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Projekt des tjc (Theaterjugendclub am LTT)
Uraufführung
Schwäbisches Tagblatt, 13. April 2015
(von Madeleine Wegner)
LTT-Theaterjugendclub thematisiert den Leistungsdruck in der Schule
Leistungsdruck statt Lebenslust: Elf junge Schauspieler des LTT-Theaterjugendclubs kritisieren in "Kopf voll, Herz leer!" das permanente Streben nach Perfektion. Eine beachtliche szenische Collage, die über das Thema Schule hinausgeht.
"Jetzt beginnt der Ernst des Lebens": Das bekommt so mancher Erstklässler zu hören. Dass die Schulzeit nicht nur bitteren Ernst, sondern auch wenig Leben bringt, zeigen elf Schauspieler vom tjc (Theaterjugendclub am LTT) mit ihrem neuen Stück "Kopf voll, Herz leer!". Am Freitag feierte es in der ausverkauften LTT-Werkstatt Premiere.
Wenn Bücher die Fantasie beflügeln und wie Schmetterlinge über den Köpfen flattern, dann ist die Welt noch in Ordnung. Doch was läuft da schief, wenn sich wenig später eine Schülerin Wissen wie leere Seiten bis zum Erbrechen in den Mund stopft, nur, um danach wieder von vorne zu beginnen?
"Auch im tjc schieden in den vergangenen Jahren wiederholt Jugendliche wegen psychischer Probleme aus. Ein Alarmsignal und Grund genug, sich mit dem Thema zu beschäftigen", schreibt Tobias Ballnus im Programmheft zum Premierenstück. Der LTT-Theaterpädagoge leitet seit 2002 die junge Schauspiel-Gruppe, gemeinsam entwickeln sie jedes Jahr ein neues Stück.
Fünf Schulbänke, die Schüler sitzen paarweise, eifrig strecken sie den Finger und liefern Antworten: mathematische Funktionsgleichungen, Fakten zu chemischen Vorgängen, literarische Stilfiguren, Latein, Leistung des Gehirns. Was diszipliniert scheint, wird zum Durcheinander, immer wilder, immer lauter, bis eine Schülerin schreit: "Neues Thema: die Zeit!"
Wenn die Zeit rennt, muss man mitlaufen
Tick-ticke-tick-ticke-tick: Die Uhr, die Zeit als erstaunliches, bewundertes, ja fast heiliges Gut wird hoch gehalten und weitergereicht. Doch die Uhr läuft, auch die Schülerinnen und Schüler rennen, ein Wettlauf gegen die Zeit und gegeneinander beginnt. Elektro-Beats wummern, während sich die Schüler Wissen in den Kopf hämmern, ein schweißtreibender Wettkampf, Hochleistungssport, bis sie außer Atem eine kurze Pause einlegen - um sich gleich darauf selbst ohrfeigend zu noch mehr Leistung anzutreiben.
"Wollt ihr wirklich so leben?", fragt eine Schülerin, in dem einzigen längeren Text des Stücks. Sie verweist auf den belgischen Psychologen Paul Verhaeghe: Heute gehe es nicht mehr darum, woher man kommt, wer man ist. Heute geht es darum, was man arbeitet und ob man damit erfolgreich ist, heißt: möglichst viel Geld verdient.
Deshalb würden die Menschen zu Egoisten, dem Prinzip Jeder gegen Jeden verfallen. Neugierde, Glück und Liebe blieben auf der Strecke. Und das fange bereits in der Schule an, referiert die Schülerin weiter: Die Zahl der Fünft- und Sechstklässler, die Nachhilfe nehmen, habe sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. Noch die Elterngeneration hätte 200 Stunden weniger Schulzeit gehabt: "Das sind 50 Tage unseres Lebens!" Die Folge: Immer mehr Schüler werden krank. Mehr als ein Drittel leidet unter Schulangst, Stress, Kopfschmerzen oder Einschlafstörungen. "Burn-out: Das ist eigentlich keine Kinderkrankheit."
In dem neuen Stück haben die Jugendlichen eigene Erfahrungen verarbeitet, sich aber auch mit Experten unterhalten und Fachartikel gelesen. Alle Versuche, sich mit regulären szenischen Improvisationen und einer Geschichte dem Thema zu nähern, seien jedoch unbefriedigend geblieben, so Ballnus. Vielversprechend und vielsagender hingegen seien die Materialimprovisationen gewesen, eine Technik aus der Performancekunst. Mit assoziativen Requisiten entwickelten die Schüler in langen Improvisationen Bilder.
Zum Beispiel die zahllosen weißen Blätter: Sie werden auf dem Boden verteilt, bilden Spuren, vielleicht pflastern sie den Lebensweg. Wie in einer Fabrik am Fließband werden sie stupide bearbeitet. Oder an den Körper geheftet - auf den Leib geschnitten sind sie sicher nicht. Denn: Ein weißes Blatt bleibt ein unbeschriebenes Blatt.
Unterm Strich
In "Kopf voll, Herz leer!" geht es nicht um den allerorten thematisierten erhöhten Leistungsdruck in der Schule. Das Stück stellt die ganz grundsätzliche Frage: Worum sollte es im Leben eigentlich gehen?
Schwäbisches Tagblatt, 9. April 2015
(von Ida Meinel (LTT-Vorbericht))
Das "Junge LTT" vor seiner morgigen Premiere: Ein Stück zum Thema Schulstress mit Assoziationsräumen auf der Bühne
Am morgigen Freitag feiert um 19 Uhr der Theaterjugendclub am LTT (tjc) mit einem neuen Stück Premiere: In "Kopf voll, Herz leer!", einem Projekt zum Thema Leistungsdruck, wird erzählt, wie aus Spiel und Freunde Arbeit, Anstrengung, Erschöpfung und Verzweiflung werden können. Regieassistentin Ida Meinel hat mit Spielleiter Tobias Ballnus und Darstellerin Elena Böhler, 17, über die Entstehung des Stücks gesprochen.
