Abonnieren Sie unseren WhatsApp Newsletter!
Um zu starten, müssen Sie nur die Nummer +49 1579 2381622 in Ihrem Handy abspeichern und diesem neuen Kontakt eine WhatsApp-Nachricht mit dem Text "Start" schicken.
Schauspiel von Moritz Rinke
Schwarzwälder Bote, 7. Juli 2015
Die Liebe geht in der Wahrheit unter
(von Christoph Holbein)
"Wir lieben und wissen nichts" lebt von tiefen Erkenntnissen
»Kann man zusammen bleiben, wenn man sich die Wahrheit sagt?«: Das Schauspiel von Moritz Rinke »Wir lieben und wissen nichts« gibt darauf eine eindeutige Antwort – das kann man wohl eher nicht, denn am Ende gehen alle auseinander und jeder alleine für sich seiner Wege. Vielleicht hätten es die Protagonisten des Stückes von Anfang an mit der Wahrheit probieren sollen: So stringent und dennoch innerlich lavierend, wie der Autor seine Figuren agieren lässt, so schnörkellos hat Christoph Roos das Werk am Landestheater Württemberg-Hohenzollern Tübingen Reutlingen (LTT) inszeniert. Auf der leeren Bühne – Bühnenbildner Peter Scior begnügt sich im »Bewusstseinszimmer« mit einem Stuhl, kahlen weißen Wänden, an denen entlang auf dem Boden stehend unzählige Bücher aufgereiht sind, und ein paar Umzugskartons – vertraut der Regisseur auf den Wortwitz und die Kraft der Dialoge, aus denen das Stück lebt.
Das vierköpfige Ensemble wird diesem fast unterkühlten dramaturgischen Ansatz gerecht: Michael Ruchter, Franziska Beyer, Patrick Schnicke und Jennifer Kornprobst spielen gut und flott, amüsant und mit innerer Dynamik. Die verschiedenen Weltanschauungen – zwischen Atemkursen für Banker, globaler Vernetzung und den Glücksmomenten der Bonobo-Affen – und Beziehungskonzepte – »Ich will das vereinbarte Kind von dir« – prallen aufeinander und münden in kleine Wortgefechte mit leisen Spitzen, die nicht mit sexuellen Anspielungen sparen.
Der Regisseur zeichnet die Figuren mit feinem Strich, haucht ihnen mit seiner Inszenierung ein gutes Mienen- und körperliches Spiel ein und erzeugt so eine verdeckte, aber knisternde Spannung zwischen den Protagonisten, die sich bei aller Wortlastigkeit langsam steigert.
Die Dialoge sind stark, wenn auch mitunter ein bisschen undeutlich artikuliert, scharf, spitzzüngig und schön ausgespielt. Da haben auch stille Szenen ihren Platz, in denen sich die Paare immer mehr auflösen und auseinander driften: »Alles ist miteinander vernetzt, aber die Entfernungen zwischen den Menschen werden immer größer!« Das Mitgefühl löst sich im Datenstrom auf.
Das Geschehen auf der Bühne im immer entleerteren »Bewusstseinszimmer« eskaliert, die Lebenspläne zerbröseln, die Machtspiele steigern sich vor dem jetzt nächtlichen Blick in den Sternen überfluteten Weltraum zu Duellen bis hin zum finalen Schuss aus der historischen Pistole, ein Erbstück. Und am Ende des starken Stückes, der intensiven Szenen, des guten Spiels und der adäquaten Inszenierung ist jeder allein und geht seiner Wege.
Reutlinger Nachrichten, 18. Juni 2015
Es grummelt, blitzt und donnert
(von Kathrin Kipp)
Gewitterstimmung am LTT: In Moritz Rinkes tragikomischem Vierer "Wir lieben und wissen nichts" stehen alle unter schwülem Druck. Es donnert gewaltig, bis es knallt. Ein unterhaltsames bürgerliches Trauerspiel.
