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Theater-Roadmovie nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf · Bühnenfassung Robert Koall
14+
Main-Echo, 31. Januar 2015
(von Anneliese Euler)
Schauspiel: "Tschick" von Wolfgang Herrndorf im Stadttheater Aschaffenburg - Durchgeknallt und sehnsüchtig auf der Suche
[...] Regisseur Michael Miensopust hat in seiner Inszenierung [...] Robert Koalls Bühnenbearbeitung des Romans "Tschick" von Wolfgang Herrndorf als seelisches Stakkato umgesetzt und fand am Mittwochnachmittag bei den jugendlichen Besuchern, die im bis in den zweiten Rang fast voll besetzten Stadttheater spannungsgeladen das Geschehen verfolgten, große Resonanz.
[...] Regisseur Michael Miensopust setzt diesen abenteuerlichen und durch Isa komplettierten Trip, der wie ein Roadmovie himmelstürmend allen gefahren in Kornfeldern und Straßen, verlassenen Dörfern und hohen Gebirgen trotzt und niemals und überall ankommt, mit einer die Fantasie erobernden knalligen Geschwindigkeit um und das Schauspielertrio Henry Braun, Dimetrio-Giovanni Rupp und Magdalena Flade rast mit einer Begeisterung durch die Handlung, dass es einem schier den Atem verschlägt. Auf der schiefen Ebene, mit der Cornelia Brey die Bühne ausstattete, hocken sie in einem Reifen, der als Lada dient, schlingern mit ihm hinunter, überschlagen sich kopfüber und -unter und überleben mit cool gesetzten Kommentaren Glücks- und Unglücksfälle, wie sie nur diejenigen erleben, die sich auf den Weg machen, durchgeknallt und sehnsüchtig auf der Suche. [...]
Freies Radio Wüste Welle Tübingen, 19. Dezember 2014
(von Matzel Xander)
Zwei Jungen, ein Auto und ein große Reise. Darum geht es im Theaterstück "Tschick" das seit März im Jungen LTT in Tübingen läuft.
Maik Klingenberg sitzt in den Ferien allein am Pool und langweilt sich. Seine Eltern sind beschäftigt, Freunde hat er nicht. Doch dann taucht auf einmal Tschick auf, ein zimlich schräger Typ aus Mikes Klasse. Er will mit ihm in die Walachei fahren und seine Verwanten besuchen. Und noch dazu mit einem geklauten Auto! Doch weil Mike endlich mal was erleben will, läst er sich schließlich drauf ein und die beiden Fahren los...
Das Theaterstück ist sehr gut gelungen und die Schauspieler spielen die Rollen sehr überzeugend. Da Tschick ein richtiger "Assi" ist, spricht er mit einem russischen Akzent. Mike ist das komplette Gegenteil: Kein bisschen selbstbewusst und er hält sich selbst für wahnsinig langweilig. Aber gerade weil die Jungs so veschieden sind, entwickelt sich währen ihrer Reise eine ganz besondere Freundschaft zwischen ihnen.
Download Tschick-Rezension Melina:
http://www.wueste-welle.de/redaktion/view/id/25/tab/weblog/article/39084/Tschick_Rezension.html#topBlog
Gmünder Tagespost, 25. Oktober 2014
Mit dem Lada direkt ins Abenteuer
(von Nico Schäffauer)
Das Junge Landestheater Tübingen lockte mit "Tschick" ein überwiegend jugendliches Publikum in den Prediger
Als Vierzehnjähriger dem Alltag entfliehen? Zwischen Chaos und Liebe ein Abenteuer erleben? Da nehme man ein einen guten Freund, ein geklautes Auto, eine Kassette von Richard Clayderman und fährt los - natürlich ohne Führerschein. In "Tschick", interpretiert vom Landestheater Tübingen, konnten Jugendliche genau das miterleben.
