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Komödiantisches Trauerspiel von Michael Miensopust frei nach Friedrich Hebbel
Uraufführung
12+
Schwäbische Zeitung, 22. Januar 2015
Bruni tobt brutal in der Hochzeitsnacht
(von Kurt Efinger)
„Neues von den Nibelungen“ deckt die Landesbühne Württemberg-Hohenzollern auf
Aufmerksam und gespannt verfolgten die Werkrealschüler aus Kirchbierlingen sowie je eine Klasse der Ursrpingschule und des Johann-Vanotti-Gymnasiums am Mittwochvormittag das 90-minütige und damit spielfilmlange Spektakel in der Lindenhalle. Die Aufführung des Landestheaters Tübingen hatte alles, was die Kids von sprechenden Bildern erwarten: sechs vitale junge Akteure und jede Menge Sex and Crime. [...]
Schwarzwälder Bote, 1. Juli 2014
Frischzellenkur für Nibelungensage
(von Hans Werner)
Schramberg-Heiligenbronn. Stefan Folberth, amtierender Präsident des Lions Club Rottweil, verwies auf den Benefizcharakter dieser Aufführung, deren Erlös dem Projekt Helena der Stiftung St. Franziskus zugute kommen werde.
Stefan Folberth dankte dem Landestheater Tübingen (‘liTT) für ihre Bereitschaft, in Heiligenbronn Miensopusts Bearbeitung der Hebbelschen "Nlbelungen" aufzuführen.
In seinem »komödiantischen Trauerspiel«, wie er es nennt, wollte Michael Miensopust, Regisseur am Landestheater Tübingen, den alten klassischen Sagenstoff der Nibelungen entrümpeln, vom ehrwürdigen Podest herunterholen und jugendlichen Zuschauern, schon ab zwölf Jahren, zugänglich machen.
Er bezeichnet dieses Epos als die »Urstory aller Familiensoaps« und will zeigen, dass die häufigsten Triebfedern menschlicher Tragödien schon in diesem alten Sagenstoff vorgezeichnet seien und nichts von ihrer Gültigkeit verloren hätten.
Im Wesentlichen gehe es, damals wie heute, um Machtstreben, Liebesleid, Eifersucht, blinde Gefolgschaftstreue und erbittertes Rachegeflihl. Eine riesige epische Stoffmasse, 40000 Verse im mittelalterlichen Roman, hatte Miensopust auf 90 Minuten zusammengedrängt und so,
mit Erfolg, die wesentlichen Handlungskonturen herausgearbeitet.
Eine dreistufig aufgebaute Bühne in rotem und schwarzem Tuch gab den Darstellern mannigfache Gelegenheit,
sportlich virtuos herumzuturnen und die Zuschauer in die
jugendlich unkomplizierte Welt der Peer-Groups hineinzunehmen. Hier geht scheinbar alles locker zu und mit
fiotten Sprüchen wird ein unerschütterliches heiteres Lebensgefühl vermittelt.
Dimetrio-Giovanni Rupp gab mit schwingendem Schwert und einem blauen Plastikeimer als Tarnkappe den ahnungslosen, von Naivität strotzenden jungen Helden. Magdalena Flade spielte zunächst eine eher schüchterne Kriemhild, die sich erst später zur Rachegöttin entwickelt. Hemy Braun, als König Gunter, rot gewandet, war der leichtsinnige Lebemensch, der seine Schwester bedenkenlos an Siegfried vergibt (»er kann sie haben») und die weltweit bekannte exotische Schönheit Brünhild, wohl als gesellschaftliches Aushängeschild, für sich begehrt.
Andreas Laufer mimte den Herold, der als Erzähler eine
wichtige Überbrückungsfunktion hatte, aber auch, wie ein
Sportreporter, in mitreißendem Jargon, Wettkämpfe und kriegerische Ereignisse schilderte, und dabei das Publilkum in Atem hielt. Gerade die Einfüh‚rung dieser Reporterfigur war wohl die eigentliche dramaturgische List, mit der es der Regie gelang, die gigantische epische Erzählmasse wirkungsvoll zu reduzieren. In einer kurzfristigen Umbesetzung hatte Ivonne Gläserdankenswerterweise die Rolle der Brunhild übernommen.Die einzige Ausnahme unter den Jung-Akteuren bildete Rupert Hausner als Hagen von Tronje, der, hintergründig, drohend und gefährlich, schon von Anbeginn an rein politische Kalkül repräsentierte und geheime Macht- und Mordgedanken hegte.
Es war nun bei dieser Aufführung aufregend zu sehen,wie sich das Komödiantisch Groteske in den Anfangsszenen, bei dem man, wie in Unterhaltungsifimen minderen Wertes unbeschwert lachen konnte, allmählich in eine psychische Ernsthaftigkeit verwandelte, die einem das Lachen im Hals gefrieren ließ. Wenn zwei machtbewusste Frauen, wie Brunhild und Kriemhild, um ihren gesellschaftlichen Rang streiten, dann hört der Spaß auf.
Und wenn ihr schließlich Kriemhild den Gürtel präsentiert, den Siegfried ihr im Liebeskampf unerkannt abgezwungen hat, dann fühlt sich Brunliild, dieses zum Fürchten starke Weib, tief in ihrer Frauenehre verletzt.
Hier hilft nur noch Blut und Mord, und Hagen wittert instinktiv politische Morgenluft. Seine Stunde ist gekommen, den Rivalen mit dem Speer aus dem Weg zu räumen.
