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Von Isobel McArthur nach dem Roman von Jane Austen · 12+
Merkur, Landsberg, 26. März 2024
Drei Stunden Achterbahn: „Stolz und Vorurteil* (*oder so)“ im Landsberger Stadttheater
(von Susanne Greiner)
Schrill, rasant, laut!
Landsberg – Wer an diesem Theaterabend die träumerisch-sanften Hügel von Hertfordshire erwartet, schlägt hart auf: Nach wenigen Sekunden schmettern die Schauspielerinnen (ja, exklusiv, es sind nur Frauen) „Total Eclipse of the Heart“ – mit all der 80er-Jahre-Inbrunst, die Bonny Tyler in den bombastischen Schmalzhit legte. Aber es ist ja auch nicht Jane Austens „Stolz und Vorurteil“, das das Landestheater Tübingen zeigt. Sondern die Fassung von Isobel McArthur – mit dem „(*oder so)“ im Anhang.
McArthur gibt denen eine Stimme, die in Austens Romanen nur Randfiguren sind: den Dienstmädchen. Sie erzählen. Wobei „Stimme“ dabei wörtlich zu nehmen ist: Die fünf Schauspielerinnen, die im Stück in die Rollen der fünf Schwestern – und allen anderen – schlüpfen, singen. Ständig. Inbrünstig. (Wir fragen uns insgeheim, ob Isobel McArthur Fan der Buffy-Folge „Once more, with Feeling“ sein könnte ...)
McArthurs Leitfaden: In Austens Roman werden Gefühle verdrängt. „Glück in der Ehe ist eine Sache des Zufalls“, lautet nicht umsonst eines der berühmten Zitate. Gefühle müssen aber irgendwann raus. Und deshalb ‚platzen‘ die Figuren vor Emotionen – und derer sind viele.
Am Anfang kommt kurz das mulmige Gefühl auf: Na, das könnte auf Dauer vielleicht ein bisschen zu viel werden, oder? Nein: Dominik Günthers rasante Regie zieht das Publikum in Bann – und in schallendes Gelächter. Vor allem, als auch die dreiköpfige Buchsbaum-Kombo singt, ist im Publikum kein Halten mehr. Auch wir wollen ab und zu mal ganz frei Emotionen zeigen.
Das macht unglaublich viel Spaß. Und funktioniert, weil zum Beispiel Emma Schoepe als kluge Elisabeth so ‚normal‘ wirkt im Gegensatz zu Rosalba Salomon, die ‚Grimassenkönigin‘ Mary hingebungsvoll auf die Bühne bringt. Wobei auch Schoepe mal im emotionalen Overload „Fuck you, Mr. Darcy!“ brüllen darf – hinreißend! Auch Insa Jebens überzeugt als völlig abstruse Miss Bingley, Franziska Beyers Lady Catherine de Bourgh (Yep, da singen sie „Lady in Red“) – und Susanne Weckerle schafft in all der Überdrehtheit als Mr. Darcy und Bennet-Mutter den Ruhepol.
Das Bühnenbild (Sandra Fox, die auch die schön-schrillen Kostüme verantwortet) strotzt nur so vor Ideen. Ein großer Rahmen wird zum ‚Bildschirm‘, auf dem wie beim Karaoke die Liedtexte mitlaufen. Als Requisiten ein paar Bäumchen in Töpfen, Gartenmöbel, die edle Vase aus irgendeiner Dynastie. Ansonsten: nichts. Denn genau so, wie die Schauspielerinnen zu Bäumen werden, können sie auch Standuhr – praktischerweise wird der Staubwedel dabei zum Pendel.
Hätte man das Ganze etwas kürzen können? Ja, schon. Dauert ja immerhin drei Stunden. Muss man Austen heutzutage so machen? Sicher nicht. Aber man darf. Und es macht so viel Spaß, die ganzen drei Stunden lang. Deshalb unser Resümee: Seufz!
Reutlinger General-Anzeiger, 2. Oktober 2023
Wenn die Jukebox Jane Austen spielt
(von Thomas Morawitzky)
Isobel McArthurs »Stolz und Vorurteil* (*oder so)« wird am LTT zu einem Geniestreich um Popmusik und Liebe
Fünf Schwestern müssen unter die Haube. Dabei geht es nicht unbedingt um die Liebe, sondern vor allem ums Erbe, denn das kann nur angetreten werden, wenn ein männlicher Stammhalter da ist. Großes Pech für die Familie Bennet: Es fehlt der Sohn.
