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Komödie von William Shakespeare
Reutlinger Nachrichten, 12. Juli 2016
Das Balzverhalten der menschlichen Spezies
(von Kathrin Kipp)
Kosmisches Zwei-Welten-Theater: mit viel Musik und Hippiecharme geht's auf der Neckarinsel locker luftig parodistisch ins Paralleluniversum der Liebe.
Zwei Welten wohnen, ach! in meiner Brust: In der einen Welt herrschen Macht, Gewalt, Künstlichkeit und patriarchale Unterdrückung. In der anderen Glückseligkeit, Natur, Freiheit, Kunst, Philosophie, Diskurs und Liebe, aber auch der Zwang, sich irgendwie Nahrung besorgen zu müssen.
Beide Universen sind Ausdruck derselben Menschlichkeit. In „Wie es euch gefällt“ treffen sich alle Freigeister im Wald von Arden, wo man das Leben spielen, experimentieren, diskutieren und lieben kann. Auch das LTT-Ensemble unter der Regie von Jan Jochymski will nur spielen. Kosmisches Natur-Theater machen.
Dazu muss es aber erst mal durch die patriarchale Hölle, wo es martialisch knallt, dampft und brüllt. Wo eine schwarze, machtgierige Marionette des Bösen (Lukas Umlauft als Oliver) herumkrakeelt, mit einer Fliegenklatsche wedelt und das Publikum zum Applaus zwingt. Noch schlimmer gebärdet sich Herzog Frederick (Raphael Westermeier) als eine Art Burschenschaftler-General. In der Ecke wütet ein Ringer, ein Iron Man, der brüllt wie ein tontechnisch verzerrter Löwe. Man wähnt sich in einem bösen Comic.
Aber während sich die Männer noch die Köpfe einschlagen, entwerfen die beiden goldigen und übermütigen Herzdamen Rosalind (Franziska Beyer) und Celia (Carolin Schupa) schon ihr Paralleluniversum, herzen, scherzen, necken und lieben sich. Sie wissen genau, auf was es im Leben ankommt: auf interessante Liebesexperimente und knackige Unterhaltung. Deshalb sind sie auch schwerst beeindruckt, als Orlando (Patrick Schnicke) den drachigen Ringer bezwingt.
Die Regie verschießt also schon in den ersten Szenen ordentlich Pulver und zieht die Terrorwelt mit viel Übertreibung, Parodie und Ironie ins Lächerliche. Das war schon immer vielleicht kein effektives, aber immerhin tröstliches Mittel gegen unmenschliche Systeme. Auch die Lebenslust und Experimentierfreude der zwei munteren Girls passt nicht ins System, weshalb sie wie Orlando vom Hof verjagt werden, kurz nachdem Rosalind und Orlando noch von Amors Pfeil getroffen wurden.
Woraufhin Patrick Schnicke durch den Wald irrt, schlimme Liebes-Verse schmiedet und zettelweise an die Bäume heftet. Aber im Ardenner Wald werden alle so akzeptiert, wie sie sind – „Hier bin ich Mensch, hier kommt ein Reim“ – auch liebeskranke „Baumfrevler“ und Poesieverbrecher. Aber Orlando hat auch was zu bieten: Mit seinem Wunderklavierkasten schmachtet er kitschig-zarte Schmonzetten in die klare, nur von tausend tänzelnden Mücken bevölkerte Nachtluft. Im utopistischen Gegenentwurfsgehölz verbreiten derweil zahlreiche Exil-Hippies beseelte Love-and-Peace-Stimmung, mit putzigen Requisiten und herzallerliebsten Blümchen (Bühne und Kostüme: Sabine Schmidt).
Alle sind „total gut drauf“, verteilen Streicheleinheiten, umarmen Bäume und hören zu, wie die Steine singen. Nostalgie macht sich auch im Publikum breit, wenn die langhaarigen Luftikusse auf dem schmalen Grat zwischen Parodie, Folklore und echtem Idealismus wandeln, der vor ein paar Jahrzehnten noch möglich war.
