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Ein Spiel des tjc (Theaterjugendclub am LTT)
Uraufführung
Schwäbisches Tagblatt, 10. April 2018
(von Dorothee Hermann)
"Wahrheit ohne Pflicht" heißt das neue Stück des Theaterjugendclubs am LTT, bei dem sich weibliche Teenager einer Frage-Show stellen.
Wie es ist, wenn die Kindheit zu Ende geht, aber das Frausein sich noch ziemlich ungewohnt anfühlt: Das testen zehn jugendliche Darstellerinnen amüsant, anrührend und überzeugend im aktuellen Stück "Wahrheit ohne Pflicht" des Theaterjugendclubs (tjc) am Landestheater Tübingen (LTT). Die etwa 120 Premierenzuschauer/innen in der LTT-Werkstatt am Samstagabend waren hörbar angetan.
Der Titel erinnert an das Partyspiel "Flaschendrehen" - mit dem Unterschied, dass die spannende Inszenierung offen lässt, was real und was erfunden ist oder vielleicht von einer anderen beigesteuert wurde als derjenigen, die gerade agiert. Teilweise von biografischem Material inspiriert, haben die zehn jugendlichen Darstellerinnen das Stück gemeinsam mit dem Theaterpädagogen Tobias Ballnus (Spielleitung und Bühne) entwickelt.
Zunächst bestimmen die Farben Weiß und Pink die Bühne. Eine Palette von Rosatönen (mal mit etwas Grau gedimmt, mal mit einem Schuss kräftigem Orangerot zum Leuchten gebracht) markiert die zehn Plätze entlang der Bühnenwand, als befände frau sich in einer stylishen Garderobe. Anfangs gibt es ein bisschen Gedränge und Geschubse, als wäre noch nicht jede zufrieden mit ihrer jeweiligen Position, dem Farbton, vor dem sie sich platziert fand.
Da bewegen sich alle gerade noch außerhalb der Reichweite der dünnen Strahlen, die eine neonpinkfarbene Sonne von der gegenüberliegenden Seite über den Bühnenboden streckt: von dort, wo das Mikrofon steht. Denn das Stück präsentiert sich als Frage- oder Quiz-Show, an der die Mitspielerinnen sich nicht ganz freiwillig beteiligen (das ist dann doch wieder so ähnlich wie beim Flaschendrehen). Eine automatenhaft mechanisch klingende weibliche Stimme sagt aus dem Off jeweils die nächste Runde an. Sie ist es auch, die die Regeln vorgibt: "Jede von euch kann jeder eine Frage stellen. Jede Frage muss beantwortet werden." Da ist es ganz gleich, ob es um Menstruation, Alleinsein, Trauer (um den einzigen Menschen, bei dem eine sich wirklich geborgen fühlen konnte), Liebeskummer oder Zungenküsse geht. Ob frau sich zu Jungen hingezogen fühlt oder schon mal darüber nachgedacht hat, lesbisch zu sein. Die Antwort ist immer davon gefärbt, ob die jeweils ans Mikro beorderte Darstellerin so tut, als sei die Frage ihr peinlich, ob sie scheinbar ganz offen reagiert, oder ob sie eine Antwort parat hat, mit der sie sich gleichzeitig abschirmen kann.
Doch auch auf den ersten Blick Harmloses kann einen melancholischen Sog entwickeln: "Was wirst du verlieren, wenn du erwachsen bist?" Das weckt einen Nachhall in den Zuschauern, Erinnerungen daran, wie das damals war, als für einen selbst die Unwägbarkeiten des Heranwachsens gerade größer waren als die Versprechungen. Eine sagt: "Ich nehme Abschied von der Zeit, in der mir das Leben leicht vorkam."
Sehr eindringlich ist auch die Szene, als ein Mädchen von ein paar Jungs blöd angemacht und bedroht wird. Worauf die Zuschauer mindestens zehn verschiedene Versionen zu sehen bekommen, wie frau sich wehrt (jeweils nur kurz pantomimisch angedeutet), aber auch was es bedeutet, ausgeliefert zu sein. Obwohl die Darstellerinnen zur Generation der "digital natives" gehören, werden Mobiltelefone erst ganz am Ende gezückt: Beim abschließenden "Zukunftsspiel" wissen sich die Jugendlichen vor den Schreckensbildern der Gegenwart nicht anders zu helfen, als überstürzt Kopfhörer aufzusetzen oder Ohrhörer einzustöpseln und per Smartphone in den jeweiligen Lieblingssong (der für alle anderen unhörbar bleibt) abzutauchen. Wie sie dann alle ungeordnet durcheinander tanzen, jede nach einem anderen Rhythmus, ist ein starkes Bild für Vereinzelung. Der Theaterjugendclub bringt unter der Leitung von Tobias Ballnus seit 2002 jedes Jahr ein Stück. Diesmal steht ein erstaunliches Frauenensemble auf der Bühne, das die komischen und die schwierigen, ambivalenten Seiten der Pubertät mit großer Spielfreude erkundet.