Kunden, die Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?", Yasmina Rezas Wohnzimmer-"Gemetzel" oder Shakespeares "Sommernachtstraum" gekauft haben, interessieren sich vermutlich auch für Moritz Rinkes "Wir lieben und wissen nichts".
Auch wenn's im Sommernachtstraum psychedelischer zugeht und Rinkes Tauschdrama ein bisschen braver daherkommt: Auch bei Rinkes brünstigem Stück liegt eine verklemmt aggressive Balzwucht in der Luft, die sich entladen will, egal bei wem. Da kommen die jeweils anderen Partner beim Wohnungstausch gerade recht. Sprüche-Gorilla Sebastian soll mit seiner karriereverplanten Freundin Hannah temporär nach Zürich ziehen, weil sie dort gestressten Bänkern mit Zen-Atemkursen die verdruckste Seele öffnen will. Der spießige Technik-Nerd Roman muss nach Berlin, um seine "Atombatterie" ins All zu schießen. Wohl oder übel nimmt er seine mental eher mickrige Frau Magdalena mit, seine heißgeliebte Aufblaspuppe wäre ihm lieber gewesen.
Und so prallen im "Bewusstseinszimmer" der Berliner Wohnung alle möglichen Neurosen, Ich- und Weltanschauungen und alle denkbaren Formen der Selbstunterhaltung aufeinander. Und wenn sich im Theater zwei Paare auf der Bühne treffen, tut das selten gut, zumal noch jeder sein heimliches Psycho-Päckchen mitbringt.
So grummelt, schwült, sext und blitzt es munter vor sich hin. Eine Pistole kommt ins Spiel - und nicht nur diese hat einen Schuss. Rinkes konstruiert-realistisches Stück ist sehr gefällig: zeitgenössischer Boulevard mit knackigen Dialogen und spritzigen, giftigen und aufgesexten Einschüssen und Entladungen. LTT-Regisseur Christoph Roos lässt die Schauspieler(innen) angenehm feingetunt sich in Rage quatschen.
Gegen Ende macht sich die Inszenierung sogar noch auf ins Universum: Bühnenbildner Peter Scior hat dazu ein fantastisches Weltall gezaubert, (3-D-Theater ohne Brille!), das gleich hinter der Bühne zu beginnen scheint und unsere schöne Erde zeigt, wie sich auf ihr auch noch die kleinsten Menschen-Dramen zu gewaltigen Übergrößen ausweiten. Man möchte Gott sein und lachen - wenn die Figuren schon nicht über sich selbst lachen können, selbst wenn sie sich noch so reflektiert geben.
Die Schauspieler(innen) wiederum nehmen ihre unbefriedigten Zeitbomben mal mehr, mal weniger ernst und zeigen sie als Psycho-Mischungen aus verzweifelter Selbstinszenierung und tiefstem Trauerchaos. Alle sind - in ihrem Rahmen - der aparten Sprache mächtig, nur richtig miteinander reden tut hier natürlich keiner, zumindest nicht mit dem eigenen Partner. Trotzdem kommt's zu jeder Menge Geständnisse. Vor Fremden beichtet sich's eben einfacher.
Das Hauptproblem aber scheint zu sein, dass sie keinen Spaß mit sich und den andern haben. Allenfalls Michael Ruchters Sebastian unterhält sich selbst ganz gut mit ausgefeilten Schimpftiraden gegen den Kapitalismus und die verrohte, antihumanistische Neuzeit, gibt sich locker unkonventionell als sympathischer Looser, der nicht mehr mitspielen will. Die Überlebenszwänge überlässt er seiner Freundin, und damit auch die Verantwortung für alles.