[...] Das Junge Landestheater Tübingen gab diese Geschichte im Prediger dem Publikum zum Allerbesten. Und fand ein großes Echo: Schon beim Einlass herrschte Gedränge. Bis auf ein paar wenige waren alle Plätze ausverkauft. Das Publikum bestand überwiegend aus Jugendlichen zwischen 14 und 18 Jahren, aber auch ein paar Erwachsene hatte es an diesem Abend ins Theater gezogen. Sie sollten es nicht bereuen.
Das Stück thematisiert unterhaltsam, was jungen Leuten in der großen Welt so alles passieren kann. [...]
Die drei Schauspieler überzeugen. Vor allem Dimetrio-Giovanni Rupp, der den Tschick verkörpert. Er erntet vom Publikum viele Lacher. Requisiten gibt es wenig, somit stehen die Schauspieler im Mittelpunkt. Ganz besonders legt sich Magdalena Flade ins Zeug, denn sie wechselt zwischen fünf Rollen.
Nach dem Auftritt gibt es großen großen und langen Applaus für die Schauspieler. Die Zuschauer sind mit Inhalt und Interpretation zufrieden. [...]
Südkurier, 16. Oktober 2014
(von Uwe Spille)
Das Landestheater Tübingen lockt die Jugend ins Theater am Ring
Da hat das Landestheater Tübingen ja einen Volltreffer gelandet. Mit dem Stück „Tschick“ des kürzlich verstorbenen Schriftstellers Wolfgang Herrndorf lockt es zum wiederholten Male die Massen ins Theater am Ring. Wohlgemerkt, jugendliche Massen. Die belagern das Theater am Ring an diesem Abend, die Luft vibriert wie in einem Bienenstock. Und dann geht es auch schon los, das Licht geht aus und Mike sitzt auf der voll schrägen Bühne. [...]
Ein Dialog entspinnt sich, voller Sprüche, Wortwitz und Eindeutigkeit. Die jungen Zuschauer reagieren, lachen, sind konzentriert bei der Sache, das Geschehen auf der Bühne spricht auch sie an. [...]
Eine ziemlich abgefahrene Story, ein echtes Roadmovie mit einfachsten Mitteln entspinnt sich vor den Augen des Publikums.
Die Geschichte, die die beiden Protagonisten da erzählen, entwickelt einen Sog, dem man sich einfach nicht entziehen kann, bietet eine wunderbar bildhafte Sprache, die es einfach macht, die Fantasie spielen zu lassen. Der Lada ist ein Baggerschlauch, der auf der schrägen Bühne gut zur Geltung kommt, die Wiese, auf der Maik und Tschick nachts liegen, entsteht genauso wie der Sternenhimmel vor dem geistigen Auge, und man fährt mit den beiden in die Walachei, wo immer die auch liegen mag, im Osten oder Süden oder am Arsch der Welt, egal.
Das ist so rasant und witzig, so abwechslungsreich, dass das junge Auditorium spontan immer wieder Zwischenapplaus spendiert. Und ein solch begeistertes junges Publikum hat den voll abgefahrenen guten Geschmack von den Möglichkeiten echten Theaters bekommen. Hat die Magie des echten Schauspiels mit real existierenden Menschen erlebt, abseits von Facebook-Halbwahrheiten, Youtube-Konsumismus und Google-Dubeleien.
Südkurier, 27. März 2014
(von garai)
Eine Inszenierung, die Spaß macht: „Tschick“ in überzeugender Bühnenfassung
Vor ausverkauftem Haus fand in der Abo-Reihe für Jugendliche die letzte Vorstellung der Spielzeit 2013/14 im Theater am Ring in VS-Villingen statt. Auf dem Programm stand Robert Koalls Bühnenfassung des preisgekrönten Romans „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf, inszeniert von Michael Miensopust für das Landestheater Tübingen.