Raphael Westermeier verstrahlt als verbannter Herzog Ferdinand mit Dreadlocks und Inka-Teppich-Umhang eine echte Glücksaura, schätzt schon längst die Vorzüge des zwanglosen Märchenlebens, bekommt aber auch immer wieder kleine Rückfälle und will Tiere töten, um sie zu essen. Ist eben auch nur ein Mensch. Die andern gehen lieber auf Pilzfang. Zwischendurch darf der melancholische Natur-Philosoph Jaques (Michael Ruchter) legendäre Shakespeare-Weisheiten – „Die Welt ist eine Bühne“ – zum Besten geben, während sich auf dem Bauwagen die Rock‘n‘Roll-Band formiert und ein süßer Backgroundchor aus Schäfchen Stellung bezieht: ohne Musik (von Maria König) kein Freiheitsgefühl. Rosalind und Celia haben auf ihrer Liebesexpedition den ausgebrannten Hof-Narren (Andreas Guglielmetti) mitgenommen: ein typischer Einerseits-Andererseits, der das beliebte Oliver-Kahn-Postulat „Eier, wir brauchen Eier!“ eifrig in die Tat umsetzt.
Überall tauchen Echt-, Kunst- und Leucht-Eier auf: als Fruchtbarkeitssymbol oder reiner Unsinn, das ist hier die Frage. Die beiden Girls geben als aufgeregte Hühner den Ton an, machen Disko, plappern, leiden, spielen, dass es eine wahre Freude ist. Mit Orlando spielt Rosalind in Männerverkleidung das Genderspiel und das Balzverhalten von Großstädtern im Wald durch wie in einem Heinz-Sielmann-Film.
In der naturbelassenen Utopie-Sphäre tummeln sich außerdem jede Menge Schäfer als Parodie auf das Nachhaltige, Romantische, Authentische, Fellige. Sie knattern mit einem „Viel Lärm um Nichts 3“-Rasenmäher über die Bühne und führen weitere Spielarten und Verfolgungsjagden der Liebe vor. Der junge Silvius (Thomas Zerck) als hysterischer Verehrer der zickigen Phoebe (Laura Sauer). Der triebgesteuerte Narr,„die alte Sau“, ist hinter Traute (Hildegard Maier) her: Aber ohne Trauschein geht da gar nix.
Zwar geht eine Liebe immer in Richtung Ende, heißt es irgendwann, dafür wird’s aber am Ende dieser Komödie immer kitschiger und inbrünstiger, mit großartigen Schmacht-Hymnen wie das in diesem Fall programmatische „I Believe In Women, My Oh My“. Und alle fallen sich in die Arme. Nur der Philosoph fragt noch nach dem Sinn des Lebens. Sehr schön das alles.
Reutlinger General-Anzeiger, 11. Juli 2016
(von Miriam Steinrücken)
Sommertheater - Das Landestheater Tübingen verlegt die Komödie "Wie es euch gefällt" in die wilden 1960er Jahre
Bunt geschecktes Volk treibt sich zurzeit auf der Neckarinsel herum, laut deklamierend über Bruderzwist, Liebeshändel und Freundes Treue. Und noch mehr Leute schauen zu, wenn das LTT Shakespeares Komödie »Wie es euch gefällt« aufführt. Bis August findet in Tübingen wieder das Sommertheater statt und am Freitag ging’s los. Im Wald leben die Sanft- und Edelmütigen. Vor Gewalt und Willkür am Fürstenhof sind sie ins Grüne geflohen, um in Frieden und Freiheit zu leben. Singende Hirten, plätschernde Bächlein und säuselnde Schattenhaine schmücken die Schäferidylle. Soweit, so stereotyp.
Nun aber richtet das junge Volk in Liebesdingen allerlei Verkleidung, Verwechslung und Verwirrung an: Vom Bruder aus dem Amt geputscht, flieht der rechtmäßige Herzog in den Wald. Mit ihm seine Tochter Rosalind. Sie liebt romantisch-tiefgründig Orlando, Bruder des hartherzigen Landadligen Oliver. In Männertracht versetzt Rosalind Orlando in einen »leibhaften Anfall von Tollheit« und die Schäferin Phöbe in einen »tollen Anfall von Liebe«. Da hilft dem Hirten Silvius all sein hingebungsvolles Schmachten nichts. Prosaischer ist der Hofnarr gesinnt: »Auch ohne Trauschein können wir doch Mann und Frau sein«, schlägt er einer Ziegenhirtin vor. Oliver indes verliebt sich in Rosalinds Busenfreundin Celia derart stürmisch, dass er sich fragen lassen muss: »Kaum saht Ihr sie, so liebtet Ihr; kaum liebtet Ihr, so warbt Ihr; kaum habt Ihr geworben, so sagt sie auch ja?«
Munter dreht sich das Liebeskarussell, verschiedene Spielarten werden durchexerziert und spiegeln einander ironisch. Doch taugt das verklärte Wald-Idyll als Gegenentwurf zur höfischen Gesellschaft oder ist es nur eine märchenhafte Utopie, die sich selbst als genau das erkennt, was sie ist: ein Theaterstück?
