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Schauspiel von Ayad Akhtar · Deutsch von Barbara Christ
Schwarzwälder Bote, 28. Mai 2019
Leidenschaftliches Plädoyer voller Spielfreude
(von Christoph Holbein)
„The Who and the What“ überzeugt trotz seiner thematischen Brisanz mit Leichtigkeit
Wer ein von Moralität triefendes Stück voller politischer und religiöser Agitation erwartet hatte, der sah sich nach eineinhalb Stunden Aufführung ohne Pause enttäuscht. Autor Ayad Akhtar offeriert sein Schauspiel „The Who and the What“ trotz aller Ernsthaftigkeit und politischer Brisanz des Themas – es geht um die Rolle der Frau im Islam – als locker-flottes fast komödiantisches Werk. Und Regisseurin Julia Mayr greift diese Leichtigkeit mit ihrer Inszenierung in der Werkstatt des Landestheaters Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen auf. Unter ihrer Hand entwickelt sich ein ironisch angehauchtes Spiel mit humorvoll gezeichneten Figuren. Das unterstützt das Ensemble mit großer Spielfreude, die sich im Verlaufe des Abends steigert, ohne zu überdrehen.
Eine große aus Polstern, Kissen und Matratzen bestehende Sofalandschaft inmitten der Spielfläche – Dietlind Konold hat das Bühnenbild kreiert – bildet das Zentrum des Geschehens. Mit ein paar Handgriffen, dem Verschieben der Polster und wenigen Requisiten gestalten sich immer wieder neue Spielorte, mal das Wohnzimmer, mal ein Café, mal die Bank in der Natur mit Vogelgezwitscher. Mit leisem Witz erzählt Akhtar - und die Regisseurin folgt ihm dabei - die Geschichte von Zarina, einer jungen Frau aus einer pakistanischen Einwandererfamilie in Atlanta, die ein Buch über den Propheten Mohamed schreibt – „The Who and the What“ – und dabei zur Erkenntnis kommt: „Niemand sollte sich in Sachen Sex vom Propheten beraten lassen.“ Ihr Nachforschen, wie es etwa zum Dogma des Schleiers für Frauen kam, stößt auf Widerstand bei ihrem Vater, der sich als strenggläubiger Muslim und erfolgreicher Taxi-Unternehmer Sorgen um seine Tochter macht und sie lieber mit einem aufrichtigen Moslem verheiratet sehen möchte.
Die Aufführung beginnt wie ein Kammerspiel vielleicht sogar ein bisschen leise und zurückhaltend, steigert sich dann gleich in eine Kissenschlacht und lebt danach von diesen Slapstick-Einlagen und kleinen Gags. Das ist witzig gespielt mit gut gezeichneten Figuren. Vor allem Andreas Guglielmetti lebt in seiner Rolle als Vater Afzal richtig auf. Die pointierten Dialoge sind schön getimt mit Dynamik und komödiantischer Intensität. Die Szenen sind akzentuiert und gewinnen ihre Vitalität durch das hohe Engagement der Schauspieler. Das ist schön übersetzt in eine aussagekräftige Körpersprache, bei der sich vor allem Jennifer Kornprobst als Zarina besonders facettenreich hervortut. So ist die Korankritik – „Ich hasse, was der Glaube mit uns Frauen macht“ - in ein amüsantes, schön pointiertes Spiel verpackt, das die Zuschauer immer wieder zum Lachen, zumindest aber zum Schmunzeln bringt. Das ist intensiv und mitunter auf die Spitze getrieben, mit einem guten Tempo, manchmal turbulent und rasant, mitunter echauffiert und immer flott gespielt. Die Regisseurin findet die richtige Ausgewogenheit zwischen ernsthaftem Inhalt und passender Leichtigkeit, auch wenn zum Schluss die Welt der Protagonisten auseinander zu brechen droht und die Sofateile in allen Ecken der Bühne geschleudert werden.
Die mit leichter Hand gestaltete Inszenierung beweist, dass es auch ohne erhobenen Zeigefinger geht, um die Botschaft zu vermitteln, und die ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Liebe – selbst für die zum Propheten.
Reutlinger Nachrichten, 30. April 2019
Die Töchter, Gott und das Patriarchat
(von Kathrin Kipp)
Über die Konflikte amerikanischer Muslime: Das Landestheater Tübingen zeigt „The Who And The What“ von Pulitzerpreisträger Ayad Akthar.
