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Eine Komödie von deutscher Seele von Thomas Bernhard · 16+
Reutlinger General-Anzeiger, 14. April 2025
Abgründe hinter schwarzem Humor
(von Jörg Riedlbauer)
Eine Theaterproduktion, wie sie in einer Zeit, in der erschreckend autoritäre Staatenlenker von Mehrheiten bewundert und Rechtsaußen-Positionen wieder gesellschaftsfähig geworden sind, nicht besser passen könnte.
Tragikomödie auf dünnem Eis: Thomas Bernhards »Vor dem Ruhestand« am Tübinger LTT
Mit seiner neuesten Inszenierung auf der Werkstattbühne des Landestheaters Tübingen hat sich Intendant Thorsten Weckherlin auf dünnes Eis begeben. Denn er nahm sich mit Thomas Bernhards »Vor dem Ruhestand« eine Komödie vor, die eigentlich eine Tragödie ist. Wie so oft bei diesem Autor, der in seinen Stücken bitter-lustvoll den braunen Bodensatz aufwühlt, der in seinem Heimatland Österreich – und wahrlich nicht nur dort – giftige Blüten treibt.
Es geht in diesem Stück um einen Rudolf Höller (Andreas Guglielmetti), einst Lagerkommandant und SS-Offizier, danach bei seiner Schwester Vera (Katja Uffelmann) untergetaucht und ab Mitte der 1950er-Jahre Gerichtspräsident. Damit spielte Bernhard auf Hans Filbinger an, dessen Todesurteile als Marinerichter erst während seiner Zeit als Ministerpräsident von Baden-Württemberg offenkundig wurden und schließlich zu seinem Rücktritt führten.
Besagter Höller allerdings denkt nicht an Rücktritt. Doch sein Ruhestand dräut – und mit diesem die befürchtete Heimsuchung durch die Geister der Vergangenheit. Was ihn nicht davon abhält, zu Hause seine behinderte, politisch andersdenkende Schwester Clara (Susanne Weckerle) zu schikanieren und sich von der im Gestrigen schwelgenden Vera bedienen, auch inzestuös befriedigen zu lassen. Und einmal im Jahr eine Geburtstagsfeier für den NS-Verbrecher Heinrich Himmler auszurichten.
Die Ingredienzien für diese vom Autor als »Komödie« untertitelte Handlung sind also NS-Terror, Judenhass, Mord an Behinderten, Sehnsucht nach großdeutscher Vergangenheit. Gelebt von vermeintlich »anständigen« Altnazis, auf hohen Positionen in der Nachkriegsgesellschaft aktiv. Lässt es sich ernsthaft über so etwas amüsieren? Doch der Regie führende Intendant ist professionell genug, dass er hierbei nicht ausrutscht oder gar einbricht. Denn er geht Bernhards gewitzt gebildeten Klischees nicht auf den Leim, reißt die Abgründe hinter dem schwarzen Humor auf. Bei eher gedrosseltem Sprechtempo. Was Bernhards zynische Sentenzen umso mehr schärft und unerbittlicher wirken lässt. Und dem rhythmisch hoch differenzierten Text große Entfaltungsräume gibt.
Dafür wiederum braucht es Akteure, die jene großen Räume auch bespielen können. Und die hat das LTT, allen voran Katja Uffelmann als Vera. Toll, wie sie ihre Textmenge für diesen knapp dreistündigen Abend modelliert und gliedernd variiert. Wie sie im ersten Akt kaltschnäuzig wie die Frau des Auschwitzer Lagerkommandanten Rudolf Höß über Behinderte oder im Leben zu kurz Gekommene doziert und im dritten die Eva Braun im Führerbunker assoziieren lässt.
Nicht minder eindringlich die Bühnenpräsenz von Susanne Weckerle als Clara, die aus ihrer an den Rollstuhl gefesselten Position dem anderen Geschwisterpaar den Spiegel vorhält und deren Selbstillusionen durch eisernes Schweigen und bohrende Blicke pulverisiert. Andreas Guglielmetti schließlich changiert als Alt-Nazi Höller zwischen weinerlichem Selbstmitleid, Unbelehrbarkeit und arrogant-selbstgefälliger Herrenmenschattitüde so überzeugend, dass es einen Frieren macht.