Die Aufführung findet auf der Neckarinsel unter freiem Himmel statt. Die Platanenallee bietet die perfekte Kulisse für die Wald-Szenen. Hier gibt Raphael Westermeier den Ton an als Hippie-Herzog mit Dreadlocks und psychedelischen Kringeln auf dem pinkfarbenen Batik-Shirt. Den wilden 60er-Jahre-Look hat ihm Kostümbildnerin Sabine Schmidt verpasst. Seine Groupies – Pardon: Hofleute – jedenfalls lieben es, wenn der Rockstar seine Love-and-Peace-Songs trällert. Überhaupt ist die ganze Wald-und Wiesen-Kommune recht musikalisch. Den Zeitsprung von der Renaissance, als Shakespeare sein Stück schrieb, in die wilden 60er wagt Maria König. Durch den Mix gewinnt die moderne Adaption Lebendigkeit, droht aber, ihre Geschlossenheit zu verlieren. Diese Gefahr bannt Regisseur Jan Jochymski, indem er die einzelnen Episoden miteinander verzahnt. Den Szenenwechsel vollzieht er immer dann, wenn es gerade spannend wird. So verleiht er dem Stück Tempo ebenso wie die Darsteller mit ihrem energiegeladenen Spiel.
Besonders wortgewandt und schlagfertig gibt Franziska Beyer die Rosalind. »Wer tausend Teile aus einer Minute macht und nur ein Teilchen von dem tausendsten Teil in Liebessachen versäumt, von dem mag man wohl sagen: Cupido hat ihm auf die Schulter geklopft. Aber ich stehe dafür, sein Herz ist unversehrt.« So schilt Rosalind Orlando (Patrick Schnicke). Auch den lässt die Liebe zum Dichter reifen. Er ritzt Rosalinds Namen in
Baumstämme und reimt schwülstige Verse: »Von Ost bis West in beiden Inden ist kein Juwel gleich Rosalinden.« Während das adlige Paar mit Wortwitz glänzt, machen sich die Schäfer mit Slapstick-Einlagen lächerlich: In Latzhose und kariertem Hemd kutschieren sie auf einem Mini-Traktor Heuballen umher. Er (Thomas Zerck) fleht sie dabei mit hoher Fistelstimme weinerlich um ihre Liebe an; sie (Laura Sauer) fertigt ihn brüsk ab. Lustig ist das alles, rasant und bunt. Kostümparade, 1960er-Jahre-Remix und Wortgefecht zugleich – wenn auch nicht unbedingt nach dem Geschmack von Shakespeare-Puristen. Wer es weniger streng nimmt, auf den warten weitere Vorführungen des LTT immer donnerstags bis sonntags, spätestens am 6.August.
Schwarzwälder Bote, 11. Juli 2016
Komödiantisch prall gefülltes Treiben auf der Bühne
(von Christoph Holbein)
Das LTT-Ensemble liefert dem Publikum auf der Neckarinsel einen flotten Shakespeare mit "Wie es euch gefällt"
So darf Theater sein: prall gefüllt mit vitaler Spielfreude, unter dem Laubdach der hohen Bäume frech und fröhlich inszeniert, gewürzt mit pfiffigen Ideen, die voll jeder Menge Witz sind. Regisseur Jan Jochymski trifft mit seiner Arbeit am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) den Nerv der Komödie »Wie es euch gefällt« von William Shakespeare: unterhaltsames Volkstheater – bunt, laut und mitunter derb, einfach und doch komplex, ungeheuer körperlich und trotzdem sprachgewaltig.
Dazu bei trägt die sinnliche Freilicht-Atmosphäre dieses Sommertheaters auf der Neckarinsel: ein zauberhafter Ort für ein märchenhaftes Spiel. Und doch – trotz allen Klamauks und aller Slapsticks – dringt dabei die Botschaft in die Augen, Ohren und Herzen der Zuschauer: Geschlechter emanzipiert euch, gewinnt eure Autonomie, liebt einander ohne Ansehen von Stand, Rang und Person und überwindet damit Grenzen und Schranken.
