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Performativer Try-Out von und mit Jens Lamprecht
Generalanzeiger Reutlingen, 21. Dezember 2018
(von Christoph B. Ströhle)
Kafkas "Strafkolonie" als Bühnenperformance
Am LTT hat sich Jens Lamprecht in der Reihe "Hop oder Top", in der Ensemblemitglieder ihre in Eigenregie erarbeiteten Projekte vorstellen, an einen "performativen Try-Out" gewagt. (...) Aufgelockert mit kafkaesker komik und teilweise perfide getarnt als harmlose Kochshow. (...) Stark!
Schwäbisches Tagblatt, 20. Dezember 2018
Ohne Unterhaltung geht heutzutage nichts
(von Dorothee Herrmann)
Warum „Kafkas Strafkolonie“ nach einer Kochshow umso stärker reinhaut
Es fängt an wie ein Stummfilm: Ein Mann in Frack und Weste tritt beiläufig von der Seite auf die Bühne und trägt ein prächtiges Grammophon vor sich her. Der Mann, oder müsste man sagen: der Herr (LTT-Mime Jens Lamprecht) macht sich selbst über seine Rolle lustig: Immer wieder lässt er seine Beine gummiartig einknicken. Bei alltäglichen Verrenkungen passieren ihm lästige kleine Missgeschicke, wie bei einem Stummfilmkomiker. Denn zunächst kommt dieses Einführung zu „Kafkas Strafkolonie – ein performativer Try-Out“ ohne Worte aus. Am Dienstagabend war Premiere der Schauspieler-Eigenproduktion in der Reihe „Hop oder Top“ am Landestheater Tübingen.
Im frühen 20. Jahrhundert liefen Typen wie der Mann mit dem Frack massenhaft herum. Es war die Zeit, als Kafka seine beunruhigende Erzählung erstmals öffentlich vortrug. Bei manchem Zuhörer verdichtete sich bei fortschreitender Lektüre der Eindruck, im Saal steige ein leichter Blutgeruch auf. Offenbar besaßen die Bewohner der Vergangenheit trotz des aus heutiger Sicht formellen bis verkrampften Erscheinungsbildes ein lebhaftes Vorstellungsvermögen. Das scheint sich in der gegenwart gründlich geändert zu haben, in der die Zeitgenossen und Zeitgenossinnen gerne unterhaltungsmäßig entspannen, um nicht von der „Schuld der Freiheit der Verantwortung“ (Lamprecht) niedergedrückt zu werden.
Der Schauspieler antwortet auf dieses Dilemma, indem er ein populäres TV-Format als Zwischenspiel zitiert: die Kochshow.Vielleicht wird er da schon ein bisschen zu anschaulich, als hantierte er mit frischen Eingeweiden, obwohl er nur Kartoffeln verarbeitet. Auch der Aufzug des fidelen, stets „freshen“ Pfeffer empfehlenden und eifrig die Pfeffermühle bedienenden Showmasters kann befremden. Denn der trägt keine Schürze, sondern einen Plastik-Overall in dunklem Orange, dr er seinen „Spritzanzug“ nennt.
Angeblich soll dieser das schöne 20er-Jahre-outfit schützen, das er noch darunter trägt, kann aber auch eher unbehagliche Assoziationen wecken: an Guantanamo-Gefangene (von denen niemand mehr spricht), an Tatortreiniger, oder an jene Finsterlinge, die zugange sind, bevor der Tatortreiniger kommt.
Lamprecht ist sehr versiert darin, Stimmungen aufzubauen und gegeneinander auszuspielen. Auf diese Weise lässt er die Zuschauer aus dem kulinarischen Genussmodus abrupt in Kafkas Folterszenario stürzen. „Ich bin hier in der Strafkolonie zum obersten Richter bestellt, trotz meiner Jugend“, sagt der Mann auf der Bühne, der weiter den Plastikoverall eines Schergen trägt. Am Ende bleibt Giorgio Agambens „Homo sacer“, das nackte Leben, der ausgelieferte Mensch.