Hannah (Franziska Beyer) ist einst mit den gleichen Idealen gestartet, hat dann aber dem System nachgegeben. Gibt Atemkurse für Kapitalisten, damit die noch entspannter böse sein können. Sie ist top organisiert und durchgetaktet, liebt Verträge und Abmachungen - mit entsprechend verkrampfter Genervtheit. Sie zahlt, will deswegen natürlich auch bestimmen. Bei so einer strammen Fassade braucht's natürlich nur den kleinsten Anlass, um einzustürzen, und so entlarvt sich natürlich auch Hannah als hungriges Möchtegern-Lebewesen.
Sebastian suhlt sich derweil in der Rolle als bockig lustiger Verweigerer. Auch Magdalena (Jennifer Kornprobst) würde gerne verschiedene Leben leben, versteckt sich aber als graue Maus hinter ihrem Doofmann Roman (Patrick Schnicke). Sie braucht jede Menge Champagner, um mal so richtig aus sich raus zu gehen und stürzt sich dann auf den mit dem Leben überforderten Sebastian. Aber der ist viel zu sehr mit sich selbst verstrickt.
Hannah wiederum stürzt sich in ihrer unterdrückten Liebes- und Freiheitslust auf Roman, aber da gerät sie natürlich an den Falschen, weil: Der ist ein stockverklemmter Faktenleugner, der lieber über Leichen und Sexpuppen geht, als dass er sich irgendwelche Niederlagen eingesteht. Am Ende verlieren sie sich alle.
Esslinger Zeitung, 16. Juni 2015
(von Elisabeth Maier)
Christoph Roos inszeniert Moritz Rinkes "Wir lieben und wissen nichts" am Landestheater Tübingen
Mit einem Wohnungstausch fängt für zwei Paare das Chaos an. Moritz Rinke spielt in seiner Beziehungskomödie „Wir lieben und wissen nichts“ mit komischen Situationen ebenso virtuos wie mit der Unzulänglichkeit seiner Figuren. Für vier Schauspieler am Landestheater Tübingen (LTT) ist das ein gefundenes Rollenfutter. Hausregisseur Christoph Roos lässt sie lustvoll geheime Wünsche und Aggressionen ausleben. Seine dynamische Inszenierung setzt Rinkes starke Dialoge stimmig in Szene.
2012 wurde das Stück des 47-jährigen Autors am Schauspiel Frankfurt uraufgeführt und lief seitdem erfolgreich an zahlreichen deutschen Bühnen. Für Romantik ist in der Zimmerschlacht, die sich die Schauspieler liefern, kein Platz. Die erfolgreiche Esoterikerin Hannah tauscht ihre Wohnung, um am Zürichsee frustrierten Banker die Zen-Meditation beizubringen. Davon können sie und ihr lebensuntüchtiger Freund Sebastian gut leben.
Gnadenlos schmiert Franziska Beyer, die die hintergründige Bosheit ihrer Rolle zur Lebensphilosophie stilisiert, ihm seine Erfolglosigkeit aufs Brot. Seine kulturgeschichtlichen Studien kommentiert sie mit Sätzen wie „Du schreibst Texte über Katzen“. Michael Ruchter kontert, indem er sich strikt weigert, beim Umzug mitzumachen. Wenn er den Spieß umdreht, läuft er zu Höchstform auf. Rinkes perfide Machtspielchen zelebrieren die Schauspieler, die das komische Fach aus dem Effeff beherrschen, grandios. Peter Scior hat einen weißen, leeren Bühnenraum mit endlosen Bücherreihen geschaffen, die den Weg in die Umzugskisten nur zögerlich finden. Der leere Raum zeigt, dass die Yuppies hier keine Wurzeln schlagen.