Komödiantisch überzogen – wenn die Fliegenklatsche zum Degen wird, wenn das Schlagzeug die Szene synchronisiert, wenn auf dem stinkend-laut durch die Szene knatternden kleinen Traktor die Aufschrift »Viel Lärm um nichts« geschrieben steht – präsentiert sich das Treiben auf der Bühne. Es sind diese kleinen witzigen Einfälle, die für Knalleffekte sorgen, gepaart mit phantasievoll gezeichneten Figuren, fundamentiert durch das flotte Spiel und pointiert durch das T-Shirt mit dem Shakespeare-Konterfei mit roter Clownsnase, das die Hauptprotagonistin trägt.
Das Ensemble weiß zu gefallen durch seine klare Sprache. Im Ardenner Wald, diesem realistischen Utopia, erwächst aus den Nebelschwaden eine freiheitliche Flower-Power-Gegenwelt mit Blümchen in kleinen Vasen und fetziger Live-Musik an Gitarre, Posaune, Klavier und Schlagzeug. (..) Ein rundum gelungenes Theatervergnügen, das auch aus dem Wortwitz lebt.
Die Inszenierung arbeitet schön die Komik heraus, jongliert mit vielen kleinen, witzigen Details, ist rhythmisch »performed« und originell choreografiert. Regisseur Jochymski gelingt die Balance zwischen klassischem Text und aufgepeppter Dramaturgie und schafft damit einen kurzweiligen und äußerst amüsanten Theaterabend, der in keiner der insgesamt 140 Minuten auch nur den Hauch ermüdet und langweilt, auch wenn der »Running Gag« mit dem Eier zaubern, werfen, schälen und essen nicht auf Anhieb verständlich ist und mit Fragezeichen behaftet bleibt.
Das Spiel auf der Bühne schöpft pulsierende Kraft aus der beredten Mimik und vielsagenden Gestik der Akteure und aus den dadurch starken Szenerien. Das gibt letztlich auch die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens: zu lieben und das a-capella zu besingen, auch wenn, so die Erkenntnis, die Liebe nicht leicht zu einem kommt.
Schwäbisches Tagblatt, 11. Juli 2016
(von Wilhelm Triebold)
Das Sommertheater des LTT verlustiert sich mit Shakespeares Märchenkomödie "Wie es euch gefällt" auf der Neckarinsel
"Wie es euch gefällt" ist eigentlich ein wunderbar komödiantisches Sommermärchen, das die Welt, wie sie für Mann und Frau gleichermaßen als Bühne und Spielwiese gemacht ist, aus der engen Staatsräson ins Offene entlässt. Ins Unbeschwerte und Ungewisse, in einen rechtlosen Freiraum, die Freihandelszone der Liebe. Hier besinnen sie sich neu, scherzen und spotten ohne Folgen, schmachten ohne Erfolg und schwindeln, lieben, leiden geschlechterübergreifend.
Manche Theatermacher verstehen den überstürzten Umzug der vom Hof Gejagten in die Freiheit und die Verbannung als eine Art Fluchtpunktlandung für zivilisationsmüde Aussteiger und fröhliche Anarchen, die mit Rousseau und Thoreau im Gepäck bestens gerüstet scheinen für den Traum von der konkreten Utopie. Wobei der Ardennerwald, der ihnen Asyl gibt, gerade so real ist wie das Wien in "Maß für Maß" oder des "Wintermärchens" Böhmen am Meer.
Auch in Jan Jochymskis aufgeräumt loslärmender Inszenierung bricht dann eine Art kunterbunte Landkommune aus dem Unterholz. Ihr Erkennungsmerkmal: Sie sind allesamt gut drauf und machen insgesamt auch gute Musik.
(…) Im Idealfall wird Shakespeares Spiel von Liebe und Verstellung als ein raffiniertes Bäumchen-wechsel-dich-Spiel erkannt und gebannt, mit tollem Rollentauschhandel und Partnerschaftshändeln. Genauso leicht aber kann man das überdrehen und übergeigen. Am besten wäre, die Regie spielte mit dem Beziehungsknäuel, das durch Gefühls-Mischwald rollt, wie eine geduldige Katze - wobei es auch nichts schaden würde, den roten Faden gelegentlich wieder aufzunehmen. (…) Mit der Zeit findet sie doch noch ihr Tempo, vor allem in den Szenen, in denen Rosalind als heimliche Strippenzieherin, als Leitfadenfigur im Zentrum steht.