Vinzenz Hegemann unterstreicht mit Bühnenbild und Kostümen die Rückwärtsgewandtheit im Hause Höller, was genauso seitens der musikalischen Gestaltung durch Jörg Wockenfuß mit seinem lupenrein agierenden Kammerchor aus Tübinger Bürgerinnen und Bürger widergespiegelt wird. Eine Theaterproduktion also, wie sie in einer Zeit, in der erschreckend autoritäre Staatenlenker von Mehrheiten bewundert und Rechtsaußen-Positionen wieder gesellschaftsfähig geworden sind, nicht besser passen könnte.
cul-tu-re.de, 13. April 2025
„Vor dem Ruhestand“ – Himmlers Geburtstag
(von Martin Bernklau)
In der LTT-Werkstatt inszeniert Thorsten Weckherlin Thomas Bernhards bedrückend grandiose Farce über alte Nazis und die „deutsche Seele“
Irgendwann Ende der Siebziger. Thomas Bernhard (1931 bis 1989) spürte, dass er nicht mehr allzu lang zu leben hatte, und schrieb schon wie wild. In Stuttgart führte Claus Peymann sein Stück „Vor dem Ruhestand“ auf, eine „Komödie von deutscher Seele“, wie der Österreicher seine Suada in drei Akten nannte. Der Ministerpräsident und furchtbare Marinerichter Hans Filbinger war dort ein Jahr zuvor zurückgetreten.
Nicht nur in der aufgeputzten guten Stube der Geschwister Höller, wo man am 7. Oktober den Geburtstag Heinrich Himmlers, des seligen Reichsführers SS, festlich begehen will, wimmelt es von alten Nazis. Was man damals „Ewiggestrige“ nannte, besetzte Gerichte und Vorstands-Etagen, Lehrerzimmer und Amtsstuben, leitete Seminare, führte das große Wort in Werkhallen, an Kantinen-Tischen oder in Handwerkskammern – und hatte oft die Lufthoheit über den Stammtischen.
Am Samstagabend war Premiere in der Tübinger LTT-Werkstatt. Es lohnt sich, das Bühnenbild etwas genauer anzuschauen, das Vinzenz Hagemann seinem Intendanten und Regisseur Thorsten Weckherlin da im gutbürgerlichen Spießerstil jener Jahre zusammengebaut hat. Nicht nur die zahllosen Nazi-Symbole sind es, die dort zur Feier des Tages im zweiten Teil den Raum schmücken. (Die „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“ wie der SS dürfen hier unter dem Schutz von Grundgesetz und Kunstfreiheit angstfrei hemmungslos verwendet werden. Und das ist auch gut so.)
Im ersten Teil – die Schwestern warten zum Feierabend auf den Bruder, Gerichtspräsidenten und Hausherrn Rudolf Höller – ist alles sowieso noch beklemmend harmlos, auch der giftig schwärende Hass zwischen den Geschwistern. Immerhin: Das eine Fenster zeigt vielleicht Tübinger Dächer, das andere den unverstellten Blick auf die unzerstört romantische Natur und die Kulturlandschaft unter der Wurmlinger Kapelle. Irgendwann fangen die im Publikum verteilten Chorstatisten an, unsterbliche Melodien zu singen wie „Im schönsten Wiesengrunde“. Später erklingen die Durchhaltelieder der Nazis oder die Kasernen-Laternen-Hymne „Lili Marleen“.
Die Porträts im zweiten Teil könnten neben Himmler, Hitler und dem Hausherrn auch den schwäbischen Kanzler Kurt-Georg Kiesinger in fiktiver Uniform darstellen, vordem höherer Beamter im Außenministerium als Verbindungsmann zu Propagandaminister Joseph Goebbels. Oder Leute wie einen Walter Stahlecker, einen Ernst Weinmann, gefallene oder hingerichtete Kriegsverbrecher – oder aber Tübinger Massenmörder in den SS-Einsatzgruppen wie Eugen Steimle oder Martin Sandberger, die – auch mithilfe von Schutz und Fürsprache durch die schwäbische Ehrbarkeit bis hin zu Carlo Schmid – ziemlich ungeschoren davonkamen und schnell wieder als unbescholtene Bürger galten.