In diese Beziehungskrise platzen die Wohnungstauschpartner aus Zürich. Roman ist ein Computerfreak, der an Kommunikationssystemen arbeitet, die Satelliten ins All schießen. Der nervöse Nerd kann ohne WlAN nicht leben. Patrick Schnicke genießt den Part des grausamen Verrückten. Er demütigt seine Frau, die als Physiotherapeutin für Hunde und Pferde tätig ist. Stolz berichtet sie mit ihrem zittrigen Stimmchen, wie sie das Pferd aus dem Reitstall des Schockemöhle-Clans therapiert habe. Der Ruhm der Olympioniken verleiht der grauen Maus zumindest etwas Gewicht. Verzweifelt versucht Jennifer Kornprobst, sich in einem leben zurechtzufinden, das sie einfach nicht begreift. Dass Roos am Ende das Weltall auf die weiße Bühnenwand projiziert, mag zwar ein wunderschönes Bild liefern. Diese universelle Deutung ist jedoch deutlich zu dick aufgetragen. Denn über weite Strecken verhandeln die Schauspieler eine Zeitgeist-Nabelschau, deren gesellschaftliche Relevanz nicht im Vordergrund steht. und das ist auch gar nicht nötig. Moritz Rinke geht es um Menschen, denen ihr Leben entgleitet. Seine eskalierenden Dialoge, die an Yasmina Rezas „Gott des Gemetzels“ erinnern, unterhalten und berühren zutiefst. Mehr lässt sich aus dem manchmal stark konstruierten Plot aber beim besten Willen nicht herauspressen. Die Schauspieler schöpfen aus dem Füllhorn der zeitgenössischen Komödie. Darin liegt die große Qualität des Abends, der in Roos’ straffer Regie keinen Leerlauf hat.
Reutlinger General-Anzeiger, 15. Juni 2015
Die Kommunikationssatelliten stürzen ab
(von Thomas Morawitzky)
Moritz Rinkes Schauspiel "Wir lieben und wissen nichts" über einen Wohnungstausch am LTT
Die Männer sind todkrank oder haben die Kündigung in der Tasche, die Frauen sind unbefriedigt. Das Leben erweist sich als Fehlentwurf, sein Scheitern ist Tragikomödie. »Wir lieben und wissen nichts«, das Stück, mit dem Moritz Rinke sich 2013 als Theaterautor zurückmeldete, handelt natürlich davon, wie man aneinander vorbeilebt. Seit Freitag wird es am LTT gespielt.
Wohnungstausch – das jüngste aller Komödiensujets ist das nicht, aber doch eines, das bestens dafür geeignet ist, Welten auf Kollisionskurs zu bringen. Bei Moritz Rinke allerdings führt der Weg nicht zur Romanze, sondern ins Chaos. Seine Figuren sind klar, lebendig gezeichnet und doch stereotyp. Rinke führt ihre Hilflosigkeit ohne Zynismus vor, schickt seine Protagonisten aber zielstrebig in den Abgrund: Da steht, einmal mehr, eine verlorene Generation und guckt in die Sterne.
Zu Beginn zeigt die Bühne das »Bewusstseinszimmer« des Kulturhistorikers Sebastian: Ein leerer Raum, der nur wenig Sitzgelegenheit bietet. Entlang der Teppichleisten Bücherreihen, Werke, auch von Weitem unschwer als geisteswissenschaftlich erkennbar. Sebastian lebt mit Hannah, die sich der Welt scheinbar sehr viel mehr zuwendet als er – sie gibt Atemkurse für geplagte Manager und wähnt sich vor dem Karrieresprung.
Weil die Stadtmieten explodieren, haben sie über das Internet mit einem anderen Paar den zeitweiligen Wohnungswechsel vereinbart – Sebastian will zwar nicht, Hannah dafür unbedingt. Und also reisen Roman und Magdalena an, aus Zürich: Ein Mann mit übergroßem IT-Ego, der Kommunikationssatelliten in die Umlaufbahn schießt, und eine frustrierte Tiertherapeutin.
Lebenswelten, Lebenslügen kollidieren, und zufällig liegt irgendwo eine alte Feuerwaffe herum – irgendwann muss es also schließlich knallen. Zuletzt, als Bücher und Labtop längst verschwunden sind, tut sich der Himmel auf: Hinter der Bühne erscheinen die Sterne, der Blick auf Erde und Mond. Die beiden Paare gehen noch umher, die Frauen setzen sich, die Männer blicken auf, man schweigt und sagt Nichtssagendes: Weltschmerz vor der Kulisse der Unendlichkeit.