Das oft als „Roadmovie“ eingestufte Stück handelt von der verrückten Reise der beiden 14-jährigen Schüler Maik und Tschick. Sie könnten unterschiedlicher kaum sein: Aus reichem Haus und – nach eigener Einschätzung – ausgesprochen langweilig der eine, als mit allen Wassern gewaschener „Assi“ und Russlanddeutscher zum Außenseiter prädestiniert der andere. Und doch finden sie zusammen und werden über ihre oft genug vollkommen skurrilen Erlebnisse Freunde.
Die Tübinger Inszenierung versucht gar nicht erst, diesen „tollen Sommer, den besten von allen“ naturalistisch-realistisch zu gestalten. Vielmehr werden alle Hilfsmittel des Theaters eingesetzt. Es entsteht ein oft witzig turbulentes, manchmal auch nachdenkliches, meist höchst authentisch wirkendes Spiel.
Es ist ein Vergnügen, wenn Maik so brav über sich und sein Leben berichtet und dagegen Tschick mit dem „russisch“ gefärbten Tonfall mehr als „cool“ loslegt – und dabei so viel über das Lebensgefühl und die Probleme in dieser Phase des Erwachsenwerdens aussagt, dies oft genug im mehr als rüden, obszönen Jargon des Milieus.
(...)
„Tschick“ ist einfach Klasse, und das Publikum sparte nicht mit lautem, anhaltenden Applaus zum Abschluss dieser erfreulich erfolgreichen Reihe, die sicher bei nicht wenigen Jugendlichen Interesse und Lust an Theater geweckt hat: toll!
Schwarzwälder Bote, 27. März 2014
Eine wilde Fahrt ohne Karten und ohne Plan
(von tri)
In die Welt heutiger 15-Jähriger entführte das Stück "Tschick", nach dem gleichnamigen Roman des 1965 geborenen Autors Wolfgang Herrndorf.
Einsam sind die beiden Hauptfiguren: Maik, ohne Kontakt zu seiner alkoholkranken Mutter, von seinem reichen Vater mit Geld, aber ohne persönliche Zuwendung ausgestattet, und Tschick, der russlanddeutsche Junge, der Außenseiter in der Klasse. Maik himmelt die Mitschülerin Tatjana an, wird aber zu deren Party nicht eingeladen, er fürchtet, ein Langweiler zu sein.
Als Tschick mit einem geklauten Lada vorfährt und zu einer Fahrt ins Blaue, vielleicht bis in die Walachei einlädt, zögert Maik nicht lange – auf geht’s ins ungeplante Abenteuer, ohne Karte Richtung Süden. Als das Benzin alle ist, möchten die beiden mit einem Schlauch welches aus geparkten Autos stehlen – vielleicht findet man einen Schlauch auf einer Müllkippe. Dort kann das stromernde Mädchen Isa tatsächlich dazu verhelfen, und dann lässt sie sich von den beiden Jungen mitnehmen, möchte Maik zum Geschlechtsverkehr verführen, aber der lehnt ab. Irritiert fragt Tschick: "Maik, bist du schwul?" Nein, er ist zu einem solchen Abenteuer psychisch noch nicht fähig.
Allein fahren Maik und Tschick weiter, weichen einem Verkehrsstau aus auf ein einsames Sträßchen, übernachten bei Gewitter an einsamer Stelle im Auto, erhalten bei einer Bauernfamilie ein Essen, Maispampe und als Nachtisch Himbeerschaum – noch nie hat ihnen etwas so gut geschmeckt. Und natürlich sprechen sie über Mädchen – Maik ist schüchtern; aber schließlich gesteht der scheinbar so coole Draufgänger Tschick, dass er von Natur aus schwul ist. Das Eingeständnis der eigenen Schwächen weckt beim anderen Verständnis, lässt sie zu Freunden werden.
Schließlich ein Unfall, Tschick wird verletzt, sie werden getrennt. Freudig nimmt Maik zur Kenntnis, dass das Mädchen Isa sich noch einmal brieflich meldet. Aber noch wesentlicher ist für ihn, dass er in den zwei Wochen unbeschwerten Landstreichertums mit Tschick lernte, Rücksichtnahmen auf sein bürgerliches Elternhaus abzustreifen und ganz er selbst zu sein. Er erkennt: Auch wenn man sagt, die Menschen seien böse, sie trafen auf Leute, die ihnen halfen.