Wenn auch die Mordszene anfänglich durch den Gebrauch
untauglicher Waffen zunächst ins Banal-Lächerliche abzudriften scheint, gewinnt mit Siegfrieds Todesklage die
Handlung jene dramatische Höhe, die diesem Stoff eigen
ist und die man nicht verniedlichen kann.
Miensopust hat mit sicherem Gespür zwischen jugendlichem Jargon und der klassischen Hochsprache Hebbels gewechselt, und in diesem Wechsel der Sprachebenen, untermalt mit einer sehr wirkungsvollen Musik (Christian Dähn), kamen die grenzenlosen Leidenschaften der Akteure angemessen zum Ausdruck.
Diese Leidenschaften sind so unvorstellbar riesig, dass sie Heinrich Heine mit einem Zusammentreffen der großen
europäischen Dome auf einer ungeheuer weiten Ebene vergleicht, die in Wut geraten, sich untereinander würgen,
und schließlich Notre Dame verzweiflungsvoll ihre beiden
Steinarme gen Himmel erhebt, das Schwert ergreift und dem größten aller Dome das Haupt vom Rumpfe herunterschlägt.
Doch, sagt Heine weiter, kein Turm sei so hoch und kein Stein so hart wie der grinime Hagen und die rachegierige Kriemhilde. In dieser Beziehung übertriffi die Handlung der Nibelungen bei weitem all das, was Familiensoaps heutzutage dem Betrachter bieten können.
Kreisbote, 12. Februar 2014
(von Patricia Eckstein)
Landsberg – Es ist DIE deutsche Heldensage, jeder kennt die Geschichte um Macht und Tod, um Liebe und Verrat. Das Landestheater Tübingen hat nun den Nibelungenstoff als Kinder- und Jugendtheater auf die Bühne gebracht.
Frei nach dem Trauerspiel von Friedrich Hebbel geschah dies stark verkürzt, auf das Wesentliche reduziert, mit kraftvollen Bildern, überzeugenden Schauspielern und komisch, ohne den Ernst des Stoffes zu demontieren.
Mit den Frauen sollte man sich nicht anlegen, haben sie doch die wahre Macht. Diese Erfahrung müssen auch die Recken der Nibelungensage machen, denn die Rache der Damen ist fürchterlich. Der Held Siegfried, der Drachentöter, hilft dank seiner Tarnkappe dem Burgunderkönig Gunther, die stärkste Frau der Welt, Königin Brunhilde von Isenland (eiskalte Powerfrau Stefanie Klimkeit), im Kampf zu besiegen und erringt dafür die Hand von Gunthers Schwester, Kriemhild (mal zickiger Teenie, dann rachsüchtige Furie: Magdalena Flade). Diese, eifersüchtig, enthüllt Brunhild – die sowieso viel lieber Siegfried geheiratet hätte als Gunther – das Komplott, worauf diese blutige Rache an dem Verräter fordert.
Darauf hat der missgünstige Hagen von Tronje nur gewartet, er ringt Kriemhild das Geheimnis um Siegfrieds verwundbare Stelle ab und lockt diesen in eine Falle und tötet ihn. Kriemhild wiederum gibt nach sieben Jahren dem Werben des Hunnenkönigs Etzel nach und lädt mit seiner Hilfe die mörderische Verwandtschaft zu einem tödlichen Bankett.
Auf einer blutroten Treppe, die, je nach Handlungsort geteilt und nach vorne geschoben werden kann, nimmt das Drama seinen Lauf. Kommentiert vom Herold (Andreas Laufer) nach Sportreporter-Manier, mit den klassischen Mitteln der Mauerschau und des Botenberichts, erlebt der Zuschauer Wettkämpfe, Kriege, auch die Vorgeschichte Siegfrieds. Gunther, ein unfähiges, spilleriges Männchen, wunderbar verkörpert von Henry Braun, ist ein Spielball des intriganten Hagen (sehr präsent: Robert Hausner). Dimetrio-Giovanni Rupps Siegfried ist ein Actionheld, wie er im Buche steht: viel Muskeln, viel Mut, aber nicht allzu viel Hirn und deshalb leichte Beute für Intrigen.
Dass die zugegebenermaßen brutale und blutige Handlung kindertheatertauglich (aber laut Programm erst ab 12 Jahre) ist, ist der leichten, comedyhaften Spielweise und witzigen Einfällen zu verdanken. Der Nibelungenhort entpuppt sich als Kreditkartenfolder – schwierig im Rhein wiederzufinden… – die Tarnkappe als Plastikeimer. Und die Dramatik der Ermordung Siegfrieds wird gebrochen durch Hagens Schwierigkeit, die geeignete Waffe zu finden: Plastikspeer, Faschingsgewehr oder Star-Wars-Schwert?
„Ein komödiantisches Trauerspiel“ nennt Regisseur Michael Miensopust seine Hebbel-Adaption, getreu des Mottos des unvergleichlichen Dario Fo, dass das Lachen die Köpfe öffnet. Dass die Geschichte trotzdem ernst ist, liege in der Natur des Stoffes. Eine Gratwanderung zwischen Tragik und Komik, hundertprozentig gelungen.
Augsburger Allgemeine, 11. Februar 2014
(von Bärbel Knill)
„Die Nibelungen“ für die Jugend
Landsberg Sie sind die Basis unserer Kultur – Mythen und Geschichten, religiöse wie weltliche. Zweifellos einer der zentralen Mythen im germanischen Sprachraum ist das Nibelungenlied. Der Theaterregisseur Thomas Langhoff bezeichnete das „Nibelungenlied“ als „Spiegel der Seele der Germanen, in den man gelegentlich schauen sollte“.