Schwäbisches Tagblatt, 6. April 2018
(von Sofie Kunert (LTT-Vorbericht))
Mit einer Spielshow erzählt der Theaterjugendclub am LTT am morgigen Samstag die ganze "Wahrheit ohne Pflicht".
Das Ensemblestück "Wahrheit ohne Pflicht" lässt zehn Darstellerinnen im Alter von 15 bis 18 Jahren aus Fragen, Entgegnungen, Tanz und Theater ein Bild ihrer Generation zeichnen. Kurz vor der Premiere sprachProduktionsassistentin Sofie Kunert mit dem LTT-Theaterpädagogen Tobias Ballnus, der die Gruppe leitet, und mit den beiden Theaterjugendclub-Mitgliedern Hannah Idarous (16) und Isabel Klaiber (17).
Sofie Kunert: Hannah, von Dir stammen mehrere Texte des Stücks, die teilweise von anderen Jugendlichen gesprochen werden - wie ist dasfür Dich?
Hannah Idarous: Ich liebe es, kreative Texte zu schreiben. Dadurch, dass andere meine Texte sprechen, sehe ich, dass ich mit meinen Gedanken nicht alleine bin und sich auch andere mit meinem Text und meiner Meinung identifizieren können. Mich freut es, wenn ich andere inspirieren kann.
Der Stücktext entstand aus Improvisationen. Fiel es Dir schwer, auf Knopfdruck schlagfertige undwitzige Antworten zu liefern?
Idarous: Bei den Proben entstand eine Art "Battle" zwischen uns Spielerinnen; wir haben uns gegenseitig herausgefordert, um die anderen zappeln zu sehen. Trotzdem hoffte ich bei jeder Frage, dass ich sie gut beantworten kann. Aber gerade durch diesen Druck entstand ein packendes Spiel mit spannenden Fragen und Antworten. Aber schwer ist mir das Antworten nicht gefallen, ich habe mich eher gefreut und war aufgeregt.
Isabel, wie ist es für Dich, Dein Privatleben auf die Bühne zu bringen, ohne Dich hinter einer Rolle verstecken zu können?
Isabel Klaiber: Es hat Vor- und Nachteile. Ich muss mir zum Beispiel nicht überlegen: "Wie würde meine Figur jetzt reagieren?" Man kann größtenteils ganz natürlich interagieren, wie ich das auch selber als Isabel im echten Leben machen würde. Anderseits ist man angreifbarer. Private Sachen, die man sonst auf der Bühne wegschieben kann, sind bei "Wahrheit ohne Pflicht" einfach präsent.
Im Gegensatz zur letzten tjc-Produktion gibt es bei "Wahrheit ohne Pflicht" keinen klassischen Handlungsstrang - wie ist das für Dich?
Klaiber: Ich finde es spannend, auf eine ganz andere Art und Weise zu arbeiten und dabei keinen genauen Handlungsstrang einhalten zu müssen. Manchmal erschwert es natürlich den Probenprozess, da man sich an keinen genauen Plan halten kann. Aber meistens bietet es große Freiheiten in der Arbeit.
Was hat Sie bei den Proben berührt, Herr Ballnus?
Tobias Ballnus: Ich war sehr überrascht und auch überrumpelt davon, mit was für einer Wucht sich die Spielerinnen öffnen wollten. Sie haben das biografische Theater sehr ernst genommen und wollten wirklich etwas Persönliches von sich auf der Bühne erzählen. Dabei haben sie einige Grenzen überschritten oder besser gesagt nieder gerannt. Das hat mich sehr beeindruckt, und ich habe großen Respekt vor ihrem Mut.
Was macht "Wahrheit und Pflicht" so besonders?
Ballnus: Nun, zum einen ist die Form sicherlich nicht alltäglich. Wir haben aus einer Spielshow, biografischen Offenbarungen und performativen Elementen ein Kaleidoskop der Pubertät gebaut. Dabei haben die Spielerinnen nicht nur das szenische Material für das Stück geliefert, sondern auch sehr stark an der künstlerischen Form der Präsentation mitgearbeitet. Zum anderen ist es nach 16 Jahren meine vorerst letzte Inszenierung am LTT. Das macht sie für mich ganz persönlich natürlich auch zu etwas Besonderem.