Das Landestheater Tübingen unter der Regie von Michael Miensopust ließ die beiden jungen Schauspieler Henry Braun und Dimetro Rupp (der sollte trotz Akzent deutlicher sprechen!) ihre Rollen nah am Romantext darbieten; die öfter recht wilde Bewegtheit erschien älteren Zuschauern als ziemlich übertrieben, aber das überwiegend jugendliche Publikum beurteilte das vielleicht anders. Magdalena Flade spielte das junge Mädchen, aber auch eine alte Bäuerin und andere Rollen.
Das Bühnenbild war eine große schiefe Ebene, auf der die Darsteller ständig abzurutschen drohten – symbolisch für ihre soziale Situation. Ein guter Einfall, das Auto durch einen großen Reifen darzustellen. Identitätsstiftende Musik? Ja und nein – Beyoncé Knowles, Richard Clayderman, The White Stripes. Wesentlich ist, dass Maik zu der Einsicht findet: "Mir wär’s ehrlich gesagt lieber, keine Freunde zu haben, als wahnsinnig langweilig zu sein."
Reutlinger Nachrichten, 11. März 2014
(von Kathrin Kipp)
Die Jugend ist eine schiefe Ebene, auf der es rauf und runter geht: Michael Miensopust und Cornelia Brey bringen Wolfgang Herrndorfs Roman "Tschick" am LTT auf die Bühne. Für Zuschauer ab 14 Jahren.
Maik leidet unter Langeweile. Alle gehen auf die Party von Supergirl Tatjana, er ist nicht mal eingeladen. Da begegnet er dem Schicksal in Form von Tschick: russischer Spätaussiedler, Chaot, Assi und ebenfalls Außenseiter. Tschick klaut einen klapprigen Lada, und schon gehts rasant auf Fahrt durch schiefe Ebenen, irre Gegenden und unerforschte Feuchtgebiete.
Robert Koall hat Wolfgang Herrndorfs multijugendliteraturpreisausgezeichneten Roman von 2010 in eine Bühnenfassung gebracht: ein Erzähltheaterstück mit einem sehr gesprächigen Ich-Erzähler Maik. Und es geht um alles: Pubertät, Erlebnislust und Langeweile, Sexualität, Liebe, Freiheit, Identitätssuche, Freundschaft, Weltvertrauen und Zähneklappern.
Die zwei Tramps begegnen auf ihrer Odyssee durch bizarre reale und seelische Landschaften den seltsamsten Typen, von denen man nie so recht weiß, was von ihnen zu erwarten ist. Sie erleiden Hals- und Beinbruch, gewinnen am Ende die Erkenntnis, dass nicht alle Menschen so schlecht sind, wie alle sagen, und erleben den "besten Sommer ihres Lebens": Tom und Huckleberry reloaded.
Michael Miensopust jedenfalls lässt erzählen und erzählen, bis so nach und nach ein wenig Tempo ins Haus kommt. Das Erzähltheatralische nimmt ein wenig Drive aus der Geschichte, weils an knackigen Dialogen fehlt, aber vielleicht soll ja auch die Langeweile authentisch rüberkommen. Dann aber geben sich Regie, Ausstattung und Schauspieler alle erdenkliche Mühe und lassen das Roadmovie kreativ und actionreich abfahren.
Cornelia Brey hat eine schiefe Drehbühne bauen lassen, die im Lauf des Stücks wie die Protagonisten einiges an Innenleben offenbart, und auf der Maik, Tschick und die Requisiten immer wieder effektvoll hin- und herfliegen und mächtig metaphorisch abrutschen. Der Lada besteht aus einem aufgeblasenen LKW-Schlauch, mit dem sie plan-, karten- und bald auch spritlos durch die Welt düsen. Henry Braun als schüchterner, aber auch abgebrühter und weltinteressierter Maik kommt aus gutbürgerlich zerschlissenen Verhältnissen. Mutti sitzt gerade in der Entzugsklinik, Papi düst mit seiner Assistentin in den Urlaub.