Wer oder was ist der Prophet Mohammed, wer oder was ist Gott, und wer oder was sind wir? Die Familie von Zarina jedenfalls ist kulturell, religiös und zwischenmenschlich zutiefst gespalten. Das LTT zeigt „The Who And The What“ von Ayad Akhtar, einem pulitzerpreisgekrönten US-Pakistani, der über die seelischen und kulturellen Konflikte amerikanischer Muslime schreibt.
„Das Wer und das Was“ lautet auch der Titel des Buchs der intellektuell-feministischen Protagonistin Zarina über die Privatperson Mohammed, sein Verhältnis zu Frauen und darüber, weshalb diese Schleier tragen sollen. Eine eher unkonventionelle Biographie, in der sie das göttliche Patriarchat in Frage stellt. Was von Seiten der Fundis natürlich heftige Kritik erwarten lässt. Ihre Familie wiederum hat noch ganz andere Probleme mit Zarina: Sie sollte nämlich möglichst schnell heiraten, damit auch die jüngere Tochter zum Zug kommt.
So will es der konservative Vater, der deshalb unter „muslimlove.com“ schon mal Kontaktanzeigen aufgibt und auch die Kandidaten trifft. Das führt natürlich zu allerlei Verwicklungen und Verwerfungen innerhalb der Familie, die Regisseurin Julia Mayr ganz solide psychologisch, ohne Schnickschnack, als klassisch realistisches, amerikanisches Familien-Dialog-Stück auf die Bühne bringt.
Auch das Ensemble taucht mit viel Empathie in die Psychologie seiner Figuren hinein, es geht um die pure Nachvollziehbarkeit der Konflikte, die entstehen, wenn jemand mal wieder aus dem engen familiär-religiösen Gefängnis auszubrechen versucht. Was wiederum die gute alte Frage stellt: Wäre die Menschheit mit oder ohne Religion besser dran? Hier ist es eine Frau, die nach mehr Freiheit und Selbstbestimmung strebt.
Andreas Guglielmetti als Familienmufti hat da was dagegen. Seine Tochter könnte in die Hölle kommen. Deshalb pfuscht der Über-Vater gerne in ihrem Privatleben herum. So hat er unter anderem ihre große Liebe Ryan vergrault. Jennifer Kornprobst spielt ihre Zarina großartig, aber klettert auch etwas klischeemäßig als unförmig gekleideter und betont unsexy bebrillter, intellektueller Männerschreck über das Matratzenlager auf der Bühne (Ausstattung: Dietlind Konold).
Trotz Harvard-Studium kann sie sich nicht gegen die emotionalen Erpressungen ihres Vaters durchsetzen. Und trifft sich ihm zuliebe sogar mit dessen Online-Dates. Ansonsten macht sie sich über alles lustig, schreibt heimlich ihr explosives Buch, diskutiert gerne und weiß alles besser. Da entsteht natürlich viel Reibung mit Vater Afzal, den Andreas Guglielmetti als temperamentvolle Mischung aus cholerischem Pascha und Witzfigur performt, der sich aufregt wie Rumpelstilzchen und dabei über den Werkzeugkasten stolpert.
Auch er stapft wütend über die heimelige, später natürlich völlig derangierte Matratzenlandschaft und zitiert entsetzt eine Mohamed-Liebesszene aus Zarinas Buch.
Gerade jetzt entwickelt sich der von ihm selbst ausgesuchte Schwiegersohn zu dem starken Mann, den er sich immer gewünscht hat, und fällt ihm in den Rücken: Dennis Junge ganz galant als aufgeklärter Eli, ein Kämpfer für Gerechtigkeit und Solidarität und Konvertit, der zum Islam übergetreten ist, weil er dort das Prinzip der Gleichheit vorgefunden habe. Er unterstützt Zarinas Kampf für mehr Frauenrechte im Islam, selbst wenn er dafür seine eigene Karriere als Imam aufgeben muss. Fast hätte es der Vater geschafft, auch noch diese Verbindung zu zerstören.
Vielleicht will er im Grunde seine Tochter gar nicht hergeben, schließlich hat er schon seine Frau verloren.
Zarinas Schwester Mahwish (Mattea Cavic) wiederum kommt religiös-kultuell eher nach dem Vater, gerät aber immer wieder in Konflikt mit dem amerikanischen Lifestyle, und muss sich deshalb irgendwie durchtricksen. So wie hier jeder versucht, auf dem schmalen Grat zwischen religiösen Vorgaben und alltagstauglicher Praxis nicht abzustürzen.