Wie eben bei Thomas Bernhard jener Rudolf Höller, der Gerichtspräsident kurz vor dem Ruhestand. Andreas Guglielmetti stellt ihn sehr stimmig und genau dar: jedenfalls bis auf den – von Thomas Bernhard eben genau so gewollten Showdown im Sektrausch – nicht schrill überzeichnet.
Seine Schwester Vera (Katja Uffelmann), mit der ihn neben der offenbar unausrottbaren Nazi-Gesinnung (in der Variante mit aufsetzbarem blonden Jungmädel-Zopf) ein inzestuöses Verhältnis von sexueller Geschwisterliebe verbindet, schien ihn zehn Jahre lang versteckt zu haben nach seiner Kriegszeit als „jüngster Richter an der Ostfront“ und als stellvertretender Lager-Kommandant eines KZ. Dann lief alles flott und wie geschmiert, zumal auch der Vater schon hoher Jurist war, während die Mutter sich wohl leider das Leben genommen hatte.
Das eigenartige Geschwistertrio vervollständigt im Rollstuhl die querschnittsgelähmte Clara (Susanne Weckerle), der als „Opfer des amerikanischen Bombenterrors“ in den letzten Kriegstagen ein Dachbalken das Rückgrat zertrümmert hatte. Sie ist für ihre Geschwister ein wenig von linken Lesefrüchten vergiftet und von Undank geprägt und zieht so schon viel unterschwelligen Hass oder auch mal offene Ausbrüche – sehr präzise kalkuliert vom Autor – auf sich. Sie kann aber auch ganz gut zurückgeben. So, wie man sie damals gewiss nicht als lebensunwertes Leben und unnütze Esserin ins Gas geschickt hätte, weist man im ehrenwerten Geschwisterhaus nun weit von sich, ihrer alltäglichen Last auch nur im Sanatorium entledigen zu wollen.
Seltsam in Thomas Bernhards Text, dass er die taubstumme und analphabetische Haushaltshilfe vom Land ganz aus den sonst so scharfsichtigen Autorenaugen verliert. Ansonsten spitzt sich das Geschehen in dieser – bei aller beiläufigen Ungeheuerlichkeit des Gesagten – so unglaublich melodischen, musikalischen, mit Pausen, Crescendi und diesem repetitiven Parlando strukturierten Sprache ganz allmählich zu, wenngleich diese finale Katastrophe im Suff schon für die Schauspieler – Betrunkene spielen sich nur für Laien leicht, die Profis müssen sich um der Ernsthaftigkeit willen selbst in der Komödie ganz weit zurücknehmen – vielleicht nicht zu den besten Ideen in Bernhards Bühnenstücken gehört.
Das Trio ist großartig. Abstufungen wären auch subjektiv. Wie da an dieser unvergleichlichen Sprache geformt, gemeißelt, konturiert und facettiert wird, das ist trotz des Themas ein Hochgenuss an Schauspielkunst, auch an Rezitation. Denn es sind eben vorwiegend Monologe, Thomas Bernhards so unglaublich suggestive Wortkaskaden. Jeder Folgesatz hat scheinbar genauso zu kommen.
Katja Uffelmann hat dabei den größten Brocken zu bewältigen, muss aber im Gegensatz zu Andreas Guglielmetti nicht so sehr darauf achten, den Charakter und vor allem den Typus nicht zur klamaukenden Karikatur werden zu lassen. Susanne Weckerle, zunächst eher subtil im Rollstuhl am Rande des Bühnengeschehens abgestellt, verdichtet ihre Außenseiterrolle immer mehr – bis zum sprechenden Schweigen des Schlussaktes. Sie hat da nur einen Satz, ein Wort zu sagen.