Er selbst hängt am Pool ab, langweilt sich und träumt von den unerreichbaren Frauen, konkret: Tatjana, die bei Magdalena Flade im überirdischen Zwielicht des Sonnenuntergangs an der Reling posiert wie einst Kate Winslet, kurz bevor die Titanic absoff.
Fehlen nur noch die Schmerz-Schnulzen von Céline Dion, aber man hat sich eine andere Fiesheit ausgedacht: Auf der einzigen Kassette an Deck des Ladas beklimpert der gute alte Richard Clayderman seine großen Gefühle. Während Maik also sein sinnloses Leben verträumt, entert auch schon der aufgeweckte Dimetrio-Giovanni Rupp als cooler Russenmacho Tschick die Bühnenreling und sorgt nicht nur sprachlich für Aufregung.
Magdalena Flade wiederum sorgt für Abwechslung, indem sie mit viel Verwandlungsgeschick all die merkwürdigen Menschen spielt, denen die beiden Explorer auf ihrer Tour begegnen. Mit Augenklappe und Regenponcho repräsentiert sie eine Öko-Familie mit Quizneurose. Auf einer Müllkippe spielt sie die hygienemäßig stark vernachlässigte Isa mit ähnlich stinkigen Wortgebrauch. Nach diversen Reinigungsmaßnahmen im nahe gelegenen Baggersee gesteht Isa dann dem völlig überforderten Maik unverblümt ihre Gefühle.
Und so geht es emotional mächtig drunter und drüber, bevor ihnen ein seniler, kriegstraumatisierter Jäger eine ominöse Flüssigkeit gibt, die Leben retten kann. Was es damit auf sich hat, wird wie so vieles nicht aufgelöst, aber in der Pubertät bleibt ja auch so manches rätselhaft. Als dicke Sprachtherapeutin gibt Flade der Atem- und Stimmtechnik der Jungs den letzten Schliff, als sich der knallharte Tschicko auch schon als schwul outet. Aber jedes aufregende Abenteuer geht mal zu Ende, und so treffen sie unsanft auf einen Schweinelaster - aber mehr wird hier nicht verraten.
Schwäbisches Tagblatt, 10. März 2014
(von Peter Ertle)
Das Kinder- und Jugendtheater des LTT und sein rundum gelungener „Tschick“
Ach, das haben sie aber schön gemacht! Den Stoßseufzer hätte man als Theaterkritiker ja gern auf den Lippen. Am Freitag, bei der Premiere von Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ war es tatsächlich so.
Es beginnt recht bedacht schon vor der Inszenierung, mit der Bühnenfassung, die Robert Koall angefertigt hat. Koall hat übrigens noch nie so viel Publizität bekommen wie in den vergangen Tagen. Denn er war es, der sich in seiner Funktion als Chefdramaturg des Staatsschauspiels Dresden in einem Offenen Brief von der dort gehaltenen Rede Sibylle Lewitscharoffs distanziert hat. Das nur nebenbei. Robert Koall hat also, was selten gelingt, aus einem Roman ein kongeniales Theaterstück gemacht, die nötige Raffung, Weglassung und Pointierung so geschickt vorgenommen, dass mit der Story-Hauptsache auch das Wesen und die ganze Atmosphäre des Romans gewahrt wird.