Das Landestheater Tübingen und Regisseur Michael Miensopust haben sich mit „Neues von den Nibelungen“ die verdienstvolle Aufgabe gestellt, die Handlung dieses Epos, orientiert an Friedrich Hebbels Trauerspiel, für ein jugendliches Publikum aufzubereiten und es behutsam an den Stoff und die alte Sprache heranzuführen. Ein Versuch, der im Stadttheater zu sehen war, und der hervorragend gelungen ist.
Wie schafft man es in anderthalb Stunden, dieses umfangreiche Epos darzustellen? Regisseur Miensopust lässt einfach einen Herold auftreten, der den Spielmann Volker aus Hebbels Trauerspiel ersetzt, und der wie ein Radio- oder Sportreporter eingesetzt wird. So kann er rasend schnell und wie nebenbei die Vorgeschichte erzählen, die Nebelkappe erklären, das Bad im Drachenblut, die unbezwingbare Brünhild im Isenland. Ganz nebenbei sind auch einige Erwachsene froh, noch mal im Detail Dinge erklärt zu bekommen, die man bei Jugendlichen noch nicht als Allgemeinbildung voraussetzt.
Es beginnt eine temporeiche, witzig-jugendgerechte, aber durchaus auch für Erwachsene amüsante Inszenierung der Nibelungensage, mit einem kreativ-schlichten Bühnenbild aus einer zweigeteilten Stufenfront, einfallsreichen, modernen Kostümen mit historisierenden Anspielungen, witzigen und erstaunlichen Einfällen und quicklebendigen Darstellern. Verwirrende Details werden einfach weggelassen, der Kern der Geschichte, den man behalten sollte, wird klar herausgeschält und auf teils amüsante, teils tragische Weise vermittelt.
Brünhild ist unbesiegbar
Dass Siegfried (Dimetrio-Giovanni Rupp) der Starke, Unbesiegbare ist, entgeht niemandem, der ihn so hat aufstampfen und einen Riesenfelsen herumtragen sehen. Dass Brünhild ebenso unbesiegbar ist, ein echtes Kampfweib, das vergisst man nach der eindrucksvollen Darbietung von Magdalena Flade ebenfalls nicht. König Gunter wird von Henry Braun als Schwächling und unfreiwillig komischer Wichtigtuer dargestellt, was für viel Amüsement sorgt. Und der Hagen, den Rupert Hausner gibt, ist so gemein und hinterhältig, dass mancher junge Zuschauer, noch in der Handlung verstrickt, ihn am Ende fast ausgebuht hätte. Einige verblüffende oder lustige Effekte halten das Publikum in Atem: Die herannahenden Dänen und Sachsen werden per Pressemeldung verkündet, den Kampf zwischen Gunter und Brünhild erlebt man, indem man eine Zuschauertribüne vor sich hat und dem Sportreporter wie den Blicken der Zuschauer folgt.
Die Hochzeitsvorbereitungen werden wie eine Modenschau nach Art von Germany’s next Top-Model gezeigt. Um den Mord an Siegfried nicht übermäßig tragisch darzustellen, trägt der Herold als ironisierendes Element die komischsten Spielzeugwaffen herbei, die der Mörder Hagen nacheinander ausprobiert, bis endlich eine funktioniert. Behutsam mischt die Inszenierung dabei Hebbels alte Sprache mit jugendlichen lockeren Sprüchen, die für Belustigung sorgen, und führt das junge Publikum so an die ungewohnte Ausdrucksweise heran. Großen Eindruck hinterlässt das Bild der letzten Szene vom Blutbad an Etzels Hof: Kriemhild breitet einen Mantel über die Stufenbühne, der sich immer weiter ausbreitet, bis er die gesamte Bühne mit seinem Blutrot überzieht. Ein starkes Bild, eine eindrucksvolle, temporeiche und freche, aber nicht respektlose Inszenierung des altehrwürdigen Stoffs.
Südkurier, 18. Januar 2014
Uraltes Epos ist erstaunlich lebendig
(von garai)
Liebe und Macht, Verrat und Rache: Das Nibelungenepos ist wohl die Ur-Story aller Familien-Soaps. Das Landestheater Tübingen hat den Stoff ganz neu bearbeitet, wie jetzt im richtig vollen Theater am Ring in VS-Villingen im Jugend-Abo zu sehen war.
Da gab es also „Neues von den Nibelungen, frei nach Friedrich Hebbel“, dessen Trilogie rund sieben Stunden dauert und von Regisseur Michael Miensopust nun auf 90 Minuten gewissermaßen eingedampft wurde. Dabei blieben die Grundzüge des Epos erhalten, von der Ankunft des Siegfried am Königshof in Worms bis zu Kriemhilds grausiger Rache am Hofe des Hunnenkönigs Etzel. Auch Hebbels Sprache kam immer wieder zum Zug, in heroischen oder besonders lyrischen Momenten – und klang erstaunlich lebendig im Kontext ganz heutiger Dialoge.
Die wenigen zentralen Gestalten, um die sich das ganze unausweichliche Geschehen drehte, traten bei aller Stilisierung und markanten Charakterisierung ganz nachvollziehbar menschlich auf und demonstrierten sehr deutlich, dass sich an den Grundstrukturen und Hauptmotiven zwischenmenschlicher Beziehungen über all die Jahrhunderte nichts verändert hat.