Das klare, sparsame Bühnenbild von Peter Scior, das zuletzt mit dieser astralen Pointe aufwartet, gibt den Rahmen für ein Spiel der geschliffenen Dialoge, bei dem berufliche und geschlechtliche Rollenklischees übereinander herfallen.
Michael Ruchter spielt Sebastian, den neurotisch aufgekratzten Versager im Elfenbeinturm, zu Beginn vielleicht schon allzu rasend, Franziska Beyer ruht von Anfang an in ihrer Rolle. Patrick Schnicke tritt auf als massig Raum einnehmender Computerprolet und Jennifer Kornprobst als zähe, kleine, aufrührerische Person. Das Stück lebt ganz von seinen Figuren, ihrer Sprache und all den politischen und gesellschaftlichen Gemeinplätzen, die dem Zeitgenossen aufs Gemüt drücken und die Rinke salopp vorbei paradieren lässt. Gerne wird es verglichen mit Yasmina Rezas »Der Gott des Gemetzels« und lange schon an vielen deutschen Bühnen mit Erfolg gespielt.
In Tübingen entsteht in der Regie von Christoph Roos ein schwungvoll böses Gruppenbild mit einer Prise Melancholie und Hoffnung: Zwar wissen sie nichts, aber doch lieben sie noch. Wenn auch vergeblich.
Schwäbisches Tagblatt, 15. Juni 2015
Beziehungsreiche Sollbruchstellen
(von Wilhelm Triebold)
Das Tübinger Landestheater beendet seine erste Spielzeit unter neuer Leitung mit Moritz Rinkes "Wir lieben und wissen nichts"
In der Deutschen Autoren-Nationalmannschaft, kurz Autonama, glänzt der Dramatiker Moritz Rinke als Goalgetter (32 Tore!) - als einer, der sich nicht sturmtankmäßig in die Strafraumschlacht wirft, sondern geschickt die Räume nutzt, die ihm der Gegner bietet. Wenn man so will, ist Moritz Rinke der Thomas Müller der Literatur. Er bevorzugt die überraschende Volte, das Unorthodoxe - etwa, indem er für ein Interview anlässlich seines Bühnenerfolgs "Wir lieben, aber wissen nichts" den "Dramasseur" erfindet.
Das ist in Rinkes Augen ein Regisseur, der sich die Dramatik nach Gusto und Karrierestreben zurechtknetet. Andererseits, so der Autor im Interview, habe er gerade in der sogenannten Provinz "völlig entspannte Regisseure getroffen, die selbstbewusst genug waren, eine Geschichte auf Augenhöhe von Text, Schauspielern und Regie zu erzählen und dafür auch noch ein Publikum begeistern konnten."
Falls es den Autor nach Tübingen verschlägt, trifft er hier auf eines dieser seltenen Regiefach-Exemplare. Denn LTT-Oberspielleiter Christoph Roos "dramassiert" Rinkes Stück nicht und massakriert es auch nicht. Stattdessen kitzelt er den vorhandenen Witz, so weit es nötig ist, aus dieser Vorlage, die in wehem Nachklang auf Edward Albees psychotisch-handfestem Vernichtungsfuror ("Wer hat Angst vor Virginia Woolf?") und in Konkurrenz zu Yasmina Rezas konsensbröckelndem Paar(leer)lauf ("Gott des Gemetzels") einen neuen dritten Weg einzuschlagen versucht.