Drei Schauspieler für – wir haben gar nicht gezählt, wie viele Rollen es sind. Im Zweifelsfall steckt hinter jeder Rolle: Magdalena Flade. Schade, dass sie keine Meisterprüfung mehr ablegen muss. Damit würde sie locker bestehen. Tschick wiederum wird absolut lässig und mit russischem Akzent gespielt von Dimetrio-Giovanni Rupp. Henry Braun ist der Erzähler und – charmant, liebenswürdig, unsicher, ganz wunderbar getroffen – Maik. Allein in der Auswahl seiner Jacke, auf die Tschick ja so scharf ist, zeichnet sich schon das ganze Geschick von Ausstatterin Cornelia Brey ab. Denn diese Jacke darf einerseits kein herausstechender Hingucker sein, muss aber doch genau das gewisse Etwas haben.
Schiefe Ebenen gibt es auf dem Theater zuhauf, aber hier, bei den beiden Ausreißern auf Abwegen, deren Welt aufs Schönste ins Rutschen kommt, macht das Sinn. Sind es Wolken da drauf, ist es eine Globus-Anmutung? Ja, beides, Welt, Weite, Freiheit.
In seinem Blog notierte Wolfgang Herrndorf zum Buch: „Projekt Regression: Wie ich gern gelebt hätte.“ So wie Tschick und Maik also die unausgelebte Sehnsucht des Autors ausleben, stiften sie auch die Sehnsucht der Zuschauer an. Wer aus dem Stück rausgeht, möchte, na ja, vielleicht nicht ein Auto klauen, das hoffen wir jedenfalls mal. Aber zumindest mit Freunden um die Häuser ziehen und sich der heimlich Angebeteten offenbaren, so wie Maik es tut, als er ihr die für sie nächtelang angefertigte Zeichnung übergibt. „Fünf von sieben Frauen, in die ich in meinem Leben verliebt war, haben es nie erfahren.“, schrieb Herrndorf ziemlich genau vor einem Jahr in seinem Blog, den er nach seiner Krebsdiagnose begann. Zurück zur LTT-Inszenierung:
Was vor allem besticht an diesem Abend, ist der Umgang mit den Theatermitteln. Der größte Clou ist das Auto, der Lada. Er ist hier einfach ein Schwimmreifen. Gut, von der Federung her denkt man da manchmal eher an einen Citroyen. Aber sonst ist das genial. Denn es suggeriert große Ferien, Freiheit, sich treiben lassen. Es ist ein Rettungsring. Und, pars pro toto, ein übergroßer Autoreifen.
Desweiteren: Ein paar gut dosierte, neckische Selbstbezüglichkeiten, eine Bühne, die sich an den richtigen Stellen dreht. Und jede Menge prima Umsetzungen. Zum Beispiel wenn Isa, mit dem Rücken zu Publikum, plötzlich ihre Bluse auszieht, was Maik den Boden unter den Füßen wegzieht: Die Zartheit der folgenden Szene. Wenn man da an die Isa-Furie wenige Minuten zuvor zurückdenkt, wie sie auf dem Schrottplatz herumtobte und der Zuschauer, noch bevor Tschick es aussprach, dachte: Die stinkt sicher. Ja, das muss man hinkriegen, das ist Theater.
Oder die plötzliche Tübingen-Assoziation zuschauerseits in der Begegnung mit jener so zwangsharmonischen wie doch rührenden Familie, die nur „bei Fröhlich“ einkauft, aber auf keinen Fall im Norma. Ach, überhaupt diese Parade von Figuren, die fulminant dicke Supermama-Logopädin, die Ärztin, der alte Kommunist, der seine Salven Lebensfeuer auf die beiden Kerle schießt, eine Wedekind-Figur, beunruhigend, dunkel und gefährlich, verneinend und bejahend gleichzeitig, Magdalena Flades Rollenkrönung.
Und das ist halt auch gut geschrieben und darf von Wirkung und Erfolg her sowieso längst als heutiger Salinger, als zeitgemäßer „Fänger im Roggen“ bezeichnet werden. Die paar Anspielungen und Bezüge zum Thema Tod waren übrigens alle schon da, als Herrndorf seine Krebsdiagnose bekam. Er hatte nur bis dahin nicht die Entschlossenheit, seine drei schon ziemlich weit gediehenen Romane zu Ende zu schreiben. Nun, im Bewusstsein, nicht mehr viel Zeit zu haben, änderte sich alles. Er schrieb und schrieb.
