Himalaya in Upflamörs Tiefkühltruhen Asyl findet.
Es gibt da aber auch die geldgeilen Upflamörer Honoratioren, die sich völlig hin und weg vom Bürgermeister und dem Schneeball-System des blau beanzugten Maxi einwickeln lassen. Von der ersten Szene an wird die Bürgermeister-Tochter Franzi (Rosalba Salomon), heimgekehrt in den langweiligsten und schönsten Ort der Welt, behutsam zur Gegenfigur für die grotesken und größenwahnsinnigen Pläne ihres Vaters für ein St. Moritz auf der Schwäbischen Alb aufgebaut – bis zum handfesten Showdown.
Wirklich wunderbar werden all die Orte des Dorfs der Reihe nach abgegangen und mit szenischen Ideen gefüllt, die eigenes Charisma haben: der außerhalb gelegene Friedhof mit seiner Kapelle, das Rathaus mit der verfallenden alten Schule gegenüber, der verlassene Hof in der Ortsmitte mitsamt seiner (vielleicht eigens rekonstruierten Miste), der Skilift, der zum Funkmast gewordene Wasserturm.
Ganz toll und erstaunlich war, dass all die vielen Laienmimen bei diesem Open-Air so laut und vernehmlich sprachen. Großartig die unglaublich variantenreiche Musikbegleitung des Duos aus Beni Reimann und Burkhard Finckh – vom Chanson bis zu Rap. Die Choreo der „Rich Kids Ski-Hasen“ war so klasse wie all die Kostüme überhaupt.
Es regnete nicht, trotz dem weiten und doch oft grau drohenden Himmel über der Alb. Aber es mag zur Premiere einen Kittel zu kalt und deutlich zu windig gewesen sein – und vielleicht doch auch etwas lang. Aber man hat in diesen knapp vier Stunden dieses Dorf und seine Bewohner nicht nur bewundern, sondern vielleicht sogar ein bisschen lieben gelernt. Unvergesslich war das jedenfalls.