Um die Fäden des Handlungsablaufs zu bündeln und zu straffen, trat ein „Herold“ auf, der mal als Nachrichtensprecher, mal als Sportreporter das Mikrofon ergriff und die Zuschauer mit allen nötigen Informationen versah. So gelangte man von einer hochdramatischen Szene zur nächsten, immer in Bewegung auf den hohen, (blut-)roten Stufen des eindrucksvollen Bühnenbilds (Vesna Hiltmann), das allenfalls ein wenig verschoben wurde, um in Brunhildes Burg auf Isenland, auf die Stufen des Wormser Doms, in den tiefen Wald oder an Etzels Hof zu entführen.
Die Kostüme unterstrichen originell das Wesen ihrer Träger, vom einfältigen Anzug des naiven Königs Gunther bis zur stolz gebauschten kalt-grünen Robe der starken Brunhild. Für die „Nebelkappe“, die ihren Träger unsichtbar macht, musste ein Plastikeimer herhalten – doch selbst bei solch witzigen Attributen artete das Spiel nie in Klamauk aus.
Vielmehr hielten die sechs Darsteller immer die Balance zwischen temporeicher Komik und wuchtiger Tragik, ob bei den schüchtern verliebten Annäherungen zwischen der fast kindlichen Kriemhild (Magdalena Flade) und ihrem „Superhelden“ Siegfried (Dimetrio-Giovanni Rupp), den leidenschaftlichen Kämpfen der überzeugend unbesiegbaren Brunhild (Stefanie Klimkait) mit dem hoffnungslos unterlegenen Gunther (Henry Braun), bei kalt kalkulierten Mordplänen des coolen Hagen (Rupert Hausner) oder im unermesslichen Leid des Rachegemetzels, das der „Herold“ (Andreas Laufer) so medientypisch kommentiert.
Die Musik von Christian Dähn verstärkte das Spiel gekonnt. So entstand ein spannendes, dem Stoff adäquates Stück Jugendtheater, das offenbar auch bei den vielen zum Teil noch sehr jungen Zuschauern gut ankam – wie der einigermaßen konzentrierten Ruhe und dem begeisterten Schlussapplaus zu entnehmen war.
Schwarzwälder Bote, 16. Januar 2014
(von bn)
Aufführung der "Nibelungen" mit vielen Überraschungen
„Das war richtig geil gemacht!“ Ganz aus dem Häuschen waren die Jugendlichen, die am Dienstagabend aus dem Theater am Ring strömten und vom Landestheater Tübingen gerade „Neues von den Nibelungen“ erfahren hatten.
Richtig gutes Jugendtheater, geschichtsträchtig, lehrreich und dennoch begeisternd, hatten die sechs Schauspieler nach dem Arrangement Michael Miensopusts gerade im Theater am Ringe abgeliefert. Das Heldenepos um Siegfried den Drachentöter, von Friedrich Hebbel einst für eine siebenstündige Aufführung geschrieben, war auf Spielfilmlänge gebracht und seine Kernaussage reduziert worden – ohne Substanzverlust. Im Gegenteil: deutlich wurden für die überwiegend jungen Zuschauer im ausverkauften Theater dadurch die Zusammenhänge der Ereignisse um Siegfried, seine Liebe Krimhild, seinen Bewunderer Gunther, seinen Widersacher Hagen und die starke Brunhild.
Überraschend: Die Geschichte aus dem zwölften Jahrhundert hat an Aktualität nicht verloren. Als „Ur-Story aller Familien-Soaps“ bezeichnet sie Regisseur Miensopust. Es geht um Liee und Hass, Neid und Eifersucht, Rache und Tod, ganz so, wen auch selten so drastisch endend, wie es auch heute auf den Schulhöfen beginnt und in den Nachrichten endet.
Apropos Nachrichten: Besonders gefiel die Idee, einen Herold als Nachrichtensprecher und Kommentator in das Stück einzubauen. Ein besonderer Coup gelang mit der Inszenierung eines „komödiantischen Trauerspieles“. Obwohl am Ende alle tragisch sterben, fand der Autor Raum genug für Humor, amüsante Überzeichnungen, Situationskomik und witzige Dialoge. Siegfrieds Nebelmaske ist ein Plastikeimer, Hagen erscheint in Bodyguard-Outfit und Gunther im tuntigen roten Anzug. „Ich will ja nicht negativ rüberkommen, aber es sieht sch...lecht aus“, sagt Hagen cool, als die Sachsen und Dänen angreifen.
Siegfried schlägt sie praktisch im Alleingang in die Flucht und hilft Gunther, Brunhilds Herz zu gewinnen. Bei der Doppelhochzeit von Siegfried und Krimhilde, Gunther und Brunhild interessiert den Boulevard natürlich nur eins: was für Kleider werden die Damen tragen?
Als Gunther auch in der Hochzeitsnacht die Hilfe Siegfrieds braucht, um seine Braut zu beglücken, kommt es zum Zickenkrieg. Krimhild kann das Prahlen mit ihrem starken Mann nicht lassen und die getäuschte Brunhild sinnt auf Rache. Siegfried wird ermordet und nun sinnt Krimhild ihrerseits auf Rache.
Es dauert zwar noch sieben Jahre, aber schließlich sind alle tot. Und die Moral von der Geschichte: „Auge um Auge und Zahn um Zahn hinterlässt auf beiden Seiten nur Blinde und Zahnlose“.