Man hat Jane Austens Romane schon als schieren Horror gelesen. Im LTT geschieht das Gegenteil: Dort ist »Stolz und Vorurteil«, der bekannteste unter ihnen, nun in einer Inszenierung zu sehen, die mehr als drei Stunden lang vor Witz und Spielfreude nur so funkelt.
Die schottische Schauspielerin und Autorin Isobel McArthur hat mit »Stolz und Vorurteil* (*oder so)« Austen umgeschrieben, lässt die Handlung des Buches von Dienstmädchen erzählen, die in unterschiedlichen Austen-Büchern ihre Auftritte hatten, und legt ihnen eine große Auswahl an Karaoke-Songs in den Mund
Seit seiner Londoner Premiere im Oktober 2021 wird »Stolz und Vorurteil* (*oder so)« gefeiert – und auch in Tübingen, unter der Regie von Dominik Günther, in der musikalischen Leitung von Jörg Wockenfuß, ist es eine Sensation. Was Susanne Weckerle, Insa Jebens, Emma Schoepe, Franziska Beyer und Rosalba Salomon hier zeigen, ist ungeheuer komisch, ausdrucksvoll, berührend, unterhaltsam. Sie wandeln sich von Dienstmädchen in Schwestern in Tanten und Junggesellen. Sie singen mit wunderbaren Stimmen, sie grooven als Ziersträucher im Hintergrund. Sie erzählen ganze Romane mit ihren Blicken.
Sandra Fox schuf Bühne und Kostüme, lässt Elisabeth (Emma Schoepe), die archetypische Austen-Heldin, im dunkelblauen Seidenkleid mit gelben Turnschuhen auftreten. Insa Jebens spielt neben dem Dienstmädchen Tillie und der Schwester Charlotte den reichen und begehrenswerten Nachbarn Charles Bingley und dessen intrigante Schwester; sie trägt, manchmal, ein Häkeldeckchen auf dem Kopf. Franziska Beyer verwandelt sich auch in Lady Catherine de Bourg, eine drachenhafte Dame in Rot, die Tante des Heiratskandidaten Darcy – welch eine Gelegenheit, einen irischen Schmusesänger zu zitieren.
»Es gibt hier ein kleines Problem mit emotionaler Verdrängung« – das erfährt das Publikum zu Beginn schon. Ventil all der unterdrückten Gefühle ist der Gesang. Er ergreift Besitz von den Figuren. Nur Dienstmädchen Anne (Rosalba Salomon) soll bitte bloß nicht singen. Sie hat ihren großen Auftritt zuletzt mit einem Song von Freddy Mercury. Zuvor spielt sie zwei Schwestern und den Geistlichen Mr. Collins, dem Schaumstoff aus dem Mund quillt, der als Verlobungsring einen gewaltigen Donut präsentiert – und der die Gelegenheit liefert, einen anderen Schnulzensänger heraufzubeschwören.
»Stolz und Vorurteil* (*oder so)« spielt mit den Gefühlen, jongliert mit unzähligen Zitaten der Popmusik. Die Inszenierung reiht glanzvoll unterhaltsame Momente aneinander, lässt die Schauspielerinnen Kyle Minogue, Carly Simon, die Bee Gees, Prince, Sonny and Cher und Madonna interpretieren. Das bleibt spannend bis zuletzt, ist manchmal rührend, dann wieder frech und läuft in keinem Moment Gefahr, zu einer Nummern-Revue, einem bloßen Feuerwerk an Gags und Liedern zu werden – denn immer wieder ist es vor allem das lebendige, facettenreich verblüffende Spiel der fünf Darstellerinnen, das diesen Abend zu einem Erlebnis macht.
Schwäbisches Tagblatt, 2. Oktober 2023
(von Peter Ertle)
Das Theater macht mit Austens Romanstoff Karaoke, aus Sinn und Sinnlichkeit werden Coolness, Quatsch und Ironie
Dieses Stück passt ins Muster der in den letzten Jahren am LTT erfolgreichen Inszenierungen. Welche Arbeitsersparnis also, dass es Jane Austens „Stolz und Vorurteil“ in einer modernen, mit einem „oder so“ bezusatzten Fassung der schottischen Komödiatikerin Isobel Mc Arthur bereits gibt und man es nicht erst selbst basteln muss. Unter der Regie Dominik Günthers wird es lediglich noch weiter auf die hausinternen Erfolgsingredienzen frisiert: Songs, Songs, Songs. Mit 3 Stunden 10 Minuten schlägt der Abend LTT-Längenrekorde. Aber man fängt jetzt ja schon immer um Halbacht an.