Und notierte im April 2010 in seinem Blog: „Der Lada ist fachmännisch kurzgeschlossen, und grad hab ich die Jungs auf die Autobahn gejagt und mich unter den Tisch gelacht über den Einfall, dass sie keine Musik hören können. (. . .) Der Lada hat leider nur einen verfilzten Kassettenrecorder. Kassetten besitzen die Jungs logischerweise nicht, und dann finden sie während der Fahrt unter einer Fußmatte die Solid Gold Collection von R. Clayderman, und ich weiß auch nicht, warum mich das so wahnsinnig lachen lässt, aber jetzt kacheln sie gerade mit „Ballade pour Adeline“ ihrem ungewissen Schicksal entgegen“.
Es gibt in dieser Inszenierung nicht nur „Ballade pour Adeline“. Sondern auch sehr zeitgenössische und dem Altersgeschmack entsprechende Musik. Dimetrio-Giovanni Rupp lässt da als Sänger auch mal das Original weit hinter sich und holt sich Szenenapplaus ab. Auch der Regisseur meldet sich zu Wort. Jedenfalls klingt die Tante, mit der Maik am Ende telefoniert, absolut nach Michael Miensopust. Und auch sie, die Tante, reiht sich nahtlos ein in die Galerie jener Figuren, die bei aller Verschrobenheit dazu angetan sind, den Glauben an die Menschheit wieder zu gewinnen beziehungsweise zu behalten. „Tschick“ ist eine große, Lebens-bejahende Beschwörung von Jugend, Abenteuer und Liebe. Allerdings so, dass alle Krisen, Gefährdungen und Abgründe auch präsent sind. So inszeniert ist das auch eine große Feier des Theaters. Für Jugendliche. Und alle, die sich noch einen Funken davon bewahrt haben.
Reutlinger General-Anzeiger, 10. März 2014
(von Heiko Rehmann)
Wolfgang Herrndorfs Romanbestseller »Tschick« begeistert am LTT-Kinder- und Jugendtheater
Maik ist 14 und hat ein Problem: »Wenn man keinen Spitznamen hat, ist man entweder langweilig oder hat keine Freunde oder beides. Ich fürchte, das ist bei mir der Fall.« Und weil stille Wasser tief sind, wird der Berliner Gymnasiast in den Sommerferien mehr Abenteuer bestehen als so manch anderer in seinem ganzen Leben. Es geht dabei – wie könnte es anders sein – um Mädchen, Freundschaft und das Erwachsenwerden. Am Freitag hatte die Bühnenfassung des Bestsellers »Tschick« von Wolfgang Herrndorf am LTT-Kinder- und Jugendtheater Premiere.
Henry Brauns Maik sitzt verloren auf der Bühne und schaut aus traurigen Augen in die Welt. Warum sollte er auch fröhlich sein? Tatjana, die Klassenschönheit, hat Geburtstag und natürlich sind alle eingeladen. Alle außer ihm. Seine alkoholkranke Mutter ist mal wieder in der Entzugsklinik, während sein erfolgreicher Vater mit seiner hübschen Assistentin auf »Geschäftsreise« ist. Da nützt es dem Jungen wenig, dass er den Swimmingpool der elterlichen Villa nun ganz alleine benutzen darf.
Doch da bricht mit Andrey Tschichatschow, genannt Tschick, ein wahres Sommergewitter über Maik herein. Dimetrio-Giovanni Rupp spielt den Spätaussiedlerjungen mit einer verblüffenden Authentizität. Nahezu perfekt und fast durchgängig gelingt es ihm, den typischen Akzent Russlanddeutscher zu imitieren. Mit finsteren Augen schaut er in die Welt, blafft den schüchternen Maik ruppig an und tänzelt mit den Bewegungen eines geborenen Rappers über die Bühne. Auch der fast 30 Jahre alte Henry Braun verkörpert seine Rolle so perfekt, dass man ihm den schüchternen Teenager ohne Weiteres abnimmt.