Reutlinger Generalanzeiger, 15. Oktober 2013
(von Monique Cantré)
»Neues von den Nibelungen« am LTT in einer unterhaltsamen Fassung für Zuschauer ab zwölf Jahren
TÜBINGEN . Unter sinfonischer Musik von Christian Dähn wie fürs Breitwandkino beginnt im LTT die mittelalterliche Familiensaga der Nibelungen. Die legendären Clan-Mitglieder erreichen über den Zuschauerraum die Bühne im großen Saal, die von einer rustikalen Showtreppe bedrohlichen Ausmaßes beherrscht wird: Steil führen nach oben immer höhere Stufen, über welche blutrote Schlieren »strömen«. Darauf vollzieht sich das Schicksal des Geschlechts der Nibelungen am Rhein, das selbstverschuldet durch Neid, Verrat und Rache untergeht.
Die steinalte Story ist mit dem Kinder- und Jugendtheater des LTT freilich durch einen Jungbrunnen gegangen, wobei außerdem ein von Ehrfurcht ungetrübter Blick auf das Lächerliche der Kraftprotzerei zu Heldenzeiten geworfen wird. »Neues von den Nibelungen« nennt Michael Miensopust seine Fassung nach Friedrich Hebbel mit dem Gattungsbegriff »komödiantisches Trauerspiel«. Die Sprache ist gewitzt und heutig; reizvollerweise kommen aber auch immer wieder Stellen in Hebbels »Hochsprache« vor – und beißen sich keineswegs mit dem modernen Slang.
Hatte Hebbel für seine Sieben-Stunden-Tragödie schon das mittelhochdeutsche Nibelungenlied gestrafft und aus dramaturgischen Gründen eingeebnet, so entbeinte nun Miensopust die Sage rigoros bis auf den Hauptstrang der Siegfried-Geschichte und dampfte alles auf 90 Minuten ein.
Bei der Premiere am Wochenende entpuppte sich die von ihm auch inszenierte Produktion für Zuschauer ab zwölf Jahren als von allem »teutschen« Ballast befreites, temporeiches Spiel mit sechs großartigen Schauspielern, die ebenso sportlich wie schwindelfrei die Steilvorlage der Kulisse von Vesna Hiltmann nutzen. Die Holzstufen dienen auch eindrucksvoll als Resonanzkörper für die Perkussion aus trampelnden Füßen.
Dimetrio-Giovanni Rupp entspricht als Siegfried von Xanten dem Bild des blonden Recken überhaupt nicht, bringt aber mit seiner Körpersprache den kampflustigen Kerl mit dem stählernen Selbstbewusstsein prächtig auf die Bühne. Den sinistren Hagen von Tronje spielt mit enormer Coolness Rupert Hausner, und Henry Braun gibt höchst beweglich den kümmerlichen König Gunther, dem Siegfried die Frau erobern und auch noch begatten muss.
Bei dieser Frau handelt es sich um Bruni, also Brunhilde aus Island, die stärkste Kämpferin im mittelhochdeutschen Kosmos, die von Stefanie Klimkait mit der nötigen Wucht und wehender Schleppe dargestellt wird. Ihre Rivalin Kriemhild, welcher der frisch angetraute Siegfried aus dem Brautbett entwischt, spielt mit wundervoll jugendlichem Schmelz Magdalena Flade, der es dann mühelos gelingt, zur skrupellosen Rächerin zu werden.
Mit ihrem zweiten Ehemann Etzel (ebenfalls von Dimetrio-Giovanni Rupp gespielt) tanzt sie zuerst Walzer und lockt dann die Nibelungen mit ihrer kompletten Entourage in die tödliche Falle. Ein grandioses Bild, das zugleich pures Grauen auslöst, beendet die Aufführung: Kriemhild steigt die Treppe herab und ihre rote Schleppe überzieht hinter ihr als riesige Blutlache die Szene.
Um die Handlung zu erläutern und zu kommentieren, gibt es einen Herold, der einem Radio- oder Fernsehreporter gleich munter ins Mikrofon labert. Andreas Laufer gibt in dieser Rolle sein LTT-Debüt. Mit Slapstick, ulkigen Requisiten wie einem transparenten blauen Eimer als Tarn
kappe oder einem Putzlappen als Kriemhilds Brusttuch erlaubt man sich fröhliche Albernheiten. Als Siegfried beim Trinken an der Quelle ins Jenseits befördert werden soll, gehen etliche Plastikwaffen zu Bruch. Man lacht und ist im nächsten Moment erstarrt, als Hagen den eisernen Speer zwischen seine Schulterblätter rammt. Da geht das Konzept des komödiantischen Trauerspiels ergreifend auf. (GEA)
Reutlinger Nachrichten, 15. Oktober 2013
Ist das Kriemhilds Rache oder was?
(von Kathrin Kipp)
Machtkampf, Intrige, Rache, Verblendung und das Leben als Wettstreit: Michael Miensopust nimmt sich die Nibelungen vor und interpretiert Hebbels Sagendrama recht sportlich. Für Zuschauer ab zwölf.
Speerwurf, Steinweitwurf, Weitsprung: Gunther muss im vormodernen Dreikampf bestehen, um Brunhild von Island zu ergattern. Weil sie aber zu stark ist, kommt ihm Superheld Siegfried mit seiner Tarnkappe zu Hilfe. Die Zuschauer im "Wotan-Stadion" sind begeistert. Die Zuschauer in der LTT-Arena auch, selbst wenn sie dem Wettkampf nicht direkt beiwohnen dürfen. Die spannendsten und heikelsten Szenen - den Krieg, den Wettkampf, die Hochzeitsnacht - gibts in Michael Miensopusts Nibelungen-Version nur per Mauerschau: Andreas Laufer als Herold berichtet live aus dem Wotan-Sport-Tempel, vom Schlachtfeld und vom Ehebett im Stile einer Radio-Live-Reportage oder als exklusive Royal-Klatsch-News. Durch den Erzähler kann man das Hebbelsche Sieben-Stunden-Drama locker auf Herbergers legendäre 90 Minuten kürzen.