Dass McArthurs Stück in England prämiert wurde und auch auf deutschen Bühnen reüssiert, ist rasch erklärt: Es ist komisch, dialogwitzig, ironisch, sehr heutig. Dem Stück ist die misslich-rechtliche Stellung der Frau im 19. Jahrhundert eingeschrieben, es lässt sich also, bei allem Spaß, auch politisch, feministisch lesen und verkaufen. Und es betreibt Geschichtsschreibung von unten, indem es aus Sicht der Haushälterinnen erzählt. Zumindest angeblich. Die letzten beiden Punkte sind nämlich eher fürs Programmheft. Bei allem Kostümwechsel, allen Brüchen, ist man doch immer bei Austens Figuren. Kritische Working-Class-Kommentare oder genuine Hausmädchenwahrnehmung des Upperclass-Lebens: Fehlanzeige. Es bleibt doch alles Kommentar des Erzählers beziehungsweise Austens beziehungsweise der Hauptfigur Elizabeth beziehungsweise McArthurs. Hausmädchen? Bräuchte es dafür nicht.
Sind das Einwände? Ja. Ist das Stück, ist die Inszenierung deshalb schlecht? Nein. Man darf nur keine falschen Erwartungen haben, weder eine Austen-Welt noch eine kritische Haushälterinnenwelt erwarten. Sondern eine lässige, freche, superironische Comedywelt, die vom Haus am Eaton Place bis Bridgerton in manch verwandten Welten gräbt.
Das Theater macht mit Austens Romanstoff Karaoke, das Genre wird dabei anders, aus Sinn und Sinnlichkeit werden Coolness, Quatsch und Ironie, in der die ursprünglichen Gefühle aber wiedererkennbar aufgehoben sind. Die ganze Gefühlsklaviatur ist da, wenn auch ins Groteske gedreht, zwei davon haben es in den Titel gebracht: Stolz und Vorurteil. Desgleichen die Story, die Mühe der Mutter, ihre Töchter an den Mann zu bringen, damals eine ökonomisch notwendige Sache. Nicht zu vergessen die Galerie der männlichen Verehrer, Angebeteten, Schreckgestalten. Alle Männer werden, logisch, auch von Frauen gespielt (der Vater wird ab und zu als Luftnummer im Schaukelstuhl gerockt), inclusive dieses zur Draculacomicfigur karikierten Collins zum Beispiel, gespielt von der erstaunlichen Rosalba Salomon, diese Spielzeit neu am Haus. Des Weiteren: Susanne Weckerle, Insa Jebens, Emma Schoepe, Franziska Beyer, ein tolles Ensemble, in einer bunten, ab und zu zitierenden Ausstattung von Sandra Fox. Ein Kostümfest zwischen Pomp und Fetzen. Und singen können sie alle!
Ist man unter der dicken Schicht aus Ironie auch einmal gerührt, ergriffen? Ja, seltsamerweise als Tillie plötzlich Hals über Kopf heiratet, sie und Elizabeth über ganz unterschiedliche Liebeskonzepte sprechen. Und vielleicht haben wir uns sogar mal kurz frauensolidarisiert, bei einem dreisten, voll männlicher Anmaßung steckenden Heiratsantrag. Von solchen Momenten hätte man sich mehr gewünscht, mehr kurze Einbrüche einer Triftigkeit, eines kontrastierenden Seelenernstes im Meer des Ulks: Ein Garten wird hier mit einer lustigen Zimmerpflanze dargestellt, zum Heiratsantrag wird ein riesiger Stoffring überreicht, das Quietschen der Hollywoodschaukel wird von der Schauspielerin selbst vertont, bei Gewitter gibt es zuckende Faxen hinter der sonst als Karaoketexttafel herhaltenden transparenten Wand, Figuren brechen aus wie Pferde und halten eine sehr heutige, mit allen erdenklichen F-Wörtern bestückte Schimpfkanonade. Slapstick, Buffoelemente, dass die Schwarte kracht.
Ab und zu gibt’s auch so etwas wie die Langeweile und Angestrengtheit des Lustigen. Dann wird schnell wieder ein Song drübergebuttert, immer grad der, dessen Liedtext auf die Situation passt, von Madonna, Chris de Burgh, Carly Simon, Gloria Gaynor, Wham, Spandau Ballet, da wird überhaupt kein musikalischer Schuh draus, außer dass sie fast immer aus den siebziger und achtziger Jahren stammen, also jener Zeit, in der das Gros des Theaterpublikums jung war. Das Theater holt die Zuschauer bei ihren nostalgischen Erinnerungen ab. Eigentlich auch ein bisschen gemein, billig. Funktioniert aber immer.
