Rolf Kindermann, Rosalba Salomon, Franziska Beyer / Foto: Martin Sigmund
Robi Tissi Graf, Franziska Beyer, Solveig Eger, Jennifer Kornprobst / Foto: Martin Sigmund
Rolf Kindermann, Lucas Riedle, Franziska Beyer, Jonas Hellenkemper / Foto: Martin Sigmund
Franziska Beyer, Lucas Riedle, Robi Tissi Graf, Jennifer Kornprobst / Foto: Martin Sigmund
Franziska Beyer, Rosalba Salomon, Jonas Hellenkemper, Robi Tissi Graf, Rolf Kindermann, Solveig Eger, Lucas Riedle, Jennifer Kornprobst / Foto: Martin Sigmund
Solveig Eger, Rolf Kindermann, Robi Tissi Graf, Rosalba Salomon / Foto: Martin Sigmund
Rosalba Salomon, Lucas Riedle / Foto: Martin Sigmund
Rosalba Salomon, Jennifer Kornprobst/ Foto: Martin Sigmund
Franziska Beyer, Rosalba Salomon / Foto: Martin Sigmund
Franziska Beyer / Foto: Martin Sigmund

Peer Gynt (she/her)

Eine Klassikerüberschreibung von Maria Milisavljevic nach Henrik Ibsen · 15+


Reutlinger General-Anzeiger, 14. April 2025

Scheitern eines weiblichen Egos

(von Thomas Morawitzky)

Ibsens »Peer Gynt« bekommt in der Überschreibung von Maria Milisavljevic´ eine doppelte Titel-Antiheldin

»Ich« ist ihr erstes Wort. »Ich blende alle Gerüche aus und höre nur das leise Rieseln des Sandes.« Henrik Ibsens »Peer Gynt« ist die Geschichte eines Träumers, der hinauszieht in die Welt. Mit anderen Worten: eines Egoisten auf der Suche nach sich selbst. Er stammt aus ärmlichen Verhältnissen, träumt sich fort, lügt, nimmt keine Rücksicht, verletzt, steigt auf, wird reich und mächtig, stürzt ab. All dies verwoben in die Bilderwelt nordischer Mythologie: ein seltsam verklärter negativer Bildungsroman, ein episches Gedicht für die Bühne, entstanden vor rund 180 Jahren und von bemerkenswertem Erfolg.

Die Werk- und Wirkungsgeschichte schwingt mit am Freitagabend im LTT, als Friederike Drews Inszenierung von Maria Milisavljevic’ Überschreibung des berühmten Stoffes dort Premiere feiert. Und doch ist etwas anders, denn Peer Gynt ist eine Frau: »Peer Gynt (She/Her)« lautet der Titel des Stückes.

Mehr noch: Milisavljevic´ lässt die gealterte Peer Gynt zuerst auf der Bühne erscheinen, um die Abenteuer ihres jüngeren Ichs zu verfolgen. Franziska Beyer ist zu sehen in der Rolle der verhärteten Frau, die die Welt erobert hat, ohne sich zu finden; Robi Tissi Graf ist an diesem Abend ihre jüngere Version.

Vorgesehen für diese Rolle war Rosalba Salomon – sie zog sich wenige Tage der vor der Premiere eine Verletzung zu. Wie Robi Tissi Graf nun zur jüngeren Peer Gynt wird, in dieser komplexen Rolle aufgeht – das will man kaum glauben, so sehr gelingt es. Und auch, dass Paula Aschmann kurzfristig anreiste, um jene Rollen zu übernehmen, die Graf zuvor innehatte.

»Peer Gynt (She/Her)« entpuppt sich weniger als eine Neuauflage des Klassikers mit anderen Vorzeichen. Das Stück wirkt vielmehr wie ein Remix des Originals, das viele weitere Bezüge einbringt. Der Zauberer von Oz tritt auf, wenn Robi Tissi Graf »Somewhere Over The Rainbow« singt, das Lied zunehmend grotesk und animalisch intoniert.