Mit einem Mix aus Hebbel-Poesie und neudeutscher Sprache konzentriert man sich ganz auf die Kernstory, mit all ihren archaischen, mythischen, aber auch zeitlosen, lebensweisheitlichen, menschlichen und unmenschlichen Implikationen: Drachentöter Siggi ist Gast am Hofe Gunthers, hilft ihm bei all seinen Kriegs- und Liebeskampagnen und verliebt sich in Gunthers Schwester Kriemhild. Bei der Doppelhochzeit wird mächtig getrickst. Brunhild sieht sich gedemütigt, Hagen führt sich als ihr Rächer auf und trifft Siegfried an seiner einzig schwachen Stelle. Kriemhilds Rachefeldzug wiederum endet in der Familienkatastrophe - nicht schön.
Es geht also heftigst, aber durchaus noch jugendgerecht drüber und drunter. Ausstatterin Vesna Hiltmann stellt dafür eine bluttriefend rote Südkurve auf die Bühne, Stehplätze versteht sich, auf denen die Nibelungen jedesmal durcheinanderpurzeln, wenn Siegfried die Manege betritt, weil er so ein kraftstrotzendes Auftreten hat - einer der vielen Running-Slapstickgags, mit denen Miensopust den urmenschlichen Stoff auflockert. Dimetrio-Giovanni Rupp spielt einen sehr aufgekratzten, kampfeslustigen und dynamischen Supersupersuperhelden, der vielleicht nicht ganz so helle ist, dafür aber überall hilft, wo er kann. Als Tarnkappe benutzt Siggi Drachentöter einen bescheidenen Putzeimer. Nur mit der Romantik hat ers nicht so: Als er seiner angebeteten Kriemhild ein Heiratsantragsblümchen aus dem Gras zupfen will, reißt er gleich die gesamte Botanik aus der Scholle. Aber wo viel Erfolg (und viel Nibelungenschatz), da viel Neid, das wussten schon die frühburgundischen Leistungsträger. Nörgler Hagen (Rupert Hausner) will zwar "nicht negativ rüberkommen", kann es aber trotzdem nicht verputzen, was Siggi für eine Show abzieht. Mit seinen Intrigen schießt er allerdings weit übers Ziel hinaus: Hier ist mal wieder einer vor lauter "Nibelungentreue", Gier und dem ganzen Ehre-Quatsch maßlos verblendet. König Gunther (Henry Braun) wiederum will alles und bekommt alles, ohne einen Finger krumm zu machen. In Krisensituationen offenbart sich allerdings eine gewisse Entscheidungs- und Führungsschwäche, er hat offenbar die Stellenbeschreibung für die Königsposition nicht gelesen.
Brauns Gunther wäre mal besser Supervisor oder Kommunikationsprofi geworden: "Rache kann sich auch gegen sich selbst richten", doziert er sozialpädagogisch, dann bekomme man "Depressionen und psychosomatische Störungen". Romantic-Girl Kriemhild (Magdalena Flade) und Prestige-Schnalle Brunhild (Stefanie Klimkait) wiederum liefern sich einen Zickenkrieg, der jede Bravo-Foto-Story in Sachen Klischee-Vermittlung in den Schatten stellt: "Der Kampf von Mann und Weib" sei "nun auf alle Zeit ausgekämpft", stellt Brunhild fest, als sie in der Hochzeitsnacht vom männlichen Prinzip bezwungen wird und fortan ihre Kraft verliert, beziehungsweise auf dem Altar der Ehe ihre Selbstbestimmung opfert.
Die Nibelungen-Story bietet eben bis heute einen bunten Strauß an Diskussionsstoff, Reibungsfläche und Interpretationsmöglichkeiten. Magdalena Flade wiederum gewinnt durch ihre Heirat mit Super-Siggi an Stärke, Macht und Kreditkartenauswahl: So kanns auch gehen. Aber: "wenig Lust, viel Leid" - die besten Verbindungen bringen nichts, wenn sich das (hausgemachte) Schicksal gegen einen stellt. Und so nimmt das Drama - "Ist das jetzt Kriemhilds Rache oder was?" - seinen Lauf.
Das finale Gemetzel findet in Form einer riesigen, roten Brautschleppe statt, die zu Kaiserwalzer in Moll (Musik: Christian Dähn) die Arena-Stufen herabgleitet: ein toller Effekt in einer spannenden, lustigen, bedeutungsbeladenen, aber natürlich auch leicht selbstironischen Nibelungen-Soap.
Schwäbisches Tagblatt, 14. Oktober 2013
Wer früher wirbt, ist länger tot
(von Wilhelm Triebold)
Michael Miensopusts vergnüglich-gehaltvoller Nibelungen-Schnelldurchlauf am LTT
Hätten sie bloß die Finger voneinander gelassen! Der Siegfried von der Kriemhild, der Gunther von diesem unheimlichen Mordsweib auf Isenland. Sie wären allesamt märchenhaft alt und glücklich geworden, anstatt sich am Ende die Köpfe einzuschlagen. Aber sie mussten ja unbedingt auf die Minne gehen, beziehungsweise auf die Pirsch.
