Was verändert sich, wenn Theater in den Online-Modus wandert? Die Inszenierung von Annette Müller zur Widerstandskämpferin Sophie Scholl am Jungen LTT hebt das Gesicht, die Mimik und die Stimme(n) hervor. Das führt zu der paradoxen Erfahrung, dass gerade ein visuelles Medium erfordert, auch genau hinzuhören.
Am Donnerstagabend hatten sich 53 Interessierte zugeschaltet, um Nova Celeste (Kristin Scheinhütte) im Livestream zurück in die 1940er Jahre zu begleiten. Der Name Nova Celeste klingt wie für das Internet erfunden, als schützendes Pseudonym für Bewegungen in virtuellen Räumen, bei dem nicht ganz klar ist, wer sich dahinter verbirgt. Sie arbeitet sich durch Fundstücke aus dem Internet, Filmbilder, Informationen und Erinnerungen. „Das Internet erinnert sich an alles“, sagt sie eingangs.
Ein starker Moment ist, als die Inszenierung versucht, die weltallähnliche Ausdehnung des Internets erfahrbar zu machen, und die gewohnte Welt kurz wegzukippen scheint. Erst als sich wieder Gesichter manifestieren, weil die forschende Nova Celeste sie aufgespürt hat, kehrt die gewohnte Orientierung auch für die Betrachter zurück.
Die Schauspielerin Kristin Scheinhütte, sonst gerne irrlichternd-koboldhaft, beweist eindrucksvoll, wie gut sie auch Charakterrollen kann. Und wie sie allein durch die Sprachfärbung eine Figur glaubhaft erscheinen lassen kann wie die Schriftstellerin Ilse Aichinger (wie Sophie Scholl geboren im Jahr 1921) oder etwas fragwürdig wie Sophie Scholls Studienfreundin Susanne Hirzel.
Wer bei Hirzel einen falschen Ton mitschwingen hört, erfährt bei einer kurzen Internetrecherche, warum die Inszenierung das so angelegt haben könnte. Wenn sich gelegentlich Dramaturg Michel op den Platz einschaltet und selbst Bildschirmraum beansprucht, um Nova Celeste Fragen zu stellen, bekommt das Ganze auch Werkstattcharakter.
Für den Livestream ist die Frisur der Darstellerin noch strenger ausgefallen als auf dem Foto: streng nach hinten gekämmt und antikisierend hochgezwirbelt, als nähere sie sich der NS-Gegnerin aus einer uralten Bühnentradition.
Die gelben und roten Highlights um die Augen suggerieren in der Nahaufnahme eine Maske, ewiges Attribut der Mimen. Als würde das Theater der tragischen historischen Figur zugleich mit Distanz und Auszeichnung begegnen. „Sie haben ihr Leben für die anderen hingegeben in Gewaltlosigkeit“, sagt Nova Celeste aus dem nächsten Jahrhundert. Sie ist sicher, dass alle in der Widerstandsgruppe Weiße Rose wussten, wie viel Hoffnung sie anderen dadurch gaben, dass sie sich der Gewalt des Nationalsozialismus widersetzten.
Die vielstimmige Soloperformance ist auf jeden Fall ein interessantes Experiment. Sobald es möglich ist, wird sie auch analog im LTT oben präsentiert. Vorerst empfiehlt es sich, ein bisschen Englisch zu verstehen und sich mit Zoom auszukennen.