Eine Klassikerüberschreibung von Maria Milisavljevic nach Henrik Ibsen · 15+
Reutlinger General-Anzeiger, 14. April 2025
Scheitern eines weiblichen Egos
(von Thomas Morawitzky)
Ibsens »Peer Gynt« bekommt in der Überschreibung von Maria Milisavljevic´ eine doppelte Titel-Antiheldin
Schwäbisches Tagblatt, 14. April 2025
(von Moritz Siebert)
Lauf, Peer Gynt, lauf: Das LTT lässt Peer Gynt (she/her) gegen das Patriarchat kämpfen und versucht, diese ambivalente Figur zu ergründen.
Nachtkritik, 12. April 2025
(von Steffen Becker)
Maria Milisavljevic hat Henrik Ibsens Drama um ein Pronomen erweitert und doppelt weiblich besetzt. Regisseurin Friederike Drews inszeniert das in Tübingen als Zwiegespräch zweier Alter Egos.
cul-tu-re.de online, 12. April 2025
„Peer Gynt (she/her)“ – Ein Zauberkasten
(von Martin Bernklau)
Respekt! Am Tübinger LTT hatte am Freitagabend Maria Milisavljevic Gender-Variante von Henrik Ibsens Weltgedicht eine Premiere mit Hindernissen
Respekt! Was das Tübinger LTT nach diesem Missgeschick mit Maria Milisavljevics sogenannter Klassiker-Überschreibung nach Henrik Ibsen (1842 bis 1906) da noch aus dem Hut gezaubert hat, war wirklich phänomenal: Rosalba Salomon, für die tragende Rolle der kleinen „Peer Gynt (she/her)“ vorgesehen, war mit dem Knie umgeknickt und (offenbar zudem noch ziemlich kurzfristig) ausgefallen.
Robi Tissi Graf als Einspringerin bekam einen Knopf ins Ohr, ebenso die aus München eingeflogene Paula Aschmann. Viel Arbeit für die Soufflage. Neben einer der acht Hauptpartien ging es da um über 20 Nebenrollen – von norwegischen Dörflern bis zu Trollen, Irren, Seeleuten und versnobten Jet-Set-People, die Regisseurin Friederike Drews neu durchmischen musste.
Peer Gynt, der „nordische Faust“ Henrik Ibsens, ist eine genauso seltsame Figur wie Goethes vielfach gebrochener und facettierter Held, auch er einer Art märchenhaftem Weltgedicht entsprungen und nicht so besonders gut für ein knackig stringentes Bühnendrama geeignet.
Maria Milisavljevic, 1982 geboren und in vielerlei Sparten mit Preisen und Erfolgen bedacht, hat den Stoff schon vor vier, fünf Jahren als Hausautorin fürs Theater Regensburg gegendert, als so etwas noch für ein bisschen aufregender, innovativer oder gar revolutionärer galt als mittlerweile. Dabei zeigt sie eine fast zärtliche Liebe für die gebundene bis gereimte Sprache von Ibsens Vorlage, die stellenweise sogar weit über jeden Hohen Ton des Theaters hinausgeht und ganz witzig mit Szene-Sprech und dem Raunen von Märchen, philosöphelnder Identitäts-Psychologik und klassenkämpferischer Kapitalismuskritik kombiniert wird.
Zwar hat sich Maria Milisavljevic – und mit ihr wohl dann alle Regisseure einschließlich Friederike Drews – heillos dabei überfordert und jedes Publikum auch, zumal sie ihre schillernde Titelheldin noch einmal in die Alte und die Junge aufsplittet. „Moi“ und „Ich“ heißen sie laut T-Shirt-Aufdruck. Dieses Spiegeln der Geschlechterrollen, rein praktisch überhaupt nicht stimmig durchzuhalten schon wegen der anderen Figuren, ist bereits im Binnengeschehen, also bei der schlichten Story, die halt ihre dramaturgische Logik braucht, unglaublich anstrengend zu verfolgen – von der nordischen Märchenebene nicht zu reden. Die Zuschauer sind auch ständig genötigt, sich abgleichend die Frage zu stellen: Was macht Maria Milisavljevic mit Ibsen, „ihrem“ Ibsen, mit ihrer Peer Gynt, wo will sie kritisieren, aktualisieren, weiterführen, umwerfen oder auch bewahren?
Aber andererseits hat sie für jede Inszenierung einen Zauberkasten geöffnet, der ihre Vorlage, dieses Wunderwerk an kindlicher, kultureller und auch ethnografisch volkstümlicher Fantasie noch einmal geradezu übermütig werden lässt. Friederike Drews und ihre Ausstatterinnen Eva Benzing (Bühne) und Anna Weidemann (Kostüme) nutzen das voll aus.
Das geht dann natürlich soweit (und darf es auch), dass diese ganze Ebene von Symbolen, Allegorien, zugespitzter Karikatur und vieldeutiger Offenheit selbst fürs gebildetere Publikum nicht mal mehr halbwegs mehr plausibel zu entschlüsseln, also buchstäblich im Wesentlichen – und darauf kommt es an beim „Peer Gynt“-Stoff – wie ein Zeichensystem zu dechiffrieren ist, sondern vom Vagen und Vieldeutigen bis ins Beliebige abrutschen kann. Also selbst in Spielerei, Effekt, ja Klamauk.
Neben den Einspringerinnen – ganz großartig! – sollen zwei, drei weibliche Rollen aus der Ensemble-Leistung hervorgehoben sein. Da ist natürlich Franziska Beyer, die den ganzen weiten Weltenweg ihrer älteren Peer Gyntin mit der Strahlkraft eines Regenbogens bis zum berühmten Zwiebel-Monolog zu spannen versteht. Da ist Solveig Eger, die ihrer Namenspatronin eine sehr subtile Färbung gibt, aber auch als Troll-Königin fulminant auftrumpfen kann. Und da ist Jennifer Kornprobst, die Peers Mutter, der Säufer-Witwe, dem „Vieh“, als bedingungslos liebendes Muttertier eine ergreifende Tiefe gibt. Sie erfährt dafür im Sterben Trost und Dankbarkeit von ihrem Kind.
Bei den Männern setzt Lucas Riedle vor allem als „junger Kerl“ besondere Glanzlichter, aber auch Jonas Hellenkemper und Rolf Kindermann spielen ihre je eigenen Potentiale sehr beachtenswert aus. Ein Lob für die Musik auch, die vom „Rainbow“ über Schuberts „Ave-Maria“ und Leonard Bernsteins „Glitter and be gay“ bis zu den romantischen Originalklängen von Edvard Griegs Bühnenmusik und seiner Doppel-Suite reicht.
Es wird geklatscht, gejubelt und fanmäßig gedröhnt am Ende dieser nicht ganz ausverkauften Premiere – wenn auch nicht übertrieben ausdauernd nach einer doch ziemlich langen Vorstellung.