Am Ende sind die Zuschauer so begeistert, dass sie stehend Ovationen geben. Und als Zugabe selbst zu „Dancing Queen“ karaoken dürfen. Macht Spaß. Und zeigt, worum es hier geht, worauf der Akzent liegt. Als Rezensent möchte man da nicht weiter stören.
cul-tu-re.de, 1. Oktober 2023
(von Martin Bernklau)
Ein bisschen „Sex and the City“, viel Karaoke und ein rasanter Rollenwechsel in krassen Kostümen
Ein bisschen „Sex and the City“, viel Karaoke und ein rasanter Rollenwechsel in krassen Kostümen, ein wilder Mix aus Szenen und Zitaten von Jane Austens „Stolz und Vorurteil“, gerührt und geschüttelt. Man muss das gesehen haben, denn zu beschreiben ist es kaum, was die Engländerin Isobel McArthur mit dem prä-feministischen Kultroman aus dem England der Napoleon-Zeit gemacht hat.
Das Landestheater Tübingen wiederum hat unter der Regie von Dominik Günther keinen Aufwand gescheut, um aus der von Silke Peiffer übertragenen Vorlage (die übrigens am Wiener Burgtheater ihre gefeierte deutsche Erstaufführung hatte) ein schrilles Spektakel zu machen, das die Genre-Grenzen ständig überschreitet – was durchaus eine Art LTT-Programmatik ist.
Besonders beachtet werden muss dabei zunächst das gewohnt edel geometrisierte Bühnenbild von Sandra Fox: eine Art aufgeklapptes Buch mit Kunstrasen, lila-feministischem Rahmen und einem halbtransparenten Stoff an der Rückseite, auf den die Texte der Songs geworfen werden. Die Ausstatterin zeichnete auch für die zahllosen Kostüme verantwortlich, die von historisierendem Tüll über die Kittelschürze bis zum hippen Bustier reichen, in das sich das Frauen-Quintett aus Rosalba Salomon, Franziska Beyer, Emma Schoepe, Susanne Weckerle und Insa Jebens in fliegendem Wechsel hüllt.
Der erste Kniff der Autorin besteht darin, die ganzen intriganten Liebes-, Werbe-, Verlobungs- und Heiratshändel aus dem britischen Landadel von fünf Dienstmädchen erzählen zu lassen, mit denen sich die eher edlen Konventionen und Verhaltensweisen der eigentlichen Hauptfiguren weit ins proletenhaft Überdrehte ausweiten dürfen.
Diese volle Bandbreite von nachgezählt 18 Rollen decken die LTT-Akteurinnen virtuos, bunt und variantenreich ab, wenngleich dabei natürlich für vertiefte Charaktere kaum, nein: kein Platz bleibt. Ein paar Männerrollen werden leichthändig und mit besonders ironischem Touch nebenbei erledigt.
Charakteristisch für das Stück ist allerdings die kommentierende Ebene, die durchaus mit dem Chor des klassischen griechischen Theaters vergleichbar ist: Das sind gemischte Liebeslieder aus der Pop-und Rockkultur des vergangenen Halbjahrhunderts, von der romantischen Liebesschnulze bis zum hochsexualisierten Hot Stuff, wo das Girl einfach einen heißen Lover für die Nacht braucht.
Jörg Wockenfuß war für diese besonders wichtige musikalische Gestaltung in Form von Karaoke zuständig. Die Schauspielerinnen stachen jetzt alle nicht unbedingt durch exzellente Stimmführung oder aufsehenerregendes Timbre hervor, machten ihre Sache aber samt und sonders gut. Und den manchmal kessen ironischen Tonfall im gesprochenen Wort übertrugen sie auch mit Witz und Lässigkeit auf das gesungene.
Klar, dass sich das größte Problem der Inszenierung nicht lösen ließ. Während die oft erstaunlich werktreu übernommenen Worte Jane Austens – „Nach London! Nach London!“ konnte sogar als zusätzliche Anspielung auf Tschechow verstanden werden – ohne Schwierigkeiten übersetzen lassen, wäre eine Eindeutschung der Lied-Texte nur peinlich gewesen. So wanderten die Zeilen zu den Songs dann im Original wie sonst die Untertitel auf der halbtransparenten Leinwand auf oder ab, und das geneigte Publikum war gut beraten, der englischen Sprache mächtig zu sein.
Aber die rasante Revue, die doch auch Raum ließ für die gesellschafts- und geschlechter-analytischen Tiefen der erstaunlich wenig antiquiert wirkenden Austen-Worte und ihrer feinen Beobachtungen dürfte in ihrer grellen Buntheit selbst solchen Zuschauern Spaß gemacht haben, die da gewisse Defizite hatten.