Ev Benzings Bühne bringt im ersten Teil eine Autostraße auf die Bühne, als Asphaltstreifen, der in die weite Welt führt, tristes Echo der »Yellow Brick Road« im märchenhaften Land. Felsbrocken liegen ihr zur Seite; gegenüber, als Hochstand, die Waldhütte, in der der junge Peer Gynt sich versteckt, in die er Ingo (Lucas Riedle) entführt und von sich stößt.

Wie eine Frau, die sich gegen die vorbestimmte Rolle auflehnt, kann Peer in dieser Szene noch gesehen werden. Im zweiten Teil dann ist aus der Straße eine Spielzeug-Autorennbahn geworden, die vor der Bühne steht. Was groß war, wird klein, bedeutungslos. Auf dem T-Shirt der jungen Peer steht in großen Buchstaben »Ich«. Auch die ältere Peer trägt ein weißes T-Shirt. Darauf steht, klein geschrieben: »moi«.

Reich geworden und abgestürzt

Franziska Beyer als jene Peer, die durch Sklavenhandel reich geworden ist, tritt ihrer Vergangenheit mit der Enttäuschung eines Menschen gegenüber, der weiß, dass die Welt den Verrat nicht wert war. Sie wirkt müde und schläft denn auch sitzend, während Lucas Riedle, nun als junger Kerl, den ganzen Hausrat davonschleppt, einschließlich der modernen Kunst. Paula Aschmann und Jonas Hellenkemper treten auf als Dorfbewohner, von Anna Weidemann in graue Kostüme gekleidet, ein unwirkliches Duo, das an Kafkas Gehilfen erinnert. Rolf Kindermann, in mehreren Rollen, schreitet sarkastisch vorüber, ist der verzweifelte Passagier, der Peer Gynt auf dem sinkenden Schiff zuruft: »Was soll aus meinen Kindern werden? Die haben nur mich!« – »Ich hab auch nur mich!«, ruft Peer Gynt zurück. Jennifer Kornprobst zeigt Aase, Peer Gynts Mutter, mit einem langen Monolog, eine Frau mit leidendem Blick; Solveig Eger spielt Solveig und die Trollkönigin, die gegensätzlichen Geliebten Peers, springt als Trollin vital umher, wird Peer Gynt verfolgen, wie all die anderen Gestalten, die immer wieder aus den Kulissen hervorspähen.

Geschlechtertausch mit Folgen

Geht die Überschreibung mit neuen Geschlechtspronomen einmal nicht ganz auf (schließlich zeugte Peer Gynt ein Kind), wird mit frecher Ironie weitergespielt. Die Schatten der Irren (Kornprobst, Aschmann, Eger) flackern auf den kahlen Wänden, als Peer Gynt in der Anstalt landet. Und Edward Griegs »Morgenmusik« erklingt, als er schon fast am Ende ist. Ein wenig Edgar Allan Poe darf auch noch in den Mix – denn wenn der Tod einer schönen Frau das »poetischste Thema der Welt« ist – was ist der Tod einer gewöhnlichen Frau?

Peer Gynt wird zur Frau, oder zu zwei Versionen einer Frau, sich selbst im Spiel betrachtend – ein Geschlechtertausch mit ungeahnten Folgen. Der Aufstand gegen das Patriarchat, der im ersten Teil des Stückes noch deutlich ausgesprochen wird, lässt eine Peer Gynt entstehen, die die Welt als Narzisstin gemeistert hat und sich in nichts unterscheidet von jedem zynischen weißen Mann.

Maria Milisavljevic´’ Version des Ibsen-Stoffes wurde 2021 als Auftragsarbeit am Theater Regensburg uraufgeführt – lange ehe Donald Trump den Gaza-Streifen in einen Golfclub verwandeln wollte. Aber an nichts anderes denkt man nun, wenn Peer Gynt davon träumt, die Wüste in ihr grenzenloses Egoland Gyntiana zu verwandeln.


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Schwäbisches Tagblatt, 14. April 2025

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Wut gegen die Zwänge

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cul-tu-re.de online, 12. April 2025

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(von Martin Bernklau)

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