Franziska Beyer spielt diese aberteuerlustige Liebesaktivistin, die in der Hosenrolle wiederum ein Mädchen zu spielen vorgeben muss, mit den nötigen ironischen Brechungen, als eine Spiegelfechterei der Verstellungskunst: einerseits der blasse Jüngling, Marke verklemmt-verhärmter Stadtneurotiker, zum anderen aber jemand, die immer wieder Lebenshunger und Liebeswahn übermannen.
Patrick Schnicke ist zwar nicht gerade der leidenschaftlich werbende jugendliche Held und Vollgas-Romantiker, wie ihn die Figur des Orlando vielleicht besser (ver)tragen würde. Sondern eher ein gemütlich bäriger Verehrer. Sonst macht er das allerdings passabel, nicht so plakativ und ausgestellt wie andere, die teils zur Karikatur gestempelt werden.
Rosalinds Exil-Papa ist ein geheimnisloser Hippie-Typ, den Raphael Westermeier in der Waldeslust ganz entspannt und etwas guruhaft herumflippen lässt. Cousinen-Beistand Celia bleibt mit Carolin Schupa eher die dienstbare Hilfskraft, die selbst bald ein Auge auf Orlandos schnieken und schmucken Bruder Oliver (Lukas Umlauft) werfen darf. Denn schließlich macht Liebe nicht immer blind, manchmal auch einäugig. Und da ist, unter den Einäugigen, die Kundin ja König. Und auch mit Eiern, meistens hartgekocht, wird hier hantiert, geworfen, ein Eierlauf veranstaltet (klar, rohe Eier sind wie verletzte Gefühle).
Vier Spielarten der Liebe spürt Shakespeares Komödie auf. Die "aufgeklärte" Variante: das Pärchen Orlando und Rosalind, zwischen denen es frühzeitig funkt, was die Dauer von Liebesleid und -freud natürlich grausam ausdehnt. Dem Paar Celia und Oliver bleibt das erspart. Fürs Derb-Sinnliche sorgen Narr und Landpomeranze, während das niederste Schäfer-Volk als "unglückliche" Paarung übrig bleibt.
Am Ende kriegen sie sich alle. Ob sie sich, bei allem gebotenen Rumgescherze, weiterhin bekriegen werden, bleibt offen. "Wie es euch gefällt" ist mehr ein Eheanbahnungsinstitut als eine Dating-Soap oder die ewige elisabethanische "Herzblatt"-Show.
Andreas Guglielmetti, im Narren-Kostüm ansonsten ein degoutant dreinblickenden Dienst-nach-Vorschrift-Spaßmacher mit steigender Zoten-Quote (fällt die womöglich unters neue Sexualstrafrecht?), begibt sich mit Hildegard Maier als mürrische Melkschemelbürzelmagd in ein burleskes Techtelmechtel. Während ein verknallter Schäfer-Dödel (von Thomas Zerck mit weinerlicher Quengelstimme versehen) auf eine taffe Flintenweib-Angebetete trifft, die Laura Sauer mit Haaren auf den Zähnen - und, reichlich toupiert, auch auf dem Schädel - ausspielt.
Gotthard Sinn leidet als altgedient-abgebrühter Schäfer selbstredend unterm Heuschnupfen und als radelnder Pfarrer erkennbar unter einem Schwips. Michael Ruchter ringt nicht allein als vermummter Schaukampf-Gladiator mit sich und anderen, sondern übt sich darüber hinaus als Haus- und Hofmelancholikus Jacques in Wankelmut: der Wandergitarren-Troubadix des Aussteigervölkchens. (…)
Zum Happyend schlüpft Rosalind zurück in den Rock und alte Geschlechterrollen, das Spiel ist aus. Vier Hochzeiten und ein Sonderfall: Jacques der Fatalist wählt die Einsamkeit.
Das Premierenpublikum spendete, wie es ihm gefiel, am Ende viel Beifall.