Mattea Cavic zeigt sehr glaubwürdig ihre ständige Zerrissenheit zwischen Anpassung und Lebenslust. Aber wie so oft, scheint die rebellische Tochter für den Vater interessanter zu sein. Als sich Nachwuchs ankündigt, scheint die Familie kurzzeitig versöhnt.
Schwäbisches Tagblatt, 15. April 2019
Vor dem Abgrund gespaltener Loyalitäten
(von Wilhelm Triebold)
Sehr überzeugend: Das Landestheater bringt mit Ayad Akhtars "The Who and the What" ein weiteres Stück der Stunde auf die Bühne und liefert eine starke Schauspielerleistung ab.
Als Ayad Akthar, US-Autor mit pakistanischen Wurzeln, neulich in New York den Piscator-Preis überreicht bekam, nannte ihn Laudator Daniel Kehlmann einen "Chronisten gespaltener Loyalitäten".
Genau darum geht es in Akhtars unterhaltsamem Familiendrama. Witwer Afzal hat zwar mit den Töchtern in Amerika eine neue Heimat gefunden, doch die angestammte Loyalität gehört den alten (eben Pakistan) sowie den geistigen Heimaten - dem muslimischen Glauben. Und durch diese Familie geht, bei aller Liebe und Anständigkeit, ein unerkannter, unbehandelter Riss.
Die migrantische Identität in der Zerreißprobe war schon Thema in Akhtars Theaterstück "Geächtet", das als redselige Beziehungskomödie mit witzig-intelligenten Broadway-Dialogen und dem hintergründig parlandohaften Konversationsstil à la Yasmina Reza vor anderthalb Jahren überall, auch am LTT, Furore machte.
Dort sahen sich die Protagonisten allerdings noch dem Druck und Anfeindungen von außen ausgesetzt, während es nun ins angstvoll pochende Herz der Gesellschaft geht - in die Familie. "The Who and the What", dessen etwas rätselhafter Titel - dies für alle intellektuellen Eierköpfe unter den Lesern - direktemang auf Derrida verweisen soll, steht dem grandiosen Akhtar-Thriller "Geächtet" in nichts nach. Es geht wiederum ans Eingemachte.
Das ist in diesem Fall (oder auch wiederum eine Religion, die sich nur widerwillig einer kritischen Auseinandersetzung stellen mag. Zarina, die Heldin in Ayad Akthars Theaterstück, laboriert nicht nur an einer kaum überwundenen Liebestrennung samt Schreibblockade. Sie ist außerdem eine durchaus moderne Vertreterin historisch-(glaubens)kritischer Wissenschafts-Methodik, mit der vernunftabweisende Idolatrien beseitigt und deren Denkmäler vom Sockel gestoßen werden.
Im Christentum ist das bereits vor mehr als anderthalb Jahrhunderten passiert, Tübingens David Friedrich Strauß oder der (von Akhtar nicht zufällig verehrte) Philosoph Friedrich Schleiermacher gelten da als Gewährsmänner. Für den Islam steckt dieser Reformansatz noch immer in den Kinderschuhen. Kritische Geister wie Ayaan Hirsi Ali, die den fünf Säulen des Islam fünf Konzepte für eine wahre muslimische Reformation gegenüber stellt, werden umgehend der Häresie bezichtigt oder, fast genauso schlimm, überängstlich ausgegrenzt.
Zu Hirsi Alis fünf Punkten gehört, neben der Abkehr von Scharia und Dschihad, neben der Verdammung einer "Praxis, Einzelne dazu zu ermächtigen, das islamische Recht durchzusetzen, indem sie das Rechte gebieten und das Verwerfliche verbieten", der Verzicht auf blinde Jenseitsfixierung und auf die Idolisierung Mohammeds. Damit ist die mutige Islamkritikerin sicherlich eine Schwester im Geiste von Zarina, der selbstbewussten Literaturstudentin, die über einem Mohammed-Roman brütet: Über jenen Propheten, von dem sich die eingeschworene Gemeinschaft der Moslems das Bild zu machen hat, das ein weiteres Buch, der Koran, angeblich vorschreibt.
Die Verkettung der Loyalitäten zwischen dem moderat-konservativen Familienvorstand Afzal und den aus zwei verschiedenen Richtungen loyalitätsgeprüften Töchtern Zarina und Mahwish wird in Akhtars Schauspiel zunehmend beengender und beklemmender, ohne den Handelnden die Luft zum Atmen oder har zum Argumentieren zu nehmen. "The Who an the What" ist kein theologisches Thesenstück, sondern handwerklich gut gemachtes Theater. Und so wird es mit Julia Mayrs absolut sehenswerter LTT-Inszenierung auch wohltuend umgesetzt. Das liegt auch diesmal, wie schon bei "Geächtet" anfangs der vorigen LTT-Spielzeit, an einem starken Schauspieler-Quartett.