Schon Thomas Bernhard klagte damals nicht plakativ an (wie etwa Rolf Hochhuth), sondern gründelte wie ein Putzfisch im Aquarium der dauerhaft naziverseuchten deutschen Seele seiner Zeit. Dass Himmler wie Hitler Vegetarier, Antialkoholiker, Tabakfeinde und Tier- und Naturverehrer waren, dass ihre vernichtende Blut- und Boden-Ideologie in neuer Gestalt neben dröhnender Nazi-Nostalgie, auch als harmlose Gesundheits- und Naturidylle einer höheren Reinheit irgendwie weiterblühte, das war einem wie ihm nicht entgangen. Sein Rudolf verhindert ein Chemiewerk vor der empfindlichen Nase, stoppt den jüdischen Kapitalismus und dessen verdorbene Presse und rettet Natur, rettet Landschaft samt seinem privaten Ausblick auf Uhlands romantisches Idyll.
Genau das leistet auch Thorsten Weckherlins Inszenierung. Die zuweilen hyperventilierende Debatte um echte oder vermeintliche Nazis, diese geschichtsvergessene Inflation des Begriffs und der dahinterstehenden Kräfte, bekommt ein eigenes theatralisches Korrektiv. Der woke, zeitgeistig zugespitzte „Kampf gegen Rechts“, dieses ganz gegenwärtige Polit-Phänomen AfD, immer noch mit dicken Backen immer hilfloser aufgeblasen von so vielen opportunistischen oder korrupten Journalisten, sie sind nicht einmal mehr einer Anspielung wert. Da ist die ganze heiße Luft ja nun auch so langsam raus.
Denn damals, noch nicht gar so lang ist’s her, waren wirkliche Nazis zugange, oft einflussreich und mächtig. Sie konnten Kanzler, Grundgesetz-Kommentatoren, Bank-Magnaten und Industrie-Kapitäne werden oder einsetzen. Auch tatsächliche Massenmörder darunter, rauschhaft schießwütig wie in Babyn Jar und anderswo, kalte Vollstrecker mit seltenen sadistisch-exzessiven Anfällen wie in Auschwitz, Treblinka oder Stutthof. Unbehelligt, am Ende als kulturbeflissene Greise im noblen Stuttgarter „Augustinum“-Stift, oder für den Rest des tätigen Lebens als ehrbare Lehrkräfte an oberschwäbisch-evangelischen Internaten, genossen sie ihr ungestörtes Nachleben als längst wohlhabende und angesehene Bürger, all diese einst hohen SS-Chargen und brutalen Nazi-Mörder. Sie hatten ja nur Befehle befolgt. Und ihre Pflicht getan. Mitten unter uns.
Nachtkritik.de, 13. April 2025
Davon geht die Welt nicht unter
(von Verena Großkreutz)
Die drei Geschwister aus Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" feiern ihn immer noch: Himmlers Geburtstag. Thorsten Weckherlin hat das familiäre Gesinnungsstück in Tübingen inszeniert, mit einem Bürger:innen-Chor. Aber so einfach lassen sich damit keine Bezüge zu heute knüpfen.
Kathartisch, dieser Augenblick: Als der Nazi-Ekel Höller kurz vor Schluss endlich seinem Herztod entgegenröchelt, tut er das umringt vom Chor, der sanft säuselnd singt: "Davon geht die Welt nicht unter!" Lustig, befreiend. Die Idee mit dem "Chor aus Tübinger Bürgerinnen und Bürgern" ist eigentlich eine gute. Als Thomas Bernhards "Vor dem Ruhestand" begann, hatte die Musik noch aus dem Röhrenradio getönt: Volkslieder, alte Schlager. Dann irgendwann – Überraschung – summten Leute, verteilt im Publikum, "Lili Marleen", als habe sich die Musik aus dem Radio verselbständigt, Körper gefunden.
Später formieren sich die Singenden zum Chor und marschieren auf die Bühne. Mal intonieren sie den Frühlingskanon "Es tönen die Lieder", mal gucken sie von hinten durch die Fenster ins Höller'sche Wohnzimmer. Ein netter Verfremdungseffekt, dessen Sinn sich freilich nicht ganz erschließen will im Rahmen von Bernhards familiärem Horrordrama um drei einander ausgelieferte Hass-Geschwister.
