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Familienstück von Erich Kästner
6+
Reutlinger Nachrichten, 4. Dezember 2018
Was zählt, ist die Freundschaft
(von Kathrin Kipp)
Mit Erich Kästners „Pünktchen und Anton“ kommt ein quirlig bunter und leicht psychedelischer Sozialkrimi mit Musik ins Junge LTT. Für die ganze Familie ab sechs Jahren.
„Es ist schwer, schwierige Fragen mit Leichtigkeit zu beantworten“, heißt es im Stück – zum Beispiel die Frage, warum es Arme und Reiche gibt, obwohl man ja alles auch gerecht verteilen könnte. Erich Kästner fällt in der Weltwirtschaftskrise 1931 auch keine leichte Antwort ein, aber mit seinem „Pünktchen und Anton“-Kinderkrimi beschreibt er die Krisenlage immerhin kindgerecht und realistisch. Luise, genannt Pünktchen, kommt aus reichem Hause, aber ihre Eltern haben nie Zeit für sie. Anton ist arm und hat keine Zeit für seine Mutter. Weil er das Geld heranschaffen muss: Seine alleinerziehende Mama ist sehr krank.
Die neue Jung-LTT-Chefin Oda Zuschneid bringt das Freundschaftsstück in all seinen freundlichen, traurigen, moralischen, lustigen, altmodischen, zeitlosen, gesellschaftskritischen und kitschigen Facetten auf die große Bühne des LTT und setzt noch ein paar psychedelische, musikalische und metatextuelle Farbtupfer obendrauf. Caroline Stauch hat für die unterschiedlichen Milieus eine detailverliebte Bühne geschaffen, mit viel Wolkenkuckucksheim, Elend und Pomp. Der Freundschaft wird gehuldigt mit zwei großen, vergitterten „A“ und „P“-Leuchtbuchstaben, während sich das Bühnenbild ständig wandelt: Mal sehen wir das Krankenlager von Antons armer Mutter, mal befinden wir uns in der Villa von Pünktchens Familie. Hinter der feinen Tafel hängt ein riesiges Gemälde – ein „echter Dingdong“, der sich durch spritzige Kunst auszeichnet, die in ihrem Chaos der gehüpften Hektik der Inszenierung entspricht: Die Figuren rennen oft gestresst über die Bühne und sind mit ihrem Leben eigentlich überfordert. An der Tafel thront der gestrenge Herr Direktor Pogge (Rupert Hausner), der lieber Zeitung liest, als sich mit seiner Tochter zu beschäftigen, und abends mit seiner anspruchsvollen Frau immer ins „große Schauspielhaus“ muss. Der mondänen Dame (Jonas Breitstadt) entgeht vor lauter Kunstgenuss und Konsumwahn, dass ihre Tochter (Kristin Scheinhütte) nachts in der nebligen Wäscherei des Adlon aushilft, um ihrer Erzieherin (Insa Jebens) zu helfen, die von ihrem fiesen Verlobten Robert, dem „Teufel“ (Jonas Breitstadt), erpresst und gedemütigt wird. Der gemeine Robert plant einen Einbruch in die Villa, was wiederum der schlaue Anton (Elias Popp) durchschaut, der die dicke Berta vorwarnt, die daraufhin dem Einbrecher mit ihrer quietschenden Plastikkeule eins über die Rübe ziehen kann, bis der „Wachtmeister“ eintrifft. Und so geht es in der quirligen Kästner-Show drunter und drüber, ständig passiert etwas, ein lustiger Effekt jagt den nächsten, damit die jungen Zuschauer bei der Stange bleiben. Das Ensemble führt außerdem als blauhaariges Erzählerkollektiv (Dramaturgie: Michel op den Platz) durchs Stück, das teilweise in die Gegenwart verlegt wurde, gleichzeitig aber auch den manchmal ein wenig altbacken wirkenden Kästnerkosmos beibehält. Die Erzähler streiten sich um die Rollen, sind aber alles andere als allwissend, so dass Anton auch mal ergänzen muss. Ansonsten wird leidenschaftlich gesungen und musiziert, gerne im Zwanzigerjahresound, mit Chanson, Kanon oder Dixieland, das Ensemble singt dabei wunderschön mehrstimmige Sätze und traurige Weisen: „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück.“ Mit Saxophon und Blech-Percussion auf Waschbrett und Trampolin klappert auch ein klein wenig Dreigroschenoper-Stimmung durch. Wobei der Einbrecher bei Brecht sicherlich ein sympathischerer Held wäre, der sich nur holt, was ihm weltmoralisch zusteht. Und schon sind wir bei den schwierigen Fragen, die nur schwer zu beantworten sind, auch wenn die Inszenierung meistens leichtfüßig, fluffig, manchmal psychedelisch daherkommt. Nicht nur durch den Soundtrack (Musik: Barbara Borgir), sondern auch bei Pünktchens (Alb-)Traum, in dem sich eine verkehrte Welt auftut, in der Kinder das Sagen haben. Aber egal, wie, wo und mit wie viel Geld: Was zählt, ist Freundschaft. Am Ende dürfen alle unter luftigen Tuchwolken tanzen.