Im Theater sind Mythen und Sagen wieder im Kommen, also auch die „alten Mären“, wie sie das Nibelungenlied transportiert. Das LTT steht da nicht abseits und macht es doch auch anders. Michael Miensopusts „Nibelungen“-Digest dampft Hebbels Trauerspiel um vier Fünftel ein. Im Kern, auch sprachlich, bleibt es aber vorhanden.
Dabei ist „Neues aus Nibelungen“, am Freitag im LTT uraufgeführt, sehr heutig, selten oberflächlich oder auch nur abflachend. Zuerst führt es auf die falsche Fährte. Anschwellende Filmmusik, auf der Bühne ein Fotoprospekt mit schrundig aufgebrochener Straße, Typ Talheimer Steige nach dem Erdrutsch.
Doch danach suchen sechs Personen einen Autor. Und einen lockeren Anfang, mit oder ohne Hebbel. Es scheint, die Burgundersippe um Anführer Gunther langweile sich ein bisschen, und so kommt die Stippvisite des sagenhaften Vetters Siggi aus Xanten gerade recht, um herrschenden Überdruss gegen ein klein wenig Übermut einzutauschen.
Die Inszenierung hat hier gleich einen komödiantisch recht tragfähigen Einfall. In den Kino-Blockbustern bebt bekanntlich die Erde, wenn sich Monstermutanten oder andere Giganten auch nur von fern nähern: Dann hüpft alles unterm unsichtbaren schweren Tritt, ob nun im Jurassic Park, bei King Kong oder bei Godzilla. Erst wackelt der Boden, schließlich die ganze Bude.
Der Untergang des Hauses Gunther
Die LTT-Nibelungen schüttelt’s nun ebenfalls durch, wenn Supermann Siegfried nur mal ein bisschen fester aufstampft. Ein gute, parodistisch wirksame Idee, um das Durcheinander wiederzugeben, das dieser Zaubertrank-Hulk verursacht, nur weil er vor Kraft weder gehen noch stehen kann. In der Nähe des Naturburschen und Haudraufs fühlen sich alle anderen schwach und machtlos. Versuchen sie ihm nachzueifern, gibt das nur Frust oder ein Fiasko.
Es ist die Körperbeherrschung, die Bewegung, mit der die Schauspieler an dieser Stelle sprechen und mehr mitteilen als zuvor mit vielen Worten. Die Erschütterung wird nachempfunden, ironisch verarbeitet. Und scheint auf einen zentralen Satz hinzuweisen, den Gunther zu Hagen sagen wird: „Hast Du denn metallne Eingeweide, dass Du dich nicht auch erschüttert fühlst?“
Der Untergang der Hauses Gunther und der Burgunder: Kein sicherer Boden mehr unter den Füßen, kein Halt nirgends. Die Tübinger Inszenierung des Kinder- und Jugendtheaters für den Abendspielplan erzählt die Geschichte in flotten, am Ende gar noch gerafften hundert Minuten. Ohne alle Schwere und Düsternis, mit Augenzwinkern, aber trotzdem ebenso „ernsthaft“, wie derzeit jede koalitionswillige Partei in Verhandlungen zu gehen vorgibt.
Es ist ein erfrischend unkomplizierter und zupackender Zugang, den Miensopust und seine Crew zu Mythos und Hebbel-Drama gleichermaßen finden. Henry Braun trippelt als heillos überforderter König Gunther auf Freiersfüßen mit enorm komödiantischem Gespür und Geschick durchs Stück – ein unentschlossener Caligula-Dandy, der mit jedem Zögern oder Entscheiden die Sache nur noch verschlimmert.
Ihm zur Seite Rupert Hausner als nibelungentreuer Waffenmeister Hagen: weniger der grimmige Recke, eher griesgramzerfurcht dreinblickender Sicherheitsberater mit schmuckem Gamsbart-Ansatz. Dritter im Burgunder-Bunde ist ein redseliger Herold, den Andreas Laufer als loyal seinen Dienst verrichtenden Propaganda-Meldegänger spielt.
Den Brautwerbeträger Siegfried könnte man aufpumpen, mit schaupielerischen Muskelpräparaten dopen. Dimetrio-Giovanni Rupp bleibt angenehm unprätentiös. Ein Springinsfeld und Kriegsheld zwar, auch ein wenig Naturbursche und Haudrauf. Aber alles nichts zu sehr. Eher ein Rohdiamant, ungeschliffen, auch im Reden- statt im Schwertschwingen. Nur Kriemhild gegenüber wird er schwach, aber eben auch gesprächiger. Magdalena Flades Kriemhild verhungert als Charakter zwischen Backfisch und Lady Di. Stefanie Klimkaits Brunhild hat dafür reichlich Lara-Croft-Power.
Der Frauentauschhandel der Männer führt ins unwirtliche Isenland, ins Amazonenrandgebiet, wo Brunhild ihre bedrohlichen Kräfte mit jedermann misst, bis sie „hinaus in die Welt“ (nach Worms und Umgebung) muss. Nicht nur Gunther will mit einer Doppelblitzhochzeit „Strom sparen“, wie er sagt. Auch das (Bühnen-)Personal erweist sich als sparsam. Neun Rollen, verteilt auf sechs Darsteller. Weniger ist mehr. Die Aufführung protzt und prunkt nicht, sie reduziert aufs Nötige und Wesentliche. Geht es in den Garten, wird ein kleines Rasenstück mit Blümchen drauf ausgelegt. Und die Wasserflasche ersetzt und benetzt die Quelle, an der Siegfried den tödlichen Speer ins Kreuz kriegt. Dazu muss Meuchelmörder Hagen sich aber erst einmal slapstickhaft am ganzen Kriegsspielzeug abarbeiten.