Wiederum zwei eher akademisch ausgerichtete Pärchen, für einen längeren Moment auf Gedeih und Verderb aufeinander treffend und genauso aufeinander angewiesen. Die praktisch veranlagte Hannah hält die erschlaffte Partnerschaft mit dem traumtänzelnden Vorwortbastler und Bücher-Schluffi Sebastian mühsam auf Trab: Die nächste Etappe wäre dann Zürich, wo Hannah gestressten Bankern mit Zen-Sperenzchen die Schnappatmung glättet, wo Sebastian aber partout nicht hin will.
Im Gegenzug machen sich in ihrer Wohnung der humorlos-robuste Software-Fuzzy Roman und an seiner Seite ein flatterhaft scheues Wesen namens Magdalena breit. Roman, der ohne W-LAN-Zugang ziemlich schlechte Laune kriegt, will eigentlich nur in Ruhe Kommunikationssatelliten in den Orbit schießen, wobei ihn andere Leute (speziell Frauen und noch spezieller die eigene) nur stören. Was ihn aber nicht von einem Techtelmechtel mit Hannah abhält.
Rinke neigt in "Wir lieben und wissen nichts" zwar allzu sehr zum lockeren Wortgeschwalle und -geklaube, ein bisschen auch zur Pointenkackerei. Seine Akteure beuteln sich die Sprüche arg um die Ohren. Und doch macht sich hinter den Sätzen eine merkwürdige Sprachlosigkeit und Lebensverdrossenheit breit. Denn es geht um die Sollbruchstellen von Beziehungen, und wie belastbar sie sind.
Die Paare trennt (und verbindet zugleich) Unbewältigtes und Unausgesprochenes: Versagter Kinderwunsch, verdrängte Kündigung, Paarungs- und Paarbeziehungsstörungen, unleidiges Zweifeln, abflauende Gefühle und abgekühlte Leidenschaft, Entzugs- und Entfremdungserscheinungen, Frust und Lust-Verlust. All das drängt hier zumindest bis knapp unter die Oberfläche, weshalb Stück (und mehr noch die Inszenierung) gegen Ende nachdenklicher, ruhiger, hoffnungsloser erscheinen.
Es sind diese Kellerleichen aus den leicht moderigen Grüften des Miteinanders, aus den Mördergruben der doch noch füreinander schlagenden Herzen, die jetzt in der wohl rinke-genehmen Tübinger Theaterprovinzversion (in eindreiviertel Stunden ohne Halbzeitpause) so ansehnlich und passabel geschminkt werden, bis die ganze Aufführung frisch und lebendig wirkt. Nicht zuletzt liegt das an Franziska Beyer, deren Hannah energisch auf- und ausbricht, an Michael Ruchters großmäulig maulendem Versagensangsthasen Sebastian, Jennifer Kornprobsts verzweifelt-überkandidelter Magdalena und Patrick Schnickes unsympathischem Problembär Roman.
Das Leben bietet für alle Fälle Verlegenheits- und Verlogenheitslösungen. Manchmal muss tabula rasa gemacht werden. Auf den Tisch verzichtet die Bühne von Peter Scior, nicht aber auf den (einzigen) reinen Stuhl, Sebastians Rückzugsort, aber auch sonst bleibt es um ihn weitgehend leer. Die Umzugskisten sind längst gepackt, und Sebastians geliebter Bücherbestand wird nach und nach von dem Quartett eigenhändig entsorgt.
Am Schluss gibt es kurz freie Sicht aufs unendliche All, für einen Augenblick den Außenblick auf den Planeten. Dann ist Sebastian wieder allein, eingekastelt in den eigenen vier Wänden, die nackt und leer bleiben. Sebastian im Gehäus, verlassen und verzagt. Ein Büchermensch, der liebt. Und nicht weiß, wie das geht. Wilhelm Triebold
Unterm Strich
Beziehungsgekrisel, aus der Nahdistanz unter die Lupe genommen: Moritz Rinkes Komödie ist manchmal nerviger als die LTT-Inszenierung, die das alles treu und brav und damit angemessen auf die Bühne bringt. Ein geglückter Spielzeit-Abschluss.