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Familienstück nach Carlo Collodi, für die Bühne bearbeitet von Max Eipp
6+
Schwäbisches Tagblatt, 19. April 2021
Im glibbrigen Innern des Fischs
(von Frank Rumpel)
Das Junge LTT brachte den Kinderbuchklassiker „Pinocchio“ temporeich und frisch auf die Bühne. Ein Holzkopf will die Welt erfahren und erlebt wundersame Dinge.
Das Holzstück spricht, vielmehr piepst und quietscht es, haspelt durch die Sätze. Dabei schwebt es, entzieht sich immer wieder dem alten Schreiner Gepetto, der daraus gern das vierte Bein für einen wackligen Tisch gemacht hätte. Der eigenwillige Pinienast indes hat andere Pläne, will wie ein Mensch werden. Und so gibt Gepetto (eine von vier Rollen des wandelbaren Rupert Hausner) nach und macht aus ihm jene Figur, die er schließlich Pinocchio tauft.
Diese vom italienischen Journalisten Carlo Lorenzini ersonnene Geschichte, die er 1881 unter dem Pseudonym Carlo Collodi als Fortsetzung in einer italienischen Zeitschrift und zwei Jahre später als Buch veröffentlichte, ist längst weltweit zum Kinderbuchklassiker geworden, vielfach verfilmt und bearbeitet. Doch wenn schon so viele Bilder, so viele Vorstellungen und Deutungen vorhanden sind, wird es immer zum Wagnis, weitere hinzuzufügen.
Dem Jungen LTT gelingt das in einer Bühnenbearbeitung von Max Eipp und unter der Regie von Oda Zuschneid mit einer sehr vitalen und temporeichen, aber nicht überdrehten Inszenierung. Bei der kommt die Geschichte schlank und mit eindrücklichen Szenen, viel Musik und Bewegung daher. Schließlich ist es für Kinder ab 6 Jahren gedacht. Die Premiere am Samstagnachmittag im Saal gönnten sich aber auch etliche ältere Besucher/innen ohne Kinder.
Aus Gepettos Schrank springt Daniel Hölzinger als Holzpuppe, deren sonst staksigen Gang er mit nervösen, stockenden Zwischenschritten auf die Bühne bringt. Denn dieser Pinocchio hat Energie, kann sich kaum bremsen, will lernen, will die Welt erfahren, wenngleich er zwar neugierig, aber eben unendlich naiv ist. So macht sich der Holzkopf, wie ihn die als Puppe an einer Stange geführte weise Grille nennt, mit einer Fibel unterm Arm auf in die Schule, wo er freilich nie ankommt. Zu sehr staunt er über alles, was ihm da begegnet.
Ein Jahrmarkt kommt dazwischen, mit schwurbelnder Wahrsagerin („Dein Weg hat gerade erst begonnen“), einem starken Mann, der im sehenswerten goldenen Einteiler den Lukas haut (akustisch sehr schön unterstützt von Sounddesigner Alex Konrad) und zwei Marionetten (im fliegenden Wechsel von einer Rolle zur nächsten: Kristin Scheinhütte und Jonas Breitstadt), die da an Schnüren hängend hölzern Shakespeares Romeo und Julia rezitieren.
„Endlich treffe ich Leute, die aus richtigem Holz sind“, ruft da Pinocchio. Genau das aber soll ihnen zum Verhängnis werden, denn Zirkusdirektor Schmidtchen sucht Feuerholz und „Pinienholz brennt gut“. Pinocchio rettet sie alle drei und bekommt von seinem Widersacher („Was ist dein Vater von Beruf? – Er ist arm.“) aus Mitleid noch fünf Goldstücke mit auf den Weg.
Genau die aber wecken Begehrlichkeiten. Die schick gekleideten Gauner Fuchs und Katz wollen ihn zum Feld der Wunder lotsen, auf dass er die Geldstücke vergrabe und ein Vielfaches vom daraus wachsenden Geldbaum ernte. Keine Frage, dass Pinocchio genau das will, um seinem armen Vater zu helfen. Doch der Weg ist lang und unvorhersehbar. Da ist mitten im Wald ein Imbisswagen mit exquisiten Leckereien und als Pinocchio verloren umher irrt, rettet ihn zwar die blaue Fee, testet dabei aber auch gleich seine Wahrheitsliebe – im Schattenspiel wächst seine Nase. Und nach langer Odyssee stürzt er ins Meer – symbolisiert durch zwei auf die Bühne geschobene Wellenkämme, dahinter der große Fisch, der ihn jonasgleich verschluckt.
Waren zuvor zwei schlichte breite Bahnen von der Decke hängender Schnüre Wald und Wand (Bühne und Kostüme: Caroline Strauch), wurden sie kurzerhand fransig ausgestellt und weiß angestrahlt zum glibbrigen Innern dieses Fischs, in dem Pinocchio Gepetto, aber auch einen singenden Thunfisch trifft, den Kristin Scheinhütte als Puppe über die Bühne tanzen lässt.
Es sind solch abgedrehte, aber stets konzentrierte Szenen, die diese humorvoll wirbelnde Inszenierung prägen, in der eine Holzfigur sich selbst in der Welt entdeckt, eine sonderliche, immer wieder überraschende Welt freilich, in der es gilt, sich einzulassen und sich auch für andere einzusetzen.
Anhaltenden Applaus gab es dafür vom Publikum, das da getestet, mit Maske und auf Abstand sitzend, auf den ganzen Saal verteilt war und sich wohl auch darüber freute, endlich mal wieder im Theater gewesen zu sein.
Unterm Strich
Der alte Pinocchio erfährt hier eine gelungene Auffrischung. Das junge LTT bringt ihn temporeich und humorvoll mit Musik und witzigen Sounds, mit phantasievollen Puppen und einem in viele Rollen schlüpfenden Ensemble, vor allem aber mit schön eigenwilligen, oft skurrilen Bildern auf die Bühne. Das ist für Kinder ab 6 Jahren ein Fest, aber durchaus auch für Ältere sehenswert.
Reutlinger General-Anzeiger, 19. April 2021
(von Armin Knauer)
Pinocchio ist die Geschichte vom Stück Holz, das lebendig wird. Vom Ding, das Seele bekommt, nur durch die Fantasie. So als ob ein Kind es beim Spielen in die Hand nimmt. Genau so hat Oda Zuschneid den Stoff von Carlo Collodi für das von ihr geleitete Junge LTT inszeniert: als Spiel mit Dingen, die auf der Bühne lebendig werden kraft der Fantasie der Zuschauer. Die großen wie kleinen Besucher bei der Premiere am Samstag im unter Coronabedingungen ausverkauften Großen Saal waren voll mit dabei.
[…] Alles zusammen ein großartiger Spaß und doch Stoff zum Nachdenken. Anrührend, skurril, voll schräger Lieder und Tänze – Theater, um sich hineinfallen zu lassen ins Spiel der Fantasie.