Der Nibelungen Not am Mann
Die Bühnenlösung der Ausstatterin Vesna Hiltmann: einfach und effektiv. Eine blutrot bepinselte Tribüne – Bühne, Treppe, Germanen-Staffel und Podest zugleich. Geeignet für Duelle auf Augenhöhe, für Aufstiege und Abstürze. Und für Perspektivwechsel: Zum Beispiel in die Vogelperspektive, als führte kurz mal M.C. Escher Regie.
Schlag den Siggi: Der teutonische Total-Held ist nicht kleinzukriegen, muss aber kriegerisch seinen Mann stehen. Der Nibelungen Not am Mann: Nirgends zeigt sie sich besser als in der Täuschung, mit der sie die als unbezwingbar geltende Ober-Walküre Brunhild überwinden.
Das Kindertheater hat auch da eine blendende Eingebung. Wenn Kinder unsichtbar werden wollen, halten sie sich die Augen zu: Wer nichts sieht, wird nicht gesehen. Zu diesem uralten Trick greift Siegfried, indem er sich einen Plastikeimer überstülpt: Die Tarnkappe, die hier „Nebelkappe“ heißt und auch ein wenig eine Narrkappe ist, verstellt ihm (aber nicht dem Publikum) den Blick.
Es endet bös. Wer früher wirbt, ist länger tot. Siggi kriegt Krimhild und geht in allem voran. Wenn seine Witwe dann ohnmächtig trampelt, treppelt und tritt, knurrt Hagen nur trocken: „Ist das jetzt Kriemhilds Rache, oder was?“
Von wegen: Gemetzel bei Etzel als Kurz-Schluss unter walzerseligen Klängen. Und Kriemhild zieht ihre Schleppe wie ein plissiertes Leichentuch, wie einen sich ausbreitenden Blut-Teppich über die Stufen des Podests. Ein schlichtes, aber doch wieder wirkungsmächtiges Theaterbild. Hinterher: Reichlich Applaus.
Unterm Strich
Die Mythen- und Sagenwelt, kinderleicht gemacht: So macht sogar die Schockschwerenot der Nibelungen wieder Spaß. Und zwar für die ganze Familie.
Die Deutsche Bühne - Theatermagazin, 14. Oktober 2013
(von Manfred Jahnke)
Zwei Tribünen, auf denen die Schauspieler herumturnen können, rot verschmiert, dominieren die Bühne. Sie können hin und hergeschoben werden und markieren damit den jeweiligen Handlungsort. [...] In seinem „komödiantischen Trauerspiel“, „Neues von den Nibelungen“ entwickelt Michael Miensopust am Landestheater Tübingen frei nach Hebbel die Geschichte von Liebe, Verrat und Tod für Menschen ab 12 Jahren.
Ungemein geschickt bricht Miensopust die klassische Tragödie herunter im abstrakten Bühnenraum von Vesna Hiltmann auf ein gegenwärtig wirkendes Spiel von Posen egozentrischer Männer und den Abwehrgesten selbstbewusster junger Frauen. Im Sprechgestus wechseln sich jugendlicher Jargon und Hebbel’sche Hochsprache ab, vom Ensemble mit Bravour gemeistert. Mit einfachsten Zeichen wird dabei die Geschichte, wie Siegfried nach Worms an den Hof von König Gunther kommt, wie er diesem hilft, seine Brunhild zu erobern und Kriemhild zur Frau erhält. [...]
Sechs Schauspieler spielen hier neun Rollen. Das geht nur, weil Miensopust durch einen Herold, den Andreas Laufer komödiantisch zwischen sachlichem Kommentator und rasendem Rundfunkreporter anlegt, die Handlung immer wieder strafft. Die Figuren selbst sind eindimensional in ihren Grundhaltungen angelegt. Das aber konsequent, was das komödiantische Potenzial in höchsten Maße ausreizt. Zugleich verfügen die Tübinger über ein wunderbares Ensemble, dem es immer wieder gelingt, mehr als nur eine Persiflage auf den alten Stoff zu spielen. Allen voran zeigt Rupert Hausner als Hagen über das Spiel mit Augenkontakten das Lauernde, Gefährliche seiner Figur. Gunter, in blutrotem Anzug von Henry Braun vorgeführt, agiert wie ein trotzig aufbrausendes Kind, das alles haben muss, auch Brunhild. Und Dimetrio-Giovanni Rupp arbeitet mit wenigen Strichen die strotzende Naivität seiner Siegfried-Figur aus, ein Protzer, der um seine Unbesiegbarkeit weiß und gewohnt ist, nur zu nehmen. Für die tragischen Momente in diesem Männerpanoptikum sind die Frauen zuständig. Magdalena Flade spielt eine schüchtern-verträumte Kriemhild, die in dieser Männerwelt verloren ist und sich zurückzieht, bis sich dann die Chance zur Rache ergibt, die ihr die verspielten Züge wegnimmt: Sie verwandelt sich in männliche Verhärtung. Übel wird Brunhild mitgespielt, sie wird betrogen, zum Objekt männlicher Begierde. Stefanie Klimkait führt das in einer Mischung aus stolzer Haltung, Wut und Trauer über die verlorene Eigenständigkeit vor.
Miensopust setzt in seiner Inszenierung auf hohes Tempo mit genauen Rhythmuswechseln und einem präzisen Timing. [...] Das Publikum applaudierte begeistert.