Damals verdienten sich Andreas Guglielmetti (als Galerist) und Jennifer Kornprobst (als seine Begleiterin) die Oscarnominierung als beste Nebendarstellerin. Jetzt bilden sie in der LTT-Werkstatt, in der Matratzen-Wagenburg der Ausstatterin Dietlind Konold, das zentrale Hauptdarsteller-Paarkreuz. Zum einen Guglielmetti als Sympathiepunkte sammelnde Vaterfigur, eigentlich immer nur das Beste wünschend für beide Töchter, aber auch in seinen Konventionen, in Stolz und Vorurteil verstrickt. Einer, der sich ans Althergebrachte klammert, um nicht unterzugehen. Der schwer nur aus der eigenen Haut kann, entsprechend selten aus ihr fährt - dann aber richtig.
Guglielmetti spielt das agil, vital, liebenswürdig und zutiefst menschelnd. Und manchmal auch mit slapstickhaft komischer Verzweiflung. Dagegen Jennifer Kornpropst: Ihre Zarina ist weniger ein weiblicher Salman Rushdie mit öffentlichem Vorbildcharakter als vielmehr eine, die das Richtige im Privaten zu tun gedenkt, ohne allzu sehr darüber nachzudenken. Die sich ihrer Zweifel und Skrupel entledigt. Getrieben vom gesunden Menschenverstand und von einem Gerechtigkeitssinn.
"The Who und the What" ist außerdem ein zutiefst humanes Stück, in dem Dennis Junges Konvertit Eli, der im Zweifelsfall einiges zu verlieren hat, überzeugt zur bedrängten Partnerin Zarina findet. Und in dem Mattea Cavic der traditionsbefangenen Schwester Mahwish ein eigenes Profil verleiht, was gar nicht so einfach ist.
So mündet das Ganze sogar im Happyend. Nicht "unter stummer Wiederholung allseitiger Umarmungen" wie in Lessings "Nathan", dem anderen human-religiösen Familiendrama. Sondern mit einem sonderbar auf- und abgeklärten Lächeln des Patriarchen Afzal, kaum dass er erfährt, der herbeigesehnte Stammhalter-Enkel sei ein Mädchen.
Ob Ayad Akhtar jetzt mehr der "Star der islamkritischen Boulevardkomödie" ist, wie's im "Spiegel" stand, oder "die amerikanische Antwort auf Yasmina Reza", was die "Frankfurter Rundschau" meinte - egal. Seine Beiträge kommen genau zur rechten Zeit. "In diesem Moment des weltumspannenden Irrsinns", rühmte Kehlmann ihn in New York, "da die Religionen erstarken, da der Reichtum verrückt wird, da die Macht jede moralische Beschränkung abwirft, ist Ayad Akhtar genau der Schriftsteller, den wir brauchen."
Liebe Uni, ganz dringend: Ayad Akhtar for Poetikdozent!
Unterm Strich
Ein bemerkenswerter Theaterabend, der wieder einmal beweist: Es gibt sie noch, die guten (Original-)Stücke für die Bühne. Ayad Akhtars Schauspiel über eine beinahe an der Religion und Konvention zerbrechende Familie ist so eines, vom LTT einfühlsam und einprägsam umgesetzt.
Generalanzeiger Reutlingen, 15. April 2019
(von Armin Kauer)
»The Who and the What« von Ayad Akhtar beleuchtet in der LTT-Werkstatt den Integrationskonflikt einer Familie
Es gibt sie noch, die geistreichen Konversationsstücke, die ganz ohne Videoflimmern, Theaterblut und Latexkostüme auskommen. Temporeich, witzig, brisant und mitten aus dem Leben gegriffen: Das zeichnet auch Ayad Akhtars Tragikomödie »The Who and the What« aus, die am Freitagabend in der LTT-Werkstatt in der Inszenierung von Julia Mayr Premiere feierte. (...) So hält sich Witz und Tragik über 90 erhellende und unterhaltsame Minuten prima die Waage. Und am Ende steht die Erkenntnis: Auch wenn sich herausstellt, dass die Mitglieder ein und derselben Familie in Wahrheit auf unterschiedlichen Planeten leben, so ist heutzutage auch eine Verständigung von Planet zu Planet nicht unmöglich.