Reutlinger General-Anzeiger, 20. November 2018
(von Thomas Morawitzky)
Das Junge LTT bringt „Pünktchen und Anton“ auf die Bühne. Das Mädchen mit den reichen Eltern und der arme Junge mit der kranken Mutter sind Freunde – die Geschichte ist alt und doch immer wieder schön.
[…] Erich Kästner hat seinem Jugendroman Kritik an sozialen Missständen eingeschrieben. „Pünktchen und Anton“ ist mehrfach verfilmt worden, wird auch heute noch immer wieder für die Bühne inszeniert: ein Stoff, der nicht verliert, mit seiner märchenhaften Auflösung aber auch eskapistisch wirkt. Oda Zuschneid thematisiert dies, zitiert etliche Fluchtwelten herbei, lässt ihre Darsteller Lieder von den Comedian Harmonists und Nat King Cole („Smile When Your Heart Is Aching“) anstimmen. […]
Schwäbisches Tagblatt, 17. November 2018
Kleiner Junge verhindert Einbruch
(von Miri Watson)
Ein Stück, das mühelos von gestern ins Heute springen kann: „Pünktchen und Anton“ in der Inszenierung Oda Zuschneids am Jungen LTT.
Natürlich geht es um große Themen wie Gerechtigkeit, Moral und Freundschaft in dem Kindertheaterstück „Pünktchen und Anton“ nach Erich Kästner, das gestern Vormittag im LTT Premiere feierte. Worum es aber auch geht: um Theater.
Das Publikum im großen Saal – der bei der Premiere gerappelt voll mit quietschvergnügten Grundschulkindern ist – kichert laut, als die zwei Schauspielerinnen und die drei Schauspieler mit blauen Langhaar-Perücken auf die Bühne kommen. Wirklich wahr sei die Geschichte, die sie gleich erzählen werden, beteuern die fünf. In einem Zeitungsartikel hätten sie von einem kleinen Jungen gelesen, der einen Einbruch verhindert, und jetzt hätten sie eine Bühne mitgebracht und Licht, Musik und Bühnentechniker in schwarzen Klamotten, um den Kindern zu zeigen, wie das so war mit Pünktchen, die eigentlich Luise hieß, und Anton, ihrem besten Freund. Ein bisschen Gerangel gibt's, wer denn jetzt die Pünktchen spielen darf (Kristin Scheinhütte bekommt den Zuschlag) und wer den Anton (Elias Popp). Auch Mehrfachbesetzungen werden ausgeknobelt. Und als Jonas Breitstadt verkündet, dass er Pünktchens Mutter darstellen möchte, kichert das Publikum wieder.
Die blauen Perücken verschwinden, die Geschichte beginnt und die Grundschulkinder beobachten gebannt die rasch wechselnden Szenerien: Pünktchen und Anton beim Auszählspiel. Pünktchen, in ihrem reichen Elternhaus mit den Eltern, der Köchin Berta und ihrem Kindermädchen Amanda (Insa Jebens). Pünktchen zu Besuch bei Anton, der für seine kranke Mutter Salzkartoffeln und Rührei kocht. Pünktchen, Anton und Amanda in der Wäscherei des Hotels Adlon, die dort nächstens Wäsche falten und sortieren.
Dazwischen Lieder und blaue Perücken, die eine Meta-Erzählinstanz darstellen, um die Szenerien in den Kontext zu rücken und zu erklären: Pünktchen kommt aus einer wohlhabenden Familie, ihre Mutter hat nie Zeit für sie und auch ihr Vater, der Direktor (Rupert Hausner), hat seinen Kopf immer irgendwo anders, aber selten bei seinem Kind. Anton lebt mit seiner kranken Mutter in einem schlechteren Viertel in Berlin. Beide Kinder gehen nachts arbeiten – Anton, um Miete und Haushaltskosten zu begleichen; Pünktchen, weil ihr vom Verlobten erpresstes Kindermädchen sie dazu überredet hat. Der fiese Verlobte will bei Pünktchens Familie einbrechen; das jedoch weiß Anton zum Glück zu verhindern. Am Schluss essen alle gemeinsam Windbeutel und sind halbwegs froh; nur der Verlobte ist natürlich eingebuchtet.
Oda Zuschneids Inszenierung der Kästner-Geschichte bewegt sich in einem seltsam normal anmutenden Spannungsfeld zwischen damals und heute: Smartphones tauchen ebenso selbstverständlich auf wie Spielzeug aus dem 1930er-Jahren. Die Sprache scheint zu Kästners Zeiten genauso passend zu sein wie auch heute noch. Und auch die großen Fragen sind noch dieselben: „Meine Mutter hat sich heute ein Kleid gekauft, das kostete 350 Mark und zu meinem Vater sagte sie, das wäre halb geschenkt“, sagt Pünktchen und Anton erwidert: „Meine Mutterverdient 70 Pfennig in der Stunde.“ Pünktchen errechnet, dass Antons Mutter 50 Tage für das Kleid arbeiten müsste und fragt nachdenklich: „Warum gibt es aber arm und reich?“
Dem neunjährige Premierenbesucher Emil gefiel das Stück: „Den alten Mann fand ich gut. Und am spannendsten fand ich die Stelle mit dem Einbrecher.“