Die Deutsche Bühne - online, 11. Juli 2016
(von Manfred Jahnke)
Was braucht es mehr als eine Neckarinsel mit einer viel gerühmten Platanenallee und eine tolle Sicht auf das Schloss Hohentübingen? Dazu in einer warmen Sommernacht das Plätschern der Stocherkähne auf dem Neckar, das Zwitschern der Vögel in den Bäumen und Unmengen von Mücken im Scheinwerferlicht. Der Ort selbst ist der Hauptdarsteller und Sabine Schmitt (Bühnenbild) war gut beraten, als sie einen der großen Bäume zum Ausgangspunkt für ein kleines Labyrinth aus Holzstegen machte, also mit Naturmaterialien arbeitet und die Sicht auf die Platanenallee in das Spiel miteinbezieht. Ansonsten ergänzen zwei gelbe runde Podeste, wie man sie aus der Manege kennt, ein Zirkuswagen, in dem die Musik untergebracht ist, die Szene, sowie eine Art Gulaschkanone, die sich aber später als Klavier erweist.
Gespielt wird die Übersetzung von Frank-Patrick Steckel, der die Handlung von Shakespeares „Wie es Euch gefällt“ sehr strafft, in gegenwärtigen Sprechjargon überträgt und die Handlungen auf die vier Heiraten am Ende hin konzentriert. Letztendlich kann man „Wie es Euch gefällt“ als eine Modellanordnung lesen, wohin die Liebe fällt, als das Aufzeigen von vier verschiedenen Möglichkeiten, wie Mann und Frau zueinander finden können.
Die Regie von Jan Jochymski geht da noch einen Schritt weiter als Steckel: Bei ihm wird „Wie es Euch gefällt“ zum Spektakel, mit viel wabernden Nebel, der manchmal statt zur Bühne über den Neckar zieht, farbigem Licht – selbst die Bäume mit grünen Laub müssen noch einmal grün angestrahlt werden -, Jokes und viel Musik, die Maria König arrangiert hat. Es ist schon Klasse, wie das Ensemble sich immer neu zur Band formiert.
Jochymski sortiert die Handlung relativ einfach. Am Anfang spielt sich alles am Hofe des Herzogs Frederick ab, der seinen Bruder Ferdinand abgesetzt und verbannt hat. Da geht es sehr aggressiv zu, die Farben Lila-Schwarz dominieren in den Kostümen, der Usurpator trägt eine stilisierte Generalsuniform mit silbernen Stern und der Ringer Charles agiert als eine Art von Monstertotenkopfmaschine, die dennoch von Orlando, den Patrick Schnicke als etwas tumb anlegt, besiegt wird.
Noch einfacher ist die Gesellschaft im Ardenner Wald durchgestylt: eine Gesellschaft von Hippies, die sich schon mal in den Musikwagen zum Kiffen zurückzieht, Ferdinand, von Raphael Westermeier im Teppichmantel gespielt, offensichtlich eine Geschichte mit Jacques hat, für den die ganze Welt eine Bühne ist. Michael Ruchter führt dabei weniger den Melancholiker vor als den Philosophen, der auf der Suche nach dem Sinn des Lebens nicht mehr in die bürgerliche Welt zurückkehren möchte. Im Zentrum stehen Rosalind und ihre Kusine und Freundin Celia, die immer wieder behauptet, dass Rosalind nur stets an sich selbst denken würde. Carolin Schupa spielt die Celia nicht als schüchternes Mädel, sondern emanzipiert sich im Spiel. Franziska Beyer führt zunächst Rosalind als neugierigen Teenie vor, verliert aber in ihrer Hosenrolle als Ganymed auf der Flucht in den Ardenner Wald zunehmend die Kontrolle über ihre Gefühle.
Natürlich lässt es eine Freilichtbühne nicht zu, den Gegensatz von Zivilisation und Natur, den Shakespeare wie in vielen seiner Stücke auch in „Wie es Euch gefällt“ verhandelt, wirklich ins Bild zu setzen. Dafür wirkt die Natürlichkeit des Spielraums einfach zu stark, auch, wenn Jochymski diesem kleine künstliche Zeichen entgegen setzt, wie z.B. kleine Plastikblumentöpfe oder Plastikblumen. Leitmotivisch wird darüber hinaus während der gesamten Aufführung mit gekochten Eiern gespielt, die zunächst der Narr Prüfstein (Andreas Guglielmetti) aus seinen Ärmel zaubert, Rosalind und Celia machen einen Eierlauf und einmal sitzt fast das gesamte Ensemble da und isst die Eier. Solche symbolischen Aktionen, immer wieder bildreich umgesetzt, markieren diese Inszenierung, die nicht die Tiefen der Handlungen auslotet, sondern ihre stärksten Momente immer dann findet, wenn sie mit viel farbigem Licht zur Show mutiert.