Gestohlener Lada
Als Tschick mit einem gestohlenen Lada vor seiner Tür steht und ihn auffordert einzusteigen, ist er zuerst entsetzt und lässt sich nur widerstrebend auf die Fahrt ein, die bald zum größten Abenteuer seines jungen Lebens werden soll.
»Du, ich hab ’nen Großvater in der Walachei. Der ist voll cool. Der hat zwei Zigaretten im Ohr und nur einen Zahn«, sagt Tschik. Im Auto finden die beiden eine Kassette von Richard Clayderman. »Wer ist denn das?«, fragt Maik. »Na so ein Rapper, Mann«, antwortet Tschick. Schließlich lässt sich Maik von Tschick überreden loszuzuckeln. Natürlich ohne Landkarten und ähnlich überflüssigem Kram. »Karten sind für Muschis. Wir fuhren also erstmal nach Süden. Das Problem war nur, dass wir keine Ahnung hatten, wo Süden ist«, erzählt Maik ans Publikum gewandt.
Jugendtheaterleiter und Regisseur Michael Miensopust hat das Stück mit wenig Requisiten und viel Fantasie als Roadmovie inszeniert, der die Orte des Romans durch symbolische Darstellungen lebendig werden lässt. Maik und Tschick sitzen auf einem Lkw-Reifen und wippen auf und ab. In der Bewegung wird das Fahrgefühl ebenso deutlich, wie die sexuellen Jugendfantasien. Filmische Techniken wie die Zeitlupe benutzt Miensopust, um mit pantomimischen Darstellungen die Monologe zu illustrieren, in denen Maik große Teile der Handlung erzählt. Durch diesen Kunstgriff, durch die witzigen Dialoge und den temporeichen Inszenierungsstil gelingt es ihm, die dramaturgischen Probleme in den Hintergrund treten zu lassen, die sich durch die Adaption eines Romanstoffes für die Bühne fast immer ergeben.
Zärtlich und derb zugleich
Als die Jungen die ebenfalls 14-jährige Isa auf einer Müllkippe kennenlernen, nimmt die Geschichte die entscheidende Wendung, wird zärtlicher und derber zugleich. »Was ist denn das für ’ne Fotze?«, fragt Tschick. »Ihr seid doch zum Ficken zu blöd«, blafft Isa zurück.
Nachdem sie das Mädchen in einen See geschmissen haben und sich dieses ungeniert ausgezogen hat, fragt sie Maik: »Hast du schon mal gefickt? Willst Du? Du zitterst ja!«, um sich dann ganz langsam und zärtlich dem verwirrten Jungen zu nähern. Magdalena Flade, die neben Isa auch alle anderen Frauenfiguren darstellt, legt eine faszinierende Wandlungsfähigkeit an den Tag. Als Tatjana tänzelt sie mit sexy Hüftschwung über die Bühne, als Isa spielt sie die Rotzgöre mit einer Derbheit, in der immer wieder die versteckte Zartheit aufschimmert, als Ökomama und als Sprachtherapeutin stellt sie mit dickem Bauch und altmodischen Klamotten das Gegenstück zur Welt der Teenager da.
Die Bühnenfassung von Robert Koall lehnt sich eng an die Romanvorlage an. Lediglich das Ende fällt optimistischer aus. Tschick ist nach dem Ende der wilden Fahrt in einem Jugendheim, und Maik ist wieder in der Schule, von einem gnädigen Richter lediglich zu 30 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Als er dann auch noch einen Brief von Isa erhält, scheinen sich die dunklen Wolken aus seinem Leben verzogen zu haben. »Es war ein wirklich toller Sommer gewesen. Der beste – bis jetzt.«