Ida Meinel: Ein Stück zum Thema Leistungsdruck in der Schule - wie kam es dazu, dass Sie dieses Thema für das diesjährige tjc-Projekt ausgesucht haben?
Tobias Ballnus: Ich habe in den letzten Jahren leider zweimal erleben müssen, wie Jugendliche wegen schulischer und psychischer Probleme aus dem tjc ausgestiegen sind. Auch als Theaterschaffender arbeitet man oft am Rande des Burn-out. Es gab also genügend ganz persönliche Anknüpfungspunkte.
Es gilt heute als selbstverständlich, viel und leistungsorientiert zu arbeiten. Das hat mittlerweile voll auf die Schule durchgeschlagen. Schule ist kein Lernraum mehr, sondern eine Vorbereitungsanstalt für die spätere Berufstätigkeit. Und zwar vor allem unter dem Aspekt der Leistung und nicht unbedingt des Wissens oder der Bildung. Ich finde diese Entwicklung falsch. Bildung hat etwas mit Entwicklung und nicht mit Abrichtung zu tun.
Elena, hast du Leistungsdruck in der Schule selbst erlebt?
Elena Böhler: Natürlich kenne ich das Thema. Ich denke, jeder Schüler hatte schon mal mit den hohen Anforderungen, die die Schule an uns stellt, zu kämpfen. Stellt man sich in meiner Schule vor den Klausurenplan der Oberstufe, sieht man, dass wir wöchentlich im Durchschnitt zwei Arbeiten schreiben. Dazu kommen außerdem Referate, Auswertungen, Hausaufsätze. Und dann noch die alltäglichen Hausaufgaben. Und vielleicht, wenn man super geschickt und schnell arbeitet, sollte man auch nochmal wiederholen, was man heute in der Stunde gelernt hat ...
Auf diesen Klausurenplan starren dann sechzig leere Gesichter, die sich fragen: "Wie soll ich das schaffen? Ich habe keine Zeit!" Es beschwert sich aber auch niemand. Natürlich motzen alle, aber früher oder später schluckt man seinen Frust eben doch runter und setzt sich an den Schreibtisch.
Hat die theatrale Auseinandersetzung mit diesem Thema besondere Auswirkungen für dich ?
Böhler: Ich finde die Arbeit an diesem Projekt sehr spannend! Wir machen auf etwas aufmerksam, was uns wirklich betrifft und worunter viele von uns leiden. Oft ist es einfach zu viel, denn die Schule hat uns nicht nur beigebracht, dass wir in möglichst kurzer Zeit, möglichst viel leisten müssen, sondern auch, dass wir mit der Konkurrenz mithalten müssen, also unseren Freunden und Mitschülern.
Auf der Probe ist das Klima zum Glück anders. Wir spielen miteinander, tauschen uns über Ängste und persönliche Erfahrungen aus und benehmen uns zur Abwechslung mal "menschlich".
Für mich selbst habe ich während des Projekts angefangen zu relativieren, was eine Note für mich bedeutet. Bestätigt sie, was ich kann oder was ich vorgebe zu können? Wie viel sind diese Ziffern auf einem Stück Papier wirklich wert und rechtfertigen sie den Stress und die Angst, die sie auslösen?
Herr Ballnus, man stößt sicher auf viel Material, wenn man zum Thema Leistungsdruck recherchiert und einige Ihrer SpielerInnen, wie auch Elena, kennen dieses Thema aus ihrem Alltag. Wie sind Sie damit umgegangen - und wie war Ihre Arbeitsweise mit den Jugendlichen?
Ballnus: Wir haben uns mit der Online-Beratungsplattform Youth-Life-Line vom Arbeitskreis Leben, dem schulpsychologischen Dienst des Regierungspräsidiums und der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Uniklinikums drei Fachinstitutionen auf dem Gebiet mit ins Boot geholt. Die haben uns in der Anfangsphase mit Gesprächen und Material sehr unterstützt.
Wir haben aber auf den Proben festgestellt, dass wir mit szenischen Improvisationen, in denen ein Geschichte erzählt wird, nicht sehr weit kamen. Die Jugendlichen selbst fanden vieles von dem, was so entstand, zu eindimensional und dem Thema nicht gerecht.
Daher haben wir uns dann für eine Art choreografisches Bildertheater entschieden. Wir schaffen auf der Bühne Assoziationsräume, die Veränderung und die Not des Einzelnen viel deutlicher erlebbar werden lassen, als es mit einem Theaterstück im klassischen Sinne möglich gewesen wäre.
Elena, du hast schon in einigen tjc-Projekten mitgemacht. Was ist das Besondere an dieser Produktion?
Böhler: Im Unterschied zu anderen Theaterstücken beschäftigen wir uns hier nicht mit Rollen, sondern mit uns selbst. Beziehungsweise, sagen wir, mit unserer Rolle in der Gesellschaft. Was wir auf der Bühne darstellen, ist eine Version von uns und unseren persönlichen Erfahrungen mit dem Thema Leistungsdruck.
Es ist teilweise sehr abstrakt, was aber einen anderen Blickwinkel ermöglicht. Das Spannende an der Arbeit ist vor allem, die persönlichen, also konkreten Erfahrungen, in abstrakte Bilder zu verpacken.