Eine ernste Science-Fiction Komödie von Sibylle Berg · 14+
Schwarzwälder Bote, 11. Dezember 2024
„Es braucht den Menschen nicht mehr“
(von Christoph Holbein)
In der Welt der Künstlichen Intelligenz (KI) haben Roboter das Sagen. Eindrücklich und intensiv bringt das Regisseur Sascha Flocken in der Werkstatt des Landestheaters Tübingen (LTT) auf die Bühne.
Reutlinger General-Anzeiger, 3. Dezember 2024
(von Christoph B. Ströhle)
Bitterböser und komischer Abgesang: Sibylle Bergs Dystopie »Wonderland Ave.« am Landestheater Tübingen
Ein wunderbar pointiertes, lebendiges Zusammenspiel
Schwäbisches Tagblatt, 3. Dezember 2024
Der Horror in der Wellness-Oase
(von Dorothee Hermann)
Mit „Wonderland Ave.“ von Sibylle Berg gelingt dem Landestheater Tübingen eine zugleich absurd komische und beklemmende Expedition zu den Abgründen und Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Roboter.
Cul-Tu-Re.de, 1. Dezember 2024
(von Martin Bernklau)
Rauschender Beifall und zahllose Vorhänge bei der Premiere. Das Stück lohnt sich.
Die wunderbare Sibylle Berg aus Zürich, 1962 in Weimar geboren, gilt zwar vielleicht nicht unbedingt als genialste Erzählerin oder bedeutendste Dramatikerin der Zeit, aber die Doppelstaatlerin zählt gewiss zu dem wichtigsten und produktivsten Intellektuellen deutscher Zunge und ist auch als Kolumnistin bekannt. Schon vor sechs Jahren hat sie das Stück „Wonderland Ave.“ verfasst, in dem sie – mit dem unaufhaltsamen Vormarsch der KI/AI brisanter denn je – in digital entmenschte Höllen vorausleuchtet. Sascha Flocken hat das essayistische Drama in der Tübinger LTT-Werkstatt als großartiges Solo für die wunderbare Sabine Weithöner inszeniert, ästhetisch geschlossen und stimmig, fast ganz in Weiß, der Farbe von Tod und klinischer Sterilität. Am Samstag war die ausverkaufte Premiere.
„Die Person“ erwacht unter ihrem Leichentuch schon auf einer Art Bahre. Sie wird sogleich von einem Trio (Insa Jebens, Lucas Riedle, Rosalba Salomon) umsorgt, das als „Maschinen-Chor“ auch per Video-Einspieler seine unmissverständlichen Anweisungen gibt. Die Person lebt da in einer Art Gated Community unter völliger Bevormundung. Ihre eigene Mutter, einzige und letzte lebende Bezugsperson, ist längst in ein Altenheim abgeschoben, bevorzugt altmodische SMS in der verbliebenen Endgeräte-Kommunikation.
„Ich hatte noch ein Leben, das von Emotionen geprägt war.“ Sie sehnt sich nach Austausch, Zärtlichkeit, Nähe, auch Sex. Was die rest-rebellische Person als „schlecht programmierte Transistorradios“ verhöhnt, dient ihr aber nur einen Wettbewerb, einen harten Konkurrenzkampf unter den Mit-Insassen der Anstalt an, als dessen Hauptpreis „ein selbstbestimmtes Leben“ winkt. Da muss dann ernährungs- und entleerungstechnisch, aber vor allem sportlich richtig rangeklotzt werden, zum Beispiel mit einem veritablen Boxkampf mit einer der Maschinen, den sie gewinnt.
„Nie war es einfacher einen Gegner zu erkennen“, lässt Sibylle Berg, die bei allen ihren zeitkritischen Analysen ihre marxistisch linken Wurzeln und den Klassenkampf gegen Kapital und Konzerne nie ganz vergessen oder gar verleugnet hat, ihre Person verlautbaren. Alles ist Fake, Attrappe, technische Illusion. „Die Maschinen müssen weg!“, verkündet sie. Als die Person schreiend gegen „dieses Rumgestochere in meinen Nerven“ Widerstand leisten will und die digitale Zerstörungskraft und Entmenschlichung anklagt, wird das durchgängig fast reinweiße Ambiente auch mal schlagartig rot.
Jan Paul Werge hat „Wonderland Ave.“! (für Avenue) mit viel suggestiv bedrohlichem Computersound unterlegt. Das Trio darf aber gemeinsam mit Sabine Weithöners Person auch mal ein choreografiertes Lied in englischer Sprache und irischem Folkstil geben, dessen dramaturgische Funktion jedoch nicht ganz klar wird. Reminiszenz für die Person oder Flucht in Sang, Gesang und Tanz auch mal für die Maschinen? Von Lara Schiek stammen die Kostüme und das Bühnenbild einer auch ästhetisch sehr starken und geschlossenen Inszenierung.
Allerdings fehlt Sibylle Bergs Thesen-Theater bei ihren hellsichtigen Beschreibungen und Analysen der Zeitläufte gegenüber dem Brecht’schen Vorbild ein wenig an echten Geschichten und spannenden Konflikten. Aber wie Sabine Weithöner diese etwas blutleere und fleischlose „Person“ doch zu einer Figur zu machen versteht, zu einem richtigen Menschen voll Zorn, Gefühl und Sehnsucht, das ist schon sehenswert. Großartig ihre Stimme und Sprache, verständlich und plastisch vom Flüstern bis zur kreischenden Wut-Suada.
Nach einer Video-Traumsequenz von lauter Natur, Garten, Tieren und Sonnenuntergangs-Romantik (aber keinen Menschen) lässt die Ringkomposition die Person gemäß den Anweisungen ihres Maschinen-Chors wieder zum Todesschlaf unter dem weißen Laken verschwinden.
Rauschenden Beifall und zahllose Vorhänge gab es danach bei der Premiere. Trotz dieser gewissen Gedankenlastigkeit und nur wenig wirklichen, echten theatralisch-szenischen Entfaltungsmöglichkeiten: Das Stück lohnt sich.
Sibylle Berg übrigens, die so scharfe Analytikerin und ungeheuer produktive polemische Autorin, hat eine weiteres Feld gefunden: Seit der Europawahl vom vergangenen Juni bildet sie im Straßburger und Brüsseler Parlament gemeinsam mit dem großartigen Martin Sonneborn, bisher fraktionsloser, aber fleißiger, wichtiger und verdienstvoller Einzelkämpfer, für „Die Partei“ ein wunderbares Doppel.
Die Deutsche Bühne, 1. Dezember 2024
(von Manfred Jahnke)
Sascha Flocken inszeniert am Landestheater Tübingen eine Dystopie mit bedrohlichem Maschinenchor und verliert trotz düsterer Materie nicht die Leichtigkeit.