Thorsten Weckherlin, Intendant des Tübinger Landestheaters, hat das Stück um den ehemaligen SS-Offizier und KZ-Kommandanten Höller, der im Nachkriegsdeutschland unbehelligt Karriere als Gerichtspräsident machen konnte, auf der Werkstattbühne seines Hauses inszeniert. Vinzenz Hegemann hat dafür ein naturalistisches Bühnenbild gebaut: Die jährliche Geburtstagsfeier für Höllers Idol Himmler findet in einem biederen Wohnzimmer der 1970er statt – mit Röhrenradio, dunkler Holzvertäfelung, Hammond-Orgel, Filbinger-Porträt an der Wand, später folgen Himmler und Kiesinger.
Weckherlin setzt in seiner Inszenierung auf oft klamottige Übertreibung, weniger auf Zwischentöne. Sein Zugriff erinnert ein bisschen an den 1970er-TV-Hit "Ein Herz und eine Seele": Höller (Andreas Guglielmetti) und seine ihm im Inzest und in der Gesinnung verbundene Schwester Vera (Katja Uffelmann) haben etwas vom Ekel Alfred und seinem Hausmütterchen Else. Uffelmann spielt Vera im Küchenkittel, hin und her flitzend, bedienend, vor allem aber in gleicher Höhenlage und Einfalt wie ihrerzeit Elisabeth Wiedemann die Else Tetzlaff – sieht man einmal ab von der erotischen Komponente: Vera umzirzt ihren Bruder gerne überdreht wie ein Backfisch, und dauernd macht sie gute Laune zum bösen Spiel.
Die Figur des Höller, der seiner nationalsozialistischen Gesinnung treu geblieben ist, seine Schwestern in die klaustrophobe Abschottung zwingt, wird auf diese Weise zur Witzfigur. Ist das angemessen, auch angesichts der ständigen unerträglichen antisemitischen Ausfälle Höllers? Die recht präzise umgesetzte Tragödie der Schwester Clara (Susanne Weckerle), Sozialistin, an den Rollstuhl gefesselt und wehrloses Opfer der Demütigungen und menschenverachtenden Fantasien ihrer Geschwister, kann dem inhaltlich nicht genügend entgegensetzen.
Das alles will nicht recht zusammenpassen, bleibt an der Oberfläche des Stücks. Spürbar vor allem im letzten Akt, wenn Vera und Höller, mittlerweile völlig betrunken, ihrem rituellen Anschauen des Höller'schen Fotoalbums frönen, in dem Familienfotos ("Guck ma, Clara als Nackedei!") neben KZ-Ansichten ("Was für ein schöner Baum") und Ablichtungen von toten Häftlingen, die Höller persönlich hingerichtet hat, kleben. Dann wird das grausige Geschwätz in derart langatmig minuziös ausgedehntem Normalo-Modus gespielt, dass die Worte bald wie von selbst zur Sprachmusik verschwimmen.
So inszeniert, wirkt "Vor dem Ruhestand" wie aus der Zeit gefallen: als bloßes Zeitdokument, von Bernhard 1979 als Reflektion auf die Filbinger-Affäre geschrieben, ohne direkten Bezug zum heute. Unsere Gesellschaft hat sich grundlegend verändert. Unser Parlament auch. Die alten Höllers, die Mörder ohne Reue, die hinter verschlossenen Rollläden ihre alten Riten pflegten – sie sind ausgestorben. Heute sitzen die Faschos im Bundestag, mit eigenen Plänen im Kopf, und sorgen dafür, dass sagbar wird, was einst tabu war.
An diesem Abend möchte man andauernd die Stopptaste drücken, kommentieren, Bezüge zu heute finden. Wäre vielleicht eine Idee gewesen: kürzend verknappen, immer wieder unterbrechen, eine Gruppe heutiger Menschen kommentieren lassen. Dann hätte das Stück so vielleicht funktioniert.